Tohidoo von Triss
Kapitel III

Als Moff in dieser Nacht aufwachte, erinnerte er sich sofort an einen merkwürdigen Traum. In diesem Traum war er geflogen und hatte mit dem König des Waldes gesprochen, der ihm sogar so ein hübsches Amulett gegeben... seine Hand stieß auf etwas rundes, kühles, das an seinem Hals hing... Moff war sofort hellwach, und lebendig stand vor ihm nun die Erinnerung an den ganzen vorigen Tag.
"Oh mein Gott..." flüsterte er aufgeregt und machte sich sofort an die Arbeit. Er bürstete sein Fell, dann noch das Moos, aß ein paar Nüsse zum Frühstück und packte den Rest der Speisekammer in einen Sack. Dann warf er noch ein paar andere Dinge hinzu, die er für unentbehrlich hielt, und als alles zum Aufbruch bereit schien, setzte er sich mit einem Seufzer noch einmal hin.
"Was ist nur los, dass ich meine gemütliche Wurzel verlassen muss, um mit irgendeiner Bösen Macht zu kämpfen?"
So sehr er sich bemühte zu begreifen, was da auf ihn zukam, er konnte einfach nicht fassen, dass er zu einem Abenteuer aufbrechen sollte, um bei etwas bedeutungsvollem zu helfen.
Moff war noch nie richtig gewandert und war auch nicht länger als für ein paar Nächte außer Haus gewesen, was nicht heißt, dass er nie daran gedacht hatte. Wie so viele junge Wesen hatte er so manches Mal davon geträumt, in die Welt zu ziehen und mit eigenen Augen all die unglaublichen Dinge zu sehen, von denen alte Zwerge oder junge Streuner erzählten. Jetzt bot sich die Gelegenheit, wenn man einen königlichen Befehl als Gelegenheit bezeichnen konnte, und er spürte, wie Furcht und Unsicherheit ihn immer mehr verließen, und ihn stattdessen ein Gefühl von Aufregung und Erwartung überkam. Er war sich auch immer sicherer, wen er auf diese Reise mitnehmen wollte.

"Natürlich komme ich mit, was für eine Frage," sagte Ghanas, obwohl Moff noch gar nicht gefragt hatte. "Du wirst jemanden mit Kampferfahrung brauchen." Ghanas war ein Mensch, einer der wenigen, die im Zauberwald wohnten. Er war groß und schlank wie ein Elf, hatte ein schmales, entschlossenes Gesicht mit glitzernden braunen Augen und langes, schwarzes Haar, das meistens wirr um seine Schultern hing. Den dunkelgrünen, langen Umhang hatte er von einem Streuner gekauft. Unter ihm verbarg er ein prächtiges Schwert. Sie saßen in seiner Hütte, unweit von Moffs Wurzel, an einem Tisch und tranken süßen, fruchtigen Tee. Moff saß auf einem besonders hohen Stuhl, den Ghanas schon vor langer Zeit speziell für kleine Besucher angefertigt hatte. Da er aber nicht mehr von solchen Stühle hatte, hatte sich Biem einfach auf den Tisch gesetzt und knabberte an einem Stück Kuchen, das Ghanas ihr gegeben hatte, damit sie in Ruhe reden konnten. Neben Moff saß sein treuer Freund Dadun.
"Ich hatte auch gar nichts anderes von dir erwartet," sagte Moff lächelnd. "Und du, Dadun? Ich denke, dich muss ich auch nicht fragen."
Der Baumjunge nickte lächelnd.
In dem Moment hatte Biem gerade das letzte Stück Kuchen heruntergeschluckt und rief aufgeregt:
"Mich brauchst du auch nicht zu fragen ohne mich könnte dir so viel Schreckliches passieren ich weiß nur noch nicht ob ich es schaffe den Schnee für die Blumenkönigin mitzunehmen wenn wir sie befreien möchte ich ihn ihr sofort zeigen oje oje bin ich aufgeregt..."
Unter Moffs mahnendem Blick wurde sie still, senkte die Augen und murmelte: "Tschuldigung..." 
