Mit rasender Geschwindigkeit stürmten
die kleinen Pelzknäuel heran und umzingelten Crosideria und den kreidebleichen
Drachen, dessen Schrei Blätter von den umstehenden Bäumen herabrieseln
ließ, die sich nun auf ihren Köpfen und Schultern sammelten.
Crosideria hingegen war zuerst vor Freude regelrecht außer sich.
So viele kleine knuddelige Pelztierchen, braune, schwarze, eins mit weißen
Flecken auf rotbraunem Fell, ein anderes mit zartgelben Streifen, das Crosideria
sofort an Chirtines schickes Outfit erinnerte.
Moordrache japste nach Luft und starrte mit
weit aufgerissenen Augen auf die kleine Horde zu seinen Füßen,
die völlig außer Rand und Band geriet und nun pfeifende, blubbernde
und glucksende Schreie von sich gab.
Bääärtram klammerte sich an
Crosiderias Haaren fest und zitterte am ganzen Körper.
"Weg will, schnell", fiepste er ängstlich.
Sogar Crosideria beschlich inzwischen ein
ungutes Gefühl und leicht verzweifelt blickte sie in die Runde.
Moordrache hatte sich inzwischen aus seiner
Schreckensstarre befreit, drehte sich so schnell es ging um und prallte
frontal mit Mathilde zusammen, die den dreien unauffällig gefolgt
war.
"Waaaah, Mathilde!" schrie er entsetzt. Sofort
fiel sein Blick auf den Eimer, den sie in ihren Klauen hielt, und erneut
befiel ihn Panik.
"Was macht ihr denn hier?" fragte sie neugierig
und versuchte, dem Moordrachen über die Schultern zu gucken. Als sie
feststellte, dass dies so gut wie unmöglich war, schob sie ihn einfach
rigoros mit ihrem Schrubber zur Seite und stapfte entschlossen an ihm vorbei.
"Oho ... was haben wir denn hier? Hier ist
ja alles voller Ungeziefer!"
Bääärtram zog schleunigst den
Kopf ein und machte sich auf Crosiderias Arm so klein es ging.
Wie ein zu allem entschlossener Desperado
zog Mathilde eine kleine stählerne Sprühdose aus ihrer Kitteltasche,
die, mit aufgemaltem Totenkopf, auch über einen recht eigenartigen
Verschluss verfügte. Moordrache, der nur aus den Augenwinkeln heraus
sah, was Mathilde da in der Hand hielt, schnappte sich Crosideria, die
gerade Mathilde fragen wollte, was das für eine komische Dose sei,
und raste mit ihr los, ungeachtet dessen, dass sie noch immer Bääärtram
im Arm hielt, während er schrie: "Laaaaaaaaaaaaaaaauuuf, laaaauf ...
das ist Feeeeeeeelsenreiniger!!"
Crosideria hörte noch ein kurzes Knacken,
wie es beim Öffnen von Getränkedosen zu hören war, und das
Aufschlagen von etwas Metallischem auf Stein. Moordrache hob ab und beförderte
sie mit zwei, drei Flügelschlägen in sichere Höhe, als es
unter ihnen einen gewaltigen Schlag tat und die Erde zu beben begann.
Zwei Sekunden später war der Spuk vorbei
und dort, wo sich eben noch das kleine Waldstückchen befunden hatte,
klaffte jetzt, verdeckt von dunklen Rauchschwaden, ein riesengroßes
Loch im Boden.
Moordrache umflog vorsichtig den kleinen Krater
und entdeckte Mathilde, die sich mühsam über den Rand zog und
schnaufend sitzen blieb, noch immer ihren Eimer in den Klauen.
Er setzte erst Crosideria ab und landete dann
ein kleines Stückchen entfernt, im sicheren Abstand zu Mathilde und
ihren eigenartigen Putzutensilien, die sie bei sich zu führen schien.
"Ha, denen hab ich’s gezeigt!" frohlockte
Mathilde und strahlte übers ganze Gesicht.
"Nicht nur denen", schimpfte Crosideria, "du
hast den halben Wald weggepustet!"
Plötzlich stockte sie, wackelte mit dem
Kiefer und starrte Mathilde verblüfft an.
"Is' irgendwas?" fragte Mathilde verständnislos.
"Ich kann sprechen!" flüsterte Crosideria,
"ich kann sprechen – Moordrache, hörst du das?"
Vorsichtig näherte sich Moordrache den
dreien und schielte dabei besorgt auf Crosideria. Er holte tief Luft und
sagte dann betont langsam: "Sag - das - noch - einmal - ganz - laaaaangsam!"
"Ich - kann - spre -chen", wiederholte Crosideria
grinsend und genoss jeden einzelnen Buchstaben, der da in richtiger Reihenfolge
über ihre Lippen kam, obwohl sie noch immer Bääärtram
im Arm hielt.
"Du kannst sprechen!" Sogar Moordrache grinste
jetzt wie blöde und Mathilde, die zwischen den beiden saß, schüttelte
nur den Kopf und murmelte etwas von Detonations-Schäden, während
sie sich Staub und Dreckklumpen von der Schürze klopfte.
"Bääärtram, was ist passiert?
Wieso verdrehst du nichts mehr?"
Das kleine Pelzknäuel guckte aus traurigen
Knopfaugen in Richtung Erdloch und dann wieder zu Crosideria.
"Nix kann tauschen alle Wörter, wenn
alleine ich bin. Nur viele Bääärtrams können was tun
so." Er gluckste und schnurrte traurig, doch plötzlich fing er an
zu kichern und sprang von Crosiderias Arm.
"Hey ... wo willst du hin?„ rief sie und bekam
riesengroße Kulleraugen, als sie sah, dass er zu Mathilde hoppelte
und ihr auf den Schoß sprang.
"Hoho - kawumm, viele weggepustet, klasse
das!" rief er und begann zu schnurren.
