Die Krieger des Ostens von Dragonsoul Lianth
8: Kampf in Barahn

Am nächsten Morgen hatten die Krieger sich früh in den Gastraum gesetzt, um ein ordentliches Frühstück zu genießen. Xerxes' Vorschlag, noch einen Tag länger zu bleiben, wurde von allen recht freudig empfangen, konnten sie sich dann noch ein bisschen von den Strapazen des Rittes erholen. Und so ließen sie sich diesen Morgen auch viel Zeit.
Als nach nicht ganz einer Stunde Ailin zu ihnen stieß und Xerxes sie alle miteinander bekannt machte, bekam er von Relow einen abschätzenden Blick zugeworfen. Doch Xerxes überging diese Provokation würdevoll, und ließ sich erst gar nicht auf die frechen Bemerkungen seiner Kameraden ein. Stattdessen wusste er Ailins Interesse geschickt auf Hagens und Relows Welterfahrung zu lenken.
Als sie schließlich die Männer neugierig fragte, was sie dazu bewogen hatte, auf den Ostkontinent zu reisen, wurde es auf einmal still. Einen langen Moment starrten sie auf ihre Hände, dann zuckte Relow die Schultern: "Abenteuer, schätze ich mal." Hagen seufzte und grinste dann plötzlich: "Kopfgeld!" Ailin zuckte befremdet zurück, während Akira schadenfroh lachte. "Und Ihr?" fragte Ailin Xerxes.
"Neugierde..." antwortete er ausweichend, "Man erzählt sich immerhin schon auf dem Nordkontinent, welch großes Problem hier herrscht." Ailin seufzte und nickte: "Auch wenn jeder es herunter zu spielen versucht, es ist wirklich schlimm geworden. Mein Vater hat allein im letzten Sommer zwei Dörfer und ein Drittel der Ernte verloren! Und dennoch tut er so, als sei er der Situation gewachsen."
"Dann sind wir wohl wirklich richtig hier?" lächelte Relow abwesend. "Je größer das Problem, umso mehr ist man bereit, für Hilfe zu zahlen." - "Vielleicht," bestätigte Ailin, "immerhin sucht der Kaiser schon händeringend nach Männern, ist sogar bereit, freie Söldner anzuheuern und zu bezahlen. Und das ist wirklich das untypischste uberhaupt. Er will sonst immer alles und jeden kontrollieren, jetzt verzichtet er darauf..."
"Mich würde mal interessieren," mischte Akira sich gedankenverloren ein, "wieso das so ausgeartet ist... Ich bin schon so lange Söldner, aber so schlimm, wie in den letzten zwei Jahren!" Er brach ab, um den Kopf zu schütteln. "Da muss irgendetwas dahinter stecken. Ich meine, die feigen Trolle greifen Dörfer an, Kobolde verwüsten Ernten und man erzählt sich sogar schon von seltsamen Kreaturen, die man bisher noch nie gesehen hat..."
"Ihr wisst, wie man jemandem Mut macht!" lachte Hagen leise. "Und vor ein paar Wochen habt Ihr es noch heruntergespielt." Akira zuckte die Schultern und starrte auf den Bierkrug vor sich. Schließlich seufzte er leise und sah Hagen nachdenklich an: "Bisher habe ich das Ganze auch noch nicht im Zusammenhang gesehen. Aber nun, da sogar ein Gebiet, so nahe bei der Kaiserstadt schon betroffen ist."
Xerxes stützte abwesend seinen Kopf auf den Handballen. Während er gedankenverloren vor sich hin sah, fuhr er den Rand seines Bierkruges nach. Plötzlich begann er ein paar Worte zu summen: "Sie sind das Dunkel, schicken Tiere und Makihs... Wenn in ihre Augen du siehst... Die Schattenmagier, führen das Biest..." Als seine Gefährten Xerxes erstaunt ansahen, lächelte er verlegen: "Ein altes Lied, das mir meine Großmutter immer vorsang."
"Wie könnt Ihr bei diesem Gespräch nur an Lieder denken!?" fluchte Hagen und wendete sich wieder ab. Xerxes seufzte leise und zuckte die Schultern. Akira starrte den Jungen jedoch nur nachdenklich an, während Relow und Ailin das Ganze mit einem Schulterzucken abtaten. Wieder machte sich in Akira dieser seltsame Zweifel an Xerxes' Unwissenheit breit. Dieses alte Elfenlied konnte sehr wohl etwas mit dem Thema zu tun haben, wenn auch nicht so direkt, wie man es gerne hätte.
