Die ausgemergelte Figur grinste und bewegte sich wie eine Marionette
ins Licht. Er hatte schlechte Haut und sein struppiger, rostroter Bart
war ungewachsen, seine Augen waren unergründlich tief und lagen in
ihrem eigenen Schatten. Das Gesicht war von Narben zerfurcht und das Haar
wirr und geblichen wie Stroh. Rotbraune Gewänder schlossen seine breite,
hochgewachsene Figur ein und seine Arme waren dick und seine Züge
kantig. Ramhad wirkte in dem feingesponnenen Licht des Mondes karg und
alt, doch sein Körper war von junger Gestalt, hatte dicke, muskulöse
Arme und der kleine Anhänger um seinen Hals, der einen Totenschädel
darstellte, schimmerte silbern. Der Mann schnaufte und hinter seinen Augen
schien sich etwas zu wandeln und der Ton, mit dem er jetzt mit dem Alten
sprach, war ruhig und schlicht. "Vielleicht habt Ihr Euch bereits gefragt,
warum ich komme."
Sein Gegenüber schüttelte überraschend schnell den
Kopf und seine Züge blieben Starr und misstrauisch. "Nein. Ich habe
mich gefragt, warum Ihr mich gefangen haltet, Wandler."
"Redet nicht so mit mir!", brach Ramhad fast zornig hervor und machte
einen großen Schritt auf die klägliche Gestalt des Alten zu,
während er drohend den Finger hob. "Aber ich will Eure Frage beantworten."
Er zog Stuhl aus der Dunkelheit, als wäre dieser schon immer da gewesen
und setzte sich darauf, so, dass er jederzeit aufspringen konnte. Seine
Muskeln spannten sich und er wischte sich kurz den Schweiß von der
Stirn, bevor er den anderen mit seinen unheimlichen Augen anfunkelte. "Die
Eisfrau macht Euch ein Angebot, alter Mann! Nehmt an, oder verfallt wieder
den Qualen des Schattenreiches."
"Was für ein Angebot, Wandler?"
Die brüchigen Augen des anderen leuchteten erregt, doch er
wischte den groben Ton des Mannes mit einer endlichen Geste beiseite. "Euer
Benehmen lässt zu wünschen übrig, Timotheus! Ich werde Eure
Frage trotzdem beantworten."
Timotheus. Das war also sein Name. Plötzlich kam ihm die Erinnerung
und es war, als hörte er seinen Namen seit vielen Jahren das erste
Mal.
Als Ramhad das Wiedererkennen und die Erstaunung in den Augen und
Zügen des ehemaligen Magiers sah, grinste er breit, doch es war eher
eine hässliche Grimasse als ein höhnisches Lächeln. "Ach
ja, Euer Name. Auch das gehört in einem gewissen Bezug zu Melwioras
Angebot." Er wartete einen Augenblick. "Stimmt Ihr nun zu?"
"Was für ein Angebot?", fragte der Alte forsch, doch eine plötzliche
Gefühlsregung des Wandlers ließ ihn zusammenzucken. In seinen
Augen schimmerte für einen Moment Angst.
"Ihr habt keinen Recht, danach zu fragen! Doch ich sage es Euch
trotzdem!" Er beugte sich leicht vor. "In Euch schlummert eine große
Macht, die Ihr glaubtet entdeckt zu haben. Doch Ihr habt Euch geirrt, Alter!
Genau so wie Ihr Euch mit der Anzahl der Tage in diesem Verließ geirrt
habt!"
Timotheus stutzte. War er wirklich schon so alt, dass er sich in
der Schätzung von Jahren irrte? Aber er hatte sich auch nicht an seinen
Namen erinnert. Also warum sollte er sich dann an die genaue Zeit erinnern?
