Nur langsam zog sich der überladene Karren durch die schlammige
Straße. Die beiden ausgemergelten Zugochsen unter dem schweren Joch
schnauften empört. Ihre von Peitschenhieben zerfetzte, und von Schweiß
durchnäßte Haut glänzte im Schein der untergehenden Sonne.
Unzählige Fliegen surrten um die völlig erschöpften Tiere
und nur das mühselige Fächern ihrer breiten Ohren wehrte den
immer wiederkehrenden Ansturm der lästigen Insekten ab. Schaum tropfte
von ihren offenen Mäulern auf den nahezu unpassierbaren Weg. Doch
ihr Herr trieb sie gnadenlos voran.
Der kleine Karren besaß vier breite Holzräder. Mit Metall
beschlagen, quietschten sie erbärmlich als sie sich mühsam um
die eigene Achse drehten. Trotz des knöcheltiefen Morast, der jegliches
Vorwärtskommen erschwerte.
Den Großteil des schaukelnden Wagens bildete ein kleiner Wohnraum.
Behelfsmäßig hatte sein Besitzer aus dem ehemaligen Lastkarren
eine fahrende Behausung geschaffen, die sogar mit einem Dach aus löchrigen
Tierfellen versehen war. Eine schmutzige Öllampe baumelte an den Fellresten
und schlug dumpf gegen die Seitenwand.
Die Gestalt auf dem schwankenden Bock hielt die ledernen Zügel
leicht umklammert. Sie würdigte der eintretenden Dämmerung und
der dschungelähnlichen Umgebung keinen Blick. Das faltige Gesicht
unter der pechschwarzen Kapuze richtete sich stur geradeaus.
Allmählich rieselten die ersten Regentropfen von dem bewölkten
Himmel auf den einsamen Reisenden nieder. Die rosigen Zungen der Ochsen
leckten gierig ihre feuchten Nasen als der Regen immer fester auf die Erde
prasselte. Rasch bildeten sich Pfützen und der unlängst matschige
Weg verwandelte sich in einen schlammigen Sumpf.
Die großen Blätter der gewaltigen Dschungelpflanzen am
Wegrand wogen seicht im leichten Wind. Träge platschten die dicken
Wassertropfen auf ihre kelchförmigen Blüten. Der warme Sommerregen
hatte seinen Höhepunkt erreicht.
Die Gestalt auf dem Kutschbock zog den Saum der dunklen Kapuze enger.
Murmelnd verfluchte sie die feuchte Naturgewalt und spie angewidert in
den blubbernden Straßengraben.
Fingergroße Libellen, gepanzert in ihren lila und gelb glänzenden
Chitinpanzern, schwirrten vereinzelt vor dem Karren über die Straße
und suchten Schutz unter den fleischigen Riesenblättern der mannshohen
Pflanzen.
Ein Wegschild materialisierte sich in einiger Entfernung und ragte
warnend zwischen der Vegetation hervor.
Die blauen Augen der eingehüllten Gestalt nahmen nur kurz Notiz,
dann senkte sich ihr Blick wieder auf die Straße. Noch drei Meilen
bis Chrenopeiás. Im Vorbeifahren nahmen ihre Augenwinkel noch den
kleinen Tierschädel wahr, der, mit geöffnetem Kiefer, auf das
Schild genagelt war.
Die ersten Sterne funkelten bereits am klaren Himmel, als der holpernde
Karren das kleine Dorf erreichte. Der abendliche Schauer war vorüber,
die warme Erde dampfte. Bunte Laternen, aufgehängt an den Blättern
der großen Berberopflanzen, beleuchteten den Weg ins Innere Chrenopeiás.
Vereinzelte Pilze, einige so groß, daß sie den Ochsen bis zum
Nacken reichten, drängten sich zwischen den zahlreichen Farnen und
Orchideenstauden.
Schnaufend zogen die gepeinigten Lasttiere den Karren an den vielen
kleinen Bambushütten vorbei. Erst einige hundert Schritt später
zügelte die Gestalt die Ochsen zum Halt. Niemand empfing sie. Kein
Dorfbewohner hatte seine Hütte verlassen. Nur das heisere Rufen mehrerer
Sumpfeulen erklang aus der eintretenden Finsternis. Blauschimmernde Leuchtkäfer
surrten um die nasse Kapuze des Reisenden, der vorsichtig von seinem Bock
herunter kletterte. Der Saum seiner schwarzen Robe landete unwillkürlich
im aufspritzenden Schlamm, als er zielstrebig auf die Taverne Chrenopeiás
zusteuerte. La Mico Scorpio stand auf einem vermoderten Banner geschrieben,
das sich behäbig im abendlichen Wind aufblähte.
„Der Gelbe Skorpion„, flüsterte die Gestalt und nickte unmerklich.
Als hochintelligenter, gebildeter Magier war ihm die Landessprache
des Namenlosen Reichs geläufig. Obwohl Bastahn in seiner Heimat
dem Kaiserreich Nyrmillia weithin unbekannt war, so hatte er doch auf seinen
Reisen die Sprache der Barbaren und der unabhängigen, selbsternannten
Königsnation gemeistert.
Die Taverne war nach dem furchteinflößendsten Tier des
Namenlosen Reichs benannt worden. Das gelbliche, faustgroße extrem
giftige Tier war das tödlichste seiner Art. Ein Stich des gekrümmten
Schwanzstachels reichte aus um einen Troll innerhalb von Sekunden in die
Sphäre des Todes zu schicken.
Kaum hatte die Gestalt die Treppe zur Taverne betreten, als ein
kleiner Junge ängstlich in die Dunkelheit tappte.
„S..S..Soll ich Eure Ochsen pflegen, Herr? Es kostet Euch nicht
viel und im Stall ist eine Menge Platz.„
Die unterwürfige Haltung des verschmutzten Stallburschen ließen
die faltigen Mundwinkel des Magiers zucken. Tonlos reichte er ihm einen
Silberling und trat, an ihm vorbei, in die schwach beleuchtete Taverne.
Der Schankraum des Gelben Skorpions war spärlich besetzt.
Fünf söldnergleiche Männer saßen grölend an einem
stark abgenutzten Rundtisch in der Ecke. Ihre Helme hatten sie vor sich
abgelegt. Im Schein des prasselnden Herdfeuers blitzten ihre an der Wand
angelehnten Klingen auf. Die rauflustige Horde hatte sich dem Shak gewidmet.
Jenem gewinnbringenden Würfelspiel, welches in nahezu ganz Amberlonia
gepflegt wurde. Soeben würfelte der Lauteste von ihnen, ein grobschlächtiger,
glatzköpfiger Hüne in abgetragener Lederrüstung, einen Kaiser.
Alle fünf Würfel zeigten ihr höchstes Symbol. Den roten
Feuerdrachen, die Rune Tod, sechs Schwerter, sechs Schädel, sowie
sechs Sterne. Unter dem Protest seiner Mitstreiter langte der Riese nach
seinem Gewinn. Zweiundzwanzig Silberstücke.
Als der Magier an ihm vorbeitrat blickte er kurz auf. Seine linke
Gesichtshälfte war von einer schrecklichen Narbe entstellt. Seine
linke Augenhöhle zugewachsen.
Mit einem fadenscheinigen Gruß in Richtung Theke gesellte
sich der Magier zu einer abseits sitzenden Gestalt in der gegenüberliegenden
Ecke.
Die ebenfalls mit einer uneinsichtigen, dunklen Kapuze verhüllte
Gestalt sah bedächtig auf. Bevor sie einen Gruß aussprechen
konnte, trat ein stämmiger Halbling an den Tisch heran und hielt seine
kräftige Pranke vor die Nase des Magiers.
