Am nächsten Morgen hatten die Krieger sich früh in den
Gastraum gesetzt, um ein ordentliches Frühstück zu genießen.
Xerxes' Vorschlag, noch einen Tag länger zu bleiben, wurde von allen
recht freudig empfangen, konnten sie sich dann noch ein bisschen von den
Strapazen des Rittes erholen. Und so ließen sie sich diesen Morgen
auch viel Zeit.
Als nach nicht ganz einer Stunde Ailin zu ihnen stieß und
Xerxes sie alle miteinander bekannt machte, bekam er von Relow einen abschätzenden
Blick zugeworfen. Doch Xerxes überging diese Provokation würdevoll,
und ließ sich erst gar nicht auf die frechen Bemerkungen seiner Kameraden
ein. Stattdessen wusste er Ailins Interesse geschickt auf Hagens und Relows
Welterfahrung zu lenken.
Als sie schließlich die Männer neugierig fragte, was
sie dazu bewogen hatte, auf den Ostkontinent zu reisen, wurde es auf einmal
still. Einen langen Moment starrten sie auf ihre Hände, dann zuckte
Relow die Schultern: "Abenteuer, schätze ich mal." Hagen seufzte und
grinste dann plötzlich: "Kopfgeld!" Ailin zuckte befremdet zurück,
während Akira schadenfroh lachte. "Und Ihr?" fragte Ailin Xerxes.
"Neugierde..." antwortete er ausweichend, "Man erzählt sich
immerhin schon auf dem Nordkontinent, welch großes Problem hier herrscht."
Ailin seufzte und nickte: "Auch wenn jeder es herunter zu spielen versucht,
es ist wirklich schlimm geworden. Mein Vater hat allein im letzten Sommer
zwei Dörfer und ein Drittel der Ernte verloren! Und dennoch tut er
so, als sei er der Situation gewachsen."
"Dann sind wir wohl wirklich richtig hier?" lächelte Relow
abwesend. "Je größer das Problem, umso mehr ist man bereit,
für Hilfe zu zahlen." - "Vielleicht," bestätigte Ailin, "immerhin
sucht der Kaiser schon händeringend nach Männern, ist sogar bereit,
freie Söldner anzuheuern und zu bezahlen. Und das ist wirklich das
untypischste uberhaupt. Er will sonst immer alles und jeden kontrollieren,
jetzt verzichtet er darauf..."
"Mich würde mal interessieren," mischte Akira sich gedankenverloren
ein, "wieso das so ausgeartet ist... Ich bin schon so lange Söldner,
aber so schlimm, wie in den letzten zwei Jahren!" Er brach ab, um den Kopf
zu schütteln. "Da muss irgendetwas dahinter stecken. Ich meine, die
feigen Trolle greifen Dörfer an, Kobolde verwüsten Ernten und
man erzählt sich sogar schon von seltsamen Kreaturen, die man bisher
noch nie gesehen hat..."
"Ihr wisst, wie man jemandem Mut macht!" lachte Hagen leise. "Und
vor ein paar Wochen habt Ihr es noch heruntergespielt." Akira zuckte die
Schultern und starrte auf den Bierkrug vor sich. Schließlich seufzte
er leise und sah Hagen nachdenklich an: "Bisher habe ich das Ganze auch
noch nicht im Zusammenhang gesehen. Aber nun, da sogar ein Gebiet, so nahe
bei der Kaiserstadt schon betroffen ist."
Xerxes stützte abwesend seinen Kopf auf den Handballen. Während
er gedankenverloren vor sich hin sah, fuhr er den Rand seines Bierkruges
nach. Plötzlich begann er ein paar Worte zu summen: "Sie sind das
Dunkel, schicken Tiere und Makihs... Wenn in ihre Augen du siehst... Die
Schattenmagier, führen das Biest..." Als seine Gefährten Xerxes
erstaunt ansahen, lächelte er verlegen: "Ein altes Lied, das mir meine
Großmutter immer vorsang."
"Wie könnt Ihr bei diesem Gespräch nur an Lieder denken!?"
fluchte Hagen und wendete sich wieder ab. Xerxes seufzte leise und zuckte
die Schultern. Akira starrte den Jungen jedoch nur nachdenklich an, während
Relow und Ailin das Ganze mit einem Schulterzucken abtaten. Wieder machte
sich in Akira dieser seltsame Zweifel an Xerxes' Unwissenheit breit. Dieses
alte Elfenlied konnte sehr wohl etwas mit dem Thema zu tun haben, wenn
auch nicht so direkt, wie man es gerne hätte.
"Von den Schattenmagiern habe ich auch schon gehört." brummte
er plötzlich. "Ich glaube, ein Barde hat ein ähnliches Lied gesungen,
aus elfischen Überlieferungen." Xerxes zuckte abwesend die Schultern:
"Es ist ein Lied, niemand weiß, ob die Schattenmagier wirklich sind."
