"Och, nööö ..." Der Moordrache
stieß einen so abgrundtief genervten Seufzer aus, daß sich
die Büsche und Hecken in seiner Nähe wie in einem Orkantief nach
hinten bogen. "Ich hoffe doch, dieser Kerl da meint nicht uns damit, wenn
er jemanden zu Hilfe ruft!"
Dieser Kerl - der arme, vom Anblick des Drachen
fast zu Tode geängstigte Bote, verschluckte vor Schreck den Rest seines
angefangenen Satzes und brachte nur noch ein Stammeln hervor.
"Wa ... wa ... was", stotterte er und vergaß
auf der Stelle die Nachricht, die er zu überbringen hatte, "Mei ...
Mei ... Meister Reigami, da sitzt ein sprechender Drache in Eurem Vorgarten!"
"Tatsächlich?" sagte Reigami beiläufig,
als hätte er diese Tatsache eben erst bemerkt, und tätschelte
liebevoll seinen wiedergewonnenen Zaubererhut, der ihm im Moment viel wichtiger
war als jeder Drache.
Aber auch die begehrlichen Blicke des Ritters
klebten wie angeleimt an dem Hut, der ihn anzuziehen schien wie ein Magnet.
So ein herrliches Spielzeug – was gäbe er darum ihn zu besitzen und
seine Geheimnisse enträtseln zu können. Unauffällig rückte
Canerio ein Stückchen näher an den Magier heran. Es mußte
doch schließlich irgendwie möglich sein ...
"Ja ... ja seht doch!" rief der Bote, während
ihm fast die Augen aus dem Kopf fielen, und deutete mit zitterndem Zeigefinger
auf den geschuppten Koloss, der zwischen den Gemüsebeeten thronte
und ihn von oben herab gelangweilt musterte.
So langsam wurde der Drache richtig sauer.
Inzwischen hatte er es reichlich satt, ständig von allen so angestarrt
zu werden und er wünschte sich nichts sehnlicher, als in seine gemütliche
Höhle zurückkehren zu dürfen, wo ihn nicht fortwährend
irgendwelche durchgedrehten Menschlinge mit aberwitzigem Tüdelkram
belästigten, den sie Probleme nannten.
"Habt Ihr noch nie einen Drachen gesehen?"
schnaubte er ärgerlich. "Als wenn das etwas Ungewöhnliches wäre!
Was ist denn nun mit diesen Plattlawinen?"
"Plattladinen", korrigierte Reigami und lächelte
seinen Hut an, von Canerio dabei dezent beschattet.
Auch Webolo, der in einiger Entfernung die
Goldmöhrenwurzpflänzchen aus den Beeten und vom Wegrand rupfte
und eilig in seinen kleinen Rucksack stopfte, ließ ihn nicht aus
den Augen, jedoch versuchte er, den größtmöglichen Abstand
zwischen sich und diesen seltsamen Magier zu bringen, der ihm immer unheimlicher
wurde und seiner Meinung nach nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte.
Besser, man kam ihm nicht zu nahe, wenn man nicht in ein modriges Fass
gesteckt werden oder mit Feuerbällen beschossen werden wollte.
"Sind das diese komischen Kerls, von denen
Morholt erzählt hat?" piepste er deswegen vorsichtig und trat sicherheitshalber
noch einen weiteren Schritt zurück.
Canerio wollte eben zu einer Erklärung
ansetzen, doch Reigamis schneidende Stimme kam ihm zuvor: "Morholt?" Er
hob überrascht eine Augenbraue.
"Natürlich ... das hätte ich mir
auch gleich denken können, daß dieser alte Giftmischer etwas
damit zu tun hat." Ein fieses Lächeln machte sich in seinem Gesicht
breit und ließ es noch eine Spur gemeiner aussehen, soweit das überhaupt
möglich war. "Morholt, soso ..."
"Könntet Ihr das nicht später ausdiskutieren?"
kreischte der Bote. "Sie werden bald hier sein, die Plattladine ..."
"Halt die Klappe!" fuhr Reigami ihn an. "Ich
muß nachdenken! Also Morholt hat Euch geschickt ..."
Er verfiel in finsteres Brüten. "Wenn
ich nur wüßte, was das für einen Grund hat - was will der
Quacksalber mit meinem Goldmöhrenwurz ...?"