Mathilde blickte zuerst ein wenig skeptisch,
doch dann streichelte sie ihm vorsichtig über den kleinen Kopf.
"Naja ... man tut, was man kann, nöch?"
"Freunde sein?" fragte Bääärtram,
streckte sein kleines Pfötchen aus und seine runden Knopfaugen blickten
so bittend, dass Mathilde ganz weich ums Herz wurde.
"Freunde", antwortetet sie ergriffen und wischte
sich verstohlen eine kleine Träne aus den Augen.
"Na, Wahnsinn", maulte Crosideria und wandte
sich traurig ab. Moordrache, der das mitbekam, lief langsam neben ihr her
und versuchte ein paar tröstende Worte zu finden, womit er allerdings
so seine Probleme hatte, denn in gewisser Weise platzte ihm beinahe das
Herz vor Freude, endlich diesen Quälgeist los zu sein.
"Lass uns zurückkehren - und vor allem,
denk' daran, wir haben noch eine Aufgabe vor uns, wenigstens Orhima sollten
wir nach Hause bringen, wenn schon sonst niemand hier Glück hat, hm?"
"Du hast Recht", antwortete sie leise und
so beließen sie es dabei und gingen schweigend nebeneinander her,
zurück zu Chirtine und dem Rest ihrer Freunde.
Auf dem Fantihof angekommen, kam ihnen aufgeregt
Webolo entgegen.
"Wo wart ihr denn solange? Ich hab mir sooooolche
Sorgen gemacht! Kommt, es gibt gleich schon Abendbrot", plapperte er aufgeregt
weiter und zog Crosideria einfach mit sich.
Tatsächlich war der Tisch inzwischen
schon wieder neu gedeckt und mit leckeren Sachen beladen. Erschöpft
ließ Moordrache sich nieder und auch Crosideria sah recht erledigt
aus.
Nach und nach fanden sich alle ein, Chirtine
fragte, ob noch jemand bestimmte Essenswünsche hätte und lief
dann in die Küche um Souf Lee Bescheid zu sagen.
"Och nöööö, jetzt wird's
auch noch nebelig, eben war's doch noch so schön", quengelte Webolo
plötzlich, während er auf die grünen Schwaden zu seinen
Füßen blickte, die immer dichter zu werden schienen.
"Nebel?" Moordrache blickte hoch und konnte
kaum noch den Tisch erkennen, an dem die anderen saßen, so schnell
hatte sich die Nebelwand vor ihm aufgebaut. Und während er noch versuchte,
zu verstehen, was geschah, war auch er gänzlich von den dichten Schwaden
umschlossen.
Zuerst geschah nichts, dann fühlte er
sich seltsam verdreht und leicht orientierungslos. Dieser Zustand war zum
Glück nur von kurzer Dauer. Die Sicht klärte sich etwas und nun
erkannte er, wo sie gelandet waren: In einem Dimensionstor! Wahrscheinlich
hatte Mathildes kleiner Sprengsatz einen geringen Teil dazu beigetragen,
denn solche Erschütterungen konnten schon mal dafür sorgen, dass
sich kleine Spalten im weiten Dimensionsgefüge auftaten.
"Oh, wo sind wir hier? Was ist das für
ein seltsamer Ort?" Verstört blickte der alte Ritter auf die wabernden
grünen Tunnelwände um sich herum, die mal fester, mal wieder
flüchtiger schienen. Vor seinem Auge erstreckte sich ein langer, sich
langsam in sich drehender röhrenförmiger Tunnel, der von einem
unwirklichen Licht erfüllt war.
"Merkwürdig, merkwürdig", murmelte
er beunruhigt. Moordrache, der gerade auf ihn zuschwebte, zuckte nur gelangweilt
mit den Schultern.
"Dimensionstor", brüllte er dem Ritter
zu, als er nahe genug an ihm dran war, dann trudelte er seelenruhig weiter,
die Klauen gemütlich hinter dem Kopf verschränkt.
"Dimensionstor, Dimensionstor .... was denn
für ein Dimensionstor, ich verlange eine Erklärung, sofort!"
krächzte Canerio und versuchte, dem Moordrachen nach zu kommen, indem
er wie ein Frosch in der Luft zu rudern begann, doch der Moordrache war
einfach zu schnell und so gab Canerio nach kurzer Zeit auf und ließ
sich einfach treiben.
Rosinante schielte misstrauisch auf ihre Umgebung.
Ohne Boden unter den Füßen fühlte sie sich vollkommen hilflos
und außerdem hatte sie das ständige Gefühl, als würde
etwas an ihr ziehen und zerren. Sie versuchte, soviel Schwung in ihre Bewegungen
zu bekommen, dass sie es nahe genug an Orhima heran schaffte, die sich
gerade seelenruhig die Hufe feilte.
"Hast du 'ne Ahnung, wie lange das hier noch
dauert?" fragte sie ungeduldig.
"Bleib ganz ruhig. Kann sein, dass wir zehn
Jahre hier herum schwirren oder auch nur zehn Sekunden, niemand weiß
das genau." Orhima warf einen gelangweilten Blick auf ihren rechten Vorderhuf
und feilte dann sorgfältig an einer kleinen unebenen Stelle weiter.
© by Sylvia
"Ahja ..." Rosinante wusste nicht genau, was
sie von dieser Aussage zu halten hatte und rollte entnervt mit den Augäpfeln.
Wenn’s hier wenigstens Möhren gäbe... Sie beobachtete ein Weilchen
die beiden Hexen, die schon ziemlich weit entfernt waren, und Ya Coo Sa,
der mit Hansevogel im Schlepptau den beiden fröhlich hinterher trudelte.
Ihr Blick fiel auf Webolo, der - ein gutes Stückchen hinter ihr und
Orhima - vergnügt Purzelbäume in der Luft schlug und sich mit
Schwung von den Wänden abstieß. Wie ein Gummiball sauste er
von Wand zu Wand und rief dabei "Jippieeeeeee" und "Juchuuuuuuuuuuuuuuuuu"
vor Freude. Doch dann stieß er sich etwas zu kräftig von der
gummiartigen Wand ab und schoss mit einem Affenzahn auf Orhima zu, die
noch immer an ihren Hufen herum feilte.
