Die Villa von Wolfgang König

George konnte ein sehr breites Grinsen nicht unterdrücken, als er vor dieser riesigen viktorianischen Villa stand. Seine Frau ergötzte sich, mit einigen Tüten voller Verpflegung für die Nacht in der Hand, derweilen an dem überdimensional riesigen Grundstück, dessen größter Teil aus Wald bestand. Dies war nun ihr neues Zuhause. George wollte nicht mehr als 50.000 Dollar ausgeben, und jetzt besaß er für genau diesen Preis eine Villa, die mindestens das 100-Fache wert war.

Nun würde man sicher denken, dass die Villa  nur eine schöne Fassade war, doch als George die Eingangshalle betrat, fehlten ihm die Worte. Dieses Schloss war sogar noch eingerichtet! Der Hausherr war vor kurzem unter mysteriösen Umständen verstorben (wohlgemerkt, er war 42 und kerngesund), und auf der Auktion war er der einzige Bieter gewesen, denn die Familie des ehemaligen Hausherren äußerte keinen Kommentar und stand bei der Auktion nur mit ängstlichen und geheimnisvollen Gesichtern in einer Ecke, was jeden anderen Bieter einschüchterte. Als die Frau des Hausherren ihm die Papiere der Villa gab, schaute sie George nur mitleidig an. Dann ging sie mit ihren Kindern und ihrem Butler aus der Auktionshalle.

George betrat nun einen Flur des Westflügels: Links hohe Fenster mit Samtvorhängen, und rechts die unzähligen Zimmertüren. Er schaute kurz aus einem dieser Fenster und stellte fest, dass seine Frau sich an dem kleinen Gartenpark wahrscheinlich mehr erfreute, als an dem Haus selbst. George schaute auf seine Uhr: Halb sechs. Morgen früh würden ihre eigenen Möbel ankommen. Was für ein Glück, dass das Haus noch eingerichtet war, sonst würde George mit gewaltigen Rückenschmerzen morgen aufstehen.

Er betrat wahllos ein Zimmer. Die Tür knarrte, und das uralte Parkett stöhnte ein wenig. George stand nun in einem Arbeitszimmer. Hier sah es gar nicht ordentlich aus. Ein edler Schreibtisch stand ihm gegenüber, auf diesem lagen zerknüllte und zerrissene Zettel. Einige sogar auf dem Boden. Der Computer vom Schreibtisch hatte wohl ein harter Schlag erwischt und befand sich in seinen Einzelteilen am Boden. George näherte sich dem Chaos. Direkt neben dem Computer waren... Kratzspuren. Es waren sehr tiefe Kratzspuren. George bückte sich hinunter. In den Einkerbungen klebte ein bisschen geronnenes Blut. Der Hausherr wird wohl an seiner blutrünstigen Katze erlegen sein...

George hörte schnelle Stöckelschuhschritte in der Eingangshalle: "Schatz? Das Haus ist ja so wunderbar! Und der Garten! Sam fühlt sich auch schon wie zuhause!" Oh, das war nicht gut. Wenn des Hausherren Katze hier noch war, dann würde der Schäferhund sicher nicht ruhig bleiben. Hatte er überhaupt eine Katze? George stand auf und ging zurück in die Eingangshalle. Seine Frau begutachtete gerade die Treppe. "Joanne! Jetzt sei doch nicht so pingelig!" Seine Frau fuhr hoch: "Der Boden knarrt aber so. Da fühle ich mich wie in einem Horrorfilm!" "Sam, NEIN!" Der Schäferhund beachtete seinen wütenden Herren überhaupt nicht und erleichterte sich weiter an der Einganstür. Wenigstens musste George jetzt nicht mehr mit ihm raus. Mittlerweile setzte nämlich die Dämmerung ein. Georges Frau war plötzlich verträumt und ging der Eingangstür entgegen, die immer noch offen war. Dabei umging sie Sams Pfütze nicht: "Wie weit ist es eigentlich bis zum nächsten Nachbarn? Hier ist nur Wald. Jetzt fehlt nur Nebel und es sieht genauso aus, wie in "das Geisterschloss"..."

"Joanne, du schaust zu viel fern. Das hat nur den Zweck, damit wir uns hier ungestört entspannen können." George vernahm auf einmal wieder dieses Geräusch: "Sam! Jetzt reicht’s!"