„Die Erzdämonen seien mit Euch, Meister Hakon. Wir haben Euch
bereits vor Sonnenuntergang erwartet. Gab es Probleme? Die Barbaren sicherten
uns freien Weg.„
Der Angesprochene ignorierte bewußt die ihm angebotene Hand.
Sein stechender Blick richtete sich auf das bärtige Gesicht des muskulösen
Dunkelzwergs. Der silbergraue Bart und das wallende lange Haar hatte er
zu mehreren dünnen Zöpfen geflochten. Seine für Zwerge typisch
große Knollnase und seine wachsamen großen Augen ließen
den Magier unbeeindruckt. Lediglich die mit Runen versehene Mithrilplatte
und das im Kampfgurt steckende Beil flößten ihm Respekt ein.
„Möge Euch Murandiel Kraft geben, werter Etox Eisenhaar.„
Verwundert über den förmlichen Gruß zog der Dunkelzwerg
seine Hand zurück.
„Ich hoffe Ihr hattet eine bequeme Reise„, räusperte er sich.
Verlegen blickte er zu seinem Herrn, dessen Kopfnicken ihn entließ.
„Ich gehe nach Eurem Wagen schauen, Meister Hakon.„
„Das ist nicht nötig, Hauptmann„, unterbrach ihn der Magier.
Mit erhobener Hand ließ er den Dunkelzwerg verharren, der nun unschlüssig
von ihm zu seinem Herrn hinübersah.
„Warum vergnügt Ihr Euch nicht mit den Söldnern aus Gore?„,
erklang die melodische Stimme des anderen. „Meister Hakon und ich haben
noch einiges zu besprechen, bevor Großmeister Deggerdan zu uns stößt.„
„Wie Ihr wünscht, Meister Thorkar.„ Als dann ließ Hauptmann
Eisenhaar die beiden Männer allein.
„Ich grüße Euch, Meister Hakon. Endlich begegnen wir uns
wieder. Seid meiner Nachricht im vergangenen Herbst habe ich nichts mehr
von Euch vernommen.„ Die weiche Stimme schien unpassend. Ebenso wie Meister
Hakon, trug auch Meister Thorkar sein Gesicht unter einer schwarzen Kapuze
verborgen. Thorkar war Hakon kein Unbekannter. Er kannte den dunkelhäutigen
Meister des finsteren Ordens als dieser noch ein Adept der schwarzen Künste
war. Sein kahles Haupt und sein jugendliches Aussehen hatte er noch im
fortgeschrittenen Alter beibehalten.
„Ich grüße Euch, Meister Thorkar. Wie mir scheint habt
Ihr Euch schon auf einen längeren Aufenthalt vorbereitet?„
Der Magier machte ein Zeichen mit seiner dunklen Hand. „Ihr braucht
Euch um nichts zu sorgen, Meister Hakon. Hauptmann Eisenhaar hat bereits
drei Zimmer reserviert. Proviant und Zugtiere stehen zum Abruf bereit.
Wir warten lediglich auf den Erzmagier.„
Raul Hakon zog seine Kapuze zurück. Das runzelige, faltige
Haupt wurde nur von einem spärlichen, weißen Haarwuchs geziert.
Sein raubvogelartiges Gesicht wies einen dünnen Bart auf, der bis
unter seinem Kinn zu einem Strang zusammenlief. Seine klaren Augen lugte
unter den wulstigen Lidern hervor und sein nahezu zahnloser Mund verzog
sich zu einem Grinsen.
„Ich freue mich, Euch so vorbereitet vorzufinden. Ich habe mich
nicht in Euch getäuscht.„ „Wurdet Ihr jemals von einem unseres Ordens
enttäuscht, Meister Hakon?„
Hakon schüttelte sein greisenhaftes Haupt. „Nein, niemals.
Aber es freut mich, Euch mit der selben Begeisterung anzutreffen, wie ich
sie verspüre.„
Nun entblößte Rune Thorkar sein kahles Haupt. Die dunkelbraunen
Auges des Schwarzmagiers musterten Hakons leuchtenden Blick. Einem Neger,
wie der Volksmund die Wilden Amberlonias bezeichnete, hatte Hakon sonst
nie gegenüber gesessen.
„Ich hoffe, Meister Hakon, daß Eure Vorbereitungen ebenso planvoll
verlaufen sind. Euch obliegt es die seltenen Ingredienzen bereit zu halten.„
Hakon nickte. „Ich habe an alles gedacht.„
„Und das Opfer?„ „Bringt Großmeister Deggerdan.„
Thorkars Augen verzogen sich zu Schlitzen. „Falsch. Ihr wart damit
beauftragt das Opfer zu wählen.„
Ein Räuspern löste die Spannung. „Euer Wein, werte Herren.„
Keril, der zwergwüchsige Wirt des Gelben Skorpions reichte
ihnen ein Tablett. Obwohl er die Gemeinsprache akzentfrei sprach, störte
Hakon etwas an ihm. Nickend griff er nach dem irdenen Krug und goß
Thorkar und sich die blutrote Flüssigkeit ein. Als Keril sich empfahl,
ergriff Thorkar wieder das Wort.
„Euch hatten wir die Wahl des Opfers anvertraut, Meister Hakon.
Erinnert Ihr Euch?„
Der Alte schüttelte den Kopf. „Ich bedaure Euch enttäuschen
zu müssen. Aber meine Pflicht bestand lediglich aus dem Sammeln der
Kräuter, der Beschaffung der Ingredienzen, dem Stampfen des Pulvers
und dem Destillieren und Brauen der Elixiere. Alles hat seine Zeit gedauert.
Hätte ich mich um soviel mehr kümmern müssen, wo Euch doch
nur die Wahl des Treffpunkts und die Auswahl der Sprüche zustand?„
Thorkars Miene verfinsterte sich. „Nun gut, Meister Hakon. Wir werden
noch ein Opfer finden. Bis dahin hoffe ich, daß Eure Ingredienzen
von Wert für uns sind.„
Das Gegröle der Söldner wurde lauter. Soeben widmeten
sich der feiste Hüne und Hauptmann Eisenhaar dem Armdrücken,
das unter großem Geschrei angefeuert wurde. Dem schwitzenden, stöhnenden
Söldner verließ rasch die Kraft, als Eisenhaar lachend seine
Faust auf den Tisch schlug.
„Sieg„, brüllte er und griff nach dem gewonnenen Amulett aus
Gold. „Mach´ dir nichts draus, Rome! Die nächste Runde geht
auf mich.„
Sofort erklang der Jubel der angetrunkenen Männer und auch
der geschlagene Rome stimmte lauthals mit ein.
„Es gibt hier bestimmt ein Bauernmädchen„, begann Hakon.
Thorkars Augen schienen aus ihren Höhlen springen zu wollen.
„Beim Namen des Unheiligen! Ihr wollt ein simples Weibsstück darbieten?
Unser Opfer war von höchster Tugend, Schönheit und Unschuld gedacht.
Ihr verspracht eine Klerikerin oder besser eine Geweihte des Ordens Golums.
Selbst eine wilde Shey-Laya hätte unseren Erwartungen entsprochen.„
Hakon hob beschwichtigend seine knorrige Hand. „Beruhigt Euch! Wir
finden schon ein geeignetes Opfer.„
Als hätten Raul Hakons Lippen einen lautlosen Spruch geformt
betrat eine anmutige Schönheit den Gelben Skorpion. Langes,
lockiges braunes Haar. Eine athletisch durchtrainierte Figur und ein wachsamer
und zugleich schelmischer Blick manifestierte sich zu einer augenverzehrenden
Person, deren kühnste Träume die beiden Schwarzmagier bei weitem
übertraf.
„Beim Unheiligen, Meister Hakon seht!„ Thorkar deutete mit einem
Nicken auf den neuen Gast, dessen Erscheinen Hakons Lippen teilten.