Er hatte Mühe, sein Verlangen nach dem Wissen nicht preiszugeben,
denn das würde Ramhad - wenn er wirklich so hieß - sofort bemerken
und ausnutzen. Er erwog den Gedanken mehrmals und kam zu dem Schluss, dass
dies längst nicht alles sein konnte, was der Wandler ihm zu sagen
hatte. Was wollte er ihm anbieten? Was könnte für ihn noch in
seinem Alter für Belang sein? Er wusste nicht was er sagen sollte.
Waren seine ganzen Erinnerungen an die vorangegangenen Tage etwa falsch?
Hatte Ramhad ihn nur glaubend gemacht, um ihn für eine gewisse Zeit
außer Gefecht zu setzen? Die Fragen drängten und reihten sich
eng hinter seiner Stirn auf und ein bedrängender Schmerz durchlief
sein Haupt, sodass er für einen kurzen Moment das Gesicht zu einer
Grimasse ziehen musste. Was passierte da draußen, was er nicht verstand?
Und was war der Sinn dieses ganzen Komplotts? Warum wurde dieses Vereinigung
geschaffen?
"Timotheus!" Der Mann schrie fast und schon holte seine klotzige
Hand aus, um ihn zu schlagen. Doch dann verharrte er einige Minuten so
und nahm schließlich die drohende Geste herab. Er atmete tief durch.
"Ich merke, Ihr wollt erst einmal darüber nachdenken, was jetzt alles
ans Tageslicht getreten ist. Nun gut." Er schürzte die Lippen. "Ich
werde demnächst wiederkommen. Wartete nicht auf mich. Ich komme, wann
es mir beliebt und wann ich denke, dass es Euch soweit wieder gut geht."
Dann bemerkte er den flehenden Blick in den fast blinden Augen und etwas
keimte in ihm auf, das der Kerkermeister zuvor noch nicht gekannt hatte.
"Ich mache Euch einen weiteren Vorschlag." Der Alte Mann schien aller Hoffnung
beraubt, die anfängliche Stärke war verflossen und nun wehten
nur noch vorsichtige Luftzüge auf den großen Kerl zu. Zu schnell
würde er vergehen, wenn man ihm nicht helfen würde, dachte Ramhad.
Er hat nicht damit gerechnet, dass es etwas gab, was seine Gegner von ihm
wussten, das er nicht einmal selber wusste und somit wäre seine Abwehr
durchbrochen, seine Verteidigung geschlagen. Es würde wirklich mit
ihm zuende gehen, wenn jetzt nichts dagegen unternommen werden kann. Der
einfältige Alte hatte ihn herausgefordert, und er hatte gesiegt, nun
sollte er als guter Gewinner dem Verlierer neue Hoffnungen machen, also
sagte er, als sich der wie zu Stein erstarrte Blick Timotheus’ erhob: "Ich
werde dir erlauben dich im Hof umzusehen und dort wirst du mit einigen
meiner Männer reden. Ich glaube, etwas Bewegung würde dir nicht
schaden. Trainiere mit einem von ihnen, wenn du willst, erlange die verlorene
Kraft neu. Aber," Drohend hob er den Finger, während er bereits wieder
aufgestanden war. "gehe nie bei Nacht nach draußen!" Ramhad verschwand
so schnell, wie er gekommen war, einen Wimpernschlag lang stand er in im
Schatten der Tür und verschmolz dann mit dem rauen Stein und der Nacht.
Timotheus verspürte einen kühlen Luftzug, als Ramhad verschwand.
Jetzt dachte er, dass er den Wandler nicht hätte gehen lassen
sollen, sondern ihn so lange hinhalten, bis er ihm das Rätsel freiwillig
verriet, ohne, dass er auch nur in irgendeiner Weise etwas versprechen
musste.
Die Nacht war lang und der ehemalige Zauberer fröstelte leicht
und konnte nicht schlafen, dafür war er viel zu erregt. Er saß
dort immer noch im Schatten, die knorrigen Hände wie Wurzeln starr
übereinandergelegt, die Beine angezogen und den Blick auf die Wand
gerichtet, in welcher der Kerkermeister verschwunden war, als sich wieder
etwas bewegte, ein ungenauer Schemen.