Nun war alles in ein lockeres Rot getaucht und George ging in die zweite Etage. Die Sonne schien mitten durch das große Fenster über der Eingangstür, blendete aber nicht mehr. Auch hier oben gab es zwei große Flure, die von dem zweiten Teil der Halle wegführten. Durch die Fenster war nun auch das ganze Schlossinnere dunkelrot. George hätte an Ort und Stelle einschlafen können, so prachtvoll und schön war dieser Moment. Joanne hatte natürlich Lebensmittel eingepackt und war nun in der Küche verschwunden. Sam hoffte immer auf ein Versehen beim Lebensmitteltransport und verfolgte Joanne ganz aufmerksam. Während dessen öffnete George im Flur des zweiten Stockes jede Tür und suchte nach einem Schlafzimmer. Schon nach dem dritten Versuch stand er vor einem roten Himmelbett, an dessen Seiten ein ebenso rotes Licht einfiel. Nie hatte man Fotoapparate dabei, wenn man sie brauchte. Er legte sich inmitten des Bettes. Nun geschah es fast wirklich. George schloss seine Augen unbeabsichtigt. - Der Kauf des Hauses war das Schönste, was ihm passieren konnte.

"Schatz, ich habe Steak gemacht!" George wunderte sich immer wieder über seine Frau, und ihre Art, ein kleines "Lunchpaket" mitzunehmen. Das war nicht zuletzt der Grund, warum er sie geheiratet hat. George fiel es wirklich schwer, sich wieder aus dem Bett zu erheben. Als er aufstand, fiel ihm am Kleiderschrank etwas auf. Ein kleiner Blick konnte ja nicht schaden. Die Schranktür war wie aufgebrochen... und wieder Kratzspuren. Diesmal waren die Kratzspuren jedoch tiefer und viel, sehr viel größer. Wenn es eine Katze war, dann ein sehr großer Löwe...

George hätte mit verbundenen Augen das Speisezimmer finden können. Ein köstlicher Steakgeruch, dazu noch Kräuterbutter und Kartoffeln, ein kleines Lunchpaket eben. Dem Hund war dieser Duft natürlich auch nicht entgangen und bellte wie wild, während er Joanne um die Beine sprang, als sie das Essen servierte. George betrat durch eine Doppeltür das Speisezimmer. Der Tür gegenüber war eine breite Fensterfront, durch die man eine flache Wiese, dahinter Wald und am roten Himmel den letzten Sonnenstrahl und die ersten Sterne sah. Auch das hätte sich auf jeder Postkarte gut gemacht.

George setzte sich neben Joanne an den Tisch: "Oh, Joanne. Das Essen schmeckt einfach ...oh, mir fehlen dafür einfach die Worte." Seine Frau lächelte und streichelte mit einer Hand den Hund, der nun brav neben ihr saß und auf einen "Unfall des Fleisches" auf dem Weg vom Teller zum Mund von ihr hoffte. "Aber George, ist das dir nicht vielleicht ein bisschen unheimlich? Erinnerst du dich noch an diesen schrecklichen Kinofilm, letztes Jahr?" George verdrehte die Augen: "Erinnerst du dich noch an die Hochzeit meiner Schwester, als du geglaubt hast, ein Mann mit einer lang gezogenen weißen Maske und einem schwarzen Kaputzenumhang wollte dich umbringen?" "Welcher normale Gärtner schleicht sich auf einer Hochzeit mit einem schwarzen Mantel von hinten am mich heran? Außerdem weißt du, wie nervös ich auf Horrorfilme reagiere." George nahm einen großen Bissen von dem Fleisch: "Keine Angst, das hier ist kein Horrorfilm-Szenario. Du machst dir zu viele Sorgen." - Und da passierte es. Die Hoffnung von Sam zahlte sich endlich aus. Nur Joanne war darüber nicht begeistert.