„Ein Geweihte. Apostolia, nehme ich an.„ Thorkars stummes Nicken
ließ Hakon lächeln.
Die blutjunge Geweihte der Liebesgöttin Apostolia, setzte sich
aufmerksam an einen Tisch nahe der Theke. In ihren Locken trug sie den
goldenen Stirnreif des Ordens der Ewigen Zuneigung. Ihre züchtige
Kleidung bestand aus einer fliederfarbenen Tuchrüstung, einem hellen
Reiseumhang und langen braunen Reiterstiefeln. Ein schmaler Dolch an ihrem
Gurt schien ihre einzige Waffe. Doch wußte Hakon, daß sie zumindest
einen Reiterspeer bei dem Pferd im Stall zurückgelassen hatte. Selbstsicher
bestellte sie eine Karaffe Wasser und etwas Dörrfleisch.
Doch nicht nur den Schwarzmagiern war die junge Frau aufgefallen.
Als Hauptmann Eisenhaar, bepackt mit zwei Lederbeutel Silber, sich zu seinem
Herrn gesellte, war einer der fünf Söldner schon aus der Taverne
verschwunden. Die anderen vier, vor allem ihr Anführer Rome, lechzten
und gierten bereits nach ihrem schönen Körper. Die Geweihte schenkte
dem Gesindel keine Aufmerksamkeit. Nur Meister Thorkar gestatte sie ein
flüchtiges Nicken.
„Geht nach oben, Hauptmann!„, wies dieser den Dunkelzwerg an, der
selig seine erbeuteten Silberlinge in den Händen wog.
Minuten später kehrte der Söldner zurück. Der stämmige,
rothaarige Nordländer mit der Augenklappe trat forsch an die Geweihte
heran. Mit verstellter Stimme gesellte er sich neben sie und wartete höflich
bis sie ihn ansah.
„Verzeiht, Meine Dame, daß ich Euer Mahl störe. Doch
Euer Pferd scheint verletzt zu sein.„ Sofort klärte sich die verächtliche
Miene der jungen Frau. „Was, was sagst du? Was ist mit Jery?„
Der Söldner unterdrückte sein Grinsen nur schwer. „Ich
glaube, meine Dame, ein Nagel hat sein linkes Vorderbein geritzt. Es blutet
sehr.„
Noch bevor der ungelenke Mann zu weiteren Erklärungen ausholen
konnte, war die junge Geweihte an ihm vorbei aus der Tür. Der rothaarige
Nordländer warf Keril, dem Wirt, ein bösartiges Lächeln
zu, dann hastete er ihr hinterher. Jubelnd schlossen sich die restlichen
Söldner ihm an und ihr lautes Gebrüll dröhnte matt in Hakons
Ohren wider.
„Das ist Eure Chance, Meister Hakon. Oder wollt Ihr dieses zarte
Geschöpf diesem Pack überlassen?„ Thorkar nippte abwartend an
seinem Wein, als der alte Magier sich langsam erhob.
„Ich bringe Euch das Opfer. Doch erwarte ich, daß Eisenhaar
sich ihrer danach annimmt.„ Thorkar nickte und übertrug eine telepathische
Botschaft in dessen Geist.
Mit schnellen Schritten verließ Hakon den Gelben Skorpion.
Aus den Augenwinkeln registrierte er, daß das Gesindel seine Waffen
zurückgelassen hatte. „Wie selbstlos„, dachte Hakon und trat hinaus
in den wieder einsetzenden Regen. Fluchend versuchte er die Tropfen zu
ignorieren und im Laufschritt hielt er auf den langen Anbau der Taverne
zu.
Bereits von draußen konnte Hakon das lüsterne Geschrei
der Söldner vernehmen. Bevor er seine benötigten Sprüche
gesammelt und durchdacht hatte, rannte ihm der verängstigte Stallbursche
entgegen.
„S...Sie, sie tun ihr weh„, stammelte er und riß sich von
der wallenden Robe des Alten los. Hakon sah ihm nicht nach und betrat leise
den geräumigen Stall. Mollige Wärme und der Geruch schwitzender
Tiere empfing ihn. Hakons Augen sahen seine Ochsen, eingepfercht auf der
linken Seite des rechteckigen Gebäudes. Mit großen Schritten
überquerte er vereinzelte Strohballen und näherte sich der Box
der weißen Stute. Das anmutige Roß der Geweihten wies keine
erkennbaren Verletzungen auf. Schnaubend trat es auf der Stelle und warf
Hakon einen anklagenden Blick zu.
Im hinteren Bereich des Stalls tobten die fünf Söldner.
Zuerst glaubte Hakon die junge Geweihte könnte sich der feigen Brut
erwehren. Lächelnd bemerkte er ihren entschlossenen Blick. Doch die
Dienerin der Liebesgöttin stand mit dem Rücken zur Wand. Mit
ihrem schmalen Dolch hielt sie die Männer auf Distanz. Ihr goldener
Stirnreif lag vor ihr auf dem Boden. Ihr langes Haar war zerzaust und voller
Stroh.
Die Männer hatten dem Magier den Rücken zugewandt, so
daß sie seine Gegenwart nicht bemerkten. Schon stieß einer
der heulenden Kerle vor und trat der Frau die Klinge brutal aus der Hand.
Stöhnend torkelte sie nach hinten und schrie aus Leibeskräften,
dann waren die Männer über ihr.
„Komm zeig es uns, Mädchen. Das ist es doch wofür du betest.
Wir sind willige Diener deiner Hurengöttin.„
Der bärtige, tätowierte Söldner schlug gierig seine
muskelbepackten Arme um ihre zierliche Taille. Während der Rothaarige
ihr den Reisemantel herunterriß, zogen Rome und ein anderer Raufbold
ihr die leichte Tuchrüstung herunter. Der letzte Söldner, ein
schwarzhaariger Streuner, ergriff ihr feines Gesicht und drückte ihr
seine Zunge in den Mund.
Hakon breitete die Arme auseinander. Im Geist durchflog er die geeigneten
Sprüche. Noch bevor er geendet hatte, unterbrach ein empörter
Aufschrei seine Konzentration.
„Bei Azzalur dem Gehörnten, was wollt Ihr hier?„ Rome baute
sich bedrohlich vor Hakon auf. Die großen Fäuste angespannt.
„Wollt Ihr zusehen?„, grinste er. „Meinetwegen, aber setzt Euch besser.
Wir lassen uns Zeit.„
Ein brüllendes Gelächter erscholl aus Romes feisten Mund
und endete in einem erstickenden Gurgeln. Hakons Kristalldolch ragte zitternd
aus seinem breiten Hals. Bevor der lüsterne Söldner den Griff
der tödlichen Waffe zu fassen bekam, war er blutüberströmt
zu Boden gesunken. Die vier Männer hatten Romes Tod gleichgültig
hingenommen. Der Tätowierte wies mit seinem Haupt in Richtung des
Magiers und sofort ließ der rothaarige Nordländer von der Geweihten
ab. Grinsend zog er ein schartiges Messer aus seinem Hemd und kam langsam
auf Hakon zu.
„Du Tattergreis willst sie alleine für dich, nicht wahr? Aber
nicht mit mir.„
Unbeeindruckt verharrte Hakon auf seinem Platz. Mit der rechten
Hand deutete er auf den schmierigen Söldner aus Kallgar und zitierte
einen der fürchterlichsten Sprüche der verbotenen Chaosmagie.
„Un ek tu! Bazo al ekh. Ecrimenix mortu su!„ Ein grüner Lichtblitz
schoß aus seinem dünnen Zeigefinger und schlängelte sich
in beängstigender Geschwindigkeit um den schmächtigen Körper
des aufschreienden Mannes. Sekunden später war er völlig von
der magischen Fessel umsponnen. Sein wimmernder Versuch Gnade zu erbitten,
wurde von Hakon spöttisch abgetan.
