Trio Infernale von Sylvia und Cancelot
Die reale Drachental-Satire
Stibitzi

"Ohweh ...oh nein, was habt ihr nur getan?" 
Blankes Entsetzen in der Stimme, umkreiste Morholt die beiden, die da so fröhlich auf dem Boden saßen und sich gegenseitig angrinsten wie im Delirium.
"Wessen Idee war das?" 
Canerio trat hervor und musterte Rosinante und Orhima mit strengem Blick.
Sein Blick blieb auf Rosinante hängen.
"Kannst du denn nicht lesen? ÖFFNEN STRENGSTENS VERBOTEN steht da, dummes Pferd! Als wenn wir nicht schon genug Sorgen hätten. Nicht eine Sekunde kann man euch aus den Augen lassen."
Moordrache schlug resigniert die Augen nieder. Das waren ja tolle Aussichten. Eine Horde Plattladine und ein wütender Magier hinter ihnen und vor ihnen nichts weiter als noch mehr Probleme.
Selbst Webolo wirkte auf einmal etwas niedergeschlagen. 
"Meister", piepste er, "was sollen wir denn jetzt tun?"
Canerio schüttelte müde seinen Kopf und zuckte mit den Schultern.
Bruder TaC rieb sich mit seinen Händen über seinen wohlgeformten Bauch und verkündete mit tiefer Stimme: "Also, ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber ich verspüre großen Hunger. Und mit leerem Magen lässt es sich nicht gut denken. So schlage ich vor, lasst uns erst einmal den Hunger stillen und dann einen Plan ausarbeiten. Denn bei der jetzigen Lage ist wohl niemand mehr zu großen Taten imstande."
Fragend und mit einem gemütlichen Lächeln auf den Lippen sah er in die Runde.
"Er hat Recht", stimmte Morholt zu und wandte sich an Sylveria und Crosideria.
"Meine Lieben...."
Es bedurfte keiner großen Worte und schon wenige Zeit später saßen alle zusammen und aßen und tranken mit durchaus gesundem Appetit. Allen voran Bruder TaC, dessen Schlemmfreuden wohl am Umfang seines Bauches abzulesen waren, aber allen versicherte er, nur in einem gesättigten Körper wohne ein wacher Geist, denn wie sollte das sonst auch sein, wenn man ständig durch Magenknurren oder eine trockenen Kehle vom Denken abgehalten würde.
Moordrache stimmte dem ohne weiteres zu und warf spöttische Blicke in Richtung des Ritters und seines Knappen, die zusammen wohl nicht mehr auf die Waage brachten als die Kutte Bruder TaC's.
Als alle gesättigt waren, fragte Morholt Bruder TaC "Und nun? Habt Ihr einen Plan für uns und könnt Ihr uns helfen?"
"Euch helfen? Gewiß, daran soll es nicht scheitern. Doch zuerst habe ich ein paar Fragen an euch."
Aufmerksam und erwartungsvoll sahen jetzt alle zu ihm herüber, bis auf Karni von Tiredachan. Sie kannte Bruder TaC und wusste wie er vorging. Stets besonnen und bedacht, nichts dem Zufall überlassen, das war sein Leitmotiv und bis jetzt war er damit stets gut gefahren.
Webolo, der zwischen Karni und den beiden Hexen saß, grinste zufrieden vor sich hin. Vor ihm lag das Fass und drehte sich abwechselnd entweder zu Karni oder zu den Hexen, so als wäre es darauf bedacht, daß ja niemand Webolo zu nahe kam. Doch Webolo fühlte sich in der Rolle des "Hahn im Korbs" ausgesprochen wohl und strahlte fröhlich nach links und nach rechts ohne zu vergessen zwischendurch sanft über das Fass zu streicheln und es liebevoll zu tätscheln.
"Nun, zu allererst" fuhr Bruder TaC fort, "wäre es wichtig zu erfahren, wer von euch welche Fähigkeiten besitzt. Denn wenn wir einfach drauflosmarschieren, werden wir nichts erreichen. Karni zum Beispiel ist eine ausgezeichnete Bogenschützin, sie trifft einen Apfel zweimal bevor er zu Boden fällt und meine besondere Fähigkeit ist die des Sprengens. Doch nun zu Euch ... Ritter, was könnt Ihr besonders gut?"
Canerio zuckte zusammen.
"Ich? Gut? Ähem ... "
"Er kann prima quietschen und Geräusche machen", warf Moordrache trocken ein und sorgte damit für heiteres Gelächter.
"Oooh ... Ihr unverschämter Flügelschwinger, Ihr, wartet nur....", brauste Canerio auf.
