Der blaue Eisdrache von Tobias Wagner
Kapitel I
Segelflug

Auf und ab und auf und ab...

Das Geräusch von Flügelschlägen und von vorbeipfeifendem Wind fröstelte Markus aus seiner Ohnmacht heraus. Markus wachte auf, wie aus einem langen Traum. Er fühlte sich, als hätte er drei Wochen unter Steinen gelegen. Er sah unter sich Landschaften vorbeiziehen und hörte, wie der Wind über gewaltige Flügel rauschte.

"Ein Drache!" sagte Markus verblüfft zu sich selbst. "Das gibt’s doch nicht!"
Er konnte direkt von unten auf seinen schuppigen Bauch sehen. Nun merkte er auch, dass er sich in einer riesigen Klaue befand, die ihn sicher festhielt. Das Problem war, dass Markus panische Flugangst hatte. Er war gelähmt wie ein Eiswürfel. Was war passiert? Gestern feierte er mit seinen Freunden noch Geburtstag, und jetzt umklammerte ihn eine Drachenklaue. Er sah zwischen den riesigen Krallen hindurch und konnte seinen Freund Jens in der anderen Klaue erkennen. Er schien noch bewusstlos zu sein. Unter ihnen zog sich eine fremde Landschaft hinweg. Markus wagte nicht, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Jetzt kamen ganz langsam die Erinnerungen wieder zurück:

Begonnen hatte das Abenteuer an seinem 16. Geburtstag , am Segelflugplatz in Wintersdorf. 
Markus' Vater war Vereinsvorsitzender vom  Segelflugverein Wintersdorf. Er hatte es organisiert, dass es heute eine Geburtstagsfeier für Markus gab. Markus' Freund Jens war schon seit Mittag dabei, das Clubhaus herzurichten. Er hatte erst vor zwei Tagen die Segelflugprüfung abgeschlossen und den Flugschein erhalten. Markus selbst kam gegen 3 Uhr mit einigen anderen Freunden auf dem Fahrrad angefahren.
Normalerweise hatte Markus' Vater beruflich nur etwa 20 Stunden in der Woche für ihn Zeit, doch heute hatte er sich extra freigenommen.
Da Markus aus Gründen der Geburtstagsüberraschung noch nicht in den Clubraum durfte, beschloss Jens, mit den anderen Schulfreunden nach nebenan in den Hangar zu gehen, wo gerade eine schlanke Frau und ein langer Mann ein ULF putzten.
"Das ist so gemein! Warum dürfen wir nicht jetzt schon rein, mir ist langweilig!"
Jens grinste und sagte: "Keine Sorge, ich hab was, das dich sicher aufmuntert!"
Er ging zu einem Schreibtisch am Ende des Hangars und holte einen Ordner aus dem Schränkchen. "Hier drin stehen einige Fluggedichte von Thomas, der vor vier Jahren den Schein gemacht hat. Er hatte so einige Pannen verursacht, aber schließlich hat er doch die Flugprüfung bestanden! Es ist ein langes Gedicht, das wohl schon lange niemand mehr gelesen hat, so wie der Ordner aussieht!" Jens las vor:

Wem der Gedanke ist zu eigen:
"Es ist doch einfach in die Luft zu steigen!"
der kennt noch den alten Grundsatz nicht
von Theorie und Unterricht!

Als Thomas zur ersten Stunde antrat
bekam er von seinem Fluglehrer den Rat,
wie alle Flugschüler nämlich beschließen -
zuerst das "Trockenfliegen" zu genießen...
Man hört zuerst von jenem Spiel
die Kräfte, die sich am Profil
der Flügelfläche fördernd zeigt
was bewirkt: Ein Flugzeug steigt!

Man spricht von: "Strömung, Widerstand,"
zwei Wörter bisher nur bekannt -
von manch "amüsanter"  Praxisstunde
mit Fliegerbräutchen Hildegrunde!

Da "Steuerhinterziehung" meist
die Strömung von der Fläche reißt,
lernst du wie du den Knüppel hältst
damit du NICHT vom Himmel fällst!

Indessen kommt als nächstes schon
Im Lehrprogramm Navigation,
auch dieses Fach braucht Sympathie
die Flugmeteorologie.