Diesmal kam die Herrin selbst...
Blut rann, tropfte in dünnen Schnüren von der Spitze des
silbernen Schwertes herab und tränkte die Erde, verlief sich in seltsamen
Mustern mit etwas Schleimigem. Schwer ging sein Atem, kraftlos waren seine
Bewegungen und zerrissen seine Kleider. Hatte er gewonnen? Hatte er es
geschafft? Hatte er die heranbrechenden Dämonen besiegt? Er glaubte
es nicht. Wenn er sich recht erinnerte, waren es mehrere Duzend gewesen,
die da auf ihn eingedroschen hatten. Konnte es sein, dass er noch lebte?
Die blütenweißen, kurzgeschnittenen Haare waren rot gefärbt,
dort, wo die Kopfhaut verletzt war, sein Gewischt schweißbedeckt
und dreck- und blutverschmiert, in seinen Augen herrschte ein ungläubiger
Ausdruck. Hatte er es wirklich ganz allein geschafft, sich gegen diese
Überzahl an Gegnern zu wehren? Er versuchte sich zurückzuerinnern,
und während er das tat, wurde seine Brust von Schmerzen gepeinigt,
die tief darin eindrangen. Seine Zähne waren verbissen, als er über
den unmöglichen Kampf nachdachte. In ihm kamen Bilder der Schlacht
hervor, wie er sich durch die Dämonen schlug, wie ein Schiff, das
sich seinen Weg durch den Sturm bahnte. Es war viel Blut vergossen worden,
schon wieder, und schließlich hatte er gewonnen. Klauen hatten nach
ihm gegriffen, ihn aber nicht erreichen können, da die Wut ihn ausgedörrt
und der Verlust ihn gehärtet hatte. Wie ein unsichtbarer Schatten
war er unter seine Feinde getreten, hatte einen nach dem anderen zu Boden
gerungen und stand nun noch als einziger. Um ihn herum häuften sich
die toten Leiber. Allesamt waren sie steingrau und ihre Gesichter waren
grausam und schmerzlich verzerrt. Sie waren aufgeschlitzt, geköpft
oder erstochen. Übelkeit kroch in ihm hoch wie eine Woge heißer,
schäumender Dickflüssigkeit. Doch er übergab sich nicht,
sondern schluckte die Galle tapfer herunter. In seiner Kehle brannte es
und er unterdrückte ein Husten, zu dem ihn sein Körper zwang.
Noch nie zuvor hatte er so einen Kampf erlebt. Die Wandler waren gekommen
und er hatte sie vernichtet, sich wie eine weiße Wand der himmlischen
Reinheit ihnen entgegen gestellt und ihnen seine Art der Magie beigezollt.
Waffen und tote Körper, zerschlissene Kleidungstücke und zerbrochene
Äste und Stämme lagen um ihn herum und er atmete einmal tief
ein. Es roch nicht nach Tod oder Verwesung, denn der Regen hatte all den
dämonischen Schleim und das Blut und den stickigen Geruch fortgespült.
Einzig und allein die reinliche Luft war geblieben, die kühle Frische
der Nacht hatte sich mit Tau über alles gelegt und sanfte Nebel strichen
zwischen den knorrigen Stämmen der Bäume hindurch. Das erfrischende
Nass hatte sich nach einigen Minuten gelegt und prasselte nun nicht mehr
aus der schwarzen Decke der Wolken. Stattdessen hatte sich der Nachthimmel
geöffnet und ein weiter, samtener, schwarzer Mantel war zum Vorschein
gekommen, ein Umhang, gewebt aus den silberweißen Gestirnen und den
unendlichen Weiten des Weltalls.
Unendlich...