Er lächelte etwas überrascht, denn es passierte äußerst selten, dass das freche Mädchen dieses Wort benutzte.
"Wahrscheinlich hat sie Angst, dass ich sie nicht mitnehme", dachte er. Dabei brauchte sie sich darüber keine Sorgen zu machen. Moff hatte sie in seiner Nähe gehabt, soweit er sich zurückerinnern konnte. So nervig sie auch war, ohne ihre unheilbare Fröhlichkeit und ihren ewigen Optimismus konnte er sich kein richtiges Abenteuer vorstellen.
"Ich glaube, dann haben wir keine Zeit zu verlieren," sagte Dadun und stand auf. "Gib uns ein paar Stunden um uns zu packen und dann  - auf geht’s!"

Es war noch dämmerig und still, als sie den Waldweg entlanggingen. Kein Tier war zu sehen, und die Bäume und Büsche wiegten sich raschelnd im Schlaf. Hier und da sahen sie eilige Elfen vorbeihuschen, die von nächtlichen Strandfeiern zurückkamen und vor Sonnenaufgang wieder in ihrem Baum oder Bach sein wollten. Ansonsten war es ruhig, die Luft angenehm feucht und frisch. Moff saß zusammen mit dem größten Teil des Gepäcks auf einem kleinen schwarzen Pony, das Ghanas mitgenommen hatte, daneben trottete noch sehr verschlafen Dadun, und vorneweg schritt entschlossen der Krieger. Biem huschte unermüdlich von einem Baum zum anderen, grub hier und da in der Erde herum, roch an allem, was ihr unter die Nase kam und plapperte dabei auch noch unentwegt von all den interessanten Dingen, die sie fand und in die Taschen ihrer Hosen stopfte.
Da niemand wusste, wo genau ihr Ziel lag, hatten sie beschlossen, in die Richtung zu ziehen, aus der der Frühling hätte kommen müssen. Dafür brauchten sie jedoch ein Schiff, und das konnten sie nur in Tan – Moria bekommen, einer Stadt, die einige Meilen außerhalb des Waldes am Meer lag und hauptsächlich von Menschen und Halbelfen bewohnt war. Sie zogen daher die Küste entlang, einen schmalen Waldweg nehmend. Am Strand wären sie zu langsam vorangekommen, und außerdem wollten sie auch nicht zu sichtbar für eventuelle Spionen des Bösen sein.
Langsam wurde es immer heller, und schließlich ging über dem Meer die Sonne auf.
Der ganze Wald begann aufzuwachen. Die Strahlen sausten wie wild zwischen den Pflanzen umher, zischten und kicherten, die Bäume seufzten und streckten ihre Äste, jegliches Gebüsch knisterte und rauschte. Immer mehr Geschöpfe krochen aus ihren Höhlen und Gruben. Viele schauten den Wanderern neugierig nach, ein Zwerg hielt sie sogar an und musterte sie misstrauisch.
"Was sucht ihr denn hier? Wer gibt euch das Recht durch mein Land zu ziehen, hum?"
"Was meinst du mit 'dein Land'?" fragte Dadun verwundert. Gleich darauf kam jedoch ein junges Zwergfräulein aus dem Gebüsch und rief:
"Ach, hier bist du, Opa. Nervst du wieder fremde Leute?"
Sie nahm ihren Großvater bei der Hand und zog ihn hinter sich her vom Weg. Ghanas seufzte.
"Was meinst du, Moff, wäre es nicht besser, wenn wir nachts gingen und tagsüber schliefen?" sagte er dann und Moff nickte.
"Daran habe ich auch schon gedacht. Am besten gehen wir jetzt, bis wir müde werden und legen uns dann für ein paar Stunden hin."
Dadun lief die ganze Zeit still neben ihnen her und sah sich aufmerksam um. Erst nach ein paar Stunden murmelte er: "Der Wald sieht aus wie immer, mal davon abgesehen, dass alles merkwürdig blass ist. Aber das war ja immer so im Vorfrühling. Vielleicht ist es gar nicht mal so schlimm..."