Selbst drachenähnliche Wolkenformen,
sind eingeteilt in deutsche Normen-
die man dann bezeichnen muss,
als Cirrus, Stratus, Cumulus. 

Die Karten, die im Skat bislang
dir nur im Begriff für "Bock" und "Grang",
sie spiegeln hier das Erdbild konisch
zylinderförmig und gronomisch.

Sehr wichtig auch die Nachtflugsicht
wenn der Tower mit dir spricht.
Die Lichter zum wiederholten Male
in "Pfeil – Kreuz – Balken – Form" Signale.

Die Luft gehörte einst den Dra-  äh Vögeln
jetzt müssen wohldurchdachte Regeln
den Drang der fluggewillten Massen
in festgefügte Normen fassen....
..................................................................................
Die Theorie ist nun vorbei
doch bevor Thomas darf starten-
muss er erst beim Fliegerarzt
im Praxiszimmer warten.

Nun steht er vor des Arztes Tür
zur "Musterung" voller Bangen,
Um ein höchst wichtiges Papier
von diesem zu erlangen.

Dann tritt er stürmisch ein
und spricht zum Doktor klugermaßen:
"Mein Lehrer meint, ich müsste mich
hier untersuchen lassen!"

"Ich brauche schnell die Tauglichkeit
zum Pilotenschein  bestätigt,
die ganze andere ´Schreibarbeit`
ist längstens schon erledigt!"

Der Doktor spricht ihn grimmig an:
"Immer ruhig, mein Überflieger -
denn DIESE Prüfung, junger Mann,
geht nicht so ´schnell´ vorüber!"

"Bevor ein Flieger ungeniert
im deutschen Luftraum darf kutschieren,
wird er erst gründlich inspiziert
auf Lunge, Herz und Nieren!"

NUR wer vom Arzt gestempelt ist
darf heut ein Flugzeug steuern,
und hat nach festgesetzter Frist
die Prüfung zu erneuern!

Und bevor ihre Prüfungsqual
überhaupt wird anerkannt,
geben sie mir für dies Quartal
die zehn "TEuro" in die Hand!

Mit E.K.G. und Röntgenbild,
mit Blutdruck-Diagrammen,
wird Thomas auf den Zahn gefühlt
beim Tauglichkeits-Examen.

Ein jedes Haar, ein jede Glied
wird ganz genau gemessen,
und auch "intimes" Sachgebiet
wird keineswegs vergessen!

Drum nehmen sie dies Formular
um darin einzutragen
wie ihr 'Gesundheitszustand' war
seit frühen Kindheitstagen:

Die "Seelenkrämpfe" aller Art
Bettnässen und Neurosen,
und was sonst noch alles aufgespart
an Schwächen und "Psychosen"!

Der Doktor meint mit leichtem Groll
"Sie müssen sich bescheiden
jetzt Nikotin und Alkohol
und Weiblichkeit vermeiden!"

"Sonst fliegen sie wohl nicht mehr weit,
mit ihren `Qualitäten`,
Nur äußerste Enthaltsamkeit,
kann ihre Zukunft retten!"

Die Diagnose, die Thomas dann erfährt
erscheint ihm fast unglaublich:
"Ihr Körper ist im Durchschnittswert
mit KNAPPER Not noch tauglich!"

So darf jetzt Thomas hochentzückt
den Prüfungstag beschließen,
nimmt das Attest und eilt beglückt
zum Feiern und Begießen.
..................................................................................
Nach zwei Jahren Thomas' Lehrer spricht:
"Mein Schüler, reiß dich zusammen -
denn heute Mittag holt man dich
zum Zwischenschein-Examen!"

"Es wird dir hier - laut Prüfungsnorm -
der Flugauftrag gegeben,
in abgeklärter Rechteckform
unser Neudorf zu umschweben!"

"Staurohr auf, die Haube dicht
den Fallschirm NICHT vergessen!
Und außerdem versäume nicht
Benzin und Öl zu messen!"

Um Ruderdruck und Lastigkeit
entsprechend abzustimmen,
empfiehlt es sich, von Zeit zu Zeit
den Motordrachen  nachzutrimmen.

Verwirrt vom deutschen Vorschriftskram,
steigt Thomas in den Drachen
schiebt "Vollgas" rein und startet dann,
mit hundertzwanzig Sachen!

Nach einem "Kavalierstart"
(Das mag schon was heißen),
gelingt es ihm auf freche Art
Neudorf zu umkreisen...