Offensichtlich kam er zu dem Schluß,
daß es auf alle Fälle nichts Gutes sein konnte, was Morholt
mit seinem kostbaren Kraut vorhatte – und so warf er schiefe Blicke zu
Webolo, der sich, wieder arglos und ungeniert vor sich hin summend, im
Garten und an den Beeten zu schaffen machte.
"Faß das bloß nicht an!" zischte
Reigami. "Finger weg!"
Der Knappe aber war so vertieft in seine Arbeit,
daß er sich in keinster Weise von der Stimme des Magiers angesprochen
fühlte. Als er auf den Befehl nicht reagierte, tippte Reigami kurzerhand
mit dem Zeigefinger an seinen Hut und schoß einen blauen Feuerball
– stark gedrosselte Ausführung natürlich - in seine Richtung.
Canerio sah fasziniert diesem Spektakel zu und für ihn stand just
in diesem Augenblick eindeutig fest: den Hut mußte er haben, koste
es, was es wolle!
Blauglühende Kugeln zischten funkensprühend
eine Handbreit neben Webolo in den Boden und fetzten große Brocken
Erde aus dem Beet, so daß er sich vor lauter Schreck auf den Hosenboden
setzte. Der Rucksack flog in hohem Bogen davon und verstreute das Goldmöhrenkraut
in der Gegend.
"Hey, was soll denn das?" Ein verständnisloser
Blick traf den Magier. "Ihr habt doch erlaubt, daß ..."
"Ich hab gesagt, du sollst das nicht anfassen!"
"Ja, ja", murmelte Webolo beleidigt, "wißt
Ihr vielleicht endlich mal, was Ihr wollt?"
Als er keine Anstalten machte, das bereits
ausgerupfte Kraut wieder zurückzulegen, hob Reigami abermals den Zeigefinger
drohend in Richtung Hutkrempe.
"Steh auf – oder muß ich dir erst Beine
machen, du Würmchen?"
Doch dazu kam er nicht, denn plötzlich
wurde ihm von hinten der Hut vom Kopf gerissen.
Er wirbelte herum und sah sich einem triumphierend
grinsenden, helmumrahmten Gesicht gegenüber.
"Was fällt Euch ein...!"
Canerio kicherte und quietschte eilig von
dannen, bevor die nach vorne schießende Hand des Magiers den Hut
greifen konnte.
"Gebt ihn wieder her - aber sooofort!"
Sein Hut - sein kostbarer, unbezahlbarer Hut!
Reigami setzte dem Ritter nach, der quer durch den Garten stakelte, rannte
dabei fast den Boten über den Haufen und versuchte Canerio irgendwo
an seiner Rüstung zu packen. Doch der Ritter schlug Haken wie ein
Feldhase, was ihm bei seinem hohen Alter wohl niemand mehr so recht zugetraut
hatte – sogar Webolo starrte mit offenem Mund seinem Meister hinterher.
Reigami schaffte es nicht, seinen Hut zu erwischen
- geschweige denn den Ritter, der jedesmal, wenn er nach ihm fassen wollte
einen weiteren Haken schlug und geschickt auswich, und so warf er sich
schließlich völlig entnervt und am Rande der Verzweiflung mit
einem gewagten Hechtsprung nach vorne und umklammerte die eisenummantelten
Beine des Ritters. Canerio, plötzlich des Bodens unter seinen Füßen
beraubt, schlug der Länge nach scheppernd in den Dreck. Den Hut jedoch
schleuderte er noch geistesgegenwärtig von sich in Richtung des Boten,
der dumm in der Gegend herumstand und sich von Reigamis Rempler erholte.
"Fangt Ihn auf!" schrie er. "Fangt Ihn - um
Himmels willen!"
Verwirrt sah der Bote auf und einen schwarzen,
spitzen Hut wie ein Geschoss auf sich zurasen - und trat einen Schritt
beiseite.
Und ein staubbedeckter Ritter und ein völlig
entsetzter Magier, die nebeneinander in einem Gemüsebeet lagen, mußten
zusehen, wie der Hut ins Trudeln geriet und mit der verbogenen Spitze voran
in den steinernen Brunnen sauste.
Der Bote guckte ihm mit dümmlichen Gesichtsausdruck
in die schwarze Tiefe hinterher.
Anschließend zog er es vor, sich unauffällig
zu verkrümeln.
"Mein Hut, mein schöner Hut ..."
