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Diese Geschichte wurde von den Drachental-Besuchern zur
besten Fantasy-Fortsetzungs-Story 2007 und 2008 im Drachental gewählt!

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Der Prophet und der Totengräber von Matthias Wruck
Prolog - Erinnerungen an Daishan

"Der große Westkontinent ist ein Ort mit kleineren Staaten im Norden und zwei größeren Reichen, nämlich einem Kaiserreich der Menschen, dessen ursprünglicher Name "Hanlar" unter der Regentschaft der Gottkaisers Perin später in "Perinor" geändert wurde, und dem Reich der goldenen Sonne, dem vermutlich größten, zusammenhängenden Gebiet unserer Welt, das von Hochelfen besiedelt und regiert wird.

Daishan hingegen ist eins der kleineren Reiche im Norden und nicht nur der Ort meiner Geburt, sondern auch das Land auf unserem Kontinent, das ich ohne zu zögern "Heimat" nennen würde.
Daishan grenzt im Norden an das ewige Eis und ist im Süden von Wäldern durchzogen, während im Norden die mächtigen Berge des Weltengebirges in den Himmel ragen. Dort gibt es einen Sommer, in dem die Sonne nachts nicht untergeht, und einen Winter, in dem sie am Tage kaum aufgeht, genaugenommen tut sie das im Winter nur in den weit im Süden liegenden Regionen Daishans.
Den Bewohnern Daishans sagt man nach, daß sie ein bißchen seltsam sind. Sie haben eine sehr schweigsame Art, und wenn sie doch einmal etwas sagen, dann machen sich die Leute aus anderen Regionen gerne über ihren Akzent lustig.
Was ein Daishani sagt, hat jedoch Gewicht. Mit zwei Jahren bekommt jeder von uns eine Rune unter dem Kehlkopf eingebrannt, die ihn unfähig macht, bewußt die Unwahrheit zu sagen. Tut er das doch, beginnt sie zu glühen, was derartige Schmerzen verursacht, daß es kaum möglich ist, sie zu verheimlichen.
Ich muß hoffentlich nicht erwähnen, daß die ersten Male, die man als Kind lügt, eine sehr stark erzieherische Wirkung nach sich ziehen.
Daishan selbst wird von einem Ältestenrat regiert, der sich zweimal im Jahr trifft, um Entscheidungen, die anstehen, zu treffen. Diese Ältesten sind im Regelfall die Oberhäupter der größeren Städte des Landes, es sind aber auch einige Stammesälteste der Nomaden der nördlichen Regionen darunter.

In den bewaldeten Ebenen meiner Heimat stand das Gehöft meines Vaters. Er war der Sohn eines Gelehrten, der sich im Alter in Daishan niederließ, um eine Rinderzucht aufzubauen. Als mein Vater erwachsen wurde, überließ ihm mein Großvater den Hof, damit er sich wieder dem Studium der Natur und der Menschen widmen konnte.
Ich war das neunte Kind meiner Eltern und auch das letzte, das sie bekamen. Sowohl Vater als auch Mutter hatten die Vierzig schon hinter sich gebracht und die beiden waren sich einig, daß neun Kinder in ihrem Alter genug waren.
Unser Hof war groß. Nicht nur für Daishan selbst, sondern auch nach generellen Maßstäben. Auf ihm gab es sechzig Zuchtrinder, die allen Familienmitgliedern viel Arbeit abverlangten. Dennoch, die Größe der Zucht führte zu relativem Reichtum, sodaß mein Vater sich sogar einige Knechte leisten konnte, die aber, nach daishanischer Sitte, praktisch wie Familienmitglieder behandelt wurden.
Ich hatte eine ziemlich geborgene Kindheit und genoß die Gelehrsamkeit meines Großvaters in vollen Zügen. Er brachte mir vieles bei, was mir in meinem späteren Leben sehr zu Nutze war.
Eigentlich gehe ich heute die Pfade, die er damals, lange bevor er sich niederließ, gegangen ist. Bis dahin war es aber leider ein weiter und an vielen Stellen sehr steiniger Weg.

Als ich achtzehn Jahre alt war, geschah das große Unglück. Der Drowkönig Welverin, angetrieben von einigem Wahnsinn, hatte sich schon Jahrhunderte davor entschlossen, allen Bewohnern der Oberwelt den Garaus zu machen.
Die Drow sind eine Realität in Daishan. Kein anderes der Nordländer beherbergt unter der Erde eine größere Anzahl von Siedlungen dieses Volkes, als unseres. Allein an den Südrändern der nördlichen Berge gibt es elf ihrer Königreiche oder Stadtstaaten (je nach Religion), im Süden gab es neben ein paar kleineren Städten noch das relativ große Reich des Welverin.
Der Krieg zwischen Welverins Truppen und den Daishani hatte bereits Generationen gedauert und war an seinem Ende durch eine Genozidoffensive geprägt, die nur durch sein gewaltsames Ende gestoppt worden war. Nach seinem Tode hatten die Drow seines Reiches damit begonnen, als Horden von Marodeuren auf der Oberfläche herumzustreifen und dort Chaos und Verwüstung anzurichten. Die Gründe dafür bleiben mir bis heute verschlossen.

Als ich also achtzehn war, wurde ich selber Opfer dieses sinnlosen Krieges. An einem Abend nach einem Tag schwerster Arbeit schlief ich einfach erschöpft auf einer unserer vielen Weiden in einem Unterstand ein. Das rettete mir das Leben.
Während ich schlief, stürmte eine riesige Menge Drow unseren Hof, töteten meine Eltern und Geschwister, alle Mägde und Knechte und brannten dann alles nieder. Die Rinder, die sie fanden, erschlugen sie und ließen sie liegen.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, sah ich schon von ferne den Rauch aufsteigen und eilte sofort in Panik dorthin.

Ich fand nichts mehr, nicht einmal Leichen. Es war nur ein einziger Haufen schwelender Trümmer.

Die nächsten sechs Monate verbrachte ich damit, durch Daishan zu reisen und mich als Tagelöhner zu verdingen. Dabei stolperte ich eigentlich nur von Ort zu Ort, ohne je zu verwinden, was mir geschehen war. Vielen anderen aus meiner Generation ging es ähnlich.

Und dann... Ja dann kam der Tag, an dem sich alles änderte. Mitten im Wald, irgendwo zwischen Bargum und dem Nirgendwo."
 

Joro Macun, Fossor Magnus Mortui, Im Jahre 743 nach dem großen Krieg.
 

© Matthias Wruck
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Und schon geht es hier weiter zum 1. Kapitel...

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