„Silekti tu. Brogay anar!„ Hakons Hand beschrieb einen Kreis. Als
dann begannen die Schnüre der magischen Fessel sich zuzuziehen.
„Nein, Gnade. Gnadeee.„ Das unmenschliche Gebrüll des Sterbenden
ließ die übrigen Söldner innehalten. Gebannt sahen sie
zu, wie der Strang gleißender Energie ihren Kumpanen unerbittlich
zerquetschte. Blut sprudelte aus Ohren, Nase und Mund und verteilte sich
im hohen Bogen auf dem dampfenden Stroh. Sekunden später war sein
Todeskampf vorbei. Der zerdrückte, eingefallene Leichnam sackte geräuschvoll
auf den Boden. Das Licht der magischen Fessel erstarb.
Der schwarzhaarige Streuner reagierte als erster. Flink langte er
nach einer Heugabel und stieß sie fest in Hakons Richtung. Dieser
ergriff den Stiel der hölzernen Waffe und setzte die Naturgesetze
außer Kraft. Ein zuckender Lichtblitz durchfuhr den langen Stab und
verteilte sich im bebenden Körper des verdutzten Mannes. Mit zusammengepreßten
Zähnen ging der Streuner in die Knie. Noch schlugen hunderte von knisternden
Stromstößen im Sekundentakt in ihm ein. Dann lag auch er still.
Die übrigen Männer wichen zurück. Der Tätowierte
tastete nach dem Dolch der Geweihten und warf ihn ungelenk. Hakons Blick
richtete sich auf den zweiten Söldner, in dessen Stirn das vermeintliche
Geschoß einschlug. Stöhnend hauchte auch er seinen letzten Atemzug.
„Bitte laßt mich gehen„, flehte der Letzte und hob bittend seine
Hände. Da trat die Geweihte zu. Ihre spitzen Reiterstiefel gruben
sich tief in den weichen Unterleib des Vergewaltigers und zerstörten
seine Manneskraft. Für immer. Jaulend kippte er zu Boden und wand
sich röchelnd vor unsäglichen Schmerzen hin und her.
Mit Tränen in den funkelnden grünen Augen trat die Geweihte
an den Schwarzmagier heran. Ihre entblößte Brust mit ihrem Mantel
bedeckend, stotterte sie einen fast unhörbaren Dank. Hakon nickte
und sein Herz erwärmte sich, als er ihrer üppigen Konturen gewahr
wurde.
„Du bist würdig, Kleines. Du bist auserwählt den Herrn
der Finsternis zu erfreuen.„
Der Blick der Frau verschleierte sich. „Was sagt Ihr?„
„Wie ist dein Name, Kind?„, drängte Hakon unbeirrt.
„Lavinia„, hauchte sie. „Lavinia Rosenherz.„
Hakon nickte. Seine Hand legte sich auf ihre Stirn. „So schlaf Lavinia
Rosenherz! Schon bald wirst du den Sinn deines Daseins begreifen.„
Bewußtlos brach sie in seinen Armen zusammen. Hakon fing sie
auf und legte sie behutsam in das warme Stroh. Hauptmann Eisenhaar würde
sie auf ihr Zimmer bringen. So war es vereinbart.
Gegen Mitternacht saßen die drei Schwarzmagier im leeren Schankraum
der Taverne. Hitzig diskutierten sie über ihr bevorstehendes Experiment
und über die getroffenen Vorbereitungen. Der verräterische Erzmagier
Egil Deggerdan, sonst Vertrauter und engster Ratgeber des Kaisers von Nyrmillia,
thronte majestätisch auf seinem gepolsterten Sessel, den er eigens
für dieses Treffen mitgebracht hatte. Sein schneeweißes langes
Haar verlief sich mit seinem prächtigen Bart zu einer würdevollen
Mähne des hohen Alters. Seine blauen Augen musterten jeden seiner
Ordensbrüder intensiv, bevor er seinen Kommentar äußerte.
Respektvoll nestelten seine knochigen Finger an dem silbernen Pentagramm,
das er als Zeichen seines Status um den Hals gebunden trug. Auch er trug
die schwarze Robe der schwarzen Magie und bekannte sich als Vorsteher und
Fürsprecher des Ordens der Finsternis.
„Und Ihr habt tatsächlich den Eingang des Verlieses Mulkor
entdeckt?„, fragte er seinen ehemaligen Lehrling Meister Thorkar.
„Sicher, Großmeister. Ich habe Karten, die den exakten Einstieg
zur ehemaligen Schule der Magie enthalten.„
Rune Thorkar lehnte sich wichtig zurück. Sein selbstsicheres
Lächeln verriet keine Regung in Deggerdans ausdrucksloser Miene.
„Wird es bewacht? Wie ich hörte haben unsere Vorfahren Wächter
positioniert.„ Sein Blick fiel auf Hakon der eiligst den Finger hob.
„Laut unserer Kenntnis sind die gegebenen Fallen noch aktiv. Zahlreiche
Ghule bewohnen die finsteren Korridore. Eine Handvoll Skelette bewacht
das Machtzentrum. Wir vermuten zudem einige Riesenspinnen.„ Stolz lehnte
sich nun Hakon zurück und schenkte Thorkar ein vielsagendes Lächeln.
Der Erzmagier schwieg einen langen Augenblick. „Nun gut. Da wir
alle Vorbereitungen getroffen haben, es uns weder an Zutaten noch Opfern
fehlt, schlage ich vor legen wir uns zur Ruhe. Da es noch drei Tage bis
zur totalen Mondfinsternis sind, sollten wir unsere Kräfte schonen.„
„Ihr meint wir begeben uns in den Tiefschlaf?„ Rune Thorkar überdachte
den Vorschlag und nickte anerkennend.
„Hauptmann Eisenhaar wird sich um alles andere kümmern. Er
genießt unser vollstes Vertrauen.„ Für Egil Deggerdan war die
Diskussion beendet. Mit einer Geste entließ er die beiden Meister
der schwarzen Magie. Er selbst blieb noch einige Zeit nachdenklich im Schankraum
sitzen. Das Herdfeuer prasselte noch, als der verruchte Erzmagier sich
endlich erhob und auf sein Zimmer ging.
Am Morgen des besagten Tages trafen sich die drei ausgeruhten Magier
vor dem Gelben Skorpion. Jeder hatte seinen Karren vorgefahren,
beladen mit unersetzlichen Ingredienzen und Apparaturen. In Thorkars Wagen
kauerte Hauptmann Eisenhaar und überwachte den unruhigen Schlaf der
gefangenen Geweihten Lavinia.
Der Erzmagier überflog noch rasch die Karte und gab dann das
Zeichen zum Aufbruch. Laut Thorkars Karten verbarg sich das uralte Verlies
Mulkor auf einer kleinen Lichtung des dichten Dschungels nahe der Stadt
Fearsmoor.
Großmeister Deggerdans Wagen fuhr vorweg. Er hatte neben seinen
Geräten noch die Leiber der fünf getöteten Söldner
geladen, die aufgeschichtet noch Platz in seinem Wagen fanden. Während
der Fahrt sprach keiner der Schwarzmagier ein Wort. Erst gegen Abend, als
die unscheinbare Lichtung erreicht war, gesellten sie sich zu einer gemeinsamen
Pause.
„Wie entledigen wir uns den untoten Wachen?„, fragte Hakon den Erzmagier
bei einer Tasse heißen Keburintees.