Verzweifelt schlug der Magier mit seinen geballten
Fäusten auf die Erde, dann hielt er plötzlich inne und sein Blick
fiel auf den Ritter, der völlig unbeteiligt neben ihm lag und so tat,
als würden die Tomatenpflänzchen in dem Beet gerade seine ganze
Aufmerksamkeit beanspruchen.
"Ihr! Ihr blöder Ritter, Ihr ... nur
Ihr seid Schuld daran! Jetzt ist er für immer verloren und ich bin
meiner magischen Kräfte beraubt!"
Rasend vor Wut drosch er nun auf den Ritter
ein und bearbeitete mit den Fäusten zornig den ohnehin schon verbeulten
Helm.
"Aufhören ... bitte!" Canerio fühlte
sich wie in der Mitte eines riesigen Glockenturms, in dem gerade ein ausgiebiges
Mittagsläuten stattfand, so dröhnten die Schläge auf den
Helm in seinen Ohren. "Aufhören, sag ich! Aufhören!"
Moordrache schaute dem Treiben eine Weile
amüsiert zu, dann hatte er doch Erbarmen mit dem armen Rittersmann
und wandte seine altbewährte Methode an, erhitzte Gemüter zu
beruhigen: er packte den durchgedrehten und völlig in Rage geratenen
Magier mit spitzen Krallen an der Kutte, lüpfte ihn ein wenig vom
Boden hoch und ließ ihn dort so lange baumeln und um sich schlagen,
bis ihm die Puste ausging.
© by Sylvia
"Oh, ich danke Euch!" seufzte Canerio und nahm
erleichtert den vibrierenden Helm ab.
"Meister!" Endlich kam auch Webolo angerannt
und ließ sich neben seinem Herrn auf die Knie fallen. "Habt Ihr Euch
etwas getan?"
"Nein, nein, schon gut", lächelte der
Ritter. "Habt Ihr genügend von dem Kraut gesammelt, Knappe? Wir sollten
von hier verschwinden."
Webolo machte ein schuldbewußtes Gesicht.
"Nein, der Rucksack ist umgefallen", murmelte
er betreten. "Aber ich konnte nichts dafür - das war dieser Irre mit
seinen blauen Feuerkugeln! Ich werde es schnell wieder einsammeln, macht
Euch nur keine Sorgen."
Hastig stand er auf. "Dauert nicht lange!"
Die Gelegenheit, von diesem unheimlichen Ort
endlich verschwinden zu können, wollte er natürlich nicht ungenutzt
verstreichen lassen, und so eilte er sich, wieder zu den Beeten mit dem
Goldmöhrenwurz zu kommen und hopste pfeifend von dannen.
Moordrache grinste ihm hinterher. Doch dann
fiel sein Blick zufällig auf das Faß, in das Reigami den Knappen
gestopft hatte und das noch immer achtlos zwischen den Beetreihen lag.
Das Fass begann langsam zu rollen.
Diese Tatsache an sich wäre ja noch nichts
Ungewöhnliches gewesen - der Moordrache hatte durchaus schon rollende
Fässer gesehen. Aber das Fass bewegte sich von allein, und zwar so,
als wüßte es, wohin es rollen wollte - und es kullerte zielstrebig
hinter Webolo her.
Der Knappe blieb stehen, um seinen Rucksack
aufzuheben - und auch das Fass verharrte bewegungslos. Während er
sich bückte, fing er den irritierten Blick des Drachen auf.
"Was ist? Was guckst du so komisch?"
"Nur so."
Moordrache blinzelte und starrte auf das Fass.
Nichts rührte sich.
"Nur so, nur so ..." echote Webolo und hopste
einige Schritte weiter. Das Fass rollte anhänglich hinterher.
Blieb Webolo stehen, lag auch das Fass still
- ging er weiter, rollte auch das Fass mit.
Der Drache ließ vor Staunen über
diese Entdeckung den baumelnden Reigami fallen, der daraufhin mit lautem
Wehgeschrei in einer Dornenhecke verschwand.
"Du guckst ja schon wieder so - was ist denn?"
"Ööhm, frag nicht mich - frag deine
Verehrerin ..."
Moordrache war sich seiner Sache immer noch
nicht ganz sicher - vielleicht hatte er ja Halluzinationen oder wie das
bei den Menschen hieß...
"Meine was?" Webolo schaute sich verwirrt
um, dann schenkte er dem Drachen einen sehr zweifelnden Blick, was dessen
Geisteszustand betraf.