"Von den Schattenmagiern habe ich auch schon gehört." brummte er plötzlich. "Ich glaube, ein Barde hat ein ähnliches Lied gesungen, aus elfischen Überlieferungen." Xerxes zuckte abwesend die Schultern: "Es ist ein Lied, niemand weiß, ob die Schattenmagier wirklich sind." - "Was sagte man sich über diese Magier?" fuhr Akira unbeirrt fort. "Sie seien die Hand des Bösen..." - "Alle hundert Jahre soll einer die Möglichkeit haben, die Welt wieder zu betreten," nickte Xerxes abwesend, "und ihr Anblick soll derart grauenvoll sein, dass es einen tötet, sie zu sehen. - Lieder eben."
"Vielleicht auch mehr..." brummte Akira düster. Unwillkürlich musste Hagen lachen: "Das glaubt Ihr doch nicht wirklich!?" – "Wieso nicht?" konterte dieser. "Denkt mal darüber nach, was schon alles geschehen ist: Die Kobolde und Trolle verhalten sich anders, eine Fee treibt sich in der Nähe der Menschenstädte herum und will allen Anschein nach zum Kaiser! Wenn das nicht Grund ist, auch mit so etwas zu rechnen!"
Hagen hielt in der Bewegung inne und wiegte den Kopf nachdenklich zur Seite. Auch Relow hatte sein mitleidiges Lächeln jäh fallen lassen und starrte bedrückt vor sich hin. Nur Xerxes schien von all dem nicht besonders beeindruckt. In seinen Augen war noch immer ein gewisser Zweifel zu sehen, der aber auch von einer leisen Angst unterbrochen wurde. Und in Akira reifte der Gedanke, dass er so falsch vielleicht nicht gelegen haben mochte.

Bis zum späten Abend sprachen die fünf noch über allerlei Dinge aus der Vergangenheit. Xerxes, Relow und Hagen lernten während dieses Tages vieles über Barahn, die Kaiserstadt Kanjak und auch über den Ostkontinent allgemein. Und auch Akira und Ailin bekamen Dinge zu hören, die hier auf dem Ostkontinent schon längst in Vergessenheit geraten oder noch gar nicht bekannt geworden war.
Auch lernten sie sich untereinander viel besser kennen und einzuschätzen. Schnell hatte sich gezeigt, dass sie trotz aller Unterschiede doch eine nach außen hin verschworene Gemeinde von Abenteurern waren, die sich von nichts und niemandem einschüchtern ließen. Über Tharas hingegen fiel kaum ein Wort, denn die Fee gab noch immer mehr Rätsel auf, als Antworten.
Als Ailin sich am Abend von den Männern trennte, fiel es ihr sichtlich schwer, denn sie hatte die vier in der Zwischenzeit sehr in ihr Herz geschlossen. Jedoch Xerxes interessierte sie besonders. Auf dem gesamten Ostkontinent gab es kaum Elfen – und einen Halbelfen hatte sie noch nie zuvor gesehen.
Deshalb zeigte sie sich besonders angetan, als Xerxes sich bereit erklärte, sie zu ihrem Gasthof zu begleiten. So viele Fragen brannten ihr auf der Zunge, doch schwieg sie fast den gesamten Weg über und stellte nur ab und an eine Frage über Xerxes' Familie oder seine Ideale. In der Stille der inzwischen fast leeren Straßen kam es ihr fast wie ein Frevel vor, zu sprechen. Die Stille hatte einfach eine Magie, die man nicht zerstören sollte.
Nur widerwillig verabschiedete sie sich schließlich von dem jungen Halbelfen am Eingang der Gaststube. So sehr Ailin ihn auch mochte, ihrem Vater würde es bestimmt nicht passen, würde sie mit einem umherstreifenden Krieger die Stube betreten. Ein wenig schüchtern blickte sie Xerxes nach, der sichtlich gelassener war, als Ailin. Er schien ihre Gefühle nicht zu bemerken, so unbeschwert, wie er sich von ihr verabschiedete und schließlich um die Ecke verschwand...

Inmitten der Nacht schreckte Ailin plötzlich hoch, doch hatte sie nicht die Zeit, auch nur einen Laut von sich zu geben. Hastig legte sich eine Hand auf ihren Mund und ein eindringlich gezischtes "Scht" ließ sie verharren. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie den Schatten an, der sich über ihr Bett gebeugt hatte. Doch als sich ihre Augen an das Zwielicht gewöhnt hatten und sie die Person erkannte, entspannte sie sich sichtlich.
