Heute war der 29. Dezember.
Noch zwei Tage und er würde mit seinem
Drachen zu den Sternen fliegen. Dies machte ihm aber auch ein bisschen
Angst, weil er schon zahlreiche schauerliche Geschichten über das
All gehört hatte. Zu Hause zu warten und nichts zu tun, machte ihm
aber noch mehr Sorgen.
Tim beschloss deshalb, sich gegen Mittag bei
jemandem schlau zu machen, der sich mit dem Weltall und der Raumfahrt auskannte.
Immerhin war so ein Flug - trotz Drachenmagie und Schutzzauber, die Drakota
erwähnte, nicht ganz ungefährlich.
Den ganzen Morgen hatte er den Drachen ausgefragt,
wie der Flug ablaufen wird, wie lange er dauert, wie es da oben ist, im
All... Der Drache musste es ja wissen.
Drakota erklärte Tim, dass er seine Magie
einsetzen wird, um das Tor nach Eteo zu öffnen. Dazu müssten
sie allerdings ins Weltall hinausfliegen, weil der Teleportationszauber
am besten im Vakuum funktionierte. Natürlich würde das ohne Magie
nicht funktionieren, da es im Weltall keinen Sauerstoff gab, und sie innerhalb
weniger Sekunden tot wären.
Tim verstand lange Zeit nur Bahnhof, da er
in der Schule wohl bei einigen Physikstunden gefehlt hatte...
Deshalb beschloss er kurzfristig bei dem Bruder
von Herr Sellner, der sich mit Astrologie und Raumfahrt auskannte, nachzufragen.
Der Professor wohnte am anderen Ende der Stadt, dort wo die Reichen und
die Bonzen ihre Villen hatten und hätte zur Weihnachtszeit sicher
die ein oder andere Stunde Zeit für ihn.
Es war früher Nachmittag, als Tim sein
Fahrrad in der Hofeinfahrt neben einem lichterkettenüberzogenen Tannenbaum
abstellte und klingelte.
Hoffentlich ist der Typ da. Übermorgen
ist ja schon Silvester! dachte sich Tim, während er sich die Nachbargrundstücke
ansah. Fast überall standen Luxuskarossen in den Hofeinfahrten, die
voller Marmorstatuen und Fischteiche waren.
Der eine hat´s eben, der andere nicht,
dachte sich Tim kopfschüttelnd.
Du hast auch was, was sonst keiner hat.
Ärgere dich nicht immer über andere Menschen, Kleiner, antwortete
Drakota in Tims Kopf.
Als er nach mehrmaligem Klingeln enttäuscht
gehen wollte, öffnete sich plötzlich knarrend die Tür einen
Spaltbreit.
"Hallo, wer da!?" rief Tim.
Eine krächzende Stimme kam aus dem hintersten
Winkel der Wohnung: "Komm nur rein, Junge. Du bist doch der kleine Tim,
nicht wahr?"
"Ich bin nicht mehr so klein!" rief Tim mit
einem Klang von Entrüstung in der Stimme, als er die Tür hinter
sich zuzog.
Hihihi, in der Bude fühlen sich Mäuse
sicher sehr wohl! Die Stimme in Tims Kopf war wieder die von seinem
Drachen, der ja mit Tims Augen mitsehen konnte.
Allerdings! erwiderte Tim.
Als Tim in das hinterste Zimmer kam, sah er
den Professor, der gerade an einem großen Schreibtisch hinter einem
Bücherstapel saß und anscheinend sehr beschäftigt war.
Er hatte schneeweiße Haare und eine dicke Brille mit runden Gläsern.
"Was verschafft mir die Ehre, bei meiner Arbeit
gestört zu werden?" fragte der Professor, ohne von seinem Schreibtisch
aufzublicken.
"Ähm, ich habe ein paar sehr wichtige
Fragen, und ihr Bruder sagte, dass sie mir weiterhelfen könnten. Es
geht um den Weltraum!"
Tim sah sich in den Zimmern um und erkannte,
dass sich der Professor sicherlich mit diesem Thema auskennen musste. An
der Wand hingen Sternenkarten, in einer Wandvitrine ein Roboter mit acht
Rädern.