"Nichts, nichts - nur Spaß", antwortete
der unschuldig und deutete mit der Klaue nach hinten in den Garten, während
sich Reigami unterdessen zerkratzt und fluchend wieder aus der Hecke herausarbeitete.
"Dort - dort liegt auch noch etwas von dem Kraut. Dort hinten, siehst du’s
nicht?"
Webolos Blick folgte der ausgestreckten Drachenklaue.
"Klar seh‘ ich das - ich bin ja schließlich
nicht blind!"
Er hüpfte in die angegebene Richtung
und sammelte die Pflänzchen ein, während das Fass fröhlich
hinter ihm herrollte. Moordrache konnte nur noch völlig perplex den
Kopf schütteln.
"Da drüben ist auch noch was!"
Webolo wechselte die Richtung und lief die
Beete entlang, während das Fass ihm eifrig folgte.
Doch plötzlich schien ihm etwas einzufallen
- seinen Rucksack hatte er liegen lassen! Mit einem Mal rammte er die Hacken
in die Erde, vollführte eine Kehrtwendung - und prallte heftig mit
dem Fass zusammen, das ihm auf dem Fuße gefolgt war.
"Oh, Verzeihung!"
"Ja, schon gut", winkte Webolo ab. "Ist ja
nichts passiert."
Dann legte sich seine Stirn in Falten und
er sah sich argwöhnisch um.
"Wer hat hier gerade mit mir gesprochen?"
"Ich ..."
Der Knappe konnte weit und breit niemanden
sehen. In einiger Entfernung hockte der Moordrache auf seinen Hinterklauen
und starrte zu ihm herüber, während er Reigami daran hinderte,
aus der Hecke zu klettern. Und ein Stückchen weiter rappelte sich
gerade sein werter Herr und Meister aus dem Tomatenbeet auf und entfernte
rötlichen Matsch von seiner Rüstung. Ansonsten konnte er niemanden
entdecken.
"Wer ... ist ... ich??"
"Na, ich!"
Die Stimme war eindeutig weiblich - klar und
hell und zu einem leisen Flüstern gesenkt. Sie mußte direkt
vor ihm sein, aber da war niemand, nur dieses merkwürdige Fass ...
Webolos Blick senkte sich langsam nach unten
auf diese hölzerne Tonne und er betrachtete sie grübelnd. Wo
kam die denn überhaupt so plötzlich her? Er war sich ganz sicher,
daß sie vorhin noch dort drüben an der Gartenmauer gelegen hatte.
"Na endlich hast du mich entdeckt", sagte
das Fass erleichtert. "Ja, genau, ich bin’s - ich bin hier."
"Hä?" machte er verwirrt.
Das Fass lächelte.
Webolo sah weg und dann wieder hin, aber es
gab keinen Zweifel. Er hätte nicht sagen können, wie das geschah
oder wodurch sich das äußerte, denn das Fass hatte ja kein Gesicht,
aber er hätte darauf schwören können, daß es ihn anlächelte.
"Ähhh ... hmmm, du bist ein Fass!" stellte
er verzweifelt fest.
"Naja", antwortete das Fass, "irgendwie schon
- aber auch wieder nicht."
Der Knappe sandte dem Moordrachen einen flehenden,
hilfesuchenden Blick.
"Was ist los?" brüllte der Drache zu
ihm hinüber.
"Ähhm, dieses Fass hat mich gerade angesprochen
..."
"Was hat es denn gesagt?" wollte der Moordrache
interessiert wissen.
"Was es gesagt hat???" Webolo kratzte sich
am Kopf. "Hmm, weiß nicht genau ..."
Er wandte sich wieder der sprechenden Tonne
zu: "Könntest du das bitte noch mal wiederholen?"
"Aber selbstverständlich", entgegnete
das Fass freundlich. "Ich sagte, daß ich eigentlich gar kein Fass
bin."
"Es behauptet, es wäre gar kein Fass!"
schrie Webolo zum Drachen hinüber, woraufhin sich nun dieser ratlos
am Kopf kratzte.
"Ich glaube, es lügt", stellte der Drache
dann fest. "Es ist ein Fass! Vielleicht leidet es nur an Persönlichkeitsspaltung."
"Was geht denn hier vor?" Ritter Canerio war
inzwischen, immer noch heftig an seiner Rüstung herumpolierend, herangekommen.
"Nun - was ist los, Knappe?"
"Dieses Fass spricht dauernd mit mir - dabei
behauptet es steif und fest, es sei gar keines!"