Und Xerxes zog seine Hand wieder zurück, um den Finger aber mahnend auf die Lippen zu legen. Noch während Ailin sich verwirrt aufsetzte und bemerkte, dass ihre Zofe bereits wach war, schlich Xerxes sich bereits zur Tür und blickte durch einen schmalen Spalt auf den breiten Flur. Noch war nichts von den Schemen zu sehen, die er schon erwartet hatte - aber das hatte nichts zu bedeuten, es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie auch hier in den zweiten Stock des Gasthauses kamen.
"Was um alles in der Welt ist hier los?" zischte Ailin plötzlich, als sie sich endlich wieder gefasst hatte. - "Sscht!" zischte Xerxes und fuhr zu ihr herum. "Oder wollt Ihr gleich tot sein?" Als Ailin ihn nur fassungslos anstarrte, nickte Xerxes bitter und trat leise von der Tür weg. "Irgendetwas - ich habe diese Biester noch nie gesehen - aber sie gehen von Haus zu Haus und schlachten die Leute ab. Und wenn Ihr nicht leise seid, sind sie schneller hier, als uns lieb sein kann! Also still jetzt, tut einfach, was ich euch sage..."
Entsetzt verharrten sowohl Ailin als auch ihre Zofe, ohne die Worte des jungen Kriegers überhaupt wirklich zu verstehen. Doch schnell ergriff Ailin ihren Umhang und legte ihn sich über die Schultern. Das seidene Nachthemd lugte jedoch verräterisch bei jeder Bewegung hervor, als sie an Xerxes' Seite an der Tür trat. Dieser behielt derweil den Flur mit zornig geschürzten Lippen im Blick.
Die Kreaturen – die eindeutig weder menschlich noch elfisch sein konnten - waren bereits hier auf dem zweiten Stock und schlichen sich unerwartet leise von Tür zu Tür, wo sie stets für ein paar Sekunden in den Räumen verschwanden, um dann ebenso leise wieder auf den Flur zurückzutreten und sich dem nächsten Raum zuzuwenden. Es dauerte nicht mehr lange, und sie hatten auch diesen Raum erreicht...
Ebenso leise, wie er sie geöffnet hatte, schloss Xerxes die Tür wieder und winkte die beiden Frauen dicht an sich heran. Mit halbem Auge beobachtete er weiter das Geschehen außerhalb des Zimmers, während er die Stimme zu einem kaum hörbaren Flüstern erhob: "Wenn ich die Tür öffne, dann nehmt auf nichts und niemanden Rücksicht!" flüsterte er eindringlich. "Ich werde die Bestien kurz ablenken können, bis dahin müsst ihr beide die Treppe erreicht haben!"
Unwohl schluckte Ailin den Kloß im Hals herunter, nickte schweigend. Mit beiden Händen krallte sie sich an ihrem Umhang fest und starrte Xerxes angespannt an. Langsam zog Xerxes sein Schwert aus der Scheide, vermied jegliches Geräusch. Es vergingen einige endlos erscheinende Minuten, bis er plötzlich die Lippen zu einem schmalen Schlitz schürzte und Ailin einen letzten Blick zuwarf.
Blitzschnell hatte er die Tür nach innen aufgerissen und schnellte noch in derselben Bewegung nach draußen. Vor ihm befand sich ein gut zwei Meter hohes Wesen, das ihn verdutzt aus zwei riesigen, schwarzen Augen anstarrte. Und noch bevor es sich von seinem Schrecken erholt hatte, stak auch schon die lange Klinge von Xerxes' Schwert tief in seiner Brust.
Angestrengt biss der junge Krieger die Zähne zusammen und riss mit gewaltiger Anstrengung sein Schwert zurück. Gurgelnd sank sein Gegner zu Boden. Doch hatte er nun auch die Aufmerksamkeit der übrigen vier Kreaturen, die mit messerscharfen Krallen bewaffnet auf ihn zukamen. Knurrend entblößten sie dabei die unzähligen spitzen Zähne ihres Wolfsgebisses.
Kurz blickte Xerxes sich unsicher um, dann wich er zur Treppe zurück, die in das nächste Stockwerk führte. Die Spitze seiner Klinge war dabei lauernd auf Brusthöhe abgesenkt. Die Kreaturen hatten den Krieger nun fest im Blick, scherten sich um nichts weiter und liefen auch an Ailins Kammer vorbei, ohne die beiden Frauen darin zu bemerken, die im Schatten der Tür auf eine günstige Gelegenheit warteten.
Kaum kehrte auch das letzte der Wesen der Tür den Rücken zu, griff Ailin die Hand ihrer Zofe und schlich sich aus dem Zimmer heraus. Immer an der Wand entlang tasteten sie sich in Richtung Ausgang. Dabei ließen sie den Feind jedoch keinen Moment aus den Augen und wagten nicht einmal, richtig zu atmen. Doch waren die Kreaturen derart auf Xerxes fixiert, der sie noch immer weiter weg lockte, dass sie die beiden Frauen nicht bemerkten und diese die Treppe nach unten unbeschadet erreichten.