"Noch nicht," antwortete Moff betrübt. "Es ist einfach noch nicht bis hierhin vorgedrungen. Aber ich habe gesehen, wie es dort aussieht, wo es schon ist. Dort gibt es nichts mehr, keine Pflanzen und keine Lebewesen."
"Das ist doch unmöglich..." schnatterte Biem und verschwand hinter einem Baumstumpf, um mit einem Moosgeist Freundschaft zu schließen.
'Wovon reden die überhaupt,' dachte sie. 'Keine Geschöpfe – pha! Das ist unmöglich...'
Der Tag verging ruhig. Kein verrückter Zwerg stellte sich ihnen mehr in den Weg. Ein paar mal machten sie Halt, ruhten sich etwas aus und aßen ein wenig. Dann fing es auch schon an, dunkel zu werden. Die Schatten der Bäume wurden immer länger und verschwanden schließlich in der Dämmerung. Es wurde immer ruhiger im Wald, die Bewohner verschwanden in ihren Häusern, die Bäume begannen, sich in den Schlaf zu wiegen.
Die vier Freunde waren auch sehr müde, denn schließlich waren sie fast mitten in der Nacht aufgebrochen.
"Es wird Zeit, dass wir uns hinlegen," gähnte Moff. "Leider nur für ein paar Stunden, denn wir müssen uns auf das Nachtwandern umstellen."
Sie gingen vom Weg ab und schauten sich im Geäst nach einem geeigneten Platz um. Schnell fand sich eine kleine Lichtung, auf der sie Feuer machten und sich zur Ruhe legten. Ghanas hielt die erste Wache, obwohl Moff ihm versicherte, dass sie im Wald nicht mehr als ein paar verspielte Elfen zu befürchten hatten.
Die Nacht war ziemlich warm. Ghanas saß an einen Baumstamm gelehnt und schaute zum Himmel hinauf. Leider sah er keinen einzigen Stern, denn alle verbarg ein nebliger Schleier.
"Wolken," murmelte er, obwohl  er sich nicht so ganz sicher war, ob es einfache Wolken waren.
Moff lag noch eine Weile wach. Er war es zu sehr gewöhnt, in seinem gemütlichen, warmen Zuhause zu schlafen, sodass ihn jetzt die Umgebung und die Aufregung, die ihn seit dem Treffen mit dem König nicht verlassen hatte, nicht einschlafen ließen. Die Nacht war still. Man hörte nur das Knistern der Flammen und das leise Rauschen des Meeres. Einen Moment lang meinte Moff noch etwas anderes zu hören, ein leises Fauchen oder Hecheln. Wahrscheinlich war es aber doch nur Daduns Atem...

Als er plötzlich aufwachte, wusste er zuerst nicht, wo er war. Es war dunkel, er war im Wald. Es war unheimlich kalt. Ghanas stand mit dem Schwert in der Hand... Mit einem Schlag wurde Moff nüchtern und sprang auf.
"Was ist los?" flüsterte er und spürte, wie er vor Aufregung und Kälte zitterte.
"Etwas ist hier," antwortete Ghanas sehr leise und wandte sich unruhig hin und her.
Moff bückte sich zu seinem Gepäck und holte ein Messer hervor. Es war ein Stück, das er schon immer in seiner Grube gehabt hatte ohne zu wissen, woher es eigentlich zu ihm gekommen war. Es war eindeutig kein Küchenmesser, sondern zum Kämpfen gemacht worden, wahrscheinlich von Zwergen. Auf dem braunen, hölzernen Griff schimmerte silbern der Buchstabe "T". Da sah er, dass Rodin, das zauberhafte Amulett des Königs, blutrot geworden war. Was mochte das wohl bedeuten?
Dadun war inzwischen auch aufgesprungen und stand mit angespanntem Bogen mit dem Rücken zum Feuer.
Zuerst hörte Moff nur wieder das Fauchen, jetzt jedoch viel lauter und näher. Es schien aus zwei Richtungen zu kommen, vom Meer und von gegenüber. Doch dann sah er etwas, was ihn für einen Moment starr werden ließ. Aus der Dunkelheit löste sich der Schatten einer gebückten Gestalt und kam geschwind auf sie zu. Es war kein Mensch und kein Tier, auch kein anderes Wesen, das Moff kannte.