"Mooooooment", rief Bruder TaC dazwischen. "So wird das nicht gehen. Haltet an Euch, alle ... sonst werden wir morgen noch hier sitzen, überrollt von Plattladinen und hilflos den Rachegelüsten eines Magiers ausgeliefert. Also bitte ... fahrt fort, Ritter Canerio."
"Nun, ich beherrsche die Schwertkunst und ...", angestrengt zog er die sowieso schon faltige Stirn in noch mehr Falten, "und ich kann singen."
"Singen?" erschallte es aus allen Mündern fast gleichzeitig, doch ein mahnender Blick seitens des Mönchs sorgte augenblicklich wieder für Ruhe.
"Ahja ... gut zu wissen." Bruder TaC's Blick schweifte zu Webolo, überlegte es sich dann jedoch wieder anders und schweifte weiter zu den beiden Hexen.
"Nun, meine Schönen, was ist Eure Kunst, wenn ich fragen darf?" 
Sylveria und Crosideria sahen sich kurz an. 
"Ich beherrsche das Licht ", antwortete sie mit sanfter Stimme, und Crosideria fügte hinzu: "Und ich die gesprochenen Worte."
Erstaunt sah der Mönch die beiden an. 
"Ach, tatsächlich? Hm, das scheinen mir außerordentliche Fähigkeiten zu sein."
Als nächstes wandte er sich an den Moordrachen.
"Moordrache, ich denke es ist nicht nötig, Euch nach Euren Fähigkeiten zu fragen, oder?"
Moordrache fletschte ein wenig seine Oberlippe und ließ einen Blick auf seine rasiermesserscharfen Zähne frei.
"Dacht ich's mir doch." Der Mönch schluckte einmal und tätschelte seinen kleinen blauen Drachen, der noch immer auf seiner Schulter lag und wie es schien ein Schläfchen zu halten pflegte. 
"Morholt und Webolo", sprach er dann, "eure Fähigkeiten sind mir wohl bekannt", dabei warf er einen amüsierten Blick zu Webolo hinüber, "deswegen sollt ihr beiden meine Assistenten sein. Und jetzt hört, was ich mir überlegte, um der verdrießlichen Lage Herr zu werden."
Eine fast prickelnde Spannung machte sich breit und sogar Webolo wartete mucksmäuschen still auf die Worte Bruder TaC's.
"Spannt uns nicht länger auf die Folter, heraus damit", forderte Morholt ungeduldig.
Bruder TaC machte ein freudiges Gesicht und verkündete: "Wir müssen zurück zum Turm des Magiers....."
© by Cancelot
"Zum Turm des Magiers? Da sind wir doch gerade eben erst hergekommen ..."
Canerio schüttelte verständnislos den Kopf. "Der Turm liegt in Schutt und Asche, was sollen wir noch dort?"
"Genau!" stimmte Webolo energisch zu. "Außerdem geh' ich nicht wieder dahin zurück - da wimmelt es nur so von diesen hüpfenden, rasselnden Plattladinen!"
"Ja, ich weiß", nickte Bruder TaC. "Aber sollten wir das Vorhaben in die Tat umsetzen wollen, werden wir gerade dich brauchen, Kleiner."
"Mich?" Webolo fiel aus allen Wolken. "Wozu braucht ihr ausgerechnet mich?"
"Nun ja", versuchte Bruder TaC seinen Plan zu erklären, "Du erzähltest doch gerade, daß der ehrenwerte Ritter Canerio dem Magier den Hut gestohlen hat ... seinen Zaubererhut, der unvorstellbare Kräfte besitzt."
"Ja, und?" fragte Webolo mißtrauisch.
"Na, überlegt doch mal ... wo befindet sich dieser Hut jetzt?"
Natürlich wußte Webolo, wo der Hut war, und jetzt dämmerte ihm auch langsam, worauf der Mönch hinauswollte. Seine Augen wurden groß.
"Oh nein! Nein, nein, nein!" wehrte er ab. "Ich glaube, ich weiß, was Ihr vorhabt - aber in diesen Brunnen kriegen mich keine zehn Pferde rein! Niemals!"
"Habt Ihr tatsächlich vor, den Zaubererhut aus dem Brunnen zu bergen?" erkundigte sich Morholt und legte nachdenklich den Kopf schief. "Hm, ja, vielleicht wäre der Hut wirklich eine Möglichkeit, die Plattladine aufzuhalten. Canerio, Ihr habt den Brunnen gesehen - wird es schwierig werden, ihn dort wieder herauszuholen?"
"Es ist ganz und gar unmöglich!" rief Webolo, bevor sein Herr und Meister überhaupt den Mund zu einer Erwiderung aufmachen konnte. "Ich hab den Brunnen auch gesehen. Er ist so tief, daß man nicht einmal bis zum Wasser hinunter sehen konnte! Und außerdem ist er voller Schnecken und Spinnen und vielleicht noch schlimmerem. Keinen Fuß werde ich da hinein setzen!"