Nachdem seine Frau abgespült hatte, zeigte George ihr das Schlafzimmer. Das Rot des Himmels hatte sich in ein tiefes dunkles Blau gewandelt. Nun erst fiel George der prächtige Kronleuchter an der Decke auf, als er den Lichtschalter fand. Der Hund war der erste, der es sich auf dem Bett bequem machte, kurz darauf ließen sich auch George und Joanne auf die weiche und bequeme Matratze fallen. "Wow. George, das ist ja ein Traum von Bett. Aber der Kronleuchter sieht ein bisschen so aus, wie der, der in..." "Joanne, bitte." George blickte nochmals auf seine Uhr: Viertel vor Neun. Der Hund gähnte und rollte sich am Fußende des Bettes zusammen, während Joanne in eine ihrer Tüten griff, um zwei Schlafanzüge hervor zu holen. George schaute seine Frau fragend an. Sie drückte ihm nur einen in die Hand: "Du weißt, wie ich es hasse, wenn du in Unterwäsche schläfst." George begutachtete den Schlafanzug genau: "Ja, aber das? Das sind ja Teddybären als Muster!" Doch gegen den endgültigen Blick seiner Frau hatte George nichts entgegenzusetzten: "Gut, dann dusche ich nur noch schnell." Er stand von diesem weichen Paradies auf und ging auf den Flur. George schaute an die hohe Decke, an der viele kleine Leuchter befestigt waren. Da er sich schon umgesehen hatte, wusste er, wo das Bad war. Oder zumindest, wo ein Bad war.

Der edle Marmor war überall im Badesaal. Das ganze Zimmer schien aus Marmor zu bestehen. Nur die Wasserhähne waren aus Messing. Über den drei großen Waschbecken war ein großer Spiegel, der die Dusche, oder besser den Duschraum, und daneben die Badewanne, oder doch eher die Schwimmwanne, zeigte. Über einen leeren Handtuchhalter neben der Dusche hängte er seine Sachen, auf einen darüber seinen Schlafanzug. Als er in der Dusche stand, machte er kurz gar nichts. Es war wirklich schon sehr beunruhigend ruhig. George glaubte nicht an den ganzen Horrorfilm-Quatsch wie seine Frau, aber ein bisschen war auch ihm unwohl.

Nach der Dusche, die die Stille löste, war er müde und entspannt. George stieg aus der Dusche und blickte in den Spiegel. George lief ein eiskalter Schauer über den Rücken, und ihm wurde die Kehle abgeschnürt. Mit einem dumpfen Knall fiel er in die Dusche zurück und blieb dort stark zitternd und wimmernd liegen. Das war doch ein wenig zu viel Unheimliches. George fasste seine Nerven zusammen. Das war tatsächlich eine Hand aus der Wanne...

Er hatte irgendwann mal gelesen, dass durch große Angst und Autosuggestionen Wahnvorstellungen auftreten können. George rappelte sich auf. Erneut schaute er aus der Dusche in den Spiegel. Nun war dort - nichts. Trotzdem war ihm nun sehr unwohl. Er wagte einen Blick in die riesige Wanne. Auch dort war nichts. Nicht wirklich davon beruhigt zog er sich seinen Schlafanzug an und suchte nach einem Fön. George öffnete viele Schubladen und Schranktüren aus dieser riesigen Wand aus Schränken neben dem Spiegel. Sein Blick fiel bei der untersten Schublade auf ein altes Handtuch, auf dem Blutflecken waren. Nein - das war sicher wieder eine Wahnvorstellung. Er hob das Handtuch an. Dort drunter war, ihm wurde ganz schwindelig, eine Pistole. Sie war eingerostet und war am Griff mit Blut verschmiert. George dachte nach: Die Hand, die Pistole und der tote Hausherr. Ein Schauer lief ihm über den Rücken.

Er wandte sich ab und vergaß den Fön. Er wollte nur noch ins Bett. George betrat wieder den Flur. Durch die hohen Fenster ihm gegenüber sah er, dass eine Wolkenfront aufzog. Auf einmal wurde es eiskalt. Georges Blick fiel auf ein Fenster, welches gekippt war. Er schloss es, wobei es ein lautes Quietschen gab. Er lief wieder den langen Flur entlang, bis er ins Schlafzimmer kam. Im Flur löschte er das Licht.

Seine Frau war eingeschlafen und Sams Schwanz klopfte müde auf das Bett. "Joanne?" George legte sich hin. Sie gab nur ein gleichmäßiges Atmen von sich. Er betätigte den Lichtschalter neben dem Bett und es wurde stockdüster. In diesem weichen Bett fiel es ihm nicht schwer einzuschlafen.