"Aaaaaachtuuuuung!„ gröhlte Rosinante
- doch zu spät. Nahe Lichtgeschwindigkeit und mit einem satten, dumpf
tönenden "Wusch" streifte Webolo Orhimas Satteltaschen, prallte ab
und stieß gegen Rosinante.
"Ooooh ... halt mich, bitteeeeeee ...!„ kreischte
er entsetzt und versuchte, sich an Rosinantes Mähne festzukrallen.
Rosinante wurde herumgeschleudert und flog rückwärts, alle Viere
von sich gestreckt, in vollem Tempo gegen die Wand und versank mit einem
schmatzenden Geräusch zur Hälfte darin.
"Rosinante, komm da sofort wieder raus!" Ritter
Canerio schnappte sich im Vorbeitrudeln Rosinantes Zügel und hielt
ihn so fest er konnte, in der Hoffnung, das alte Ross damit wieder heraus
zu ziehen.
"Geht nicht, das Zeug ist so zäh wie
Kaugummi", jammerte Rosinante. Hektisch versuchte sie, ihre Hinterbeine
zu bewegen, um sich zu befreien, doch umso kräftiger sie trat, desto
weiter schien sie hinein zu rutschen.
Webolo zog sich an ihrer Mähne nach oben
und krabbelte weiter auf ihren Rücken. Vielleicht half es, wenn er
versuchte die Wand ein Stück zurück zu schieben. Eifrig begann
er zu drücken und wurde kreidebleich, als er feststellte, dass auch
er jetzt bis zum Ellenbogen in der Wand steckte und sie nicht mehr herausziehen
konnte.
"Seht mal", rief Orhima plötzlich erschrocken,
die Wand ... sie ändert ihre Farbe!"
"Positiv?" fragte Rosinante nur, sah noch,
wie Orhima entmutigt den Kopf schüttelte, und dann ging alles drunter
und drüber. Wo sich eben noch die gummiartigen Wände befanden,
gab es auf einmal nichts anderes als weiten blauen Himmel. Rosinante blickte
nach unten, riss die Augen auf und fiel als Erste wie ein Sack Kartoffeln
in die Tiefe. Ritter Canerio blickte kurz entgeistert auf den Zügel,
den er in der Hand hielt, und flatterte dann wie ein buntes Fähnchen
hinter Rosinante und Webolo her.
"Ooooohhhhh, wir stürzen...", schrie
Orhima verzweifelt - und saß Bruchteile einer Sekunde später
plötzlich heil und unversehrt neben den beiden Hexen, Ya Coo Sa und
Hansevogel auf einem Berg samtigweicher Kissen, die betörend nach
wertvollen, orientalischen Parfümen dufteten. Der Raum in dem sie
sich befanden, war eher eine Halle zu nennen, reich verzierte Säulen
reichten bis unter die hohe gewölbte Decke, auf der seltsame Szenen
abgebildet waren, alles schien aus edelstem Marmor und Glas zu bestehen.
"Ihr hättet beinahe die Wand zerrissen,
ihr Unwürdigen! Nicht einmal Dimensionstore sind vor Euch sicher,
Ihr solltet Euch wirklich schämen!"
"Was? Wie? Woher wisst Ihr das?„ fragte Ya
Coo Sa erstaunt den kräftig gebauten Mann, der sich nun mit ernster,
böser Miene ihnen näherte. Er war sehr groß, mit einem
gewaltigen Turban auf dem Kopf und prächtig gekleidet. Er trug ein
langes Gewand aus kostbarem Stoff, das keinerlei Nähte zu besitzen
schien, und an seinem breiten Gürtel baumelte ein beeindruckender
Krummsäbel neben kleinen kristallenen Totenköpfen.
© by Sylvia
"Ich bin über alles informiert - ich bin
die Stimme aus dem Nichts, San-Ran Quon-la-Bing, der Wächter der Tore!"
"Quon la Bing?" fragte Orhima erstaunt.
"Wo ist Webolo?" rief Sylveria plötzlich
erschrocken. Quons Kopf ruckte herum und mit zorniger Stimme fragte er:
"Soll das heißen, Ihr seid nicht vollständig?"
Er erhob seinen Finger und begann zu zählen
- eins, zwei, drei, vier, fünf...
Sichtlich erschrocken rannte er mit rauschenden
Gewändern zu einer sehr großen Kristallkugel, die etwas weiter
hinten auf dem Boden stand, und begann mit ausgestreckten Händen und
gespreizten Finger um sie herum zu fuchteln, flüsterte mit heiserer
Stimme Beschwörungsformeln, während sich seine Stirn in tiefe
Falten legte.
"Bei Rastullah, so eine Sch...", brüllte
er und stampfte wütend mit dem Fuß auf. "Interferenzen in den
Transstrukturalen Metakräften - und ausgerechnet jetzt ist meine Suchmaschine
kaputt!"
"Verzeihung", fragte Hansevogel vorsichtig,
"was ist kaputt?"
Auch die anderen sahen ihn recht verständnislos
an. Wovon redete der bloß?
Quon drehte sich um, rief laut: "Folgt mir,
ich wird es Euch zeigen!" und stampfte los. Er führte sie durch unzählige
Gänge und breite Flure von denen weitere, meist breite Flügeltüren
abgingen, bis sie schließlich in einem kleinen Raum landeten, der
vollkommen zugepflastert war mit einer Unmenge an Wegweisern und Hinweisschildern,
Schriftrollen und seltsamen Gegenständen, die sie vorher noch nie
gesehen hatten.
NORD TOR, SÜDTOR, SÜD SÜD OST
NORD TOR war da zu lesen und WEST RÜCKKEHRTOR oder NIXWIEWEGTOR -
dann gab es kleine Schilder mit Vermerken wie: Achtung – Rundstromgase
oder Vorsicht: Partikelausgleichs-Simulator nicht verfügbar.