Das musste wohl ein 1:1 Modell des Mars Rovers
sein, ein kleines ferngesteuertes Roboterauto, das zur Zeit den Roten Planeten
erforscht.
Vor dem großen Erkerfenster stand ein
großes Teleskop. Das Ding muss sehr teuer gewesen sein...
dachte sich Tim.
War es auch. Du kannst es am Geräusch
hören, wenn du es umschmeißt. Wetten? scherzte Drakota.
"Was genau willst du wissen?"
"Fachrichtung bemannte Raumfahrt!" antwortete
Tim.
Jetzt blickte der Professor von seinen Büchern
auf und sah Tim fragend an. Durch seine verstärkten Rundgläser
wirkten seine Augen fast doppelt so groß. Dann fing er plötzlich
laut an zu lachen. Er lachte, dass an dem kleinen Schreibtisch an der Wand
die Reagenzgläser in ihren Halterungen leicht zitterten.
"So - hahahaha!! So, du willst also wissen,
was man beachten muss, wenn man in den Weltraum fliegt!? Und DU willst
wissen, was man alles braucht?" fragte der Professor, immer noch kichernd.
Tim nickte.
Der Professor lachte wieder. "Ich wusste gar
nicht, dass du Astronaut werden willst! Du warst doch bis jetzt immer so
bodenständig, oder?"
"Ich muss für ein Schulprojekt ein Referat
über den Weltraum schreiben!" sagte er. Die Ausrede war für ihn
am nachvollziehbarsten.
"Ich kann dir so ziemlich alles erklären,
das mit den letzten 50 Weltraumjahren zu tun hat, aber ich habe hier sehr
viel zu tun. Also, ist es dir wirklich ernst?"
Tim nickte. "Ja, das ist es. Einiges weiß
ich schon. Der erste Satellit hieß Sputnik, der erste Mensch auf
dem Mond war Neil Armstrong, und so weiter. Aber viel wichtiger ist für
mich, was man braucht, wenn man beispielsweise - nun ja - selber rauf will."
"Nun", der Professor stand auf und stellte
sich vor ein großes Bücherregal, "man braucht im Weltall natürlich
Sauerstoff, das ist dir ja wohl klar."
Tim nickte.
"Aber der Sauerstoff ist das kleinste Problem.
Du brauchst einen Druckanzug, der dich vor den extremen Temperaturschwankungen
und dem Vakuum schützt. Wenn du von der Erde weg fliegst, zum Beispiel
in Richtung Mond, dann bist du nicht mehr im Magnetfeld der Erde, das dich
vor der elektromagnetischen Strahlung der Sonne schützt."
"Wie kalt ist es da oben?"
"Nun, das kommt ganz darauf an. Die Temperatur
kann ganz unterschiedlich sein. Von mehreren hundert Grad unter null, bis
mehreren tausend Grad. Je nachdem wie nahe man der Sonne kommt, oder ob
man sich im Schatten eines Planeten befindet, und so weiter. Hier im Orbit
ist aber am gefährlichsten der Weltraumschrott!"
"Schrott?" fragte Tim.
Es hörte sich so an, als wolle ihn der
Professor auf den Arm nehmen. Doch der nickte ernst.
"Schrott aus 50 Jahren Raumfahrt, der inzwischen
gefährlicher ist, als Sonnenwinde. Von Lacksplittern, ausgedienten
Satelliten bis hin zu abgebrannten Raketenstufen vergangener Missionen,
ist da oben schon ein richtiges Minenfeld entstanden!"
Der Professor zeigte Tim ein weiteres Bild.
Es zeigte die Erdkugel, die von tausenden kleiner Punkte umgeben war.
"Jeder dieser Punkte ist ein Stück Abfall
im All. Inzwischen sind es mehrere Millionen."
"Und warum soll das so gefährlich sein?"
fragte Tim.
"Stell dir mal ein Stück Weltraumschrott
in der Umlaufbahn vor, zum Beispiel ein Stück Metall, oder eine Schraubenmutter,
die mit 20000 Stundenkilometern in ein Raumschiff einschlägt... Nur
zum Vergleich: Eine Gewehrkugel erreicht zirka 3000 Kilometer pro Stunde!"
"Ich dachte, das Zeug verglüht irgendwann
wieder beim Wiedereintritt."