"Ja, aber du Flohhüpfer bist der einzige, der in diesen Schacht reinpassen würde!" gab der Moordrache zu bedenken. "Niemand von uns ist so klein und leicht wie du!"
"Nein! Ich geh' da nicht rein! Basta!"
Er machte ein grimmiges Gesicht, um zu verdeutlichen, daß er es ernst meinte.
"Ich könnte es ja versuchen ...", meldete sich auf einmal ein zaghaftes Stimmchen zu Wort, das bis jetzt geschwiegen hatte. Webolo blickte finster in die Richtung, aus der die Stimme kam.
"Du bist ein Fass, Stibitzi! Was willst du schon ausrichten - in dem Schacht würdest du höchstens steckenbleiben!"
"Ja, da hast du wohl recht", antwortete sie. "Im Moment bin ich das ... aber wenn mich jemand wieder in meine ursprüngliche Gestalt zurückverwandeln könnte ..."
Der Ritter schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
"Die Phiole - der Zaubertrank! Oh, wie konnten wir das nur vergessen!"
Er erhob sich quietschend.
"Knappe, wo ist die Flasche?"
Webolo reichte ihm ohne zu zögern seinen Rucksack, doch als Canerio begann, darin herumzukramen und nach und nach den Inhalt auf den Boden zu leeren, kam er zu dem Schluß, daß er das besser hätte lassen sollen.
Canerio beförderte neben Webolos eigenen Besitztümern allerhand Dinge zu Tage, die im Rucksack eines Knappen bestimmt nichts zu suchen hatten: unter anderem mehrere Silberringe, seltsam geformte Wurzeln, fremdartige Münzen, eine feingearbeitete goldene Pillendose, einige Amulette, auch die schwarz-goldene Phiole ... und seine Augen wurden mit jedem Gegenstand, den er hervorzog, groß und größer.
Schließlich lag Webolos ganzer Plunder säuberlich zu einem Häufchen aufgeschichtet auf der Erde und der Ritter betrachtete seinen Knappen mit einem bitterbösen Blick und zog die Augenbrauen derart zusammen, daß sie über seiner Nase fast zusammenstießen.
"Bist du des Wahnsinns, Knappe?" zeterte er, und dann ließ er eine Schimpfkanonade ab, unter der der arme Webolo nur kleinlaut den Kopf einziehen konnte und halbherzige Verteidigungsversuche unternahm, aber Canerio ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. Er donnerwetterte so lange, bis Morholt besänftigend eine Hand auf seinen Arm legte.
"Haltet ein, mein Freund, und laßt ihn am Leben", schmunzelte er, "wir brauchen das Kerlchen noch. Gebt mir lieber den Zaubertrank, damit ich dieses bedauernswerte Fass wieder zurückverwandeln kann."
Canerio schaute ein wenig betreten drein und gab Morholt ohne Widerspruch die kleine Phiole.
Es gab ein leises, sattes "Plop", als er den Stöpsel aus dem Fläschchen zog. Vorsichtig schnupperte er daran, wiegte den Kopf, schnupperte wieder, sagte: "Naja, wird schon gutgehen" und winkte das Fass zu sich.
Stibitzi kam langsam angerollt.
Alle warteten gespannt darauf, was geschehen würde, als Morholt das schwarze Fläschchen hob und daraus einige Tropfen der trüben Flüssigkeit auf das Fass träufelte.
Erstmal passierte gar nichts.
Morholts Blick bewegte sich verwirrt zwischen dem Fass und der Phiole in seinen Fingern hin und her - hatte er womöglich etwas falsch gemacht? Gehörte vielleicht noch ein Zauberspruch dazu, um die Wirkung auszulösen? Er war schon drauf und dran, den ganzen Inhalt der Fläschchens über das Fass zu kippen, als es sich plötzlich bewegte.
Leise begann es zu vibrieren, erst kaum sichtbar, dann immer stärker bis schließlich das ganze Fass rüttelte und summte. Feiner gelblicher Rauch begann aus den Ritzen des Holzes aufzusteigen. Webolo und Morholt, die in unmittelbarer Nähe standen, wichen entsetzt zurück, als der Nebel dichter und dichter wurde und schließlich das ganze Fass einhüllte.
Dann tat es plötzlich einen lauten Knall und beißender Schwefelgeruch lag in der Luft.
Wie gebannt starrten alle auf die Rauchwolke, die sich nun langsam verzog und durch den sich auflösenden Nebelschleier erkannten sie eine Gestalt, die sich dort befand, wo eben noch das Holzfass gewesen war:
im Gras zu Morholts Füßen saß eine kleine Fee und lächelte verlegen.