Der erste Anflug taugt nicht viel
noch weniger der zweite -
denn immer wenn er landen will
verrutscht er auf die Seite.

Schon ist auch beim dritten Mal
ein Aufschlag zu erwarten -
In letzter Sekunde entschließt er sich
dann doch noch durchzustarten.

Der Prüfer (dem schon beim Startbeginn
die Spucke weggeblieben) -
hat Thomas Drachen ohnehin
schon lange "abgeschrieben"!

Da er beim Anflug "nachgeheizt"
kam er zu schnell geflogen,
und schoss zurück in alte Höhen, 
den Knüppel durchgezogen.

Der Prüfer sagt über Funktelefon:
"Ich will dir ne Chance geben,
du wirst mit dem Flieger schon
auf kurze Strecke gehen!"

Thomas will den Flug auf jeden Fall
zu seines Freundins Wohnort führen,
um endlich seinem Schatz einmal
als "Held" zu imponieren!

Doch als er schließlich in der Hast
an Düsseldorf herangekommen,
hat er dort schon einen Rundfunkmast
zur Hälfte mitgenommen!

Damit die deutsche Polizei
sein "Nummernschild"  nicht sehe,
geht er mit seiner Fliegerei 
fluchtartig in die Höhe.

Dort – hinter dichter Nebelwand
und grauer Wolkendecke,
rast er dann weiter über Land
in sicherem Verstecke.

Um die Prüfungszeit herumzubringen
fängt Thomas plötzlich an zu singen.
wenn auch der "Ton" nicht einwandfrei
bringt es doch die Zeit vorbei.

Studenten -  und Soldatenlieder
bringt er in bunter Folge wieder, :
das "Drachenlied" , "Die Wacht am Rhein" –
"Kreuzberger Nächte" und "Hänschen klein" !!

Ein kleiner Segelflugplatz indessen
ist schnell aus den Augen! Nie vergessen –
sollte man daher vor dem Starten
den Kompass und die Fliegerkarten.

Doch Thomas, heut wenig überlegend
scheppert wieder "ohne" durch die Gegend-
und steigert so mit Vergnügen
die Freiheit des Gefühls beim Fliegen...

Jetzt fängt er langsam an zu suchen
zuerst mit einem leisen Fluchen -
doch dann mit lautem Donnerwetter
er bittet Zeus und alle Götter

um Beistand, doch unerhört
bleibt das was er so heiß begehrt.
Sein Sitzfleisch, sonst so angenehm,
wird langsam richtig unbequem.

Auch "Wasserdruck"  kommt jetzt herbei
und bringt ihn fast zur Raserei.
Was Thomas VOR dem Start vergaß
"bedrückt" ihn jetzt im Übermaß.

Der Sprit wird knapp, als nach vier Stunden
er Neudorf hat noch nicht gefunden -
als nun Benzinmangel sich erst sachte
doch dann sehr stark bemerkbar machte.

Schreiend und mit flatternder Krawatte
"rammelt" er jetzt an seiner Latte.
Das Flugzeug gänzlich überzogen
fühlt sich zum Absturz sehr bewogen.

Schnell und schneller wird die Fahrt
die Angst sich mit dem Schrecken paart,
und notgedrungen hat sich zuletzt
Thomas krachend ins Gelände gesetzt.

Am Flugplatz Neudorf wartet weiter
ein tiefbesorgter Prüfungsleiter,
es läuft auf vollen Touren schon
eine landesweite Suchaktion.

Am Abend  meldet sich der Piloteur
aus SPANIEN !!  Man sieht, bisher
blieb niemand ewig am Himmel droben
hat sich ein Flugschüler noch so verflogen:

Benzinbedarf und Schwerkraft halten,
in physischen Grenzen stets sein Walten!
Und innig Thomas sich selbst verspricht:
"Ein ZWEITES Mal passiert mir das nicht!!"