"Es kommt auf die Umlaufbahn an. Tote Satteliten
bleiben ewig oben, wenn sie eine hohe Umlaufbahn haben, weil ja nichts
da ist, was sie bremst. Bei Satelliten, die tiefer fliegen, wie beispielsweise
Wettersatelliten, ist das anders. Am Ende ihrer Lebensdauer, wenn ihnen
der Treibstoff ausgeht, werden sie von Luftresten am äußersten
Atmosphärenrand gebremst, bis die Anziehungskraft stärker wird
als ihre Fluchtgeschwindigkeit. Dann stürzen sie runter und verglühen."
"Kann man von Weltraumschrott getroffen werden?"
fragte Tim besorgt.
Der Professor lachte. "Das ist äußerst
unwahrscheinlich, da das meiste verglüht. Aber hin und wieder kommt
schon mal etwas durch. Allerdings ist die Chance im Lotto einen Volltreffer
zu erzielen viel höher! Viel gefährlicher ist ihre Radioaktivität.
Viele alte sowjetische Spionagesatelliten, die heute immer noch tot in
der Umlaufbahn kreisen, bezogen ihre Energie aus einem kleinen internen
Atomreaktor, der noch jahrtausende strahlen kann."
Tim nickte. "Aha!"
"Wenn du mehr wissen willst," der Professor
drückte Tim einen Stapel Bücher in die Hand, "dann lies dir das
durch. Darin wird so ziemlich alles erklärt. Aber wenn du auf den
ganzen außerirdischen E.T.-Mist scharf bist, dann musst du bei der
Stadtbücherei in der Comicabteilung suchen. So, aber jetzt muss ich
schon wieder weiterarbeiten."
Tim sah in einer Glasvitrine neben dem Schreibtisch
einige Pilze, die er nicht kannte. Sie hatten einen schwarzen Hut, mit
gelben Pickeln drauf. Sie mussten schon älter sein.
Ob die noch essbar sind? dachte sich
Tim.
Drakota meinte: Einmal mit Sicherheit!
Lass lieber die Finger weg, oder willst du uns beide am vorletzten Tag
noch vergiften?
"Warte, Tim!" sagte der Professor, als sich
Tim anschickte, zu gehen.
Er eilte in die Küche, kam mit einem
Karton zurück und stellte ihn auf den Wohnzimmertisch.
"Seit Jahren hebe ich das Zeug auf und wollte
es schon wegwerfen, aber da du heute unerwartet hier aufgetaucht bist..."
Der Professor öffnete den Karton und
holte mehrere Päckchen, einen kleinen Wasserschlauch und eine große
Spritze heraus. "Das ist Astronautenfutter." sagte er lachend und gab Tim
ein Päckchen. "Vor Jahren war das mal der absolute Schrei, heute kriegt
man das kaum noch zu kaufen."
"Wie isst man das?" Tim sah sich die Plastikbeutel
an. Das Innere war total hart.
Der Professor zeigte Tim die Spritze. "Du
füllst mit der Spritze über den Schlauch Wasser in die Beutel,
wartest ein paar Minuten, dann kannst du es ausschlürfen. Denke daran:
Da oben gibt es ja keine Schwerkraft!"
"Wie alt ist das Zeug eigentlich? Kann man
das noch essen?"
"Ja, da es kein Wasser enthält, ist es
sehr lange haltbar. Angeblich zehn Jahre."
Tim betrachtete misstrauisch die Päckchen.
"Vielen Dank! Ich nehme sie mal mit."
Beim Verlassen des Anwesens schalteten sich
die Weihnachtsbeleuchtungen an, da es schon wieder dämmerte.
Wintertage waren sehr kurz. Tim fuhr auf dem
Fahrrad aus der Einfahrt heraus, zu sich nach Hause. Auf dem Weg sah er
sich immer wieder nach dem Schwarzmagier um.
Er dachte an das Astronautenfutter in seinem
Fahrradkorb. Wenigstens kann das Zeug nicht hartfrieren, denn das ist
es ja schon!
Dann blickte er hoch zum Sternenhimmel und
hörte die Stimme des Drachens in seinem Kopf:
Ja, bald geht es dorthin, Kleiner!
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