„Ich verfüge über einige Lichtsprüche der weißen
Magie. Totenschreck wäre äußerst effektiv.„
Deggerdan schüttelte sein Haupt. „Warum die vernichten, die
unserem Meister dienen? Die Söldner werden ihren Sinn und Zweck erfüllen.
Laßt die Wächter meine Sorge sein.„ Geheimnisvoll ließ
Deggerdan Hakon zurück. Bevor er weitere Fragen stellen konnte, veranlaßte
der Erzmagier Hauptmann Eisenhaar die Toten aus dem Wagen zu heben. Eisenhaar
legte sie kurz darauf auf das feuchte Gras. Beim Anblick des tätowierten
Söldners wurde Hakon fast übel.
„Ist innerlich verblutet. Grausamer Tod„, bemerkte der Dunkelzwerg
und klopfte sich den Dreck von der verschrammten Brustplatte.
„Tretet zurück!„, warnte sie Deggerdans leise Stimme und die
drei Männer entfernten sich von den stinkenden Leichen. Der Erzmagier
Amberlonias hob beide Arme und begann einen monotonen Singsang. Mehrere
Minuten dauerte es, bis ein Zucken die verrenkten Gliedmaßen der
Toten durchlief. Als dann erhoben sich die geistlosen Söldner und
trotteten stöhnend auf die Magier zu.
„Ladet die Kisten von den Karren. Behandelt sie wie eure Augäpfel.
Ich wünsche keine Schäden.„
Deggerdan deutete auf die Karren, deren Zugtiere beinahe durchgingen.
Bevor der erste Zombie Thorkars Wagen erreicht hatte, trat Eisenhaar mit
der schlafenden Lavinia auf den Schultern ins freie.
„Loyal bis zuletzt„, lachte er und bettete die Geweihte auf den
moosigen Untergrund.
Beeindruckt beobachteten Hakon und Thorkar, wie die torkelnden Zombies
mühelos die schweren Kisten auf der Lichtung stapelten. Trotz ihrer
wackeligen Gangart trugen sie jede Kiste sorgfältig zu ihrem Platz.
Nachdem das geschehen war, deutete Deggerdan auf die schwere Steintür,
welche in die Felswand einer kleinen Anhöhe der Lichtung gehauen war.
„Öffnet die Tür!„
Ohne jeden Laut zogen drei der Untoten die gewaltige, mit Runen
versehene Tür nach außen. Dunkelheit und feuchte kühle
Luft schlug ihnen entgegen.
Der Erzmagier trat an ihnen vorbei und betrachtete das Werk. „In
lumina noctis. Tota flamir.„ Sogleich entzündeten sich die vor Jahrhunderten
an den Wänden angebrachten Fackeln und bildeten einen hellerleuchteten
Weg ins Innere des unheimlichen Verliese. „Nehmt eure Waffen und betretet
die Schule!„ Die willenlosen Zombies taten wie ihnen geheißen war
und wankten mit gezückten Klingen in die Tiefe.
„Hauptmann Eisenhaar, Ihr folgt ihnen in einiger Entfernung! Sollten
sie aufgerieben werden, kehrt zu uns zurück!„ Der Dunkelzwerg griff
nach seinem Beil und stapfte den fünf Untoten hinterher.
Es dauerte vier Stunden als er keuchend zu den wartenden Magiern
zurückkehrte. Schweiß tropfte von seiner furchigen Stirn, als
er dem Erzmagier Bericht erstattete.
„Es ist vollbracht. Das Machtzentrum ist in unserer Hand. Ich selbst
war dort unten Zeuge des schaurigen Kampfs. Mehrere Salven Giftpfeile konnten
sie nicht stoppen. Auch die Spinnen zogen sich bei ihrem Anblick schnell
zurück. Eine Bodenfalle nahm uns einen Zombie, doch sonst sind alle
Fallen ausgelöst. Mit der magischen Kreide von Meister Thorkar habe
ich einen passierbaren Weg gekennzeichnet. Wir können hinunter.„
„Und die Ghule?„, fragte Hakon ungläubig.
„Haben sich mit ihrem Mahl verdrückt. Es war eine gute Idee
die Toten als Köder zu benutzen.„
Der Erzmagier lächelte zufrieden. „Faßt mit an, Hauptmann!
Wir tragen die Kisten hinunter. Die Zeit drängt und wir dürfen
uns keinen Fehler erlauben.
Zwei Stunden vor Mitternacht war die Vorbereitung des grausamen Rituals
vollbracht. Das achteckige Machtzentrum der geheimen Schule war vierhundert
Schritte unter der Erde errichtet worden. Nach scheinbar endlosen Korridoren
und verwinkelten Gängen waren die fünf Verdammten endlich im
Herzstück des längst vergessenen Verlieses angelangt.
Nackte, kalte Steinwände umschlossen sie wie eine erdrückende
Fessel. Doch die drei verruchten Meistermagier störte das nicht. Hauptmann
Eisenhaar hatte die elf gewaltigen Holzkisten behutsam verteilt, während
Thorkar und Hakon summend den mit Symbolen und Runen verzierten Steinaltar
in der Mitte des Raumes säuberten.
Das große, rechteckige Steinbecken, welches zwischen der Nordwand
und dem Altar in den Boden eingelassen war, wurde von Egil Deggerdan mit
mehreren Tonkrügen Öl gefüllt. Als das Becken bis
zur Hälfte mit der brennbaren Flüssigkeit gefüllt war, legte
der Erzmagier den schweren Krug beiseite. Sein Blick fiel nun auf Meister
Hakon, der die säuberlich aufgereihten Silberschalen auf einem der
beiden breiten Eichentische mit wertvollen Zauberzutaten belud. Rune Thorkar
entzündete mehrere Dutzend schwarzer Kerzen, die er symmetrisch in
dem geräumigen Gewölbe verteilt hatte. Als er fertig war, trat
er an den Eichentisch auf der gegenüberliegenden Seite heran. Hier
ruhten uralte Pergamente, Schriftrollen und Zauberbücher. Alle zusammen
wertvoller als die zehn Schatzkammern des Kaisers von Nyrmillia.
Den steinernen Altar hatte Hauptmann Eisenhaar mit zwei großen
Kohlenbecken flankiert. Züngelnd zuckten die hellen Flammen, als der
Dunkelzwerg mehrere Handvoll Kräuter in das Feuer gab. Der daraufhin
süßliche Duft kitzelte in seiner knolligen Nase.
Prüfend wanderte Deggerdans Blick durch den perfekt eingerichteten
Raum. Zu seiner Linken befand sich der Tisch mit den siebzehn Silberschalen
der Ingredienzen. Aufgereiht nach ihrer Bedeutung, neben diversen Opferdolchen
aus Kristall und Mithril. Eine prunkvolle silberne Handsichel, aufbewahrt
auf einem blutroten Samtkissen bildete den Abschluß des magischen
Dinners.
Zu seiner Rechten lagen sämtliche Sprüche und Zauber.
Spruchbereit waren sie in Form von aufgeschlagenen Büchern und aufgerollten
Permanenten auf dem Tisch sortiert. Das Ölbecken hinter dem Erzmagier
war gefüllt. Der Altar gesäubert, die Kerzen entzündet.
Schnell überflog Deggerdans Blick die Sammlung kostbarer Elixiere
im hinteren Teil des Machtzentrums. Aufgereiht, neben einer Wand aus nun
leeren Kisten, warteten die undurchsichtigen Phiolen auf ihren Gebrauch.
Der Erzmagier nickte zufrieden. Soeben trug Hauptmann Eisenhaar
den zeremoniellen Gong herein und stellte ihn neben dem Altar nieder.
Rune Thorkar griff in eine seiner unscheinbaren Taschen seiner schwarzen
Robe. Geschickt zog er zwei magische Kreidestifte heraus und reichte Hakon
den längeren.