Er sprach das Wort mehrere Male im Geist nach. Ob es in einen dieser
unzähligen Welten da draußen wohl etwas anderes als nur Grausamkeit,
Krieg und Tod gab?
Freiheit...
Geborgenheit...
Liebe...
Er lächelte, als er über seine eigenen Worte stolperte.
Liebe. Er hatte sie nie besessen, keine hatte je sein Herz genommen, oder
sich mit ihm vereinigt. Und er wollte es auch nicht. Er war keiner von
denen, welche die Welt nahmen wie sie war und in ihr lebten, so grausig
sie auch sein mochte; er war einer von denen, die an etwas glaubten, an
eine gute, ausgewogene Welt, in der Frieden herrschte. Und darum wollte
er kämpfen. Dies war sein Antrieb, dies seine Zuflucht und dies sein
Zuhause, der Kampf um den Frieden und die Freiheit. Sein Schwur galt noch
immer. Auch hatte er geschworen zu verteidigen, zu schützen und genau
jetzt fiel ihm wieder ein, was er vor einigen Stunden geschworen hatte.
Tränen der Wut und des Zorns stiegen in ihm auf, doch er schluckte
sie unachtsam hinunter. Der Drache war gestorben, ohne erlöst zu werden,
unter Schmerzen hatte er geschrieen, während Josias sich einen Weg
durch die Schlachtenden gebahnt hatte. Er hatte sie vertreiben wollen und
es war ihm gelungen, doch ganz anders, als er sich es vorgestellt hatte.
Seien Hoffnung hatte bei ihm darin bestanden, den Feind besiegen zu können,
noch bevor dieser den Gehörnten erreicht hatten, doch es waren zu
viele gewesen und bald hatten sie sich an ihm vorbeigeschoben und sich
auf den rotschuppigen Leib des Drachen gestürzt. Kajetan war hinterhergelaufen
und hatte ihnen mit mächtigen Schwerthieben nachgesetzt, doch alle
waren sie ihm entkommen und das edle Tier war jetzt nur noch Material für
Nahrung und Rüstungen.
Er ging zu der Stelle zurück, an der das unergründliche
Wesen immer noch lag und dessen Brust sich nicht mehr hob und senkte. Getroffen
war es von einer Lanze, einem stählernen Speer, der sich tief in seine
Haut gebohrt hatte, bis er den Drachen schließlich durchstoßen
hatte. Als er drüben angekommen war, betrachtete er noch einige Sekunden
den riesigen, beeindruckenden Leib und kniete sich dann in den Schlamm,
zog ein schlankes Messer aus seinem Gürtel und stieß es fast
vorsichtig in den harten Schuppenpanzer. Er schnitt sich ein großes
Stück der Drachenrüstung heraus und betrachtete das gewichtige
Gebilde. Pfützen dienten ihm dazu, es zu waschen und mit feinen Lederriemen
bastelte er sich eine Weste aus der Haut. Sie würde ihn besser vor
Angriffen schützen, als alles andere, und genau das war es, was er
auf seiner gefährlichen Reise brauchte, einen Schutz vor den mit feinem
Gift überzogenen Klauen der Monster. Bald würde es gefährlichere
als diese einfachen Gegner geben, denn die Schatten würden aus den
Tiefen des Hel aufsteigen und ihre rauchigen Gestalten würden sich
zu unzerstörbaren Dämonenkörpern wandeln und sie würden
schwarz und allwissend sein. Sie würden durch Gedankensprache kommunizieren
können und ihre Kraft würde um einiges stärker sein als
die eines normalen Tieflanddämonen, auch wenn dieser von Riagoth gestärkt
worden war.
