Dünner Nebel zog über die Wiesen
und die Sonne kam über die Berge, als am Morgen darauf zwei Luftschiffe
in Sky Haven eintrafen. Akarian und Mirinur waren schon längst wach
und putzten ihre Schwerter. Rafael und Elsyria krochen unter den Flügeln
ihrer Drachen hervor, als das Luftschiff "Pandora" an dem rechten Hangar
andockte. Es waren die Luftschiffe von der Gilde*
der freien Händler, die Lebensmittel, Gewürze, Gold und Edelsteine
durch die Welt transportierten. Sie arbeiteten stark mit den Drachenreitern
zusammen, denn es war eine der schnellsten Möglichkeiten, Nachrichten
zwischen den Ländereien auszutauschen.
Sky Haven war auch ein Handels- und Warenumschlagplatz.
Von Elendul, dem "Skipper"* der Pandora, erfuhren
die Drachenreiter, dass Nemesar wieder ein Dorf an der Grenze zu Ost-Dracania
zerstört hatte. Seine Armee wird inzwischen auf 100.000 Mann geschätzt.
"Oh, so ne Kacke!" fluchte Elsyria. "Es wird
höchste Zeit, da einzugreifen. Morgen will Nemesar das Dimensionstor
öffnen."
"Sind wir soweit, um aufzubrechen?" fragten
die Drachen.
"Wir können!" sagte Mirinur, der schon
auf Feuerflügel saß. Lässig stieß er sich von der
Erde ab und flog in Richtung Dark´s Klamm.
"Viel Glück bei eurer Mission!" rief
Elendul, als auch Rafael und Elsyria mit ihren Drachen starteten. Akarian
kam hinterher.
Rafael blickte zurück zu den zwei Luftschiffen.
Dann stiegen sie höher und höher, bis über die Wolken. Ein
atemberaubender Blick eröffnete sich den vier Drachenreitern. Die
Wolken leuchteten in der Frühsonne in allen Farben des Regenbogens.
Rafael holte seine Kamera aus seinem Rucksack und schoss eifrig Bilder.
Elsyria genoss den Flug. Mit ausgebreiteten Armen saß sie auf dem
Drachen, als sie über die Wolken streiften. Unter ihnen zogen sich
Täler, Flüsse, Hügel und jede menge Dörfer. Gegen Mittag
machten sie Pause auf einem Hügel. Stundenlanges Fliegen auf einem
Drachen kann nämlich ganz schön müde machen. Sie grillten
sich am Feuer etwas, das mal ein achtfüßiges, fast 50 cm großes
Tier gewesen war.
"Köstlich!" schmatzte Akarian. Rafael
und Elsyria kosteten misstrauisch an dem gebratenen Fleisch.
"Das ist eben der Vorteil, wenn man mit einem
Drachen unterwegs ist," sagte Rafael, während er noch Holz aufs Feuer
legte, "man braucht nicht an Streichhölzer zu denken!"
Mirinur lachte. "Ja genau, aber nicht jede
Drachenart kann Feuer speien. Sarus, zum Beispiel, ist ein schwarzer Bergdrache.
Er kann Säure spucken, die so aggressiv ist, dass sie innerhalb Sekunden
rostfreien Stahl angreift. Oder Eis, oder Wasserdampf, oder magische Blitze.
Doch die meisten Drachen spucken Feuer. Jede Verteidigungsart eines Drachen
hat im Kampf einen bestimmten Vorteil."
Draku sagte: "Jede Verteidigungsart hat im
Kampf seine Vorteile, aber auch im normalen Leben. Ich will euch eine kleine
Drachengeschichte erzählen:
Es war einmal ein Schwarzer Bergdrache, der
mit einer von Nemesars magischen Pfeilen abgeschossen und gefangengenommen
wurde. Im Kerker lachten ihn die Feuerdrachen aus, weil er keine Flammen
speien konnte. Doch eines Nachts, als die Wachen längst vor dem Kerker
eingeschlafen waren, sabberte er seine Säure auf das Gitter. So konnten
alle Drachen entkommen, weil Nemesar sich nicht mit den Drachenarten auskannte.
Er wusste nur über ihr Feuer, deswegen waren die Gitterstäbe
auch aus feuerfestem Spezialstahl, doch Säure widerstanden sie nicht.
Und so bekam auch der schwarze Drache das
goldene Drachenamulett. Das ist zwar schon 40 Dracania-Jahre her (etwa
200 Erdenjahre), doch die Geschichte sprach sich im ganzen Land herum.
Der schwarze Drache wurde berühmt."
Ta´Rakan, Mondkralle, Feuerflügel
und die Drachenreiter staunten.
"Wir sollten jetzt weiter," sagte Mirinur,
"bis zu Nemesars Burg sind es noch knapp sieben Flugstunden."
Mondkralle nickte. "Du hast recht."
Als alle Drachenreiter aufgestiegen waren,
schwangen sich die Drachen in den Himmel. Dass die Dracania-Tage länger
waren, als auf der Erde, merkt man am Kreislauf sehr schnell, wenn man
nicht von Dracania stammt. Erst nach Monaten hat man sich daran gewöhnt.