Alle lachten, als Jens das Fluggedicht vorgelesen hatte. "Thomas ist heute leider nicht da. Er könnte euch so einige "Pannen" in seiner Ausbildungszeit als Flugschüler erzählen!" sagte Jens schmunzelnd.
Viele Leute aus dem Dorf schauten vom Hangar aus den Fliegern zu, die an der Schleppwinde buchstäblich "hochgeschossen" wurden und sich im Thermikaufwind hochschraubten.
Da kam Markus' Vater und sagte zu ihm:
"Dieses Jahr haben wir ein ganz besonderes Geburtstagsgeschenk für dich!
Jens wird dich auf einen Rundflug in unserer ASK 21 mitnehmen!"
Markus wurde auf einmal käsebleich und stammelte leise:
"Du weißt doch ganz genau, dass ich FLUGANGST habe! Ich steig nicht in diese Plastikkiste da rein!"
"Hast du etwa Angst vorm Fliegen?" fragten ein paar Mädchen von den Zuschauern aus und kicherten.
Jetzt wurde Markus nicht nur weiß, sondern auch noch tomatenrot.
"Ich habe doch keine Angst vor dem Fliegen!" sagte er, doch er klang sehr unsicher. Alle Blicke richteten sich auf ihn. Mit weichen Knien schlotterte er auf das Segelflugzeug zu, das gerade an der Schwerpunktkupplung eingeklinkt wurde.
"Zieh jetzt den Fallschirm an!" sagte Jens.
Markus wurde wieder käsebleich: "Fallschirm? – Oh Gott!"
"Der ist nur zur Sicherheit!" sagte Jens schnell.
Markus stieg mit dem Schirm auf den hinteren Sitz.
"An dem Hebel nicht ziehen, das ist der Haubennotabwurf!" sagte Markus' Vater noch und zeigte auf einen schwarz-gelben Hebel mit der Aufschrift "RESCUE".
"Ich kenne einen Flugschüler aus Gernsbach, dem ist mal das Dach in 3000 Meter Höhe weggeflogen, weil er daran rumspielte!"
Ein Pilot gab Jens noch die Fliegerweisheit mit:

"You start with a bag full of luck, and a emty bag of experience. The trick is to fill the bag of experience before you emty the bag of luck!”

"Du kannst jetzt mal darüber nachdenken, was ich damit meine, Junge! Guten Flug!"
Dann sagte Markus' Vater noch:
"Normalerweise müsst ihr bei Rundflügen das hintere Steuer ausbauen!"
"Jaja, die Vorschrift!" sagte Jens.
Der Pilot sagte zu Jens:
"Merkt euch immer die letzte Strophe eines berühmten Gedichtes:

...und er tut aus geläutertem Mund,
NOCH HEUTE den Piloten kund:
"Ist euer Leben wert und teuer,
ENTFERNT beim Gast das zweite Steuer!!!"

"Gut, das ist jetzt bei Markus aber nicht so wild. Lass das Steuer drin, der Windenfahrer vorne wird schon nervös!" sagte Markus' Vater.
Jens und Markus schnallten sich an und klappten die Haube zu.

Jens gab über Funk der Winde das OK. und sagte zu Markus:
"Wenn die Winde anzieht, dann beschleunigen wir von 0 auf 120 in drei Sekunden, also Festhalten!"
Das Blaulicht auf dem Dach des Windenfahrzeuges begann zu rotieren, was bedeutete, dass das Stahlseil jetzt eingezogen wird. Mit einem dröhnen wurde der Diesel hochgefahren.

"Wann geht es den endlich lo--OOOOH SCHEIIIIIIßE!" 
rief Markus, als sie schon mit 120 Sachen im 45° Winkel in den Himmel schossen und er mit 6 G Beschleunigungskraft in den Sitz gequetscht wurde. Während dem Ausklinken auf ca. 400 Meter hob sich die Erdanziehungskraft mit der Fliehkraft gegenseitig auf und Markus erlebte zum ersten Mal in seinem Leben kurz die Schwerelosigkeit.
Jens suchte sofort einen Aufwind und fand ihn auch recht schnell. Markus zitterte vor Angst und klammerte sich am Flugzeug fest. Jedes mal, wenn ein Aufwind das Flugzeug etwas nach oben warf, hatte er das Gefühl, dass er gleich ohnmächtig werden würde.
"Entspann dich! Guck mal, da unten ist unsere KA 8 und da der Flugplatz!" sagte Jens.
"Da hinten kann man das schöne Nordrhein Westfalen sehen und da drüben ist der Rhein!"

Markus stöhnte.
Jens grinste.