Und mitten in diesem Schilderwald stand ein
kleiner Kasten auf einer Säule, der, mit mehreren kleinen Leuchtbirnen
und diversen Schaltern bestückt, ein leises, aber durchdringendes
Pfeifen von sich gab.
"Wo sind wir hier und was ist das alles?"
fragte Ya Coo Sa neugierig.
"In der Zentrale. Alle Dimensionsreisenden
werden hier von meiner Suchmaschine "Hooyagoggelsook" erfasst und in die
richtige Dimension weitergeleitet", antwortete Quon sichtlich stolz.
"Alle?" fragte Hansevogel trocken und sah
sich um.
Quon bedachte ihn mit einem grimmigen Blick.
"Ja, alle - nur ..."
"Nur?" fragten alle wie im Chor.
"Sie ist kaputt, einfach kaputt. Ich war gerade
dabei, sie zu reparieren, als etwas in der Nordwand mir den letzten Chip
aus dem Secondlevelsockel gesprengt hat, und das wart ihr!"
"Moooooment ...", warf Sylveria ein, "bedeutet
das, Ihr könnt unsere Weggefährten nicht hierher zurückholen,
verstehe ich das richtig? Und wo sind sie überhaupt?"
Quon zuckte mit den Schultern. "Kein Chip
- keine Erfassung."
"Erhabener Meister", flötete plötzlich
eine zarte Stimme aus dem Hintergrund, "entschuldigt vielmals die Störung,
aber es gibt neue Turbulenzen im SüdweitvonhierwegTor!"
"Ach herrje ...", murmelte Quon verstört
und rupfte verbissen an einigen der Kabel herum, die aus dem Kasten heraushingen,
legte Schalter um, stöpselte hier und da, doch wie es schien, alles
ohne Erfolg.
"Wer spricht denn da eigentlich?" Crosideria
sah sich suchend um.
Noch bevor Quon antworten konnte, erschienen
in der Tür zwei junge Frauen mit flammendroten Haaren und vielen kleinen
Sommersprossen um die Nase. Beide trugen sie wunderschöne Kleider
und waren geheimnisvoll verschleiert, die langen Haare zu kunstvollen Kronen
geflochten und mit Perlen verziert.
"Meine Königinnen!" Quon warf einen schmachtenden
Blick zu den beiden Schönen, seufzte tief und wendete sich wieder
dem kleinen Kasten zu. Entschlossen schob er sich den Turban zurecht, trat
einen kleinen Schritt zurück, sah noch einmal zu seinen "Königinnen"
hinüber, wobei er lüstern mit den Augenbrauen wackelte, und trat
dann zu.
Es machte Rongeldingelrummsklong und Zischpuff,
zwei Lämpchen flammten kurz auf und der kleine Kasten fing für
einen kleinen Moment an zu rattern, dann kehrte wieder Stille ein.
"War wohl nix?" sagte Hansevogel enttäuscht,
der sehr traurig war, weil ihm Webolo so fehlte.
"Pssst...!" Gebieterisch hielt Quon die Hand
hoch und lauschte.
"Autsch!" brüllte plötzlich jemand
und ein sehr vertrautes Scheppern und Quietschen mischte sich unter protestierendes
Gejammer und boshaftes Wiehern.
"Angekommen, folgt mir!" Quon wirbelte an
seinen unfreiwilligen Gästen vorbei, klemmte sich links und rechts
jeweils eine der beiden Schönen unter den Arm und stürmte wieder
durch endlos lange Gänge und Flure zurück in die Halle, in der
auch die anderen zuerst gelandet waren.
Auf dem Kissenberg thronten nun ein Pferd,
ein Ritter und sein zampelnder Knecht.
Webolo sprang sofort hoch und lief zu Orhima,
während sich Canerio in seiner klappernden Rüstung versuchte
krampfhaft auf dem Kissenberg aufzurichten, von Rosinante mit einem schadenfrohen
Grinsen bedacht.
"Orhima, ich hab das Zelt gesehen und deinen
Meister, mit 'ner Sandpfeife, die dampfte ganz doll und ..."
"Sandpfeife? Meister? Wo habt Ihr Euch rumgetrieben,
zum Donnerwetter, das ist doch keine AUTOBAHN!" pöbelte Quon la Bing
drauflos, "fast hätte ich Euch nicht mehr zurückbekommen und
dann würdet Ihr noch immer als ein Haufen..." er musterte kurz Canerio,
der zum dritten Mal wieder rückwärts in die Kissen fiel, und
sein grinsendes Pferd, und sagte dann mehr zu sich selbst: "Hätt'
ich sie bloß gelassen, wo sie waren, Rastullah möge mir verzeihen!"
Endlich schaffte es der alte Ritter, sich
mitsamt seiner Rüstung knirschend und wutschnaubend aus dem Kissenberg
zu wühlen, während Rosinante nicht einmal entfernt daran dachte,
sich von ihrem bequemen Lager zu erheben und sich stattdessen wie eine
Diva grinsend in die Kissen lümmelte. Canerio pflückte mit angewidertem
Gesichtsausdruck die Reste der klebriggrünen, gummiartigen Masse von
seiner Rüstung, die von dem Zusammenprall mit den Tunnelwänden
hängengeblieben waren, rollte sie zwischen den Fingern zu einer kleinen
Kugel und schnippte sie achtlos beiseite. Dann klappte er das Visier seines
Helms hoch und musterte sein turbangekröntes Gegenüber mit mißmutig
bebenden Bartspitzen.
"Wo zum Kuckuck sind wir hier eigentlich?"
Quon starrte nicht minder mißmutig zurück.
"Gegenfrage - was zum Kuckuck wollt Ihr hier
eigentlich?"