- "Was sagte man sich über diese Magier?" fuhr Akira unbeirrt fort.
"Sie seien die Hand des Bösen..." - "Alle hundert Jahre soll einer
die Möglichkeit haben, die Welt wieder zu betreten," nickte Xerxes
abwesend, "und ihr Anblick soll derart grauenvoll sein, dass es einen tötet,
sie zu sehen. - Lieder eben."
"Vielleicht auch mehr..." brummte Akira düster. Unwillkürlich
musste Hagen lachen: "Das glaubt Ihr doch nicht wirklich!?" – "Wieso nicht?"
konterte dieser. "Denkt mal darüber nach, was schon alles geschehen
ist: Die Kobolde und Trolle verhalten sich anders, eine Fee treibt sich
in der Nähe der Menschenstädte herum und will allen Anschein
nach zum Kaiser! Wenn das nicht Grund ist, auch mit so etwas zu rechnen!"
Hagen hielt in der Bewegung inne und wiegte den Kopf nachdenklich
zur Seite. Auch Relow hatte sein mitleidiges Lächeln jäh fallen
lassen und starrte bedrückt vor sich hin. Nur Xerxes schien von all
dem nicht besonders beeindruckt. In seinen Augen war noch immer ein gewisser
Zweifel zu sehen, der aber auch von einer leisen Angst unterbrochen wurde.
Und in Akira reifte der Gedanke, dass er so falsch vielleicht nicht gelegen
haben mochte.
Bis zum späten Abend sprachen die fünf noch über allerlei
Dinge aus der Vergangenheit. Xerxes, Relow und Hagen lernten während
dieses Tages vieles über Barahn, die Kaiserstadt Kanjak und auch über
den Ostkontinent allgemein. Und auch Akira und Ailin bekamen Dinge zu hören,
die hier auf dem Ostkontinent schon längst in Vergessenheit geraten
oder noch gar nicht bekannt geworden war.
Auch lernten sie sich untereinander viel besser kennen und einzuschätzen.
Schnell hatte sich gezeigt, dass sie trotz aller Unterschiede doch eine
nach außen hin verschworene Gemeinde von Abenteurern waren, die sich
von nichts und niemandem einschüchtern ließen. Über Tharas
hingegen fiel kaum ein Wort, denn die Fee gab noch immer mehr Rätsel
auf, als Antworten.
Als Ailin sich am Abend von den Männern trennte, fiel es ihr
sichtlich schwer, denn sie hatte die vier in der Zwischenzeit sehr in ihr
Herz geschlossen. Jedoch Xerxes interessierte sie besonders. Auf dem gesamten
Ostkontinent gab es kaum Elfen – und einen Halbelfen hatte sie noch nie
zuvor gesehen.
Deshalb zeigte sie sich besonders angetan, als Xerxes sich bereit
erklärte, sie zu ihrem Gasthof zu begleiten. So viele Fragen brannten
ihr auf der Zunge, doch schwieg sie fast den gesamten Weg über und
stellte nur ab und an eine Frage über Xerxes' Familie oder seine Ideale.
In der Stille der inzwischen fast leeren Straßen kam es ihr fast
wie ein Frevel vor, zu sprechen. Die Stille hatte einfach eine Magie, die
man nicht zerstören sollte.
Nur widerwillig verabschiedete sie sich schließlich von dem
jungen Halbelfen am Eingang der Gaststube. So sehr Ailin ihn auch mochte,
ihrem Vater würde es bestimmt nicht passen, würde sie mit einem
umherstreifenden Krieger die Stube betreten. Ein wenig schüchtern
blickte sie Xerxes nach, der sichtlich gelassener war, als Ailin. Er schien
ihre Gefühle nicht zu bemerken, so unbeschwert, wie er sich von ihr
verabschiedete und schließlich um die Ecke verschwand...
Inmitten der Nacht schreckte Ailin plötzlich hoch, doch hatte
sie nicht die Zeit, auch nur einen Laut von sich zu geben. Hastig legte
sich eine Hand auf ihren Mund und ein eindringlich gezischtes "Scht" ließ
sie verharren. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie den Schatten an,
der sich über ihr Bett gebeugt hatte. Doch als sich ihre Augen an
das Zwielicht gewöhnt hatten und sie die Person erkannte, entspannte
sie sich sichtlich.