Und es würde nur wenige geben, die sich den Ungeheuern in den
Weg stellen würden, denn die meisten würden ausgelöscht
werden, bevor sie auch nur ansatzweise wussten, wie ihnen geschah. Bereits
auch nur das Erahnen der Gegenwart des Todes würde für viele
den schiere Abgrund bedeuten und sie würden fliehen und schleunigst
das Weite suchen. Das Heer der Menschen würde weiter zerfallen und
die ganze Welt würde dem Untergang geweiht sein. Man würde Hilfe
von Außerhalb brauchen, um den Feind zu bezwingen und wieder zurück
hinter die Grenzen seines dunklen Landes zu schieben. Doch das letzte Bündnis
der Elfen, Menschen und Zwerge war lange her, die Gnome und Trolle waren
auf unerklärliche Weise plötzlich verschwunden... Oder hatte
man einfach nur vergessen nach ihnen zu suchen? Hatte man es unterlassen
nach Hilfe zu fragen? Sollten die Menschen etwa in ihre Einstellung zurückgefallen
sein, die sie vor dieser Zeit gehabt hatten, wieder eigennützig und
von zu großem Stolz beherrscht? Natürlich, er hatte es auch
so gewusst, und er musste fast darüber lachen. Er selbst hatte jene
bekämpft, die eine ein neues Bündnis wollten. Aber er hatte sie
nur töten müssen, da sie mit ihrer Einstellung Gesetzlose geworden
waren und Verbrechen begangen hatten. Darum mussten sie verschwinden, nicht
wegen dem Wunsch in Einigkeit zu leben.
Während er dachte, trug er trockene Holzscheite heran - was
schon schwer genug war, da alles vom Regen völlig überschwemmt
war - und entzündete sich ein kleines Feuer, keine zwanzig Schritte
von dem Drachen entfernt, unter dem Baldachin der Äste einer Pappel.
Schon nach weniger Zeit knisterte es laut und die Flammen stiegen höher,
Rauch schwebte zärtlich und in Gestalten von Geistern hoch, dunstig
und neblig, während die Dunkelheit um ihn herum langsam der Morgendämmerung
wich. Er aß gedörrtes Fleisch und trank warmes Bier aus seinem
Trinkschlauch, der ihm an einem ledernen Band um die Brust geschlungen
war. Dabei stellte er sich vor, wie es wohl wäre, wenn sie heute alle
versammelt hier sitzen würden und das Fleisch braten würden,
Rone, Kelt, Dario und der Rest seiner Truppe. Er dachte an Twron, den Flugreiter,
und daran, dass dieser sich freiwillig in den Tod gestürzt hatte,
um ihnen zu helfen. Und im gleichen Moment fragte er sich, was seine Aufgabe
in diesem riesigen, nie enden wollenden Spiel war.
Und plötzlich vernahm er über dem Geräusch der knisternden
Flammen, des Feuers, das Zerknacken von kleinen, morschen Hölzchen
am Boden und sah auf. Das Licht der goldenen Blätter und des nebelige
Schwarz des Rauches verschwand aus seinen Augen und er sah einen Mann,
dessen breitschultrige Gestalt aus den Schatten und der Dunkelheit ragte,
gekleidet in braune und scharlachrote Gewänder. Sein Gesichtsaudruck
war hart und seine Haut wie aus Fels geschlagen, grob und kantig.
"Wer seid Ihr?", fragte Kajetan griesgrämig und wandte sein
Gesicht nun ganz von dem kleinen Lagerfeuer auf, das mit Steinen eingekreist
war, um die Flammen nicht auf den Wald überschlagen zu lassen. "Und
woher kommt Ihr? Diese Gegend ist gefährlich."
"Ich bin Ramhad", sagte der Mann ausdruckslos, "und ich bin gekommen,
um Euch etwas zu fragen." Er trat einige Schritte näher und blieb
dann wieder stehen. Sein Umhang flatterte leicht in der Brise der grauen
Morgendämmerung und seine Laterne warf einen sanften Schein auf ihn,
ließ ihn in einem warmen Licht erscheinen.
Kajetan bot ihm mit der einen Hand einen Platz neben sich am Feuer
an. "Setzt Euch."