"Voooorsicht - Deckung!" kreischte da Webolo
plötzlich und stürzte auf seinen Herrn und Meister zu, der im
ersten Moment gar nicht wußte, wie ihm geschah - und im zweiten auch
schon von der grünen gummiballähnlichen Kugel niedergestreckt
wurde, die mit rasender Geschwindigkeit von der Wand zurückgeprallt
war und nun auf ihn zusauste.
Mit einem sattem "Plop" traf ihn das grüne
Geschoss mitten auf der Stirn und blieb dort kleben. Canerio gab ein Seufzen
von sich, verdrehte die Augen und fiel rückwärts in den Kissenberg.
"Meister!!"
Webolo starrte entsetzt auf den Ritter, der
mit geschlossenen Augen und einem grünlichen Klumpen auf der Stirn,
der aussah wie ein Riesenpopel, der Länge nach ausgestreckt da lag.
"Oh, Meister - was ist mit Euch? Aufwachen, oh bitte wacht doch auf!" Er
sank neben ihm auf die Knie, tätschelte ihm fürsorglich die Backe,
soweit es das halbgeöffnete Visier zuließ, und war ganz erleichtert
darüber, dass der alte Ritter wirklich nach einigen Sekunden die Augen
wieder aufschlug.
"Oh, Herr, endlich - ich dachte schon, es
ist Euch etwas passiert!" rief Webolo freudestrahlend. Canerio blickte
ihn aus glasigen Augen an.
"Wie meinen? Wo bin ich ... und vor allem
- wer seid Ihr??"
"Wer - ich??"
Webolo schaute sich verwirrt um.
"Ich bin Euer Knappe, Herr!"
"Hm? Wie? Was bitteschön ist denn ein
Knappe? Ach..."
Der Ritter sah nun ebenfalls ziemlich verwirrt
drein. "Wer sind denn all diese Leute? Warum starren die denn so?"
Er deutete auf Quon La Bing, der mit verschränkten
Armen die Szene beobachtete, und auf Ya Coo Sa und die beiden Hexen, die
ihn mit offenen Mündern und schreckgeweiteten Augen angafften, als
sähen sie ihn just in diesem Augenblick zum ersten Mal.
"Sieht aus, als hätten wir noch einen
weiteren Reparaturfall", seufzte Quon ergeben.
Quon La Bing, dem Wächter der Tore, dämmerte
es langsam, dass er seine neuen Gäste wohl nicht so schnell wieder
loswerden würde - erst bedurfte dieser rostzerfressene Geselle einer
kleinen Gedächtnisauffrischung und seine Hooyagoggelsook- Zentraleinheit
die dringend benötigten Ersatzteile - ansonsten war wohl an die baldige
Weiterreise dieses merkwürdig zusammengewürfelten Häufleins
nicht zu denken.
"Kommt mit!" wies er seine verwirrten Besucher
mit einer Handbewegung an, rauschte mit wehenden Gewändern im Zickzackkurs
um die Marmorsäulen herum und brüllte Befehle durch die weitläufigen
Hallen, während er seinen ständig rutschenden Turban daran zu
hindern suchte, ihm die Sicht zu versperren:
"Yezemin! Ninsun! Bringt etwas zum Abendessen!
Wein! Wasserpfeifen! Früchte! Schnell, schnell! Wir wollen unsere
Gäste nicht warten lassen! Und richtet sofort die Zimmer für
Besuch - fünf Personen mit einem Vogel, zwei Huftieren und einem Drachen!"
Auf sein befehlsgewohntes Händeklatschen
hin erhob sich im Hintergrund hektische Betriebsamkeit und eine ganze Horde
von Dienstboten und Mägden, die - wie Ya Coo Sa's geschultem Auge
sofort auffiel - ausnahmslos aus rothaarigen, grünäugigen Schönheiten
zu bestehen schien, begann damit, allerlei Utensilien und Gerätschaften,
Kissen und Teppiche kreuz und quer durch die Hallen zu schleppen.
Das Gebäude, in dem sie sich befanden,
schien einfach gigantische Ausmaße zu haben und Webolo fragte sich
insgeheim, ob es vielleicht einmal für ein Volk von Riesen erbaut
worden war - die Decke über ihm war so hoch und weit entfernt, dass
sogar ein so großer Drache wie der Moordrache nicht Gefahr lief,
sich den Kopf zu stoßen, selbst wenn er sich zu seiner ganzen imposanten
Größe aufrichten würde. Der Knappe war so beeindruckt von
dieser Decke über ihm, die teils wie Kuppeln, teils wie kleine Pyramiden
geformt und über und über mit bunten Malereien und Fresken geschmückt
war, dass er die Augen gar nicht abwenden konnte und den Kopf in den Nacken
gelegt hinter den anderen hertrödelte.
Es gab ja sooo viel zu entdecken hier - Webolo
bekam einfach den Mund nicht mehr zu vor Staunen und war wie erschlagen
von der ganzen Pracht. Mit großen Augen betrachtete er die kunstvoll
gemeißelten Reliefs, die die dicken Marmorsäulen zierten, die
riesigen, geschnitzten Türen mit ihren massiven goldenen Klopfern
und Ringen, von denen jeder einzelne so schwer aussah, als könne er
sie nicht einmal bewegen. Die Fußböden bestanden aus herrlich
bunten Mosaiken oder waren mit kostbaren Teppichen bedeckt - und in der
Luft hing der schwere Duft von orientalischen Gewürzen und Ölen.
Webolo war völlig berauscht von diesem Prunk - er hüpfte hierhin
und dorthin, guckte und staunte, befummelte die kostbaren Stoffbahnen,
die an manchen Stellen von der Decke hingen, rupfte, zerrte, schnupperte
und sog diese herrlich fremden Gerüche ein - sie mußten zweifellos
im Paradies gelandet sein...
Seine Freunde hatten inzwischen größte
Schwierigkeiten, Quons Eiltempo zu folgen, mit dem er zielstrebig durch
die Säulengänge steuerte, wobei er abwechselnd seiner zahlreichen
Dienerschaft Befehle zubrüllte und sie selbst mit Fragen bombardierte.