Und Xerxes zog seine Hand wieder zurück, um den Finger aber
mahnend auf die Lippen zu legen. Noch während Ailin sich verwirrt
aufsetzte und bemerkte, dass ihre Zofe bereits wach war, schlich Xerxes
sich bereits zur Tür und blickte durch einen schmalen Spalt auf den
breiten Flur. Noch war nichts von den Schemen zu sehen, die er schon erwartet
hatte - aber das hatte nichts zu bedeuten, es war nur noch eine Frage der
Zeit, bis sie auch hier in den zweiten Stock des Gasthauses kamen.
"Was um alles in der Welt ist hier los?" zischte Ailin plötzlich,
als sie sich endlich wieder gefasst hatte. - "Sscht!" zischte Xerxes und
fuhr zu ihr herum. "Oder wollt Ihr gleich tot sein?" Als Ailin ihn nur
fassungslos anstarrte, nickte Xerxes bitter und trat leise von der Tür
weg. "Irgendetwas - ich habe diese Biester noch nie gesehen - aber sie
gehen von Haus zu Haus und schlachten die Leute ab. Und wenn Ihr nicht
leise seid, sind sie schneller hier, als uns lieb sein kann! Also still
jetzt, tut einfach, was ich euch sage..."
Entsetzt verharrten sowohl Ailin als auch ihre Zofe, ohne die Worte
des jungen Kriegers überhaupt wirklich zu verstehen. Doch schnell
ergriff Ailin ihren Umhang und legte ihn sich über die Schultern.
Das seidene Nachthemd lugte jedoch verräterisch bei jeder Bewegung
hervor, als sie an Xerxes' Seite an der Tür trat. Dieser behielt derweil
den Flur mit zornig geschürzten Lippen im Blick.
Die Kreaturen – die eindeutig weder menschlich noch elfisch sein
konnten - waren bereits hier auf dem zweiten Stock und schlichen sich unerwartet
leise von Tür zu Tür, wo sie stets für ein paar Sekunden
in den Räumen verschwanden, um dann ebenso leise wieder auf den Flur
zurückzutreten und sich dem nächsten Raum zuzuwenden. Es dauerte
nicht mehr lange, und sie hatten auch diesen Raum erreicht...
Ebenso leise, wie er sie geöffnet hatte, schloss Xerxes die
Tür wieder und winkte die beiden Frauen dicht an sich heran. Mit halbem
Auge beobachtete er weiter das Geschehen außerhalb des Zimmers, während
er die Stimme zu einem kaum hörbaren Flüstern erhob: "Wenn ich
die Tür öffne, dann nehmt auf nichts und niemanden Rücksicht!"
flüsterte er eindringlich. "Ich werde die Bestien kurz ablenken können,
bis dahin müsst ihr beide die Treppe erreicht haben!"
Unwohl schluckte Ailin den Kloß im Hals herunter, nickte schweigend.
Mit beiden Händen krallte sie sich an ihrem Umhang fest und starrte
Xerxes angespannt an. Langsam zog Xerxes sein Schwert aus der Scheide,
vermied jegliches Geräusch. Es vergingen einige endlos erscheinende
Minuten, bis er plötzlich die Lippen zu einem schmalen Schlitz schürzte
und Ailin einen letzten Blick zuwarf.
Blitzschnell hatte er die Tür nach innen aufgerissen und schnellte
noch in derselben Bewegung nach draußen. Vor ihm befand sich ein
gut zwei Meter hohes Wesen, das ihn verdutzt aus zwei riesigen, schwarzen
Augen anstarrte. Und noch bevor es sich von seinem Schrecken erholt hatte,
stak auch schon die lange Klinge von Xerxes' Schwert tief in seiner Brust.
Angestrengt biss der junge Krieger die Zähne zusammen und riss
mit gewaltiger Anstrengung sein Schwert zurück. Gurgelnd sank sein
Gegner zu Boden. Doch hatte er nun auch die Aufmerksamkeit der übrigen
vier Kreaturen, die mit messerscharfen Krallen bewaffnet auf ihn zukamen.
Knurrend entblößten sie dabei die unzähligen spitzen Zähne
ihres Wolfsgebisses.
Kurz blickte Xerxes sich unsicher um, dann wich er zur Treppe zurück,
die in das nächste Stockwerk führte. Die Spitze seiner Klinge
war dabei lauernd auf Brusthöhe abgesenkt. Die Kreaturen hatten den
Krieger nun fest im Blick, scherten sich um nichts weiter und liefen auch
an Ailins Kammer vorbei, ohne die beiden Frauen darin zu bemerken, die
im Schatten der Tür auf eine günstige Gelegenheit warteten.
Kaum kehrte auch das letzte der Wesen der Tür den Rücken
zu, griff Ailin die Hand ihrer Zofe und schlich sich aus dem Zimmer heraus.