„Ihr die Runen, ich das Pentagramm.„
Simultan traten beide Schwarzmagier an ein hüfthohes, kleines
Becken in einer der Nischen heran. Das kreisrunde Becken war bis zum Rand
mit dunklem Blut gefüllt. Dem Blut der Magier, das sie zelebrierend
mit einem Schnitt des goldenen Opferdolchs ihren Adern entnommen hatten.
Eine skelettierte Klaue ruhte als Rührstab am rechten Beckenrand.
Thorkar ergriff ihren dünnen Knöchel und tauchte die Knochenspitzen
in das Blut.
„Ene mei, male tu sa„, flüsterte er andächtig und fuhr
mit dem Knochen über die weiße Kreide. Ein dünner Blutfilm
zog sich über das magische Utensil, als er die Klaue an Hakon weiterreichte.
Dieser erwiderte das Ritual und murmelte leise: „Ene be, sicti tu ata.„
Im Gleichschritt traten die beiden Magier in die Mitte des Raumes
und knieten vor dem Altar nieder.
„Oh, Lucificus, du Herr der ewigen Finsternis. Du Geißel der
Verdammnis und des endlosen Schmerzes, höre unsere Bitten und segne
unser Opfer. Denn du bist unser Herr und Meister.„ Thorkars melodische
Stimme hallte von den Wänden wider. Zügig zog er mit der blutgetränkten
Zauberkreide ein gewaltiges, nahtloses Pentagramm auf den Boden. Als er
geendet hatte, erhob er sich und betrachtete zufrieden sein Werk. Sogleich
kniete der greisenhafte Hakon nieder und sang mit lauter Stimme: „Wir preisen
dich, oh Ausgestoßener des Himmelreichs. Erlaube uns unwürdigen
Dienern dir das Portal zu öffnen und dich aus deinem Bann zu befreien.
Mögen Golums Kräfte schwinden, oh unheiliger Fürst der Dunkelheit.„
Zuerst zeichnete Hakon je eine Rune an jede der fünf Spitzen
des Drudenfußes. Dann vervollständigte er die sechs inneren
Flächen dutzendweise mit geheimnisvollen Schriftzeichen. Viele von
ihnen für die menschliche Zunge unaussprechbar.
Deggerdans wachsamer Blick verfolgte jeden seiner Schriftzüge.
Danach erhob sich Hakon und trat aus dem Pentagramm an die Seite des Großmeisters.
Auf dessen Wink hin schlug Hauptmann Eisenhaar dreimal den tellergroßen
Bronzegong. Unheimlich dröhnte der Klang in ihren Ohren wider, als
Rune Thorkar das Opfer an das Pentagramm heranführte. Die mit Rauschwurzeln
gefügig gemachte Geweihte wurde entkleidet und nackt in mitten des
Drudenfußes gebettet. Ihre ausgebreiteten Arme und Beine, so wie
ihr Kopf, bedeckte je einen Winkel des magischen Fünfecks. Sogleich
kniete Thorkar neben ihr nieder und zeichnete ein weiteres Pentagramm auf
ihren flachen Bauch. Ihre hübschen Wangen versah er mit mehreren verschnörkelten
Zauberzeichen. Lavinias volle Lippen formten unverständliche Worte,
als der schwarzhäutige Magier ihre üppigen Brüste mit weiteren
Runen bedeckte.
Wieder erklang der dumpfe Gong dreimal. Raul Hakon entzündete
das Öl im Steinbecken mit einer Fackel. Eiligst wich er von dem lodernden
Inferno zurück und hob beruhigend die Hände.
„Oh, Fürst der Hölle. Ewiger Vater allen Schmerzes und
Leids. Nimm dieses würdige Opfer entgegen.„
Mehrere Minuten vergingen, dann schlug der Dunkelzwerg fünfmal
den dröhnenden Gong.
Egil Deggerdan und Rune Thorkar standen mit ausgerollten Pergamenten
singend vor dem sich windenden Körper Lavinias. Wie in Trance warf
die Geweihte ihren lockigen Kopf hin und her und schrie lauthals die unbekannten
Worte einer längst vergessenen Melodie.
„Morta sul. Evecti si-tia ko!„ Thorkars weiche Stimme vermischte
sich mit Deggerdans dunkler Baritonstimme. „Sile tuk, moha crelishek. Ah
tu rial bene tok.„
Raul Hakon bückte sich nach den verkorkten Phiolen. Sorgsam
wählte er vier Elixiere aus und wand sich der gewaltigen Flamme zu.
Hitze versengte seine Haut und sein Haar, als er die erste Phiole singend
entkorkte.
„Oh, unheiliger Vater. Wir demütigen Diener wollen dich der
endlosen Pein erlösen. Wir bitten dich, erhöre uns.„
So dann entleerte Hakon die erste Phiole und trat geblendet einen
Schritt zurück. Ein purpurner Blitz durchzuckte das hell erleuchtete
Machtzentrum und erstarb so schnell wie er erschienen war. Mit schmerzenden
Augen goß Hakon die übrigen Elixiere in die zuckenden Flammen.
Elfenblut. Einhornspeichel, Wyrmsäure, und Schwefelwasser ließen
die Feuersbrunst höher schlagen.
Hauptmann Eisenhaar schlug den Gong erneut fünfmal. „Bereitet
den Schlüssel zur Unsterblichkeit„, rief der Erzmagier mit energischer
Stimme.
Thorkar und Hakon traten geschlossen an den breiten mit den Ingredienzen
bedeckten Tisch heran. Hinter ihnen hielt Deggerdan eine leere silberne
Schüssel in den offenen Armen. „Valle, roar se tu dor! Zuerst die
Gewächse des Schattens!„
Gebieterisch sah der Erzmagier auf die flinken Hände der Magier,
die sorgfältig die kostbaren Zutaten den Schalen entnahmen.
„Alraunen und Blutbeeren„, sagte Hakon demütig und legte die
Pflanzen vorsichtig in die bereitgehaltene Schüssel.
„Purpurpilz und Zwirbelkraut„, rief Thorkar. So ging es minutenlang.
„Schwarzer Lotos, roter Lotos.„ „Gelber Lotos und Knoblauch.„
„Hexenpupille, Ginsterkraut.„
„Weiße Brandnessel und Teufelskralle.„
„Silbermistel, Todeslilie.„
„Nachtrose und Gelbmoos.„
Nickend durchrührte der Erzmagier die halbgefüllte Schüssel.
„Yrakmilch und Sonnentee„, mahnte er und die beiden Schwarzmagier
kehrten mit zwei Phiolen zurück. Die natürlichen Substanzen verloren
sich in der Menge der Gewächse.
Der Gong ertönte nun siebenmal. Deggerdan lief der Schweiß
von der Stirn.
„Enetoc, roar se bestium! Nun die Kreaturen!„ Wieder sammelten die
beiden Meistermagier bezeugend ihre Zutaten.
„Spinnweben und Orkhaar.„
„Fledermausdung, Krötenschleim.„
„Zerstoßene Kinderherzen, Schlangengift.„
„Zwergenblut, zerstampfte Wyvernkrallen.„
„Einhornpulver, Krötenaugen.„ „Ogerspeichel, Spinnenbeine.„
„Fischschuppen, zerriebene Libellenflügel.„
Die volle Schüssel stellte Deggerdan auf einen Dreifuß
auf den Altar. Ein brennendes Kohlenbecken schob er hinunter.
„Male mortu, sule bek.„ Der Erzmagier vernahm die sieben lauten
Gongschläge. Hastig blickte er auf die kleine Sanduhr, die neben ihn
auf dem Altar verrieselte. „Noch eine Stunde bis zur totalen Mondfinsternis„,
rief er drohend. „Wir müssen uns beeilen. Noch sind die dreizehn Beschwörungsformeln
nicht gesprochen.„
Mit zwei schnellen Schritten hatte Thorkar den Eichentisch erreicht.