"George, wach auf." Er blickte seiner Frau direkt ins Gesicht. Es war noch Nacht. George gähnte: "Was ist? Hast du wieder an einen Horrorfilm gedacht? Wie viel Uhr ist es eigentlich?" Joanne schaute auf ihren Wecker, den sie mitgenommen hatte: "Viertel vor Zwölf." George setzte sich im Bett auf: "Was ist passiert?" Seine Frau streichelte mit ihrem Fuß den schlafenden Hund: "Ich habe ein lautes Quietschen aus dem Flur gehört." George schwieg. Erst jetzt fiel ihm auf, dass ein kalter Luftstrom aus dem Flur kam, und gegen die Fenster neben dem Bett der Wind peitschte und ein Pfeifen erzeugte. "Die Fenster scheinen nicht ganz zu funktionieren. Vorhin war auch eines offen. Ich werde es schließen." George drückte den Lichtschalter. Ihm fiel sofort auf, dass die Schlafzimmertür und die Schranktüren weit offen standen, obwohl George sie geschlossen hatte. Joanne entging das nicht und zog sich die Decke bis ans Kinn. Vielleicht auch nur aus Kälte... George stand wieder auf. Je näher er dem Flur kam, desto kälter wurde es. Er machte im Flur Licht und schaute sich um. Genau dasselbe Fenster wie vorhin war gekippt, und die Vorhänge flatterten im eindringenden Luftstrom. Es gab erneut ein lautes Quietschen und er hatte das Fenster wieder geschlossen. Doch da war noch etwas. George schaute den Flur entlang ins Schwarze. Es schien aus der Eingangshalle ein Geräusch zu kommen. Nur der Wind... dachte er sich und legte sich wieder ins Bett zurück und schlief erneut sofort ein.

Diesmal wachte er von alleine auf. Immer noch war es stockfinster. Zu dem stürmischen Wind war nun auch Regen hinzugekommen. Die Szenerie war perfekt für einen Horrorfilm, dachte sich George und musste sofort an seine Frau denken. Nur das Gewitter fehlte noch. Er schaute auf die Uhr: Punkt Zwölf. Das war kein langer Schlaf. Er lauschte. Die Fenster waren alle zu. Er vernahm nur den pfeifenden Wind und den Regen, der gegen das Fenster prasselte. Doch da war noch ein Geräusch in der Eingangshalle, und ein leises Wimmern. George schaute an sein Fußende. Der Hund fehlte. Einfach Perfekt. Jetzt musste der Hund auch noch raus. Zum wiederholten Mal stand er auf und machte Licht. George ging in den Flur und von dort aus kam er in den zweiten Stock der Eingangshalle. Durch das große Fenster über der Eingangstür schaute er auf eine stürmische und verregnete Landschaft. Direkt unter dem Fenster saß Sam vor der Tür und fing nun an zu jaulen.

George stieg die Treppe hinunter, wobei jede Stufe ächzte und knarrte. Sam kratzte nun an der Tür und schaute immer wieder zu seinem Herrchen. "Na, du kleiner Scheißer?!" George öffnete die Tür, und sofort blies ihm ein kalter Wind mit Regen entgegen. Plötzlich stand Sam auf und bellte der Nacht entgegen, wich aber zurück, als George mit ihm raus wollte: "Hey, was ist los? Komm, ich geh mit dir raus!" George schaute, schon in der Tür stehend, den Hund an, der nun jaulend die Treppe hoch rannte und ins Schlafzimmer flüchtete. Verwirrt schloss George die Tür wieder und ging die Treppe wieder hoch. Am oberen Treppenabsatz blieb er stehen und drehte sich dem großen Fenster entgegen, da er draußen einen Schatten vernahm. Tatsächlich. An der unteren Fensterecke, direkt über dem Eingang war etwas großes, als schwarzer Schatten erkennbar, das nun nach unten sprang. George hörte diesen dumpfen Schlag am Villa-Eingang.