Kaum waren die beiden Frauen nicht mehr zu sehen, wagte Xerxes es, ein wenig aufzuatmen. Dann jedoch wurde sein Blick wieder schmal und er betrachtete die Kreaturen eingehend. Sie bestanden eigentlich nur aus Muskeln und Fell, schien es. Ihr ganzes Erscheinen war wie eine Mischung aus Ork und Wolf: Ein plumper, muskulöser Oberkörper mit massigen Oberarmen auf wolfsähnlichen, sehnigen Beinen. Der Kopf war riesig und das Maul nahm bestimmt die Hälfte davon ein. Alles in allem machten sie einen irritierenden aber zugleich gefährlichen Eindruck.
Doch schienen sie auch Respekt vor Xerxes' Schwert zu haben, an dessen Metall immerhin das Blut eines Artgenossen klebte. Noch hielten sie drei Meter Abstand zu Xerxes und beäugten ihn zornig und abschätzend. Damit gaben sie ihm aber auch ein wenig Zeit, die er sehr nötig hatte. Denn der Krieger hatte keine Ahnung, wie er an den Bestien vorbei kommen sollte.
Und langsam wurden die Kreaturen mutiger, zogen ihren Kreis um Xerxes enger - weswegen der Junge nur zurückweichen konnte. Doch endlich kam ihm eine Idee, die vielleicht auch klappen konnte. Entschlossen packte er sein Schwert fester und wich schnell bis an die Treppe zurück. Einen Moment zögerten die Wesen erstaunt, dann setzten sie sich wieder in Bewegung.
Einen Augenblick gönnte Xerxes sich noch und holte tief Luft, ehe er sein Schwert mit einem fast markerschütternden Schrei über die Schulter riss und direkt auf die Untiere zustürmte. Kurz hielten diese inne, dann jedoch kreischten sie wütend auf und warfen sich dem Krieger entgegen. Eines der Wesen holte plötzlich aus, um die krallenbewehrte Hand in Xerxes Leib zu versenken.
Im letzten Augenblick ließ dieser sich jedoch zu Boden fallen und schlitterte auf dem Rücken knapp an der Kreatur vorbei. Kaum wurde er langsamer, sprang Xerxes auch schon wieder auf die Beine. Einen kurzen Moment kämpfte er mit dem Gleichgewicht, drohte erneut zu stürzen. Doch dann hatte er sich gefangen und rannte, so schnell er konnte, auf die Treppe nach unten zu.
Hinter ihm waren die Bestien inzwischen zum Stillstand gekommen und starrten dem Flüchtenden fast ungläubig nach. Der erste von ihnen fing sich erst wieder, als Xerxes die Treppe bereits erreicht hatte und nun die schmalen Stufen nach unten hastete. Zornig kreischte das Wesen auf und setzte ihm mit weit ausgreifenden und unglaublich geschickten Sätzen nach.
Am Fuße der Treppe warf Xerxes einen vergewissernden Blick hinter sich. Erschrocken keuchte er auf, als er das Untier bereits am oberen Ende ausmachte. Fluchend ballte er seine Faust fester um den Schwertgriff, und stürzte regelrecht auf die Tür zu. Doch die polternden Schritte hinter ihm, ließen Xerxes hoffen, denn die Wesen schienen ihre liebe Müh mit den Treppenstufen zu haben.
Für eine Sekunde schlich sich ein Lächeln in Xerxes’ Mundwinkel. Aber schnell blieb ihm das im Halse stecken. Denn er war nur zwei Schritte vor der Tür des Gasthauses, als er entsetzt innehielt und zum Stehen kam. Auf der breiten Straße vor dem Gasthaus befanden sich gut ein Dutzend dieser Wesen. Viele der Häuser standen bereits lichterloh in Flammen und tauchten die Straße in ein seltsames Farbspiel.
Hastig blickte Xerxes sich um - und stöhnte erschrocken auf. Die beiden Frauen hatten es auch nur bis hierher geschafft und standen nun mit dem Rücken zur Gasthofwand, während sie von zwei Dutzend schwarzer Augen angestarrt wurden. Knurrend wich Xerxes ein Stück zurück, bis er knapp vor den beiden Frauen stand. "So viel zur Flucht." murmelte er angespannt. "Jetzt haben wir ein wirkliches Problem..."
 

© Dragonsoul Lianth
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