Besorgt musterte Canerio seinen ziemlich verstört
aussehenden Knappen und legte ihm die Hand auf die Stirn, als wolle er
seine Temperatur fühlen. "Ihr scheint mir ein wenig verwirrt, Knappe",
meinte er dann. "Das ist natürlich Unsinn, was Ihr redet, denn ich
habe noch niemals von sprechenden Fässern gehört!"
"Ich hab ja gesagt, daß ich gar kein
richtiges Fass bin", mischte sich das Fass ein und strahlte den Ritter
an. "Reigami hat mich verzaubert – und solange er die Kräfte seines
Zaubererhutes besaß, mußte ich ihm zu Willen sein und seine
Befehle ausführen."
Das Fass neigte sich ein wenig in die Richtung
des Magiers, der noch immer mit der Dornenhecke kämpfte.
"Aber den Hut hat er ja nun inzwischen nicht
mehr ... hehehe ..."
Drache, Ritter und Knappe starrten fassunglos
auf das braune Holzfass, das in diesem Augenblick aussah, als würde
es sich vor Zorn aufplustern, um gleich darauf heftig auf die Hecke zuzupoltern,
in der der Magier hilflos strampelnd gefangen saß.
"Wage es ja nicht!" donnerte er, aber das
Fass ließ sich nicht im geringsten einschüchtern.
"Du hast mir gar nichts zu sagen!" fauchte
es zornig und beschleunigte noch, "jetzt nicht mehr! Du hast keinerlei
Macht mehr über mich!"
Moordrache, der das Vorhaben durchschaute,
streckte die Klaue aus und hielt das wütende Fass zurück.
"Nun mal langsam", beschwichtigte er und rollte
es mit den Spitzen seiner messerscharfen Krallen vorsichtig zurück.
"Beruhigt Euch und erklärt uns erst einmal, wo Euer Problem liegt."
"Ja, das solltet Ihr tun!" stimmte Canerio,
der alte Stratege und begeisterte Problemlöser, zu und Webolo fragte
neugierig: "Was warst du denn, bevor du ein Fass wurdest? Eine Regentonne
vielleicht?"
"Ich war keine Regentonne", gab das Fass beleidigt
zurück. "Ich war eine Fee."
"Eine Fee?" echote ein dreistimmiger Chor
und die Freunde sahen sich entgeistert an.
"Wie hat Reigami es denn geschafft, dich in
diese Gestalt zu verwandeln?" erkundigte sich der Moordrache mit einem
mißtrauischen Blick auf den Magier.
"Glaubt ihr kein Wort - sie lügt!" kam
es aus der Hecke.
"Sie hat doch noch gar nichts gesagt ..."
"Das ist eine lange Geschichte", seufzte die
verwandelte Fee traurig. "Und jetzt ist nicht die Zeit, sie zu erzählen.
Der Bote sagte, daß die Plattladine anrücken, also solltet ihr
lieber schnell das Weite suchen ..."
"Ja, da hat sie völlig recht!" beeilte
sich Reigami zu erwidern. "Mit den Plattladinen ist nicht zu spaßen
– und ich habe auch meinen Hut nicht mehr, mit dem ich sie hätte aufhalten
können. Wenn sie nun meinen Turm plattwalzen oder niederbrennen, ist
es allein die Schuld dieser rostigen Blechbüchse! Ja, wenn ich meinen
Hut wieder hätte ..." Er schien plötzlich über irgend etwas
intensiv nachzugrübeln. "Man könnte natürlich auch dieses
Bürschchen da, Euren Knappen, wenn ich das recht verstanden habe,
in den Brunnen hinablassen ..."
"Mich?" Webolo riss erschrocken die Augen
auf und schüttelte seinen Kopf. "In diesen Brunnen? Nur über
meine Leiche!"
"Ritter, so sprecht doch einmal ein Machtwort
mit Eurem widerspenstigen Untertan! Ihn in den Brunnen hinunter zu lassen,
wäre die einzige Möglichkeit, den Hut wieder zu erlangen, er
ist so schmal, daß er sicher in den Schacht passen würde..."
"Ruhe jetzt da hinten. Mein Knappe wird nicht
in den Schacht gelassen", giftete Canerio zurück und zu dem Fass gewandt
sagte er liebenswürdig. "Können wir Euch nicht helfen, verehrte
Fee? Gibt es kein Mittel, Euch zurückzuverwandeln?"
