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Diese Geschichte wurde von den Drachental-Besuchern zur
zweitbesten Fantasy-Fortsetzungs-Story 2004 im Drachental gewählt!

Götterblut von KeyKeeper
Teil 1

Durch das Unterholz, ein Sprung hinab, stolpern, stürzen. Fluchen und Grollen hinter ihr, aufspringen, weiterhetzen, nochmal stolpern, hinter die Steinstatue krabbeln, keuchend verschnaufen.
"Wo bist du, diebisches Miststück! Kleines Biest, komm heraus! Du hast meine Kette gestohlen!"
Denken, denken, denken, schnell!
Plötzlich stutzte die Verfolgerin - sie hatte die Statue bemerkt.
"Asteran, wenn du deine Halskette suchst, so sieh in der Hütte deines älteren Bruders nach und jage nicht hier im Wald herum!"
Hatte da eben die Statue gesprochen? Eine rauhe weibliche Stimme die aus allen Richtungen zugleich kam? Dies war doch hoffentlich nicht einer der alten Plätze, wo früher die Götter gewandelt waren?!
"Bevor du fragst, wer ich bin! Man nannte mich Kir’iri’jath! Ich warte hier schon lange auf dich. Geh zu deinem Bruder, deine Kette wirst du dort finden, aber viel wichtiger ist, dass du mich hier gefunden hast!"
Möglichst unauffällig blickte Asteran zweifelnd noch einmal ins Gebüsch, ob sich Vhawiin, die kleine Diebin, nicht hier versteckt hatte, dann drehte sie sich zögernd um und ging vorsichtig ins Dorf zurück – die Angst vor dem unnatürlichen Wesen war stärker, Fragen zu stellen konnte unbequem werden...

Vhawiin fuhr hoch und hetzte in eine andere Richtung davon - sie musste noch vor Asteran am Haus des Bruders sein und die Kette dort verstecken!
Nur einen kurzen Blick warf sie zurück auf die Statue: eine aufrechte weibliche Figur, riesige Drachenflügel stolz emporgestreckt, die Krallen der Raubkatzenbeine in den Stein geschlagen, das sanfte Gesicht von schlanken Widderhörnern umrahmt und von einer unirdischen Kraft erfüllt.
Dem schönen toten Stein eine überirdische Stimme zu verleihen war nicht schwer gewesen für Vhawiin, die auch sonst noch einige ungewöhnliche Tricks auf Lager hatte - warum sie ihre Stimme so verstellen konnte wusste sie selbst nicht. Der Lehrling der Druidin war der Meinung gewesen, es stecke Magie dahinter. Aber ein Findelkind wie Vhawiin durfte einfach keine Magie wirken können... dafür waren allein die Druiden zuständig!

Die junge Frau drehte sich um und lief so schnell sie konnte - und sie erreichte die Hütte des Bruders noch vor Asteran.

***

Sie lag auf dem gebogenen Ast und schmunzelte. Dann nahm sie einen Schluck aus der ausgehöhlten Weneq-Wurzel, die vergorenen Weneq- Wurzel- Saft enthielt und erinnerte sich selbstgefällig an ihr erfolgreiches Manöver.
Asteran hatte der Statue geglaubt, die Kette in der Hütte des Bruders gefunden und dieser sprach von einem gedankenlosen Versehen - die Sache war geklärt. 
Und! Asteran hatte sich bei Vhawiin entschuldigt und ihr die Weneq-Wurzel geschenkt!
Im Nachhinein empfand sie tatsächlich so etwas wie Reue für ihren Diebstahl aber diese wurde bei weitem durch die Freude über den Erfolg übertroffen.

Unter ihrem Baum stöhnte es wild - das war das Einzige, das sie störte: Tebach trieb es wiedermal mit einer anderen Frau anstatt seiner eigenen bei der Arbeit zu helfen und verschenkte dafür auch noch deren Eigentum  – Essen, Felle und Stoffe. Seine wieselhafte, aalglatte Art und sein schäbiges Verhalten ekelten Vhawiin an, doch keiner der anderen Dorfbewohner wusste davon und wer hörte schon auf ein Findelkind...
'Auf ein Findelkind hören sie nicht, aber auf eine tote Steinstatue', dachte Vhawiin kopfschüttelnd bei sich.
'Wenn ich die Statue davon sprechen ließe, würden sie es glauben', setzte sie den Gedanken fort.
'Ich könnte ihnen alles mögliche erzählen! Na gut, erstmal müssten sie wohl Vertrauen zu der Statue fassen, dann könnte ich ihnen alles erzählen', sie lachte in sich hinein und amüsierte sich königlich.