Ihm lief wieder ein kalter Schauer über den Rücken und ging nun in schnellem Schritt direkt ins Schlafzimmer zurück und löschte alle Lichter. Seine Frau schlief und der Hund hatte sich wimmernd unter dem Bett verkrochen. Nun war allerdings jegliche Müdigkeit einem unwohlen Gefühl gewichen. Er wollte gerade die Augen schließen, als plötzlich ein starkes Klopfen an der Eingangstür zu hören war, das sich immer mehr zu einem mächtigen Hämmern ausweitete. Sam bellte nun wie verrückt unter dem Bett hervor, während auch Joanne wach wurde: "Schatz, sind das schon die Umzugsleute?" George vibrierte am ganzen Leib und stand wieder auf: "Schlaf weiter. Ich werde nach dem rechten sehen." George zog sich seine normale Kleidung über den Schlafanzug und schaute auf die Uhr, die er sich am Arm befestigte: Fünf nach Zwölf. Er machte wieder Licht und ging auf den Flur hinaus. Plötzlich ein lauter Knall aus der Eingangshalle und George ging in Deckung. Nahezu gleichzeitig sprühten die Leuchter Funken und fielen aus. Joanne hatte nun sicherlich einen passenden Film dazu im Kopf: "George, was ist hier los?" George drehte sich zu seiner Frau um und legte den Zeigefinger auf seinen Mund, während er mit seiner anderen Hand den Schäferhund zu sich lotste, der kurz darauf mit eingezogenem Schwanz neben ihm stand.

Es war finster und er ging mit dem Hund an seiner Seite ins Badezimmer. Alle Schubladen und Schranktüren waren weit geöffnet. George ging zur untersten Schublade und nahm den schweren Revolver heraus. George prüfte das Magazin: Noch 6 Schuss. Er hatte noch nie vorher eine Waffe in der Hand gehalten, marschierte aber mit gehobener Waffe, wie die Leute aus den Filmen, auf den Flur zurück. George konnte maximal drei bis vier Meter weit sehen, dann war alles nur noch schwarz. In der Eingangshalle war ein spitzes Klacken zu hören, das in einem Rhythmus eines Laufens kam.

Sam bellte kurz, wurde aber von einem verbissenen "Ruhe!" von George zum Schweigen gebracht. Er war nun an der Tür zur oberen Eingangshalle und blieb an der Wand stehen. Vorsichtig lugte er in die dunkle Eingangshalle. Absolut nichts. Die Tür war auch in Ordnung, nur das große Fenster darüber lag in großen, spitzen Scherben in der Eingangshalle verstreut. Am liebsten hätte er sich jetzt in einem sicheren Loch verkrochen, doch Georges Stolz war hoch angesetzt und deshalb sah er sich dazu verpflichtet den "Helden" zu spielen.

Nur der Wind und der Regen waren zu hören. George schritt geduckt, mit Sam hinter sich, in die Eingangshalle und stellte fest, dass hier nur kalte Luft war. Jedoch beunruhigte diese Tatsache ihn mehr als ihn aufatmen zu lassen. Er wusste selbst, dass das dumm war, trotzdem ging er die Treppe langsam und leise herunter. Schon auf der Treppe trat er auf die ersten Scherben, die Wunden blieben aber aus. George musste einfach wissen, was das gerade eben war und stand nun inmitten der Scherben in der Eingangshalle. Der Klackrhythmus war nun in einem Flur zu hören und entfernte sich sehr schnell. George schritt auf den Flur zu, trat jedoch in eine Scherbe, die ihre spitze Kante nach oben gerichtet hatte. George unterdrückte einen Schmerzensschrei und stöhnte nur kurz auf. Er hob den Fuß an und tastete ihn mit seiner Hand ab. Als er diese betrachtete, bemerkte er, dass die Wunde stark blutete.

Leicht humpelnd, angsterfüllt, aber immer noch fest entschlossen, betrat er den Flur. Auf dem Boden waren tiefe Krallenspuren. Jene große, die auf dem Schrank zu finden waren. George versuchte so lautlos wie möglich zu sein und öffnete leise jede Tür. Als er am Ende des Flurs ankam, hörte er ein Ächzen in der Eingangshalle. Urplötzlich kam das Klacken wieder. Es kam in sehr schneller Folge von der Eingangshalle auf ihn zu. George hob die Waffe und richtete sie zitternd ins Leere. Er zitterte nun mehr, als bei jedem starken Erdbeben, und Sam verkroch sich hinter ihm und bellte laut. George konnte schon in nächster Nähe einen riesigen Schatten erkennen und drückte mehrmals ab.