"Nein, gibt es nicht!" schnappte Reigami.
"Holt mich lieber endlich aus dieser Hecke raus!"
Der Ritter tauschte einen schnellen Blick
mit dem Moordrachen – und in diesem Fall schienen sie sich auch ohne Worte
zu verstehen, denn der Drache packte den Magier am Kragen, zerrte ihn aus
den Büschen, reckte sich zu seiner vollen, beeindruckenden Größe
empor und pflanzte ihn mitten auf die Krone einer riesigen Tanne, die etwas
außerhalb der Gartenmauer wuchs und nicht viel niedriger als der
Turm des Magiers war.
"So, da oben kannst du zetern, so viel du
willst", grinste er und wandte sich wieder seinen Gefährten zu.
"Wo waren wir stehengeblieben?"
"Bei den Plattladinen", erinnerte das Fass.
"Ihr müßt hier verschwinden!"
Canerio runzelte ein wenig unmutig die Stirn
und sträubte die buschigen, weißen Brauen.
"Der Gedanke, Euch hier allein zurückzulassen,
behagt mir gar nicht", brummte er. "Können wir Euch nicht irgendwie
helfen?"
"Das würdet Ihr tun?"
"Selbstverständlich!" Der Ritter warf
sich stolz in die Brust. "Ich bin ein Mann der Ehre - und mein Knappe soll
zumindest einmal einer werden - es ist unsere Pflicht, zu helfen!"
"Ihr hättet der Heilsarmee beitreten
sollen", seufzte der Moordrache resigniert. "Oder der Sozialfürsorge.
Die hätten Euch bestimmt mit Kußhand genommen."
"Dummes Geschwätz! Was redet Ihr denn,
Drache? Natürlich werden wir diesem Fass ... ääh, dieser
Fee beistehen! Also, meine Liebe – erklärt uns, was zu tun ist!"
"Hast du auch einen Namen?" wollte Webolo
wissen und starrte das Fass neugierig an.
"Mein Name ist Stibitzi", entgegnete das Fass.
"Stibitzi?" wiederholte der Drache alarmiert.
"Ich hoffe doch, daß dieser Name nicht irgendeine unangenehme Bedeutung
hat ...?"
Webolo drückte es etwas weniger umständlich
aus:
"Sag bloß, du klaust?"
"Nein, natürlich nicht." Das Fass wurde
beinahe etwas verlegen und der Knappe hätte schwören können,
daß sein Holz einen leichten Rotstich annahm. "Also, ich stehle keine
‘Dinge’ oder Gegenstände oder so etwas...", seufzte sie, "aber ich
stehle manchen Menschen die Zeit, deswegen nannte man mich wohl so."
Die Fee erzählte in aller Eile von einer
geheimnisvollen Flüssigkeit, die der Magier dazu benutzte, verzauberte
Geschöpfe wieder in ihre ursprüngliche Gestalt zurückzuverwandeln.
Sie berichtete, daß er die Flüssigkeit, die sich in einem schwarzglänzenden,
goldgefassten Fläschchen befand, stets in einer kleinen, eisenbeschlagenen
Schatulle in seinem Laboratorium in der Spitze des Turmes aufbewahrte.
Canerio hörte aufmerksam zu und erklärte sich sofort bereit,
die benötigte Substanz zu besorgen. Während die Fee noch - mangels
einem Paar Hände - ein wenig umständlich den Weg dorthin beschrieb,
fackelte Webolo jedoch nicht lange und machte sich bereits dorthin auf
- schließlich konnte er nicht zulassen, daß sein ehrwürdiger
Herr und Meister in voller Rüstung bis ins Dachgeschoss des Turmes
steigen und sich zudem noch unvorhersehbaren Gefahren aussetzen mußte.
Und was sollte schon dabei sein, eine läppische schwarze Flasche aus
einer Dachkammer zu holen? So etwas ähnliches - nur in umgekehrter
Richtung - tat er daheim auf der Burg tagtäglich, wenn er des abends
für den Ritter den von ihm heißgeliebten "Drachentaler Südhang"
aus dem Weinkeller in den Rittersaal hinaufschleppte.
Zu seinem Pech jedoch schlich er sich so schnell
von der Gruppe fort, daß er die letzten Worte der Fee nicht mehr
hören konnte, die sie am Schluß noch ihrer Beschreibung hinzufügte:
"Und auf eines müßt ihr ganz besonders
achten ..."
© by Sylvia
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