Vier Tage hatten all die neuen Anhänger der Göttin vom
Flüchtlingslager aus gebraucht, um - von der Stimme der Göttin
geführt - den Strand eine halbe Tagesfahrt von Vhawiins Heimatdorf
entfernt zu erreichen und hier machten sie Rast.
Diese vier Tage lang hatte Vhawiin endlich Zeit gehabt, über
das Geschehene nachzudenken. Sie konnte es fast selbst nicht glauben, dass
sie zwei "Götter" besiegt hatte und dass ihre eigene Magie so sehr
gewachsen war...
Die Ausbildung der Druidin hatte weder lang gedauert noch war sie
sehr ausführlich gewesen. Das, was sie zu diesen Taten befähigt
hatte, musste tiefer in ihr selbst wohnen... Mut und vor allem ein starker
Wille, zu diesem Schluss war sie gekommen, hatten ihr den Schlüssel
zur Macht in die Hand gegeben! Ein stahlharter Geist war das beste Mittel,
um die Magie zu lenken, das wusste sie jetzt...
Mit Khalan war sie sehr zufrieden und noch zufriedener damit, dass
sie die Generalin überzeugt hatte, mit ihr zu kommen.
Ber'racchnanns Heer zu zerschlagen war nicht schwer gewesen - ohne
den heiligen Speer konnte der Hohepriester keine Magie einsetzen und ein
Donnergott ließ sich nicht blicken. Dies hatte Vhawiin zu der stillen
Annahme veranlasst, dass auch der Hohepriester von Ber'racchnann - wie
sie selbst - der sehr menschliche und irdische Gründer eines Kultes
gewesen war, dessen Gott gar nicht existierte!
Einige neue Anhänger waren aus den Reihen des "Donnergottes"
zu ihr übergetreten und auch unter den Flüchtlingen hatte sie
einige Tage später neue Gläubige gefunden. Den weisen Mann mit
den grünen Augen, der ihr von Xall berichtet hatte, hatte sie zu ihrem
Bedauern nicht mehr gesehen.
Nun jedoch ließ sie ihr neues Gefolge hier am Strand lagern,
während sie selbst zusammen mit Khalan heimlich ein Boot bestieg,
um zu ihrem Dorf vorauszueilen...
***
"Shhh! Hey, Winnaé! Komm her!"
Vhawiin saß im Gestrüpp abseits der Dorfhütten und
winkte das kleine Mädchen zu sich, während Khalan derweil in
dem kleinen, im Ufergebüsch verborgenen Boot, ungefähr eine halbe
Meile entfernt, wartete, wie ihr befohlen worden war.
"Schön, dass du wieder da bist!", flüsterte Winnaé.
"Danke", lächelte Vhawiin und wurde dann ernst: "Also, was
hast du denn in letzter Zeit gesehen, wo du doch für mich aufpassen
solltest?"
"Die Haitanee hat einen Steintempel bauen lassen, er ist riesig
und sie sagt, wir sollen nicht auf dich hören... Aber ich glaube nicht,
dass sie Recht hat.
Und dann war das Wasser im Fluss ganz oft so gelb und hat gestunken!
Und die Haitanee war ganz oft und lang im Wald - ganz viel kräutersammeln
und so."
Vhawiin lächelte wieder - diesmal aus Begeisterung und Zufriedenheit.
Das kleine Mädchen war ein Goldschatz für die Stimme der Göttin.
"Wo geht die Druidin kräutersammeln?", hakte sie nach.
"Im Norden, ich sehe sie oft den Kristallfluss rauflaufen"
"Ist sie da heute wieder?"
"Ja, grade ist sie wieder dahingegangen..."
"Und sonst?"
"Mama geht es gut und Asteran war gestern bei uns und hat gesagt,
dass sie hofft, dass dir nichts passiert ist."
"Du hast wirklich gut aufgepasst - ich bin sehr stolz auf dich!
Ich hab dir natürlich auch was mitgebracht..."
Vhawiin wühlte in ihrem Beutel und zog die rubinbesetzte Goldbrosche
hervor. Selbstverständlich hatte sie sich dreimal vergewissert, dass
dieses Schmuckstück keinerlei Magie enthielt, schließlich wollte
sie ihrer "Spionin" und Freundin nicht schaden.
"Leider kann ich es dir noch nicht heute geben, weil es doch geheimbleiben
muss, dass wir uns getroffen haben. Aber morgen, wenn ich mit allen meinen
neuen Freunden hierher zurückkehre, dann werde ich sie dir schenken",
versprach sie.
Winnaés Augen leuchteten.
"Aber shh! Verrate niemandem, dass du mich gesehen hast...", prägte
sie dem Kind noch ein, dann wandte sie sich zum Gehen. "Bis bald, Winnaé,
morgen komme ich zurück!"
Und schon war sie mit leisem Rascheln schnell im Gebüsch verschwunden...
***
Als sie weit genug vom Dorf entfernt war, um nicht gehört zu
werden, lief sie so schnell sie konnte.