Die Schüsse waren sehr laut und hallten durch die gesamte Villa. Er schoss so lange, bis das Magazin leer war. Nachdem der letzte Schuss verhallt war, horchte er. Stille. Langsam näherte er sich dem Standort, wo dieses Etwas gerade war. Auf dem Boden waren nur einige Bluttropfen erkennbar und Krallenspuren, die in Richtung Eingangshalle kehrt machten. Nun hatte George allerdings der letzte Mut verlassen, denn nun hatte er keine Verteidigungswaffe mehr. George schaute auf die Uhr: Viertel nach Zwölf.

Langsam schritt George wieder in die Eingangshalle. Das Geländer der Treppe war zerrissen. Er nahm eine große und spitze Scherbe vorsichtig in die Hand und lief schnellstmöglich in das Schlafzimmer. Joanne lag aufrecht im Bett: "Sag mir jetzt, was hier eigentlich los ist! Ich habe diese Geräusche gehört. Was machst du eigentlich mit diesem Glassplitter?" "Joanne, zieh dich an, wir müssen hier schleunigst weg." Seine Frau sprang auf und tat, wie ihr befohlen wurde: "Du blutest ja! Sag mir jetzt sofort, was hier passiert!" "Später, jetzt komm." Ebenfalls zitternd folgte sie ihm in die Eingangshalle: "Ach du meine Güte. Das Haus stürzt ja ein..." George riss sie unsanft am Arm die Treppe hinunter: "Achtung, Scherben!" George riss an der Türklinke. Nichts geschah: "Verflucht, hast du abgeschlossen?" "Nein. Nehmen wir doch ein Fenster." "Das sind keine Zuckerfenster wie in den Filmen. Ich werde mir nicht alle Knochen brechen! Im Wintergarten gibt es einen zweiten Ausgang." George zerrte seine verwirrte Frau in den Westflügel-Flur und rannte diesen entlang.

Plötzlich blieb er stehen: "Hörst du das?" Schon wieder kam dieses klackende Geräusch. Diesmal war es allerdings eine Etage über ihnen auf dem Flur. Joanne knickte leicht ein: "Was ist das?" George humpelte nun leise dem Wintergarten entgegen: "Hier sind wir. Komm", flüsterte er seiner Frau zu. 

Der Wintergarten war riesig. Hier kam auch der Sturm erst richtig zur Geltung. George rüttelte an der Tür - Wieder geschah nichts: "Es reicht!" Im selben Augenblick nahm er einen Stuhl und hämmerte gegen das stabile Glas. Erst nach dem achten Schlag entstand ein kleiner Riss. Plötzlich fielen Glassplitter von oben herab, und ein gigantischer Knall ließ auch das Gerüst zerbrechen. Eine riesige Kreatur, nur als Schatten auf dem Wintergartendach erkennbar, vernichtete nun das Glas und das Holzgerüst des Glasbaus. Joanne blickte nur ungläubig nach oben, während Sam nun das Weite suchte und wieder im Flur verschwand.

George ließ den Stuhl fallen und packte erneut seine Frau: "Oh mein Gott! Renn!" Er schlug die Tür zum Wintergarten zu und klemmte einen Stuhl davor, der neben der Tür stand. "Da rein! Schnell!" Beide rannten schleunigst in das erstbeste Zimmer und schlugen die Tür zu. Nun war ein lautes Krachen zu hören, und der Wintergarten lag in Trümmern. George und Joanne lehnten still an der Tür des Raumes und wagten nicht einmal zu atmen.

Der Stuhl vor der Tür nutzte nichts, denn die Tür zum Flur wurde samt Türrahmen zerrissen. Danach war jedoch kein Klackgeräusch mehr zu vernehmen. Es war wieder ruhig. Nur der Sturm tobte noch draußen. George wandte sich an seine Frau und flüsterte: "Wenn wir jetzt das Haus verlassen, dann sind wir auf der Wiese, wie auf einem Silbertablett." Jetzt stand er leise auf und humpelte so ruhig er konnte durch den Raum. Es war dunkel, doch er konnte den Computer, das Papier und den Schreibtisch erkennen. Wahllos hob er einen zerknüllten Zettel auf und öffnete ihn. Mit Kugelschreiber war hektisch etwas darauf geschrieben, ein paar Blutflecken waren ebenfalls darauf. Es war dunkel, doch ganz vage konnte er etwas lesen:

William Tylers Biographie - Seite 94

und dann bekam ich diese Villa. Es war im Jahre 1917 und ich hatte gerade das Imperium meines Vaters geerbt. Mein Vater machte häufig Andeutungen auf die Geschichte der Villa. An seinem Sterbebett sagte er mir dann schließlich: Wird man die Lüge akzeptieren, so lebt man Glücklich, doch will man die Wahrheit, so wird die Lüge einen umbringen. Dieser Satz beschäftigte mich mein ganzes Leben lang, doch ich konnte nur mutmaßen, was dieser zu bedeuten hat. Die Philosophie sagt in einem Satz eben mehr, als sie selbst in einem ganzen Buch.
Mein Vater starb dann schließlich zwei Tage später, im August 1917. Er selbst hatte mir noch einiges mehr vermacht, als die Tyler-Villa, er hatte eine Ferienhütte im französischen Cambrai, wo er seine eigenen Werke verfasste, doch nur zwei Monate vor meinem Erbantritt brannten die Deutschen das Anwesen nieder, und verwendeten meines Vaters Anwesen als Festung. Unter den Werken war auch die Geschichte der Tyler-Villa.

Der untere Teil des Papiers war unleserlich. George fragte sich jetzt selbst, ob das alles hier nur seiner Verrücktheit entspringt, oder ob er Opfer einer versteckten Kamera geworden ist. Er tastete die Wände ab und fand was er suchte: "Komm, schnell..." Seine Frau stand auf, und sie betraten durch die gefundene Tür das Nachbarzimmer. Der Raum war wie unangetastet. An einer Wand hing eine große Uhr: Halb eins. Dieser Raum war nicht sehr edel. Es war ein Lagerraum. George durchsuchte jeden Schrank, während Joanne einfach nur mitten im Raum stand und auf eine Auflösung wartete.

Georges Blick fiel auf eine blaue Schachtel mit einer goldenen Pistole darauf. Er holte die alte Waffe heraus und nahm einige Patronen heraus, womit er die Pistole lud. Danach schloss er die Schachtel und steckte sie in eine Jackentasche: "Joanne. Bleib du hier. Ich bin gleich wieder da." Seine Frau fuhr sich mit ihren Händen aufgeregt durch die Haare: "Ist das eine Waffe??? Ich glaub, ich bin im falschen Film! Ist denn die ganze Welt plötzlich verrückt geworden?" George öffnete die Tür zum Flur. Er schaute nach rechts. Dort war ein riesiger Trümmerhaufen aus Glas und Holz. Zu seiner Linken war in einiger Entfernung die Tür zur Eingangshalle. Nun schaute er hoch. Die etwa zehn Meter hohe Decke war auch leer.

Nervös schlich George der Eingangshalle entgegen. In seinem folgenden Zitteranfall kam ihm eine weitere Frage auf: Warum das ganze eigentlich? Er betrat die Eingangshalle. Vom oberen Geschoss war Knarren und unheimlich bekanntes Klacken zu hören. Langsam ging George die Treppe empor. Schon bald wurde ihm ganz übel, denn er vernahm ein Tropfen. Kurz darauf sah er eine große Blutlache, die sich ihren Weg die Treppe hinunter bahnte. Nun stand er am oberen Treppenabsatz. Der Schock saß nun sehr tief. Sam lag nun inmitten dieser Blutlache. Georges Schritte platschten leicht, was ihn in noch größere Übelkeit versetzte.

Der Westflügel-Flur war sehr kalt. Alle Fensterscheiben waren eingeschlagen und die Scherben lagen im ganzen Flur verstreut. Aus dem Bad kam zudem noch Wasser, welches sich durch den Flur seinen Weg suchte. Der Einbrecher war sicherlich nicht dumm, denn Georges Schritte waren in den Scherben und dem Wasser sehr laut. Plötzlich kam erneutes Klacken. Es kam direkt aus dem Schlafraum. George duckte sich und zielte auf die Tür des Schlafzimmers, dazu platschte er bewusst laut mit dem Fuß auf den nassen Boden.

Das Klacken verstummte. Eine kurze Windstille trat ein. Diese Stille war tödlicher, als alles andere, was George jemals passiert ist. Diese Stille versetzte George in größere Furcht, als der direkte Anblick des Einbrechers, falls es einer war. Erneut begann er zu zittern. Wie aus dem Nichts schien die gesamte Wand hinter ihm in einem Feuerball zu explodieren. George fuhr herum und feuerte ungezielt in das Flammeninferno hinein. Plötzlich löste sich über ihm ein Kronleuchter und fiel auf ihn herab. Er sprang nach hinten und landete auf dem Bauch als der Kronleuchter auf seine Füße fiel und zerschellte. Der Schmerz war unerträglich und George konnte einen Schrei nicht unterdrücken. Diesmal kam ein mörderisches Brüllen aus dem brennenden Teil des Flurs. George stieß die Trümmer des Leuchters von seinen Füßen und stand unter starken Schmerzen sehr mühsam auf.