Rafael meinte: "Es ist schon schwierig genug,
sich Sommer- und Winterzeit im Körperkreislauf in unserer Welt einzuprägen.
Es gibt viele Menschen, die damit ernste Probleme haben, wenn jedes halbe
Jahr eine Stunde geändert wird!"
"Da vorne liegt wieder ein Gebirge," rief
Draku dazwischen,"wir müssen höher, haltet euch fest!" Die Drachenreiter
klammerten sich an die Zacken ihrer Drachen. Der Wind drückte an ihre
Flügel. "Das ist ein Wellen-Aufwind, gut Festhalten!" Durch das Schütteln
hämmerten Rafael plötzlich wieder die Erinnerungen des Flugzeugabsturzes
durch den Schädel.
"Alles in Ordnung?" fragte Mondkralle per
Gedankenübertragung.
"Ich hatte nur wieder die Absturzerinnerung,
das hat sich wohl für immer in mein Gedächtnis eingebrannt!"
erwiderte Rafael. Elsyria schien es gut verdaut zu haben. Das ist eben
bei jedem Menschen verschieden. "Ziemlich schizophren, dass die Menschen,
die eine schreckliche fliegerische Erinnerung von Kindheit an haben, den
meisten Spaß später an der Fliegerei bekommen. Unsere Eltern
stürzten mit dem Motorsegler ab, als wir noch Kleinkinder waren."
sagte Rafael.
"Seitdem kümmerten sich die Maiers um
uns, die mittlerweile nicht mehr glauben, dass wir noch am Leben sind."
Elsyria sagte: "Rafael, das ist auch gut so.
Die sollen sich ruhig mal etwas Sorgen um uns machen!"
Doch Rafael sagte: "Spätestens morgen
machen sie sich Sorgen. Aber nicht um uns, sondern um die Goblinarmee!"
"Das wird heute eine lange Nacht!" zischte
Draku. "Von Nemesars Schergen sollte mir dann keiner über den Weg
laufen."
Einen Drachen wütend zu machen, ist wahrscheinlich
der schlimmste Fehler, den ein Mensch begehen kann (und meistens auch sein
letzter).
Die Landschaft unter ihnen wurde immer üppiger,
bis es fast nur noch Steine und Felsen waren.
"Bald kommt die Grenze", sagte Ta´Rakan,
"dann müssen wir uns einen Landeplatz suchen!"
Ein rotes Leuchten am Himmel unter den schwarzen
Wolken kündigte an, dass sie Nemesars Grenze immer näher kamen.
"Erinnert mich irgendwie an die Geschichte
"Crimson* Skies." Da sieht die Landschaft auch
so aus", murmelte Elsyria.
Die Luft stank nach Schwefel und Vulkanketten
spuckten Lava an den Hängen hinunter. Dann tauchte plötzlich
hinter ein paar Bergen die Festung von Nemesar auf. Die Burg war so riesig
wie eine Großstadt und unzählige Türme waren ringsherum
platziert. Die Festung selbst war etwa 200 Meter hoch. Der Hauptturm in
der Mitte, von dem Rafael und Elsyria abspringen wollten, war noch mal
300 Meter hoch. Der Bergfried* hatte am oberen
Ende die Form einer ovalen Kugel.
Die Drachen landeten auf einem Berghang, in
gebührendem Abstand von der Mauer, die sich vor dem Schlosshof befand.
Sie war mindestens 50 Meter hoch.
"Da müssen wir als erstes durch!" sagte
Rafael, als er durch sein Fernglas das Tor betrachtete. "Oh, kacke Mann!
Dagegen war die Berliner Mauer nur ein kleiner Gartenzaun. Sieh dir das
mal an!" Er gab Elsyria das Fernglas.
"Da sind überall Minen und Selbstschussvorrichtungen,"
sagte sie, während sie die Umgebung betrachtete. "Magische Brandpfeilgeschosse
und Treibsand. Das kann ja was werden!"
"Ok. Besprechen wir die Lage!" rief Mirinur.
"Die Drachen warten hier und halten Ausschau. Wir gehen jetzt zusammen
da runter, schleichen uns durch das Minenfeld an das Tor, sehen zu, dass
wir unbehelligt durchkommen und dann ab zur Festung. Ab da trennen sich
unsere Wege."
Rafael holte seine Karte aus dem Rucksack
und gab sie Mirinur.
"Wenn wir bei der Festung angekommen sind,
gehen Rafael und Elsyria auf den Turm und "besuchen" Nemesar. Wenn Du den
Drachenstein hast, Rafael, dann feure mit der Leuchtpistole eine Leuchtkugel
ab, damit wir unten wissen, dass wir verschwinden können!" Mirinur
zeigte auf Akarian. "Und wir beide befreien die anderen!"
*
Gilde |
= Zusammenschluss von Händlern |
Skipper |
= Kapitän |
Crimson |
= (engl.) Karmesinrot / Puterrot |
Bergfried |
= Hauptturm einer Burg |
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