Sie folgte dem Kristallfluss Richtung Norden - die Druidin würde
heute noch ihr blaues Wunder erleben.
Außerdem ließ Winnaés Bericht vermuten, dass
die Alte dort wohl nicht gerade Kräuter sammelte!
Und als sie am Ufer entlang bergauf rannte, bemerkte sie zuerst
beißenden Geruch und dann auch eine gelbliche Färbung des Flusswassers.
Ihre Vermutungen verstärkten sich mit jeden Schritt und sie steigerte
ihr Tempo.
Es lag ihr nicht so sehr daran, zu verhindern, dass die Haitanee
den Fluss vergiftete, sondern eher daran, sie auf frischer Tat zu stellen,
um sie im Dorf als böse Frau präsentieren zu können.
Vermutlich hatte die Alte irgendwelche Substanzen aus dem reichhaltigen
Giftschrank der Natur verwendet, um den Ärger der Geister und Götter
vorzutäuschen und so ihre eigene Stellung als Vermittlerin zwischen
himmlischer und irdischer Sphäre zu stärken. Ein cleverer, wenn
auch verwerflicher Schachzug - man durfte sich nur nicht dabei erwischen
lassen und vor allem nicht von einem Kind!
Immer weiter folgte Vhawiin dem Lauf des kleinen Flusses leicht bergauf
und die gelbliche Färbung des Wassers wurde immer deutlicher.
Plötzlich verschwand der Widerstand des dichten Unterholzes
und sie stolperte auf eine Waldlichtung, durch die der kleine Fluss führte.
Die Druidin, die damit beschäftigt war, körbeweise einen
gelb-braunen Brei ins Wasser zu kippen, schrak auf und ging unwillkürlich
in Verteidigungsstellung.
Aber als sie sah, wer sie da entdeckt hatte, entspannte sie sich...
Ein Fehler - der aber auch keinen Unterschied mehr machte...
"Du bist also wieder da - ich hätte nicht gedacht, dass du
zurückkommst... Aber das soll mir egal sein..."
"An deiner Stelle würde ich mich etwas geschickter anstellen,
wenn ich den "Zorn der Götter"
schon selbst produzieren möchte!"
"Ach, nun, was rät mir denn das Fräulein "Stimme der Göttin"
zu diesem Thema?", war die zynische Antwort, "auf die Hilfe der Götter
warten? Es gibt keine Götter!"
"Oh doch, es gibt Götter", langsam veränderte Vhawiin
ihre Stimme, bis schließlich "Kir'iri'jath" donnerte: "Mich zum Beispiel!"
"Du meinst wohl, du kannst mich mit deinem faulen Zauber beeindrucken?
Das kann ich schon lange! Wirkliche Magie hast du wohl noch nie gespürt?
Darf ich dir zeigen, was Magie ist?"
Es war keine Frage, es war eine Drohung und dieser folgte ein magischer
Angriff auf den Fuß.
Die Druidin stieß plötzlich zu und versuchte, ihren Zauber
in Vhawiins Geist zu bohren. Sie beherrschte offenbar einige Tricks, die
sie Vhawiin verschwiegen hatte!
Doch der Hass und Triumph auf dem Gesicht der Haitanee schlugen
augenblicklich in Schmerz und Todesangst um, als ihr Schlag gegen eine
Wand aus Eisen traf. Noch vor ein paar Tagen hätte die alte Frau leicht
die Kontrolle über Vhawiins Geist erlangt, aber mit der neuen Kraft
von zwei Göttern, die nun in deren Körper wohnte, konnte sie
es nicht aufnehmen.
Das eisige Lächeln zeigte sich wieder auf dem Gesicht der "Stimme"
und wurde breiter, als sie die geistigen Klauen genüsslich um die
Seele der Druidin legte. Der Schutzzauber der Alten war stark wie ein Schutzwall
- aber wie eine Mauer aus Sand für die unglaubliche Macht Vhawiins...
Der Körper der Haitanee brach zusammen und krümmte sich
am Boden.
"Du hättest mich wohl vernichten sollen, als ich noch eine
kleines Findelkind war, aber da war ich nicht wichtig genug. Oder als ich
zu deiner Konkurrenz wurde, aber da glaubtest du dich mir überlegen
und du hofftest, dass ich nicht lebendig von meiner Reise zurückkehren
würde. Von der Reise, um die Götter zu besänftigen, deren
Zorn du hier vorgespielt hast. Aber leider wusstest du wohl nicht, dass
es wirklich Götter waren, die im Norden die Erde beben ließen...
Götter, die ich vernichtet habe, nicht etwa besänftigt!"
Die Druidin war nicht in der Lage zu antworten, aber ihre Augen
verrieten ihre Furcht.
"Und aus diesem kühlen Grunde bist du nun diejenige, die hier
vernichtet wird! Aber den einfachen Abtritt kann ich dir leider nicht bieten,
dafür kann ich dich und deine Taten zu gut gebrauchen..."
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