Wieder war kein Anzeichen des Einbrechers, Tieres, oder was auch immer es war zu sehen. Das nutzte George und lud ein neues Magazin in die Pistole, die er dann auf das Feuer richtete, das jegliche Kälte der Nacht verdrängte. Das erste, was George zu sehen bekam, war ein großer Kopf, erleuchtet von den Flammen. Dieser Kopf, George hätte es nicht besser beschreiben können, glich dem einer Echse. Dieser Fakt war ihm jetzt jedenfalls egal. Unkontrolliert verschoss er ein weiteres Magazin auf den Kopf des Ungeheuers, welches wieder in dem brennenden Loch verschwand. Das Feuer griff schnell auf das Holz und die Vorhänge über. Das konnte einfach nur ein reiner Wahnsinn sein. George war jedenfalls alles egal und rannte durch das Feuer hindurch.

Mit einem brennenden Ärmel kam er auf der anderen Seite hervor. Das hatte er total vergessen. George versuchte stehen zu bleiben und rutschte auf dem hier feuchten Untergrund aus und landete schreiend in den spitzen Scherben, wobei seine Waffe in den oberen Teil der Eingangshalle rutschte und sein Ärmel ins Wasser platschte. Sich vor Schmerz windend schaute er hoch. Dieses Ungeheuer kam erneut aus dem brennenden Raum hervor und lief nun mit den auf dem Boden klackenden Klauen auf George zu. Den Tod schon vor Augen habend sprang George panisch unter brutalen Schmerzen hoch und rannte, gebremst von dem in der Hitze bereits verdampfenden Wasser seiner Waffe in der Eingangshalle entgegen. Dieses Geschöpf war jedoch schneller und riss eine tiefe Wunde in seinen Rücken, worauf George sich im Rennen vor Schmerzen krümmte.

Kurz bevor er wahrscheinlich ohnmächtig zusammengesunken wäre, kam er an seine Waffe und feuerte dem Tier entgegen, das bereits mit spitzen Zähnen über ihm stand. Der Schuss traf direkt auf den Hals. Das Untier wich leicht zurück, was George die Möglichkeit gab zu fliehen. Seine Wunden und Schmerzen waren zu stark, deshalb robbte er, mit seiner Waffe zwischen den Zähnen, langsam die Treppe herunter. Er wagte einen Blick in den komplett brennenden Flur zurück. Außer Flammen war dort nichts. George verweilte kurz an Ort und Stelle. Das letzte bisschen Kraft nahm er für das Aufstehen in Anspruch. Blutverschmiert humpelte er in den unteren Flur. George schaute auf seine Uhr: Es war ein Uhr. Er sah schon fast gar nicht mehr richtig und stützte sich an der Wand ab, während er ein weiteres Magazin in die Pistole gab.

George drehte sich nochmals der Eingangshalle entgegen, als dort die ersten brennenden Balken die Treppe herunter fielen. Plötzlich gab es hinter ihm ein Geräusch. Entschlossen drehte er sich um und feuerte mehrere Schüsse ab. Zu spät hörte er ihre Worte: "Schatz?" Während George die Situation erst einmal begreifen musste, brach Joanne einfach in sich zusammen und blieb reglos liegen.

Er stand noch eine ganze Weile mit der Waffe auf Joanne gerichtet da und starrte auf seiner Frau Leichnam. Jetzt gab auch hier die Decke langsam nach, und erste brennende Stücke fielen um George herum nieder. Er lauschte dem Feuer. Die tragenden Wände gaben nun ein Stöhnen von sich und fingen an, zu splittern und zu brechen. Er schaute noch einmal zu Joanne, dann auf seine Waffe. Was sollte diese verwirrende Geschichte überhaupt. Er war doch sicherlich wahnsinnig geworden. Das musste alles eine einzige Lüge sein. Er betrachtete die letzte Patrone seiner Pistole.
 

© Wolfgang König
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