Es bewegte sich ähnlich einem Leoparden und fauchte auch so, ging jedoch auf zwei Beinen. Ein Paar dunkler Augen glitzerte im Schein des Feuers. Von der anderen Seite näherte sich ein ähnliches Wesen, nur größer und breiter.
"Halt!" rief Dadun. "Wenn du dich näherst, werde ich schießen müssen!"
Die Kreaturen schien das nicht zu beeindrucken. Entschlossen zogen sie näher. Plötzlich hörte man eine piepsige Stimme, die aus der Richtung des größeren Ungeheuers kam:
"Hej sind das etwa Flügel? Sag bloß du kannst fliegen! Ich habe auch ein paar Flügel aber sehr kleine die wahrscheinlich eine Libelle mal verloren hat ich habe sie dann gefunden und... Hee!!!"
Mit einem dumpfen Grollen warfen sich die beiden schwarzen Geschöpfe auf Biem, die aber geschickt einen Sprung beiseite tat. Ghanas war sofort neben ihr und ließ sein Schwert durch die Luft sausen, traf jedoch niemanden, denn die Schwarzen entglitten geschickt seinem Angriff. Der Schwung ließ Ghanas für einen Augenblick schwanken und in diesem Moment hob das Monster seine haarigen Arme in die Höhe und ein grelles Licht blendete Moff, der ihn gerade von hinten angesprungen hatte. Er stach blind in die Dunkelheit vor sich, traf auf einen der Beiden und hörte ihn grausig aufheulen. Dann wurde es plötzlich ganz still. Als Moff wieder etwas sehen konnte, erblickte er Ghanas, der auf der Erde lag und sich am Handgelenk hielt. Dadun kniete neben ihm. Biem hüpfte hin und her und schnatterte, dass sie blind geworden war. Von den Ungeheuern war nichts zu sehen.
"Ghanas! Bist du in Ordnung?" rief Moff erschrocken und lief zu ihm hin.
"Es ist nichts," antwortete der Krieger schwach und setzte sich langsam. "Mein Handgelenk tut nur weh. Dieser verdammte Blitz hatte so eine Kraft, dass es mir mein Schwert aus der Hand geschlagen hat." Dann sah er sich um. "Wo sind denn die Biester hin?"
"Einen habe ich von hinten gestochen," sagte Moff noch selbst nicht ganz daran glaubend und blickte auf sein Messer. Es hatte keine Blutspuren.
"Ich habe auf jeden Fall keinen getroffen," sagte Dadun mit gesenktem Kopf. Er stand immer noch mit angespanntem Bogen da.
"Warum hast du nicht geschossen?" Ghanas sah ihn vorwurfsvoll an.
"Ich... ich konnte einfach nicht... Ich habe noch nie jemanden erschossen. Eigentlich bin ich grundsätzlich gegen Gewalt."
Moff fing leise an zu kichern, als er Ghanas’ entgeistertes Gesicht sah.
"Ich kann wieder sehen! Ich kann wieder sehen!" piepste Biem. "Das war ja ungeheuerlich! Wie hat er das wohl gemacht, und wisst ihr, er hatte Flügel!" 
"Sei lieber ruhig, denn durch deinen Leichtsinn wäre es beinahe zu einem Unglück gekommen," rügte Dadun, wahrscheinlich auch um das Thema zu wechseln.
Ghanas runzelte die Augenbrauen.
"Das waren keine Wesen aus dem Wald. Dafür waren sie zu tierisch."
"Dann waren es wohl Boten der Schwarzen Macht," sagte Moff und schauderte. "Habt ihr den eisigen Wind gespürt, den sie mitgebracht haben?"
"Und dazu stanken sie ganz schrecklich," fügte Biem eifrig hinzu.
Ghanas steckte sein Schwert ein. "Wir werden also verfolgt. Ab heute müssen wir jede Nacht durchwandern und uns tagsüber verbergen. Und niemand darf wissen, wo wir hingehen und wieso."