Seine vernarbten Hände hoben ehrfürchtig das rote Samtkissen
mit der geweihten Sichel empor. Kniend hockte er sich vor den Erzmagier
und reichte ihm die Opferschneide. Deggerdans dünne Finger umschlossen
den schmalen Griff liebevoll. Singend ließ er sich neben Lavinia
nieder und hielt eine flache Schale bereit.
„So verstehe nun den Zweck deines Opfers, Lavinia Rosenherz. Deine
Unschuld und dein Blut wird unserem Meister das Tor öffnen. Möge
er Einlaß finden in unsere Welt und mögest du ewig in seinen
Armen schlummern.„
Sanft ergriff er Lavinias feines Kinn und ein kurzer Ruck zerschnitt
ihr säuberlich die Kehle. Regungslos fiel ihr Kopf zur Seite und Deggerdan
fing das rinnende Blut mit der Schale auf. „Xeri, fir nua sol. Muti al
eh ko la.„
Langsam goß der Erzmagier das frische Blut in die kochende
Schüssel auf dem Altar.
Als er elf Schläge später das gewaltige Zauberbuch in den
Händen hielt, knieten die beiden Meistermagier vor ihm nieder.
„Die ist das Necronomicon, das Buch des Todes. Geschrieben in Menschenblut
und gebunden in Menschenhaut vermögen es nur die willigsten Diener
des Unheiligen zu lesen, ohne zu erblinden. Ich, Egil Deggerdan bin dazu
auserwählt, die dreizehn Formeln der Beschwörung zu vollziehen.
Ihr Rune Thorkar und Ihr Raul Hakon werdet Euren Willen dem Meister des
Bösen verschreiben. Eure Seelen sollen sich formen und willig sollt
ihr die Formeln sprechen, die ich Euch in den Mund legen werde.„
Hauptmann Eisenhaar beobachtete mit klopfenden Herz, wie der Erzmagier
mehrere unverständliche Sätze sprach, die ehrfürchtig von
den beiden Magiern rezitiert wurden. Nahezu ewig dauerte es, bis die drei
Magier die unheimlichen Beschwörungen fehlerfrei ausgesprochen hatten.
Das lodernde Feuer schien energischer zu brennen, als der Dunkelzwerg weitere
Kräuter in die meterhohe Flamme warf. Hitze bereitete ihm keine Furcht,
doch schien ihm das Feuer unnatürlich heiß zu brennen.
„Beißender als Wyrmhauch„, murmelte er und bemerkte, wie der
Erzmagier die dampfende Schüssel mit einer breiten Tiegelzange vom
Dreifuß hob. Mit einem Knochenstab rührte er den kochenden Brei
zu einer zähen Masse, die er sorgfältig auf drei silberne Schalen
verteilte. Wieder erhob der Erzmagier seine Stimme.
„Das Necronomicon besagt: Es bedarf der absoluten Willenskraft aller
drei Erzdämonen das Portal der Finsternis zu öffnen.„
Mit einem durchdringenden Blick auf seine beiden Diener fuhr Deggerdan
fort. „Bedenkt nun, welchen Erzdämon ihr wählt. Euer Körper
soll sein Medium zur diesseitigen Ebene sein. Wählt mit Bedacht, denn
es hat vielen schon den Tod gebracht!„
Gedankenverloren nahm er eine der drei Schalen und wand sich dem
knienden Thorkar zu. Hauptmann Eisenhaar schlug den Gong dreizehnmal.
„Eure Wahl Meister Thorkar?„
Der dunkelhäutige Magier sah ergeben auf. „Ich bin Azzalur
der Gehörnte. Herr der Sphäre des Blutes.„
Nickend tauchte Deggerdan seinen Finger in die heiße Masse
und strich ein gewinkeltes Symbol auf dessen Stirn.
„So mögest du deinen Körper dem Erzdämonen Azzalur
widmen.„
Der Erzmagier legte die Schale auf den Altar und kehrte mit der
zweiten zu Hakon zurück. Sein verbrannter Finger zeigte auf den knienden
Greis.
„Und Ihr, Meister Hakon? Wem opfert Ihr Eure sterbliche Hülle?„
Der Meistermagier blickte starr geradeaus. Ein kurzes Zittern überflog
sein faltiges Gesicht. „Ich bin Bargool der Zerstörer. Herr der Sphäre
des Hasses."
Hakon zuckte unwillkürlich als ihm Deggerdan die heiße
Paste auf die Stirn zeichnete.
„So mögest du deinen Körper dem Erzdämon Bargool
widmen.„
Mit einer Stimme fragten die beiden Knienden: „Und Ihr, Großmeister
Deggerdan? Wollt Ihr Euren Körper und Eure Seele dem Herrn des Todes
verschreiben?„
Mit geschlossenen Augen sank der erste aller Magier auf die Knie.
Sogleich erhob sich Rune Thorkar und nahm die dritte Schüssel in seine
Hand.
„Ich bin Murandiel der Wächter. Herr der Sphäre des Todes.„
Deggerdans inbrünstige Stimme verebbte, als Thorkar ihn zeichnete.
Siebzehn Gongschläge ertönten, als die drei Magier sich
um das Pentagramm versammelten. Den leblosen Körper Lavinias zu Füßen
ergriffen sie ihre Hände und sangen eine Litanei unmenschlicher Laute.
Hauptmann Eisenhaar warf weitere Ingredienzen in die prasselnden Flammen,
als das Ritual seinen Höhepunkt erreichte. Die Magier hatten die letzte
Silbe der unheiligen Hymne gesungen, da erschien ein Leuchten im Inneren
des Drudenfußes. Erst ganz schwach, dann immer stärker. Mit
zusammengekniffenen Augen tastete sich der Dunkelzwerg näher und blieb
hinter seinem Herrn Thorkar stehen.
„Wer wagt es?„, donnerte eine gewaltige, verzerrte Stimme, welche
die Mauern des Machtzentrums erschüttern ließ.
„Meister, Meister, Meister„, schrien die drei Magier so laut, daß
Eisenhaar einen Schritt zurückwich.
„Wer?„
Die Umrisse einer monströsen Kreatur formten sich im Leuchtkreis
des Beschwörungszirkels. Zuerst sah Eisenhaar nur einen Schatten.
Doch dann wurde sein schlimmster Alptraum Wirklichkeit.
„Ein Balrog„, hauchte der Dunkelzwerg heiser und griff zitternd
nach seinem Beil.
„Wer?„, polterte die körperlose Stimme erneut.
Die Magier sangen unbeirrt weiter. Eisenhaar wog sein Beil in den
Händen; und ließ es mutlos sinken als der Dämon die Ebene
der Sterblichen betrat. Umgeben von züngelnden grünen Flammen
personifizierte sich das absolute Böse in einer der gräßlichsten
Kreaturen der tiefsten Hölle. Drei Schritt groß, mehrere Schritt
breit, entfachte sich der beschworene Dämon inmitten der staunenden
Magier. Seinem krummen Rücken entsprangen zwei gewaltige Schwingen,
deren Enden, wie auch sein Unterleib, in einem Tunnel knisternden Feuers
verschwanden. Sein muskulöser Oberkörper war nackt. Seine überlangen
Arme endeten in schrecklichen Klauen. Doch das fürchterlichste war
sein Antlitz. Mehrere gewundene Hörner ragten aus einer abscheulichen,
entstellten Fratze, deren Kinn und Nase in gekrümmter Form widerwärtigen
Auswüchsen gleichkamen. Ein Paar rotglühender Augen blickte suchend
umher und blieb schließlich auf den Magiern ruhen.
