Der Drache hob den Kopf, als Tim plötzlich
anfing laut zu lachen. Versehentlich war nämlich eine E-Mail, die
eigentlich an seinen Vater gerichtet war, bei ihm angekommen. Das kam ab
und zu mal vor, doch dieser Inhalt war wirklich heftig:
Hallo Peter,
sorry, dass ich Dir erst jetzt schreibe.
Ich weiß, wie viel Stress du gerade jetzt bei deiner Geschäftsreise
hast. Hat heute in meiner Firmenabteilung auch wieder länger gedauert,
weil wir vor Weihnachten immer so viel zu tun haben.
Wird höchste Zeit, dass uns der Chef
endlich das magere Gehalt aufs Bankkonto rüberschiebt. Was erlaubt
sich eigentlich dieser eingebildete Fatzke?!
Erst gestern sah ich ihn wieder in seinem
teuren Anzug mit den anderen feinen Pinkeln vom Vorstand bei einer seiner
zahllosen Konzernsitzungen.
Sein Stiefellecker Max hat gesagt, dass
das Weihnachtsgeld ab dem nächsten Jahr noch mehr gekürzt wird!
Aber das ist ja mal wieder typisch: Den
kleinen Angestellten und dem arbeitenden Volk werden immer höhere
Abzüge und Steuern aufgestraft, Bonzen und Wirtschaftskapitalisten
dagegen mit UNSEREM Steuergeld fettgefüttert! Wir Deutschen sollten
uns ein Beispiel an der französischen Revolution nehmen und endlich
den Bundestag stürmen!
Dass sich die Vorstandsbonzen zahlreicher
Konzerne trotz 'zwingend erforderlicher Sparmaßnahmen' wieder mal
das Gehalt um fast 30 Prozent (!) erhöhen, zeigt ja schon alles! Aber
keine Sorge - demnächst wird unsere Gewerkschaft mal andere Seiten
aufziehen!
Jetzt gehe ich erst mal zum Fitnesstraining
um mich nach diesem Arbeitstag abzureagieren ;-)
Das Geld für Deinen Bullerjan Kaminofen
bekommst Du gleich nächste Woche, wenn Du zurück bist!
Grüss mir Deinen Sohn Tim
- Jury
Ps.: Frohe Weihnachten!
Tim schickte seinem Vater noch schnell eine
Email zurück, das bei ihm zu Hause alles 'normal' sei und er sich
keine Sorgen zu machen brauche. Dann spielte er noch ein bisschen. Am liebsten
mochte er Abenteuerspiele oder Flugsimulation.
Gerade als Tim in 'IL2 Sturmovik' mit einer
JAK durch die Wolken jagte, fragte ihn Drakota, ob er es auch mal versuchen
könnte. Tim überließ dem Drachen natürlich gerne die
Kontrolle über das Flugzeug, was er aber gleich darauf bereute.
Da tut sich nichts an der Steuerung?!
"Weil du mit deinen Krallen gerade den Joystick
zerquetscht hast!" sagte Tim entrüstet.
Drakota öffnete seine schuppige Hand,
unter der ein zerquetschter Plastikhaufen zum Vorschein kam, die sich als
die Überreste des Steuergerätes erwiesen.
Hoppla!
Tim seufzte. Einen Drachen sollte man lieber
nicht an den Computer lassen!!
Als der Abend anrückte und es langsam
dunkel wurde, schaltete Tim seinen Fernseher an, den er in der hinteren
Zimmerecke hatte. Er wollte die Medien durchforsten, um etwas über
den Sturm herauszufinden. Kurz darauf wurde er in den 18.30 Uhr Nachrichten
fündig:
'Ein außergewöhnliches Wetterphänomen
wurde gestern aufgezeichnet. Innerhalb weniger Minuten fiel die Lufttemperatur
um 10 Grad. So etwas gab es im Schwarzwald seit dem Beginn der Wetteraufzeichnungen
noch nicht. Ein heftiger Schneesturm sorgte auf der A5 für zahlreiche
Verkehrsunfälle, bei denen Blechschäden in Millionenhöhe
entstanden. Und nun die Wettervorhersage für Samstag, den 23. Dezember:
Eine neue Kaltluftfront kommt von Frankreich
herüber und sorgt in Süddeutschland für Neuschnee und Temperaturen
im zweistelligen Minusbereich. Im Norden des Landes gibt es dagegen nur
leichtere Schneefälle. Hamburg: -5 Grad, leichter Schneefall. Berlin:
-3 Grad, überwiegend sonnig. Leipzig: -11 Grad, leichter Schneefall.