Immer an der Wand entlang tasteten sie sich in Richtung Ausgang. Dabei
ließen sie den Feind jedoch keinen Moment aus den Augen und wagten
nicht einmal, richtig zu atmen. Doch waren die Kreaturen derart auf Xerxes
fixiert, der sie noch immer weiter weg lockte, dass sie die beiden Frauen
nicht bemerkten und diese die Treppe nach unten unbeschadet erreichten.
Kaum waren die beiden Frauen nicht mehr zu sehen, wagte Xerxes es,
ein wenig aufzuatmen. Dann jedoch wurde sein Blick wieder schmal und er
betrachtete die Kreaturen eingehend. Sie bestanden eigentlich nur aus Muskeln
und Fell, schien es. Ihr ganzes Erscheinen war wie eine Mischung aus Ork
und Wolf: Ein plumper, muskulöser Oberkörper mit massigen Oberarmen
auf wolfsähnlichen, sehnigen Beinen. Der Kopf war riesig und das Maul
nahm bestimmt die Hälfte davon ein. Alles in allem machten sie einen
irritierenden aber zugleich gefährlichen Eindruck.
Doch schienen sie auch Respekt vor Xerxes' Schwert zu haben, an
dessen Metall immerhin das Blut eines Artgenossen klebte. Noch hielten
sie drei Meter Abstand zu Xerxes und beäugten ihn zornig und abschätzend.
Damit gaben sie ihm aber auch ein wenig Zeit, die er sehr nötig hatte.
Denn der Krieger hatte keine Ahnung, wie er an den Bestien vorbei kommen
sollte.
Und langsam wurden die Kreaturen mutiger, zogen ihren Kreis um Xerxes
enger - weswegen der Junge nur zurückweichen konnte. Doch endlich
kam ihm eine Idee, die vielleicht auch klappen konnte. Entschlossen packte
er sein Schwert fester und wich schnell bis an die Treppe zurück.
Einen Moment zögerten die Wesen erstaunt, dann setzten sie sich wieder
in Bewegung.
Einen Augenblick gönnte Xerxes sich noch und holte tief Luft,
ehe er sein Schwert mit einem fast markerschütternden Schrei über
die Schulter riss und direkt auf die Untiere zustürmte. Kurz hielten
diese inne, dann jedoch kreischten sie wütend auf und warfen sich
dem Krieger entgegen. Eines der Wesen holte plötzlich aus, um die
krallenbewehrte Hand in Xerxes Leib zu versenken.
Im letzten Augenblick ließ dieser sich jedoch zu Boden fallen
und schlitterte auf dem Rücken knapp an der Kreatur vorbei. Kaum wurde
er langsamer, sprang Xerxes auch schon wieder auf die Beine. Einen kurzen
Moment kämpfte er mit dem Gleichgewicht, drohte erneut zu stürzen.
Doch dann hatte er sich gefangen und rannte, so schnell er konnte, auf
die Treppe nach unten zu.
Hinter ihm waren die Bestien inzwischen zum Stillstand gekommen
und starrten dem Flüchtenden fast ungläubig nach. Der erste von
ihnen fing sich erst wieder, als Xerxes die Treppe bereits erreicht hatte
und nun die schmalen Stufen nach unten hastete. Zornig kreischte das Wesen
auf und setzte ihm mit weit ausgreifenden und unglaublich geschickten Sätzen
nach.
Am Fuße der Treppe warf Xerxes einen vergewissernden Blick
hinter sich. Erschrocken keuchte er auf, als er das Untier bereits am oberen
Ende ausmachte. Fluchend ballte er seine Faust fester um den Schwertgriff,
und stürzte regelrecht auf die Tür zu. Doch die polternden Schritte
hinter ihm, ließen Xerxes hoffen, denn die Wesen schienen ihre liebe
Müh mit den Treppenstufen zu haben.
Für eine Sekunde schlich sich ein Lächeln in Xerxes’ Mundwinkel.
Aber schnell blieb ihm das im Halse stecken. Denn er war nur zwei Schritte
vor der Tür des Gasthauses, als er entsetzt innehielt und zum Stehen
kam. Auf der breiten Straße vor dem Gasthaus befanden sich gut ein
Dutzend dieser Wesen. Viele der Häuser standen bereits lichterloh
in Flammen und tauchten die Straße in ein seltsames Farbspiel.
Hastig blickte Xerxes sich um - und stöhnte erschrocken auf.
Die beiden Frauen hatten es auch nur bis hierher geschafft und standen
nun mit dem Rücken zur Gasthofwand, während sie von zwei Dutzend
schwarzer Augen angestarrt wurden. Knurrend wich Xerxes ein Stück
zurück, bis er knapp vor den beiden Frauen stand. "So viel zur Flucht."
murmelte er angespannt. "Jetzt haben wir ein wirkliches Problem..."
© Dragonsoul
Lianth
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse
bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
|