"Am besten gehen wir gleich los," fügte Moff hinzu. "Schlafen werde ich jetzt sowieso nicht mehr können."
Sie packten schnell ihr Nachtlager zusammen und löschten das Feuer. Dann brachen sie auf. Sie kehrten jedoch nicht auf den Weg zurück, sondern blieben im Schutz der Bäume. Die Nacht war jetzt wieder still und warm, aber auch sehr dunkel, denn kein Mondenschein durchdrang den merkwürdigen Nebel, der den Himmel bedeckte. Die Vier fühlten sich jetzt unbehaglich in der Dunkelheit. Während sie gingen, blickten sie andauernd um sich, ob sich im Schatten nicht etwas an sie heranschlich. Zu Moffs Verwunderung ging sogar Biem ruhig hinter ihnen her und gab keinen Pieps von sich.
Sie gingen sehr lange, ohne dass die Umgebung sich änderte, obwohl nach Moffs Schätzungen der Wald sich längst hätte lichten müssen.
"Wann kommen wir aus dem Wald hinaus?" fragte Biem sehr leise und vorsichtig. Ghanas schüttelte den Kopf. "Eigentlich müsste jeden Moment der Waldrand vor uns auftauchen, ich weiß auch nicht, etwas stimmt hier nicht..."
Je weiter sie gingen, desto merkwürdigere Wege entdeckten sie, von denen sie nie zuvor gehört hatten. Überall schlängelten sich wilde Pfade, die sich irgendwo in der Wildnis verloren. Es kam vor, dass sie einen dieser schmalen Wege entlanggingen, weil sie meinten, er führte in die nötige Richtung, und dann plötzlich in einer Sackgasse landeten, weil der Pfad mitten im Gebüsch einfach endete.
"Das ist ja nicht mehr auszuhalten!" rief Ghanas schließlich, als sie diesmal vor einem Baum landeten. Es hatte schon angefangen zu dämmern und bald würde die Sonne ihre Strahlen über das Meer jagen.
"Ich glaube, der Wald hat seine Gründe, uns so lange hier zu behalten. Es hat keinen Sinn jetzt weiterzugehen. Bald wird es hell. Bis dahin müssen wir einen angenehmen Platz zum Schlafen gefunden haben."
Ghanas nickte. "Du hast Recht. Lasst uns etwas weiter vom Hauptweg gehen und dort einen sicheren Platz suchen."
Die Eiche, unter der sie ihr Lager aufschlugen, wiegte sich noch sanft rauschend im Schlaf. Moff machte es sich zwischen ihren Wurzeln im Moos gemütlich und fühlte sich fast wie zu Hause. Dadun kletterte geschickt den Stamm hoch und verschwand in der Krone. Das Schlafen auf der Erde letzte Nacht hatte ihm nicht besonders gefallen. Jetzt fühlte auch er sich viel heimischer. Ghanas versteckte das gehorsame Pony im dichten Gebüsch und legte sich daneben. Diesmal wollte Biem unbedingt die erste Wache halten.
"Damit ihr nicht mehr böse auf mich seid."
"Womit willst du dich notfalls wehren?" fragte Ghanas zweifelnd.
"Oooch das ist gar kein Problem," ereiferte sie sich. "Ich habe viele Sachen mit denen man sich wehren kann, zum Beispiel diesen schönen Stein hier, den man jemandem gegen den Kopf werfen kann oder dieses Ponyhaar mit dem man würgen kann oder diesen gespaltenen Ast..."
"Schon gut, schon gut," sagte Dadun hastig, weil er gar nicht wissen wollte, was man jemandem mit einem gespaltenen Ast antun konnte. "Du wirst es schon schaffen."