München: -16 Grad, heftiger Schneefall. Stuttgart: -18 Grad, heftiger
Schneefall.'
"Sieht so aus, als würde dieses Weihnachten
sehr, sehr weiß werden!" sagte Tim und schaltete den Fernseher aus.
Dann sah er den Drachen an, der sich wie eine Katze zusammengerollt hatte.
Er streichelte ihm über den Kopf.
Jedes Mal wenn er die Schuppen berührte,
kribbelte es in seinem Körper.
Seit er gestern Abend in diesen Schneesturm
geraten und von Drakota gerettet wurde, empfand Tim eine ganz besondere
Verbindung zu dem Drachen. Es war kein Zufall, dass sie sich begegnet waren,
das spürte Tim längst.
"Der Schwarzmagier kriegt dich nicht! Egal
was kommt, ich beschütze dich!" sagte Tim und es klang fast ein wenig
heroisch.
Das weiß ich, Kleiner! erwiderte der
Drache in Tims Gedanken.
Er setzte sich neben den Drachen und lehnte
sich an ihn.
Magier, Drache, Wetterphänomene...
In was für ein Weihnachtsfest bin ich da bloß hineingeraten.
Aber immerhin erlebe ich in diesem Kaff mal Abenteuer, dachte sich
Tim.
Wahnsinn! Ich habe einen Drachen!
Er kuschelte sich noch dichter an ihn, als
ihn die Müdigkeit überfiel. Morgen war immerhin schon der letzte
Tag vor Heiligabend und er hatte noch allerlei zu erledigen.
Tim hatte seit einigen Stunden Zahnschmerzen,
was ihn gewaltig störte. Auch seine Ohren kratzten höllisch.
Morgen früh will Frau Sellner auf den Weihnachtsmarkt gehen, aber
Tim glaubte nicht, dass er beim Doktor noch einen Termin kriegen würde.
"Das hat noch gefehlt. Erst Kopfschmerzen, Schnupfen und dann auch noch
Zahnschmerzen! Pünktlich zu Weihnachten!" fluchte Tim.
Das ist morgen vorbei, Kleiner. Vertrau
mir! sagte Drakota geheimnisvoll und deckte Tim liebevoll mit seinem
rechten Flügel zu.
Tim hatte einen eigenartigen Traum. Er betrat
einen großen weißen Tempel, dessen riesige Kuppel aus einer
Art Kristall bestand. Er konnte am Abendhimmel zwei riesige Monde erkennen.
Ein Mädchen mit Fellumhang und langen,
schneeweißen Haaren, das etwa in seinem Alter war, kam auf ihn zu.
Tim lief es eiskalt über den Rücken als er erkannte, dass sie
lange, spitze Ohren hatte und die Eckzähne eines Raubtieres.
"Sei gegrüßt, Menschenkind. Ich
bin Serenia, eine Elfe aus dem Hause Rytaros. Du befindest dich gerade
auf einer Traumreise in Eteo."
"Drakota und ich werden von einem Magier verfolgt!"
sagte Tim.
"Ich weiß. Er ist bei euch. Tim, du
musst den Drachen mit deinem Leben beschützen!" erwiderte das Elfenmädchen.
"Drakota kann schon ganz gut auf sich selbst
aufpassen."
"Das stimmt," sagte Serenia. "aber er kennt
sich in deiner Welt überhaupt nicht aus und genau das macht ihn schwach."
"Warum will der Schwarzmagier Drakota töten?"
fragte Tim.
"Weil er der Nachfahre des mächtigen
Drachen Trantor ist und ihm rechtmäßig das Ninateth-Gebirge
und das dahinter liegende Land zusteht. Der Schwarzmagier ist aber an genau
diesem Land interessiert, weil man dort magisches Schwarzerz fördern
kann, das bei Necromanten heiß begehrt ist. Es gibt noch eine Reihe
weiterer Gründe, weshalb Drakota für Necramor eine Gefahr darstellt.
Drakota kann bald zurückkehren, sobald
sich seine magische Energie regeneriert hat. In etwa sechs Tagen.
Tim, die Traumverbindung wird schwächer
und wir haben nicht viel Zeit zum Reden. Hör zu: Egal was kommt, beschütze
deinen Drachen mit deinem Leben!"
Vor Verwendung dieser
Autoren-EMail-Adresse bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM"
entfernen!
|