Es war einmal ein Fass... nun ist's Stibitzi ;-)
© by Sylvia

"Uuuuiiii", staunte Webolo und die Augen drohten ihm beinahe aus dem Kopf zu fallen, während er völlig verzaubert dieses Wesen anstarrte, das sich gerade ein wenig steifbeinig aus der Wiese erhob.
Sie war etwa so groß wie er - also nicht gerade besonders hochgewachsen - und von zarter, feingliedriger Statur. Langes, goldbraunes Haar floß über ihre Schultern. Aber am meisten beeindruckten den Knappen ihre Feenflügel, die sie nun sanft entfaltete. Sie waren durchscheinend wie die Flügel einer Libelle und schimmerten in den herrlichsten Farben.
Morholt grinste und packte Webolo am Kragen, weil er beinahe vornüber zu kippen drohte.
"Du bist also Stibitzi?" erkundigte er sich.
"Das bin ich", lächelte sie glücklich und machte einen kleinen Knicks. "Ich danke Euch, daß Ihr mich zurückverwandelt habt! Ihr seid sehr freundlich, Herr."
"Oh, nein, nein", wehrte Morholt ab, "ich hab nichts weiter getan, als ein paar Tropfen Zaubertrank auf das Fass zu tröpfeln. Bei mir müßt Ihr Euch nicht bedanken, sondern bei diesen beiden ..."
Er wies mit dem Daumen auf den Ritter und seinen Knappen, die dastanden wie vom Donner gerührt.
"Sie waren es doch, die den Trank besorgt und Euch aus den Klauen des Magiers befreit haben!"
"Ja, ich weiß" erwiderte sie und hopste zu den beiden verlegen dreinguckenden Helden hinüber, um jeden von ihnen einen Kuß auf die Wange zu hauchen. Canerio räusperte sich umständlich und wurde rot bis zu den Haarwurzeln.
"Ööhm, ja ...", stammelte er, "ähhh ... nichts zu danken, werte Fee."
"Hey", tönte da eine Stimme von schräg oben, "ich war genauso dran beteiligt!"
Ein riesiger blaugrauer Drachenkopf senkte sich von oben herab und ein Paar goldene Augen blickten beleidigt in die Runde.
"Schon wieder vergessen oder wie?"
"Nein, natürlich nicht", grinste die Fee und verabreichte ihm einen dicken Schmatzer - woraufhin es nun am Drachen war, verlegen dreinzugucken.

Stibitzi und der (einen Moment später verlegene) Moordrache ;-)
© by Sylvia

Stibitzi reckte sich und machte ein paar Kniebeugen.
"Ah, tut das gut", seufzte sie. "Ist nicht besonders bequem, sein Leben als Fass zu verbringen. Sagt, habt Ihr einen Schluck Wasser für mich? Und vielleicht etwas zu essen?"
"Aber natürlich ..."
Während die beiden Hexen in die Hütte eilten, um einen Krug Wasser und etwas Essbares zu organisieren, stellte Morholt reihum alle Anwesenden vor - sogar das Elfenpferd Leti und Bruder Tac’s kleinen blauen Drachen vergass er nicht. Nur von Rosinante und Orhima, die völlig besoffen hinter der Hütte hockten, mochte er nichts erzählen - aber die Fee bemerkte sie natürlich trotzdem, denn das völlig durchgedrehte Gegröhle der beiden war nicht zu überhören.
Crosideria und Sylveria brachten Wasser, Brot, Käse und Obst - und alle zusammen setzten sich noch ein Weilchen vor das Haus und genossen die laue, sternklare Nacht, während Morholt verzweifelt überlegte, wo er acht Personen, zwei Drachen, zwei Pferde, ein Kamel und einen Ochsen unterbringen sollte.
Plötzlich deutete die kleine Fee zu den Sternen hinauf.
"Was ist das denn?" rief sie überrascht und alle starrten nach oben.
Vor der dunklen Kulisse des Himmels flog ein schillerndes, funkensprühendes Etwas, das in allen nur erdenklichen Farben blinkte und seine Flugbahn als buntleuchtende Spur im Schwarz der Nacht zurückließ.
"Huhuuu, Khisi!" brüllte Webolo und winkte zu dem Drachen, der hoch oben einsam seine Runden drehte.
Morholt seufzte tief.
"Den hätten wir wohl beinahe vergessen...!"
 

© by Sylvia
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Und schon geht's zum 13. Kapitel: Die Häscher der Wirbelmöhre
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Denkt bitte daran: auch diese Geschichte nimmt am Drachentaler-Wettbewerb teil.
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