Bald schliefen alle erschöpft ein, und Biem legte sich auf die Lauer. Das Stillliegen kam ihr anfangs sehr schwer, aber sie wusste, dass es zu gefährlich war herumzulaufen und die Aufmerksamkeit anderer Wesen zu erregen. Bald gewöhnte sie sich jedoch an das Lauern, und es begann ihr sogar Spaß zu machen. Sie lag in einer flachen, schattigen Grube und beobachtete die Pflanzen und Tiere um sich herum, ohne von ihnen gesehen oder beachtet zu werden. Die Eiche, unter der Moff schlief, begann gerade langsam aufzuwachen. Zuerst zuckte sie leicht, von den Sonnenstrahlen hier und da gekitzelt, dann begann sie, ihre Wurzeln zu bewegen, letztendlich seufzte sie tief und streckte verschlafen ihre Äste.
"Hmmmmm... hum, hummmm..." brummte sie tief. Dann schien sie Moff bemerkt zu haben, denn sie begann ihn mit ihren Wurzeln behutsam abzutasten. Biem schaute entzückt zu, wie Moff unter den Berührungen zusammenzuckte und sich  schließlich erschrocken aufsetzte.
"Oh, hmmm, da bist duuu jaaa. MMMMoff," brummte der Baum. Moff stand verwundert auf und schaute zu ihr hoch.
"Woher kennst du meinen Namen?"
"Hmmm ich haaabe schoooon auf dich hm gewarteeet," sagte die Eiche träge. Dann begann sie eine ihrer Wurzeln langsam aus der Erde zu heben, bis sie ein pechschwarzes Loch unter sich freigab.
"Kommmmm..."
Moff zögerte nicht lange. Eichen waren in der Regel kluge und gute Bäume und er vertraute ihnen. Er ging unter der Wurzel durch und fand sich in einem schmalen Erdtunnel wieder. Er war rund und lehmig und überall ragten dünne, angerissene Wurzeln aus den Wänden. Moff tapste gespannt vorwärts. Der Gang endete schnell in einem kleinen Raum. An allen Wänden waren Regale, auf denen dicke Bücher und noch vieles Andere stand. In der Mitte des Zimmers befand sich ein großer alter Schreibtisch aus dunklem Holz. Auf ihm lag eine gläserne Schale mit Wasser, in der kleine Lichter schwammen. Neben dem Tisch stand ein dunkelgrüner Sessel. Erst jetzt bemerkte Moff die alte, grauhaarige Frau, die in ihm saß und ihn lächelnd anschaute. Mit einem Mal erinnerte er sich an die alte Frau aus seinem Traum, und er wusste sofort, dass es dieselbe war.
"Komm herein," sagte sie mit ihrer warmen Stimme.
"Wer bist du?"
Die Frau lächelte noch wärmer. "Ich bin deine Urgroßmutter."
Moff wurde es heiß und kalt. Vor Überraschung konnte er kaum ein Wort herausbringen.
"Warum habe ich nichts von dir gewusst?" fragte er endlich.
"Die Zeit war einfach noch nicht gekommen. Auch jetzt ist es noch nicht ganz ungefährlich uns zu treffen." Ihre Stimme wurde etwas leiser und über ihr runzliges Gesicht legte sich ein Schatten. Sie hob Moff auf den Schreibtisch, so dass er in die Schale gucken konnte. Kleine Flammen tanzten auf dem Wasser, als wären sie die besten Freunde. Sie formten einen Kreis, in dessen Mitte jetzt ein wuseliger Kopf erschien, der Moff unglaublich vertraut war.
"Das ist Thyrtos, dein Vater," sprach die Urgroßmutter mit sanfter Stimme. "Er war ein mutiges Wesen. Als die Bösen Mächte das erste Mal nach der Herrschaft über diese Welt griffen, wurde er auserwählt, um mit ihnen zu kämpfen."
Moff schaute überrascht auf. "So wie ich jetzt!"
"Es war ein schwieriger Kampf, und deinem Vater fehlte es an Glauben." Tränen traten in ihre braunen Augen. Sie schwieg und starrte traurig in die Vergangenheit.
"Sie haben ihn... getötet, nicht wahr?"
"Schlimmer, Moff, viel schlimmer. Um uns alle zu retten, musste er ihnen seine Seele verschreiben. So konnte er nicht mehr für sie gefährlich werden."