Er schien einfach alles wissen zu wollen.
"Woher kommt ihr? Wo wolltet ihr hin? Wie
seid ihr in dieses Tor gekommen? Was wolltet ihr da drin?" Sein Redefluß
schien nicht zu bremsen zu sein.
Die beiden Hexen berichteten ihm, daß
sie auf der Suche nach der Wüste südlich des Drachentals gewesen
seien, um Abdul zu finden, und dann durch etwas unglückliche Umstände
und eine ungezieferhassende Drachendame mit leicht übertriebenem Sauberkeitsfimmel
plötzlich in diesem Dimensionstor gelandet seien.
Quon murmelte etwas von "Geisterfahrern" in
seinen Zauselbart, rutschte wieder einmal den ewig schief sitzenden Turban
zurecht und meinte dann:
"Nun ja, im Moment kann ich gar nichts für
Euch tun - wie Ihr wisst, ist meine Dimensionsreisen- Suchmaschine im Eimer,
die muß erst repariert werden. So lange müßt ihr wohl
mit meiner Gesellschaft vorlieb nehmen. Seid meine Gäste!"
"Könnt Ihr uns wieder auf den richtigen
Weg bringen?" fragte Ya Coo Sa hoffnungsvoll.
Quon La Bing seufzte tief. Diese Frage hatte
er bereits erwartet.
"Glaubt mir, nichts würde ich lieber
tun - aber wie gesagt, erst muß Hooyagoggelsook wieder funktionieren...
und ob ich sie wieder zum Laufen bringen kann ist fraglich."
Der Drache verzog das Gesicht und eine unerfreuliche
Ahnung machte sich in ihm breit.
"Soll das heißen, Ihr könnt die
Maschine gar nicht wieder in Gang bringen?"
"Doch, natürlich kann ich!" brauste Quon
auf. "Das heißt, ich könnte, wenn ich nicht..."
"Wenn Ihr nicht was??"
"Oooch", grummelte Crosideria, "nun sagt doch
endlich, was das Problem dabei ist und lasst Euch nicht alles einzeln aus
der Nase ziehen!"
"Ich habe mich mit Amdrach zerstritten", murmelte
Quon.
"Wer in drei Teufels Namen ist Amdrach?"
Crosideria sah aus, als würde sie Quon
La Bing gleich am Kragen packen wollen, um die Wörter einzeln aus
ihm herauszuschütteln, was dem Moordrachen angesichts dessen, daß
Quon die Hexe etwa um zwei Köpfe überragte, trotz der angespannten
Situation ein Grinsen entlockte. Canerio sah unterdessen nur völlig
verwirrt und mit dümmlichem Gesichtsausdruck von einem zum anderen
und konnte dem Gespräch nicht einmal ansatzweise folgen - er wußte
weder, wer diese Leute hier waren, was er in diesem seltsamen Palast zu
suchen hatte, noch was ein Hooyagoggelsook war. Auch der Name Amdrach war
ihm gänzlich unbekannt.
"Amdrach war mein Schmied", gestand Quon leicht
zerknirscht. "Er war sozusagen meine rechte Hand und kümmerte sich
auch um die Wartung der Anlage hier. Und er schmiedete die Ersatzteile,
wenn etwas kaputt ging."
"Und wo ist er jetzt?" wollte Crosideria wissen.
"Fort. Er wollte mehr Bezahlung für seine
Arbeit, und ich wollte mehr Arbeit für meine Bezahlung - unüberwindbare
Differenzen, würde ich sagen. Außerdem hat er sich in mehreren
äußerst fragwürdigen Organisationen engagiert."
"Organisationen? Welche Organisationen denn?"
"Gilde der cammuorischen Amulettschmiede,
DSR - Drachentaler Schmiedering, Metallbearbeiter-Gewerkschaftsbund, Handwerkervereinigung
und noch so einige", zählte Quon angeekelt auf. "Er ist einfach unverschämt
geworden - muß man sich mal vorstellen, den Wächter der Dimensionstore
um mehr Lohn erpressen wollen, pffft! Unglaublich! Eigentlich müsste
es ihm eine Freude sein, überhaupt für eine so hochgestellte
und wichtige Persönlichkeit wie mich arbeiten zu dürfen, dieser
Nichtsnutz, dieser..."
"Und dann ist er einfach gegangen?" unterbrach
ihn die Hexe entnervt.
"Ja, er faselte etwas von einer Arbeitslosenversicherung,
was immer das auch sein mag, und dann ist er abgezischt - aber nicht ohne
Murrumosch mitzunehmen - den Hammer der Sieben Weltentore. Und ohne den
kann niemand die benötigten Teile für Hooyagoggelsook schmieden."
Canerio fasste sich leicht schwindelig an
die Stirn. Diese merkwürdigen Leute schienen wirklich ohne Unterlass
nur wirres Zeug zu reden - vor allem dieser eine, der in einem morgenrockähnlichen
Gewand aus Goldbrokat durch diese riesigen Hallen stapfte und behauptete,
der Hüter irgendwelcher Tore zu sein. Auch dieses monströse Schuppentier
machte ihm Angst. Und dieses merkwürdige Kamel erst, das ihn mit seinen
langen Wimpern ständig anblinzelte, als wolle es einen Flirtversuch
mit ihm starten.
Dem Ritter wurde immer schwindliger. Wo war
er da nur reingeraten? Er erinnerte sich an den Knirps, der ihm besorgt
auf die Backe geklatscht hatte... der schien noch der einzig Normale in
diesem Haufen Irrer zu sein. Und so räusperte er sich, zupfte Quon
La Bing am Brokatärmel und meinte:
"Äh, entschuldigt, aber... wo ist denn
eigentlich dieses freundliche kleine Kerlchen abgeblieben?"