***

Asteran lief in den Wald, aber sie hatte ihren Bogen nicht dabei? Was tat die Jägerin so früh am Morgen ohne Waffen im Wald? Vhawiin folgte ihr auf leisen Sohlen. Und als sie die Richtung erkannte, in der sie liefen, begann sie zu schaudern. Als die ältere Frau schließlich vor der Statue stehenblieb und leise zu ihr sprach wurde die Vermutung Gewissheit: Vhawiin hatte eine neue Göttin geschaffen. Zunächst noch bezweifelt und auch nur für eine Person. Aber das Bildnis mit unbekanntem Namen war zur Göttin geworden. Was sie für einen Scherz gehalten hatte, war hier Wirklichkeit.
Vhawiin zog sich erschrocken zurück und rannte dann in den Wald davon. Sobald sie auf einem Baum in sicherer Entfernung saß, begann sie nachzudenken.

***

Fünf Tage aber hatte Kir’iri’jath, die Sendbotin der Ewigkeit, geschwiegen, als sie das Wort wieder zur Erwählten Asteran erhob. Die Erwählte wurde abermals geprüft und empfing sodann den Segen der Göttin. Außerdem erhielt sie den Auftrag, Tebach, den Falschen, zu warnen ob seiner Unzucht und Falschheit. Dieser wurde blass und erschrak, da die Botin von seinem Unrecht wusste und fürchtete Strafe. Jedoch die Göttin hatte geboten, Tebach nicht zu bestrafen sondern nur zu verwarnen und so geschah es.
Am Tage darauf trat nicht nur Asteran vor das Bildnis der Göttin sondern mit ihr auch ihr Bruder und der Clanchef. Doch wieder schwieg die Göttin und die drei warteten drei Tage, bevor sie die Stimme abermals erhob.

***

Vhawiin saß inzwischen nicht mehr direkt hinter der Statue sondern hatte sich einen sichereren Platz auf einem riesigen Baum in der Nähe gesucht. Sie musste jedesmal, wenn sie zu dem Bildnis lief, höllisch aufpassen, dass sie keiner entdeckte und auch wenn sie schon dort auf ihre Gläubigen wartete darauf achtgeben, sich nicht zu verraten!
Asteran hatte schon Vertrauen zu der Göttin gefasst nachdem diese über Tebach sehr genau Bescheid wusste und er sich seiner Schuld bewusst gewesen war. Auch der Clanchef und Asterans Bruder waren bereit, zu glauben. Allerdings warteten sie jetzt schon den dritten Tag und begannen zu zweifeln. Dennoch musste der Plan gut überlegt sein - es durfte keinen Anlass geben, hinter der göttlichen Kir’iri’jath die überaus irdische Vhawiin zu vermuten!
Vhawiin hörte Rascheln und leise Stimmen, offenbar kamen ihre Gläubigen auch heute rechtzeitig - sie lächelte zufrieden.

