Dracania von Tobias Wagner
VIII
Aufbruch nach Darks Klamm

Dünner Nebel zog über die Wiesen und die Sonne kam über die Berge, als am Morgen darauf zwei Luftschiffe in Sky Haven eintrafen. Akarian und Mirinur waren schon längst wach und putzten ihre Schwerter. Rafael und Elsyria krochen unter den Flügeln ihrer Drachen hervor, als das Luftschiff "Pandora" an dem rechten Hangar andockte. Es waren die Luftschiffe von der Gilde* der freien Händler, die Lebensmittel, Gewürze, Gold und Edelsteine durch die Welt transportierten. Sie arbeiteten stark mit den Drachenreitern zusammen, denn es war eine der schnellsten Möglichkeiten, Nachrichten zwischen den Ländereien auszutauschen.

Sky Haven war auch ein Handels- und Warenumschlagplatz. Von Elendul, dem "Skipper"* der Pandora, erfuhren die Drachenreiter, dass Nemesar wieder ein Dorf an der Grenze zu Ost-Dracania zerstört hatte. Seine Armee wird inzwischen auf 100.000 Mann geschätzt.
"Oh, so ne Kacke!" fluchte Elsyria. "Es wird höchste Zeit, da einzugreifen. Morgen will Nemesar das Dimensionstor öffnen."
"Sind wir soweit, um aufzubrechen?" fragten die Drachen.
"Wir können!" sagte Mirinur, der schon auf Feuerflügel saß. Lässig stieß er sich von der Erde ab und flog in Richtung Dark´s Klamm.
"Viel Glück bei eurer Mission!" rief Elendul, als auch Rafael und Elsyria mit ihren Drachen starteten. Akarian kam hinterher.
Rafael blickte zurück zu den zwei Luftschiffen. Dann stiegen sie höher und höher, bis über die Wolken. Ein atemberaubender Blick eröffnete sich den vier Drachenreitern. Die Wolken leuchteten in der Frühsonne in allen Farben des Regenbogens. Rafael holte seine Kamera aus seinem Rucksack und schoss eifrig Bilder. Elsyria genoss den Flug. Mit ausgebreiteten Armen saß sie auf dem Drachen, als sie über die Wolken streiften. Unter ihnen zogen sich Täler, Flüsse, Hügel und jede menge Dörfer. Gegen Mittag machten sie Pause auf einem Hügel. Stundenlanges Fliegen auf einem Drachen kann nämlich ganz schön müde machen. Sie grillten sich am Feuer etwas, das mal ein achtfüßiges, fast 50 cm großes Tier gewesen war.
"Köstlich!" schmatzte Akarian. Rafael und Elsyria kosteten misstrauisch an dem gebratenen Fleisch.
"Das ist eben der Vorteil, wenn man mit einem Drachen unterwegs ist," sagte Rafael, während er noch Holz aufs Feuer legte, "man braucht nicht an Streichhölzer zu denken!"
Mirinur lachte. "Ja genau, aber nicht jede Drachenart kann Feuer speien. Sarus, zum Beispiel, ist ein schwarzer Bergdrache. Er kann Säure spucken, die so aggressiv ist, dass sie innerhalb Sekunden rostfreien Stahl angreift. Oder Eis, oder Wasserdampf, oder magische Blitze. Doch die meisten Drachen spucken Feuer. Jede Verteidigungsart eines Drachen hat im Kampf einen bestimmten Vorteil."
Draku sagte: "Jede Verteidigungsart hat im Kampf seine Vorteile, aber auch im normalen Leben. Ich will euch eine kleine Drachengeschichte erzählen:
Es war einmal ein Schwarzer Bergdrache, der mit einer von Nemesars magischen Pfeilen abgeschossen und gefangengenommen wurde. Im Kerker lachten ihn die Feuerdrachen aus, weil er keine Flammen speien konnte. Doch eines Nachts, als die Wachen längst vor dem Kerker eingeschlafen waren, sabberte er seine Säure auf das Gitter. So konnten alle Drachen entkommen, weil Nemesar sich nicht mit den Drachenarten auskannte. Er wusste nur über ihr Feuer, deswegen waren die Gitterstäbe auch aus feuerfestem Spezialstahl, doch Säure widerstanden sie nicht.
Und so bekam auch der schwarze Drache das goldene Drachenamulett. Das ist zwar schon 40 Dracania-Jahre her (etwa 200 Erdenjahre), doch die Geschichte sprach sich im ganzen Land herum. Der schwarze Drache wurde berühmt."
Ta´Rakan, Mondkralle, Feuerflügel und die Drachenreiter staunten.
"Wir sollten jetzt weiter," sagte Mirinur, "bis zu Nemesars Burg sind es noch knapp sieben Flugstunden."
Mondkralle nickte. "Du hast recht."
Als alle Drachenreiter aufgestiegen waren, schwangen sich die Drachen in den Himmel. Dass die Dracania-Tage länger waren, als auf der Erde, merkt man am Kreislauf sehr schnell, wenn man nicht von Dracania stammt. Erst nach Monaten hat man sich daran gewöhnt.
Rafael meinte: "Es ist schon schwierig genug, sich Sommer- und Winterzeit im Körperkreislauf in unserer Welt einzuprägen. Es gibt viele Menschen, die damit ernste Probleme haben, wenn jedes halbe Jahr eine Stunde geändert wird!"
"Da vorne liegt wieder ein Gebirge," rief Draku dazwischen,"wir müssen höher, haltet euch fest!" Die Drachenreiter klammerten sich an die Zacken ihrer Drachen. Der Wind drückte an ihre Flügel. "Das ist ein Wellen-Aufwind, gut Festhalten!" Durch das Schütteln hämmerten Rafael plötzlich wieder die Erinnerungen des Flugzeugabsturzes durch den Schädel.
"Alles in Ordnung?" fragte Mondkralle per Gedankenübertragung.
"Ich hatte nur wieder die Absturzerinnerung, das hat sich wohl für immer in mein Gedächtnis eingebrannt!" erwiderte Rafael. Elsyria schien es gut verdaut zu haben. Das ist eben bei jedem Menschen verschieden. "Ziemlich schizophren, dass die Menschen, die eine schreckliche fliegerische Erinnerung von Kindheit an haben, den meisten Spaß später an der Fliegerei bekommen. Unsere Eltern stürzten mit dem Motorsegler ab, als wir noch Kleinkinder waren." sagte Rafael.
"Seitdem kümmerten sich die Maiers um uns, die mittlerweile nicht mehr glauben, dass wir noch am Leben sind."
Elsyria sagte: "Rafael, das ist auch gut so. Die sollen sich ruhig mal etwas Sorgen um uns machen!"
Doch Rafael sagte: "Spätestens morgen machen sie sich Sorgen. Aber nicht um uns, sondern um die Goblinarmee!"
"Das wird heute eine lange Nacht!" zischte Draku. "Von Nemesars Schergen sollte mir dann keiner über den Weg laufen."
Einen Drachen wütend zu machen, ist wahrscheinlich der schlimmste Fehler, den ein Mensch begehen kann (und meistens auch sein letzter).