Quon runzelte ärgerlich die Stirn, weil
sich dieser rostige Blechhaufen von Ritter nun auch noch erdreistete, ihn
in seinem Redeschwall zu unterbrechen. "Welches Kerlchen?"
Ya Coo Sa dämmerte wohl, wen Canerio
meinte, und er sah sich nun ebenfalls suchend um. "Das Kerlchen ist Euer
Knappe, werter Herr Ritter."
"Was? Wie? Webolo ist weg?" Das Mienenspiel
des Drachen wandelte sich blitzschnell von gelangweilt zu alarmiert. "Wir
müssen ihn suchen, auf der Stelle!"
"Ja, das wäre nett", sagte Canerio erfreut
und auch der Torwächter nickte zustimmend.
"Nur keine Aufregung", beruhigte Quon. "Ihm
wird hier nichts geschehen - macht Euch nur keine Sorgen um Euren jungen
Freund!"
Moordrache warf ihm einen wissenden Blick
zu.
"Ooch, ich mache mir gar keine Sorgen um den
Knappen - ich mache mir eher Sorgen um Eure Anlage hier!"
"Hallo?"
Das Stimmchen verlor sich in den Weiten der
endlosen marmornen Hallen.
"Haaaaaaalloooooooo!! Wo seid ihr denn??"
Webolo bekam keine Antwort. Er blieb stehen
und blickte sich nach allen Richtungen um, doch weit und breit war keiner
seiner Freunde zu sehen. Nur hochglanzpolierte Säulen und bunte Mosaiksteinchen
so weit das Auge reichte, in kurzen Abständen von kleinen Feuern erhellt,
die in irdenen Schalen brannten und flackernde Schatten auf den Fliesenboden
warfen.
Webolo fühlte sich ein wenig unwohl in
seiner Haut. Und er fühlte sich scheußlich allein. Wo waren
sie denn nur alle? Vor lauter Staunen und Gucken hatte er überhaupt
nicht darauf geachtet, in welche Richtung seine Freunde und Quon La Bing
gegangen und wohin sie verschwunden waren - und nun stand er hier völlig
verlassen in diesen riesigen Hallen und hatte nicht den blassesten Schimmer,
wo er sich befand.
© by Sylvia
Müde und den Tränen nahe setzte er
sich einfach auf den kalten Steinboden neben eine der Feuerstellen. Vielleicht
würden sie ja zurückkommen und ihn suchen... ja, das würden
sie bestimmt tun, schließlich waren es seine Freunde.
Er blieb eine Weile sitzen, pulte mit den
Fingernägeln den Zement zwischen den Mosaiksteinchen hervor, beobachtete
die tanzenden Schatten auf den dicken Säulenschäften und lauschte
in das Halbdunkel. Doch niemand kam, ihn zu holen.
Mit der Zeit wurde ihm das Zementpopeln zu
langweilig, und so stand er auf, drehte sich dreimal um die eigene Achse
und marschierte kurzentschlossen einfach wahllos in irgendeine Richtung
los. Endlos erstreckten sich die Gänge und er fragte sich ernsthaft,
wie sich Quon La Bing hier ohne Wegweiser zurechtfinden konnte, so verwirrend
schien ihm alles. Aber plötzlich war ihm, als würde er sich auf
dem richtigen Weg befinden und tatsächlich - ein Stückchen vor
ihm konnte er zwischen den Säulen die Tür zu dem Raum erkennen,
den Quon die "Zentrale" genannt hatte. Endlich! Vielleicht würde er
hier jemanden finden, der ihn dorthin bringen konnte, wo seine Freunde
nun waren - Webolo beschleunigte freudig seine Schritte und fing in altbekannter
Weise an zu hopsen und zu schlenkern.
"Hallo? Ist hier jemand?"
Vorsichtig steckte er den Kopf durch die Tür
und sah sich in dem vollgestopften Kämmerlein um. Niemand antwortete
ihm, nur diese merkwürdigen Pfeif- und Summgeräusche waren zu
hören, ab und zu von einem "klong" oder einem "klack-klack" unterbrochen,
die auf geradezu magische und unwiderstehliche Art und Weise seine Neugier
weckten.
Was gab es hier nicht alles zu sehen... Maschinen,
Schläuche, ein ganzes Netz von Kabeln, seltsame Kristallscheiben an
den Wänden, Schalter, Hebel, Schilder und alle möglichen Gerätschaften...
und über allem lag der Staub der Jahrhunderte. Webolo quetschte sich
zwischen den Wegweisern hindurch und beäugte ein wenig misstrauisch
die seltsamen Apparaturen.
"Tzzz, haben die denn hier niemanden, der
mal saubermacht?" sagte er kopfschüttelnd über das Chaos, das
hier herrschte. "Wir hätten Mathilde mitnehmen sollen..."
Völlig geistesabwesend malte er mit dem
Finger Muster auf das staubige Schaltpult vor ihm und vertiefte sich in
die Betrachtung der vielen Hebel und Blinkelämpchen.
"Hm, zu was mag dieser Schalter wohl gut sein?
Oder dieser? Oder diese Lampe da? Und was passiert, wenn ich hier draufdrücke?
Oder hier?"
Er beschloss, es einfach auszuprobieren und
legte den nächstbesten Hebel um. Es passierte überhaupt nichts.
"Och, ist das langweilig ..."
Nächster Hebel - wieder nichts. Er erinnerte
sich daran, wie Quon La Bing mit diesem seltsamen Kästchen umgegangen
war, das nicht funktionieren wollte, und gab dem Schaltpult einen heftigen
Tritt, doch nichts geschah.
"Dumme Maschine..."
Ein dicker roter Knopf auf dem Pult erregte
seine Aufmerksamkeit und er drückte ihn in argloser Neugier - und
dann blieb vor Schreck sein Herz beinahe stehen, als die vielen Kristallscheiben
an den Wänden plötzlich hell aufflammten. Webolo zog den Kopf
ein und krabbelte deckungsuchend unter das Pult.