Die drei knieten vor dem Bildnis nieder und richteten einen ehrerbietigen Gruß an es. Vhawiin wartete einige gespannte Herzschläge, dann ließ sie die rauhe, zeitlos junge Götterstimme aus allen Richtungen zugleich auf ihr Anhänger einflüstern:
"Gut dass ihr gekommen seid! Zweifelt nicht an mir, dann werde ich nicht an euch zweifeln!"
Sie schwieg einige Augenblicke. Dann erhob sie die Stimme lauter:
"Ich segne euch"
Wieder machte sie eine bedeutungsvolle Pause - und hoffte, dass den dreien in den nächsten Tagen etwas Gutes widerfuhr.
 "Es ist für mich sehr anstrengend, in diesem Körper aus totem Stein zu leben und noch anstrengender damit zu sprechen", erklärte die Göttin plötzlich, "Wenn ihr mir einen wertvollen Dienst erweisen wollt, dann sucht mir eine Stimme!"
Betretenes Schweigen folgte bis sich Asteran zu fragen traute:
"Eine Stimme, oh Göttin? Ich verstehe nicht, was du in deiner unendlichen Weisheit von uns verlangst! Es gibt keine Stimme ohne Körper"
"Hier jedenfalls nicht, da hast du sehr recht, meine kluge Freundin!"
Pausen, so hatte Vhawiin festgestellt, waren sehr wichtig - man musste den Leuten ja auch Zeit geben, etwas geheimnisvolles hinter den Worten der Göttin zu ahnen.
"Aber nachdem ich nicht lange warten kann, soll mir auch eine Stimme mit Körper recht sein. 
Der Körper muss jung sein - ich möchte möglichst wenig mit den Schwächen des menschlichen Daseins behelligt werden! Außerdem weiblich: ich bin eine Göttin und möchte nicht mit einer männlichen Stimme sprechen! Und als dritte Bedingung", Zahlensymbolik, auch das hatte Vhawiin schon vor einiger Zeit beim Beobachten der Vorgehensweise der Druidin gelernt, war ebenfalls sehr wichtig, "muss die Frau, deren Körper ich brauche, den magischen Funken in sich tragen!"
Die drei Gläubigen überlegten. Dann fragte der Clanchef leise:
"Wer soll das sein? In meinem Clan gibt es niemanden, der diese Bedingungen alle erfüllen könnte. Nur die Druidin ist magisch bewandert und eine Frau - aber sie ist nicht jung. Und ihr Lehrling ist jung und beherrscht Magie - aber ein Mann!"
"Es ist mir egal, wo ihr die Stimme hernehmt!", antwortete die Göttin scharf.
Dann, etwas sanfter: "Habt keine Angst. Ich bin sicher, dass ihr mir eine Stimme bringen könnt, wenn ihr euch wirklich bemüht"
Die drei blickten sich verwundert an.
"Vertraut mir, euer Lohn soll unvorstellbar sein!", versprach die Göttin sanft und ihre Stimme verhallte in die Stille.
Als Asteran sich vorsichtig erhob, waren ihr Gedanken schon vollkommen darauf gerichtet, die Stimme zu finden.

***

"Vhawiin, wo bist du!", rief der Clanchef laut in den Wald. Sie beeilte sich, aus dem Gebüsch zu klettern und schnell zur Stelle zu sein - anderes Verhalten hätte wohl für die im Moment so ungöttliche junge Frau unangenehme Konsequenzen gehabt!
"Ich suche dich schon eine Weile!", erklärte der Anführer mahnend. Und etwas sanfter setze er hinzu: "Ich brauche deine Hilfe. Der Lehrling der Druidin sagt, du hättest den Funken des Magischen in dir, stimmt das?"
Sie zögerte mit der Antwort: "Ich... ich weiß nicht. Manchmal geschehen komische Dinge um mich, aber die Druidin meinte, ich könne nicht bei ihr ausgebildet werden..."
"Egal, du bist unsere einzige Hoffnung, komm mit!"
Das Findelkind zog erstaunt die Augenbrauen hoch, doch in ihrem Innersten lächelte sie zufrieden.

***

Die Göttin aber sah die Stimme, die ihr gebracht worden war und ehrerbietig vor ihr kniete, den Kopf bis zum Boden gesenkt.
"Diese ist noch nicht bereit!", rief sie nur und schwieg. Erst am nächsten Morgen sprach sie wieder zur Erwählten Asteran, die alleine vor dem Bildnis betete:
"Asteran, die Stimme, die du mir dargebracht hast, ist noch nicht bereit! Ihre Magie ist nicht stark genug! Dies ist aber nötig, damit sie meinen Geist aufnehmen kann, ohne sofort zu vergehen! Jemand muss sie ausbilden und dies geschehe schnell, meine Zeit ist begrenzt!"
Die Druidin des Clans weigerte sich zunächst, die Stimme der Göttin zu unterrichten, doch als die Erwählte und die anderen Erleuchteten ihr erklärten, welch große Wichtigkeit dies hatte, gab sie schließlich nach.
Nach einem Monat aber hatte die Stimme der Göttin alles erlernt, was die Druidin ihr beibringen konnte - die Dringlichkeit und die Kraft der Göttin hatte beide bei ihrem Tun beflügelt.
Dann aber war der große Tag gekommen:
Die Stimme wurde vor die Sendbotin der Ewigkeit gebracht und diese trat in den Geist der jungen Frau ein. Sie aber verlor das Bewusstsein und schwere Krämpfe und ein Fieber schüttelten ihren Körper. Da sie aber wieder zu klarem Verstande kam, sprach sie zu dem versammelten Clan mit göttlicher Macht:
"Es ist vollbracht!"
Und die Menschen fielen auf die Knie und jubelten.
 

Und hier geht es zu Götterblut - Teil 2!
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