"Sei froh, dass du nicht bei dem da im Flugzeug sitzt!"
Jens zeigte auf ein Segelflugzeug, das gerade Loopings und Rollen um Längsachse machte.
"Voll die Draufgänger, die immer ausprobieren wollen 'was passiert wenn...' - zum Beispiel
Euro Münzen vom städtischen Fernsehturm werfen – oder schlimmer: Glasgetränkeflaschen aus einem Segelflugzeug über der Autobahn fallen lassen! Hat´s alles schon gegeben!"

Währenddessen sammelte neben dem Segelflugplatz ein Bauer mit dem Traktor seinen Mais vom Acker. Der Bauer wunderte sich, warum einige Pflanzen im wahrsten Sinne des Wortes 
"umgenietet" waren. Es sah aus, als ob ein Flugzeug darin notgelandet wäre. Aber was den Bauer am meisten wunderte, war, dass er einen durchsichtigen, glitzernden Kristall am Boden fand – etwa so lang wie ein Maiskolben. Der Kristall war eiskalt und lag neben einigen riesigen Abdrücken, die von Klauen stammen mussten. Er wusste nicht, dass diese von dem Drachen Pyrotakan waren. Die Spuren führten direkt zu einem Hangar am Flugplatzrand.

Als die Sonne schon tief stand, sagte Jens:
"Die Thermik ist bald weg. So Markus, weil es so schön war, machst DU jetzt die Landung! Nimm das Steuer in die Hand, ich sag dir Schritt für Schritt, was du tun musst!"
"Willst du mich verarschen? Ich kann kein Flugzeug landen!"
Jens erwiderte: "Ach wirklich?? Dann lernst du´s jetzt!"
Dann ließ er den Knüppel los und das Segelflugzeug ging vorn über in Sturzflugstellung!
Markus kreischte laut auf als er sah, wie die Erde auf sie zugebraust kam.

"Jetzt sei kein Weichei! Nimm das Steuer in die Hand. LOS JETZT!!"
Jens ließ immer noch die Arme verschränkt. Markus griff nach dem Knüppel.

"ABFANGEN, LOOOS!" drängte Jens.
Markus schloss die Augen und zog am Knüppel, in der Hoffnung, das Ende kurz und schmerzlos zu erleben. Sein Magen demonstrierte zornig und seine Eingeweide schienen schon lange verknotet zu sein.

"Fahrwerk ausfahren, die "speed brakes" auf 100 % stellen! Dazu musst du den grünen Hebel rausziehen und das kleine Rad zur Hälfte nach rechts schieben! Und vergewissere dich, dass das Fahrwerk auch verriegelt! Ich kenne jemanden aus Gernsbach, der hat ne Bauchlandung gemacht, weil das Bugfahrwerk nicht verriegelte..."
Markus tat es und tatsächlich: Das Segelflugzeug flog ruhig und stabil der Rollbahn entgegen.
"Siehst du, es geht doch! Jedes Baby kann so was. Flächen gerade im Horizont halten und langsam abfangen. So hat es mir mein Fluglehrer beigebracht, denn Angst macht wachsam!"
Hüpfend setzte das Flugzeug vor dem Hangar auf.
Markus war froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.

"Du Penner, ich hätte fast einen Herzinfarkt gekriegt. Mach das nie wieder!" sagte Markus zornig.
Jens grinste dreckig.

Der Flugleiter kam zu Jens und sagte: "Du musst noch deinen Start in das Formular eintragen, vor allem das Alter nicht vergessen."

Jens sagte:
"Ich bin 18 –  endlich! Und Markus ist heute 16 geworden."
"Aha – beide noch völlig grün hinter den Ohren! Die Landung machst du nächstes Mal nicht so wackelig!"
Jens nickte.
Eine Pilotin sagte zu den beiden:
"Ihr wart lang oben. Die anderen sind schon im Clubheim bei deiner Geburtstagsfeier, Markus!"
"Sag den anderen Bescheid. Wir schieben noch das Segelflugzeug in den Hangar, dann kommen wir gleich!" sagte Jens.
Die Pilotin nickte und ging wieder rein.
"Also los, Markus!" seufzte Jens und sie schoben den Flieger zum letzten Hangar am Platz.