„Wer wagt es Sakul, den Boten der Hölle zu rufen? Sprecht Sterbliche!„
Hauptmann Eisenhaar hielt sich die Ohren zu. Die schreckliche Stimme
tobte in seinem Geist. „Wir sind die Trinität des Bösen„, erwiderten
die Magier furchtlos.
„Wir Erzdämonen beschwören den Unheiligen, unseren Herrn
und Meister.„
Der Flammen umgebene Dämon sah an sich herunter.
„Ein Opfer?„, höhnte er. „Eine Geweihte der Göttin der
Liebe?„ Seine rechte Klaue hob mühelos Lavinias schlaffen Körper
empor. „Wisset sterbliches Gewürm. Den wahren Fürsten der Finsternis
kann man nie beschwören und in einem Pentagramm gefangenhalten. Stark
ist der Bann, den der verfluchte Göttervater über ihn gelegt
hat. Doch gebe ich euch die Möglichkeit zu einem weiteren Versuch.
Schenkt mir ein Opfer und eure Suche hat ein Ende.„
Thorkar reagierte am schnellsten. „Blut und Seele für Sakul
den mächtigen Dämonenboten.„ Sein telephatischer Befehl drang
tief in Eisenhaars Bewußtsein. Der Zwerg schüttelte sich. „Niemals,
elender Magier. Keine Magie ist stark genug einen Dunkelzwerg zu verhexen.„
Doch der starke Wille Eisenhaars konnte sich den gewaltigen Strömen
der Chaosmagie nicht entziehen. Thorkar brach ihn schneller als ein morsches
Stück Holz.
„Folge dem Feuer!„
Verzweifelt versuchte sich Eisenhaar zu wehren. Doch sein Verstand
befahl ihm zu gehorchen. Wimmernd warf er sein Beil von sich und marschierte
direkt in den offenen Arm des lachenden Dämons. Kurz darauf stand
er lichterloh in Flammen. Sein markerschütterndes Geheul wurde von
dem tosenden Lachen der Höllenkreatur übertroffen.
„So seht den Preis für euer Gelingen, Sterbliche! Mögen
eure Seelen den Fürst der Finsternis erfreuen.„
Sakul richtete seine monströse Klaue auf den Erzmagier. „Vor
seiner unheiligen Majestät seid ihr alle gleich.„
Dann erstrahlten die drei Magier in einem blendenden Schein tobenden
Feuers. Ihre wahnsinnigen Schreie hallten minutenlang durch das Verlies,
bevor der Dämonenbote erneut zu ihnen sprach.
„Nutzt euer neu erworbenes Wissen zum Wohl eures Meisters. Doch
wagt es nicht ihn herauszufordern! Ihr gehört jetzt ihm, für
alle Zeiten.„
Mit einem brüllenden Gelächter verschwand der Dämon
mit seinen Opfern in einem bläulichen Feuerball. Erst später,
als das Inferno verstarb, regten sich die zusammengekrümmten Gestalten
am Fuß des rußgeschwärzten Altars. Verbrannte, skelettierte
Hände kratzten über den steinernen Boden. Rote Augen leuchteten
wie glühende Kohlen in der eingetretenen Finsternis. Stille.
„Meister?„, krähte die unmenschliche Stimme eines Wesens, das
sich gebeugt vor dem Becken aufrichtete. Dann explodierte das Ölbecken
in einem tobenden Flammenmeer. Meterhohe Stichflammen wogen über die
Köpfe der wimmernden Schattenkreaturen, die einmal die angesehensten
Magier Amberlonias waren.
„Seht!„, erklang die gewaltige Stimme Sakuls.
Die drei Wesen gehorchten. Ihre schwarzen Kutten waren ihnen geblieben.
Doch besaßen sie weder Haut noch Fleisch. Lediglich zwei skelettartige
Hände lugten aus den wallenden Ärmel ihres Gewandes hervor. Anstelle
eines Gesichts funkelte ein rötliches Augenpaar aus einer leeren Kapuze.
Der Preis ihrer Beschwörung war schlimmer als der Tod. Hatte Deggerdan
vor wenigen Stunden noch die Macht über Untote verfügt, so war
er nun selbst zu einer willenlosen Kreatur der Dunkelheit geworden. Der
Wille des Unheiligen hatte sie zu Liche gemacht. Jenen geistlosen Wesen,
welche die Kräfte ihrer Magie begrenzt behalten hatten.
Ein zwei Schritt langes Schwert materialisierte sich in dem leuchtenden
Feuer. Von Flammen umzüngelt schwebte es vor dem Wesen, das einst
den Namen Deggerdan trug. Gebannt starrte es auf die schwarze Schneide,
die mit fremdartigen Zeichen und Symbolen versehen war. Der Griff der unheiligen
Klinge endete in einer geöffneten Klaue. Ein Stöhnen dröhnte
durch den Raum, als das brennende Schwert langsam in die Höhe fuhr.
Als es die Decke erreicht hatte, löste es sich auf. Das Feuer erlosch.
Die Wesen blieben in der Finsternis zurück.
Noch einmal hallte Sakuls Stimme durch den Raum.
„Der Bann ist gebrochen. Das Schicksal der Welt der Sterblichen
besiegelt. Jahrtausende harrte seine Majestät auf Erlösung.„
Ein mattes Leuchten umschloß den steinernen Altar. Als es
verblaßte sahen die Wesen die schattenhaften Konturen der gewaltigen
Klinge.
„Nehmt das irdene Gefängnis seiner Majestät und reicht
es dem, der seiner würdig ist. Durch ihn soll der Fürst der Finsternis
zu neuem Leben erweckt, die Welt der Sterblichen betreten. Aber wisset,
wer einmal die Klinge des Bösen geführt, für immer seine
Seele verloren ist. Der Herr der Verdammnis ist zufrieden. Es ist vollbracht.„
Die Klaue des ersten Lichs umschloß den Griff der Höllenklinge.
Ein ächzendes Stöhnen erklang, als er das schwere Schwert vor
sich in die Höhe hob. Zwei wuchtige Hiebe später lagen die beiden
anderen Liche zu seinen Füßen. Beißender Rauch quoll aus
ihren leeren Kutten und verteilte sich langsam um den Altar.
„Ich bin würdig„, schnarrte der erste Lich. „Ich mache mir
den Himmel Untertan.„
Flammen schossen urplötzlich aus dem Boden hervor. Hungrig
loderten sie um das lachende Wesen, daß sich augenblicklich in ein
Feuer und Blut triefendes Etwas verwandelte. Zwei Schwingen formten sich
auf seinem breiten Rücken. Zwei gewundene Hörner sprossen aus
seiner flüssigen Stirn. Grobschlächtige Klauen bildeten sich
an zwei sehnigen Armen. Zwei Hufe stampften auf den brennenden Boden, als
der Herr aller Dämonen in die Welt der Sterblichen geboren wurde.
Sein geschwungener Kiefer öffnete sich zu einem Brüllen, als
ein feuriger Odem durch sie langen Zähne pfiff.
„Frei„, brüllte der Verstoßene. „Endlich frei.„
Das Inferno schien zu eskalieren. Dutzende von grotesken Dämonen
schwirrten feierlich um ihren wiedergeborenen Meister und ließen
das Machtzentrum erbeben. Eine Kakophonie des Grauens sprengte die Wände
des uralten Verliese als das Tor der Hölle aufgestoßen wurde.
„Bald Vater ist es soweit. Bald wirst du vor mir knien.„ Der Fürst
der Finsternis verschwand und mit ihm die Dämonen.
Das Geschrei der sterbenden Ghule hallte noch in den einstürzenden
Gängen, als die alte Schule Mulkor in sich zusammenbrach. Die Beschwörung
war vollendet. Golums ewiger Bann gebrochen.
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