Die Landschaft unter ihnen wurde immer üppiger, bis es fast nur noch Steine und Felsen waren.
"Bald kommt die Grenze", sagte Ta´Rakan, "dann müssen wir uns einen Landeplatz suchen!"
Ein rotes Leuchten am Himmel unter den schwarzen Wolken kündigte an, dass sie Nemesars Grenze immer näher kamen.
"Erinnert mich irgendwie an die Geschichte "Crimson* Skies." Da sieht die Landschaft auch so aus", murmelte Elsyria.
Die Luft stank nach Schwefel und Vulkanketten spuckten Lava an den Hängen hinunter. Dann tauchte plötzlich hinter ein paar Bergen die Festung von Nemesar auf. Die Burg war so riesig wie eine Großstadt und unzählige Türme waren ringsherum platziert. Die Festung selbst war etwa 200 Meter hoch. Der Hauptturm in der Mitte, von dem Rafael und Elsyria abspringen wollten, war noch mal 300 Meter hoch. Der Bergfried* hatte am oberen Ende die Form einer ovalen Kugel.
Die Drachen landeten auf einem Berghang, in gebührendem Abstand von der Mauer, die sich vor dem Schlosshof befand. Sie war mindestens 50 Meter hoch.
"Da müssen wir als erstes durch!" sagte Rafael, als er durch sein Fernglas das Tor betrachtete. "Oh, kacke Mann! Dagegen war die Berliner Mauer nur ein kleiner Gartenzaun. Sieh dir das mal an!" Er gab Elsyria das Fernglas.
"Da sind überall Minen und Selbstschussvorrichtungen," sagte sie, während sie die Umgebung betrachtete. "Magische Brandpfeilgeschosse und Treibsand. Das kann ja was werden!"
"Ok. Besprechen wir die Lage!" rief Mirinur. "Die Drachen warten hier und halten Ausschau. Wir gehen jetzt zusammen da runter, schleichen uns durch das Minenfeld an das Tor, sehen zu, dass wir unbehelligt durchkommen und dann ab zur Festung. Ab da trennen sich unsere Wege."
Rafael holte seine Karte aus dem Rucksack und gab sie Mirinur.
"Wenn wir bei der Festung angekommen sind, gehen Rafael und Elsyria auf den Turm und "besuchen" Nemesar. Wenn Du den Drachenstein hast, Rafael, dann feure mit der Leuchtpistole eine Leuchtkugel ab, damit wir unten wissen, dass wir verschwinden können!" Mirinur zeigte auf Akarian. "Und wir beide befreien die anderen!"

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Gilde
= Zusammenschluss von Händlern
Skipper = Kapitän
Crimson = (engl.) Karmesinrot / Puterrot
Bergfried = Hauptturm einer Burg

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Und schon geht's weiter zum 9. Kapitel: Rettungsaktion

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