Ihre Stimme wurde tief und rau, die Flammen auf dem Wasser begannen unruhig zu flackern. Plötzlich fühlte Moff, wie er fröstelte.
"Aber er wusste, sie würden wiederkommen. Eine Seele konnte ihnen nicht reichen, nein, sie wollten  a l l e  Wesen beherrschen."
Moff sah mit Schrecken zu, wie ihre Augen sich veränderten. Sie verloren mit einem Mal ihre Wärme, wurden kalt und voller Hass. Die knochigen Hände hatte sie zu Fäusten geballt, so dass die blauen Adern hervortraten. Die Flammen in der Schale gingen fast aus und ein eisiger Wind blies. Mit Entsetzen stellte Moff fest, dass Rodin wieder feuerrot geworden war.
"Die Boten des Bösen," dachte er verzweifelt. "Sie müssen wieder in der Nähe sein!" 
"Urgroßmutter!" rief er, aber sie schien ihn nicht mehr zu sehen. Sie sah gar nichts mehr von dem, was sie umgab, sondern gab sich ganz einer unerklärlichen Wut hin. Moff hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Er war sicher, dass im Körper der Urgroßmutter ein Dämon verborgen gewesen war und jetzt aus ihr heraus brach. Gerade wollte er die Flucht ergreifen, als hinter dem Sessel etwas hervor schoss und auf ihn zu rannte.
"Biem!" schrie er überrascht.
"Moff! Ist das wirklich deine Urgroßmutter ich glaube aber die ist nicht so besonders nett hast du etwa eine böse Urgroßmutter? Ich habe gar keine da wäre es doch besser eine böse zu haben als gar keine was meinst du?..." Moff sah mit Entsetzen, wie das kleine Mädchen auf den Schoß der zornigen Frau krabbelte und sich an ihre Brust schmiegte. "Ja, es ist schön eine Urgroßmutter zu haben," piepste sie.
Und da geschah etwas merkwürdiges. Statt das kleine Kind an den Haaren in die Luft zu zerren und gegen die Wand zu schmettern, wie Moff es eher vermutet hätte, verschwand aus den Augen der Urgroßmutter plötzlich die eisige Kälte. Mit einem Mal wurde sie ruhig und streichelte lächelnd den roten Kopf an ihrer Brust. Dann sah sie sich etwas benommen um.
"Mir ist so komisch... was ist passiert? Warum ist es so kalt?"
Moff antwortete nicht. Er hatte selber keine Ahnung, was eigentlich passiert war, fühlte sich jedoch unendlich erleichtert. Es war wieder wärmer geworden, die alte Frau saß ruhig in ihrem Sessel und streichelte Biem. Dann sah sie zu Moff auf.
"Dein Vater hat dich sehr geliebt, obwohl er dich nie auf dieser Welt gesehen hat. Deine Mutter starb gleich nach deiner Geburt. Der König des Waldes hat der alten Eiche und ein paar Waldelfen aufgetragen, sich um dich zu kümmern, solange du klein warst..." Sie schaute wieder eine Weile in die Leere, dann fuhr sie fort.
"Dein Vater hat dir etwas hinterlassen, bevor er ging. Etwas, was dir helfen wird, die Welt vor der Schwarzen Macht zu retten: Seine Erfahrung."
In der Wasserschale begann sich wieder etwas zu regen. Moff sah den König, der sich lächelnd über ein sehr kleines, struppiges Wesen beugte.
"Wer ist das?" flüsterte er, etwas sagte ihm aber, dass er die Antwort kannte.
"Das bist du. Die Schwarzen wussten, dass sie in dir einen gefährlichen Gegner gefunden hatten. Bei deiner Taufe wollten sie dich entführen. Der König hat sie jedoch vertrieben und dich in der alten Eiche untergebracht. Die Elfen, die sich um dich kümmerten, nannten dich Moff. Dein wahrer Name hätte dich zu sehr in Gefahr gebracht."
Sie schwiegen eine Weile, dann sagte Moff:
"Wie heiße ich?"
"Tohidoo."
 

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Und schon geht es weiter zum 4. Kapitel... :-)

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