Doch außer, dass die Scheiben nach dem
ersten Aufleuchten nun in einem gleichmäßigen, irisierenden
Licht strahlten und seltsame bunte Bilder zeigten, geschah nichts Gefährliches
und Webolo kroch eilig wieder aus seinem Versteck hervor.
Die Scheiben sahen aus wie kleine Fenster,
durch die man hinaus in die Welt sehen konnte, und in manchen bewegte sich
sogar etwas, und so trat er näher heran und betrachtete die Bilder,
die sie zeigten. In einer sah er zwei Laufdrachen in eine wüste Rauferei
verstrickt, in einer anderen bemerkte er einen halbverfallenen Turm, der
ihm ziemlich bekannt vorkam. Und in einer dritten erkannte er Stibitzi.
Sie saß in einer Baumkrone auf einem
dicken Ast und stritt sich mit einer Elster um einen silbernen, offensichtlich
wertvollen Gegenstand.
"Stibitzi!" jauchzte Webolo glücklich,
aber sie schien ihn gar nicht wahrzunehmen. Er klopfte mit den Fingerknöcheln
gegen die Kristallscheibe und presste sich die Nase daran platt, aber die
Fee bemerkte ihn nicht. Als er endlich begriffen hatte, daß sie ihn
nicht sehen konnte, wandte er sich enttäuscht wieder ab und begann
wahllos an irgendwelchen Hebeln zu rütteln, verdrehte die Wegweiser
und malte ein krakeliges "Rosinante ist doof" in den Staub.
Dann entdeckte er das Schild.
Ein einfaches Pappschild, das mit einem Stück
Bindfaden um einen großen Hebel gebunden war. Es trug in wackligen
roten Buchstaben die Aufschrift "Achtung! Gefahr! Nicht anfassen!" und
einen aufgepinselten Totenkopf mit gekreuzten Knochen.
"Nicht anfassen??"
Webolo versteckte schnell die Hände hinter
seinem Rücken und betrachtete mit schiefgelegtem Kopf das Schild und
den Hebel. Der Metallgriff sah ziemlich eingerostet aus, so, als wäre
er schon seit Urzeiten nicht mehr bewegte worden, und eine Spinne hatte
ihn als Stützpfeiler für ihr Netz benutzt.
"Hm ... "
Krampfhaft hielt der Knappe die Hände
auf seinem Rücken, die von diesem komischen Hebel geradezu magisch
angezogen wurden. Die roten Buchstaben schienen ihn irgendwie anzugrinsen.
"Nicht anfassen steht da!" ermahnte er sich
selber und bekam vor lauter Anstrengung, die Hände ruhig zu halten,
einen roten Kopf - doch die Worte auf dem Schild hatten auf ihn ungefähr
die gleiche Wirkung, als wenn sein Herr und Meister zu ihm sagte, er solle
mal fünf Minuten den Mund halten.
Einen Wimpernschlag später schlossen
sich seine Finger auch schon um den Metallgriff und drückten ihn nach
hinten. Und im gleichen Augenblick wurde Webolo klar, daß er einen
großen Fehler gemacht hatte.
Der ganze Raum begann auf einmal zu summen
wie ein Bienenstock und schien sich in rasender Geschwindigkeit elektrisch
aufzuladen. Webolos Nackenhaare sträubten sich vor Entsetzen.
Die Kristallscheiben zerplatzten mit einem
lauten Knall in Millionen Splitter, die auf ihn herabregneten. Aus den
Kabeln schossen wilde Blitze und zuckten durch den Raum. Die Maschinen
begannen zu brummen und zu pfeifen, und der Boden unter seinen Füßen
bebte so sehr, daß die Schilder gleich reihenweise umfielen. Dichte
Rauchschwaden krochen auf ihn zu.
Angstvoll wich Webolo zurück. Was hatte
er nur angerichtet?
Doch bevor er noch einen klaren Gedanken fassen
konnte, füllte eine tiefe, unheilschwere Stimme den Raum...
"Ha! Du hast mich freigelassen, Menschlein?"
Aus dem Rauch schälte sich eine riesenhafte,
dunkle Gestalt.
Panische Furcht ergriff den armen Knappen.
Verzweifelt und von dem Wunsch beseelt, sich auf der Stelle in Luft auflösen
zu können, versuchte er, sich zu verflüchtigen und wich Schritt
für Schritt rückwärts, bis er die Wand in seinem Rücken
spürte.
"Ich... äh... ich... ich weiß nicht...?
Hab ich das?"
"Du weißt es nicht mal?" Die tiefe Stimme
klang unüberhörbar amüsiert. "Oh, Ihr Menschlein, köstlich...
ihr seid einfach zu köstlich! Buuuaaaahahaaa ...."
Ein dumpfes Lachen, das Webolo die Haare zu
Berge stehen ließ, dröhnte durch den Raum. Der Knappe wurde
weiß wie ein Bettlaken.
"Wer... wer bist du?" piepste er. Seine Knie
fühlten sich plötzlich an wie Wackelpudding.
"Wer ich bin?"
Die dunkle Gestalt wollte sich schier ausschütten
vor Lachen. Doch dann erstarb das Lachen abrupt und sie hob mit stahlbehandschuhter
Hand ein riesenhaftes Henkersbeil hoch in die Luft, das Webolo drohend
nahe kam. Auf einmal war es totenstill. Er konnte die rasiermesserscharf
geschliffene Klinge direkt vor seiner Nase blitzen sehen.
"Ich bin der Drachenmeister!" brüllte
die Gestalt plötzlich auf, und allein schon die Gewalt der Stimme
schien Webolo einfach durch die Mauer in seinem Rücken pressen zu
wollen. "Der Drachenmeister - der Dämon des Chaos! Jahrhunderte, Jahrtausende
eingesperrt, versiegelt und geknechtet von diesem Wurm, der sich der Hüter
der Tore nennt! Aber nun bin ich frei... endlich frei.....!"
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