Jens wollte das Tor aufmachen, da hörte er seltsame Geräusche im Hangar. Als ob ein großes Tier drin wäre. Klauen kratzten über den Betonboden und ein komisches Zischen war zu hören.
"Was ist da drin?" fragte Markus.
"Keine Ahnung." sagte Jens, schob den Riegel des Hangatores zur Seite und drückte an der Torflanke. Knarrend ging es ein Stück auf und sie quetschten sich durch den Spalt.
"Wer ist da?" fragte Jens. Die Stimme hallte wie ein Echo zurück.

Stille.

"Du bist wirklich nicht leicht zu finden, Markus!" sagte plötzlich eine zischende Stimme.
"WER IST DA!" fragte Jens noch mal ganz laut. Im Hangar war es stockfinster. Nur ein schmaler Lichtspalt der Abendröte fiel ein paar Meter weit hinein.
"Macht das Tor hinter euch zu und lasst das Licht aus!" sagte die Stimme ungeduldig.
Jens verschloss das Tor wieder. Zwei grüne Augen – große Augen – leuchteten in der Dunkelheit.
"Ich bin gekommen, um dich zu holen, Markus! Du wirst jetzt mit mir mitkommen!"
Jens schlich sich zur Wand an den Lichtschalter.
Markus fragte vorsichtig:
"WAS bist du und was willst du von mir?"
"Wenn du mich jetzt sehen würdest, dann würdest du schreiend davonrennen, kleiner Mensch. Das ist der einzige Platz hier weit und breit, wo ich vorerst unentdeckt bleibe. Ich habe den ganzen weiten Weg hierher nicht umsonst gemacht. Also..."
Jens drückte auf den Schalter und alle Leuchtstoffröhren an der Decke gingen an.
Er und Markus erstarrten.

Vor ihnen stand ein riesengroßer Drache und blickte Jens vorwurfsvoll an.
"Ich hab doch gesagt...!"  donnerte der Drache so laut, dass schon das Wellblech auf
dem Dach vibrierte.
Doch keiner von den beiden konnte wegrennen. Sie standen da wie eingefroren. Markus erkannte in den giftgrünen Augen des Drachen sein Spiegelbild, winzig und verloren.
"Die Sache geht nur Markus und mich was an. Aber du hast mich gesehen und Zeugen kann ich nun mal in eurer Welt nicht gebrauchen! Deshalb weiß ich jetzt auch, was ich mit dir mache!"
Der Drache grinste und streckte seine Klaue nach Jens aus...

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Währenddessen lief im Clubhaus die Party auf vollen Gängen.
"Wo stecken denn nur Markus und Jens wieder?" fragte sich ärgernd Markus' Vater.
"Wahrscheinlich fährt er wieder mit dem Fahrrad ohne Licht rum und wundert sich, wenn er Ärger kriegt!"
"Hatte er Probleme?" fragte einer der Piloten. Markus' Vater nickte:
"Ja, erst letzte Woche kriegte er Ärger. Er ist mit seinem Fahrrad ohne Licht in einer Straße von der Polizei angehalten worden. Na ja, die Sache wäre eigentlich ohne Probleme verlaufen. Da kam Dieter, ein stadtbekannter Alkoholiker, im Auto vorbeigefahren, sternhagelvoll wie tausend Mann und hielt neben dem Streifenwagen an. Er nahm Markus mit einigen gelallten Parolen in Schutz":

'Imma uf di Kleinschde! Wenn da Jung ohne Lichd faht, weila sisch keine deure Stecklichta  kaufe kann, kanni des verstee. Der arbeidet nämlich net als Beamda bei da Polizai, wora am Monadsend fürs rumfaulenze ne Stange Geld einstreicht!'

"Damit ging er wohl ein Stück zu weit, denn er wurde sofort von der Polizei zur Ausnüchterung "in Empfang" genommen, bekam eine saftige Geldstrafe und Führerscheinentzug, weil er mit 3,1 Promille auf Achse war! Tja, er hätte eben kleinere Brötchen backen sollen, anstatt ne dicke Lippe zu riskieren!"

"Ich geh mal zum Hangar und sehe nach, was los ist!" sagte eine Pilotin.
Sie ging zum Hangar, in dem immer noch das Licht brannte. Doch dieser war leer.
Nur einige krallenförmige Abdrücke aus Lehm waren auf dem Betonboden zu erkennen.
 

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Und schon geht es hier weiter zum 2. Kapitel: Drachenflug

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