Er klang freundlich, doch das gefiel Ramhad nicht. Vorsichtig trat
er weiter zu ihm heran, zögerte jedoch. Der Morgen war nicht sein
Freund, und der Tag noch weniger, die Nacht war es, die er suchte. Er mochte
den hünenhaften Führer nicht. Es konnte passieren, dass dieser
zu einem ernsten Gegner werden würde, denn trotz der vielen Wunden
und Verletzungen und des Giftes der Dämonen schien er unverletzt und
noch immer stark. "Habt Ihr die da getötet?" Seine Augen streiften
ohne jegliche Regung die toten Körper der steingrauen Wesen, betrachtete
ihr grobes, faltiges Hautrelief und die unzähligen Narben einer Schwertklinge.
Josias folgte dem gleichgültigen Blick des anderen. "Nein.",
sagte er endlich. Er hätte nicht gedacht, dass er das sagen würde
und er hatte es nur aus einem Reflex heraus getan. In ihm ging etwas vor,
was er nicht verstand und das verwirrte ihn. Doch hatte er das Gefühl,
dass seine Antwort gegenüber des Fremden richtig war. Etwas wollte
ganz einfach nicht in ihm, dass dieser seltsame Ramhad alles erfuhr, denn
er wirkte auf eine gewisse Weise unheimlich hart und selbstsicher.
"Ich glaube Euch.", gestand der Fremde nach einiger Zeit und trat
zu Kajetan, stellte sich aber auf die andere Seite des Feuers und seine
seltsame Gestalt, die der einer Vogelscheuche glich, verzerrte sich in
der Hitze, verschwamm wie eine Fatahmorgana, nur etwas Schwarzes schien
zu bleiben und zwei rote Funken, die aus der Dunkelheit starrten. "Was
macht Ihr hier draußen?"
Der Truppführer zog die eine Braue hoch, als sich die Stimme
seines Gegenübers erhob, und wie Gesang zu ihm herüber schwebte.
"Ist das Eure Frage an mich?" Ramhad nickte langsam und sah Kajetan prüfend
an, schätzte ab, ob es immer noch ein ernst zu nehmender Gegner war.
"Gut. Ich will sie Euch beantworten." Er stockte. Bis jetzt war alles einfach
so passiert, ohne dass er viel hätte nachdenken müssen, doch
seine eigene schnelle Antwort hatte ihn verwirrt. Er hatte keine Lösung.
Was sollte er dem Mann erzählen?
Vogelscheuche lächelte wissend und leicht amüsiert, dann
schüttelte er den Kopf. "Ihr braucht mir die Antwort nicht sagen.
Es gibt viele hier, die auf einer heiligen Mission sind und die nichts
darüber erzählen wollen. Und außerdem" Sein Grinsen wandelte
sich zu einer unschönen Fratze. "kenne ich das Ergebnis bereits. Kommt
mit. Ich werde Euch führen." Er stieg davon, tauchte in die Blätter
und den dunstigen Nebel der Dämmerung ein wie durch eine Wand, geriet
außer Sicht, nur das stetige Auf- und Abschwellen des Lichtes seiner
Laterne brannte, eine kleine Sonne zwischen den Blättern.
Josias erhob sich vorsichtig. Was wollte dieser Mann von ihm? Kurz
sah er zu seinen Sachen, kniete sich dann aber vor einen der Rucksäcke.
Schnell tauschte er sein schweres Breitschwert gegen einen etwas zu lang
geratenen Dolch, dessen Klinge die Runen und Schriftzeichen der Elfen aufwies.
Er ging schnell und behielt das wandernde Licht im Auge, während sich
sein Weg durch das von Felsgestein zerklüftete Hügelland zog.
Der Baumbestand wechselte im Morgengrauen von den Eschen zu Fichten und
dichten Nadelwäldern über und der Boden unter seinen Füßen
wurde steiniger und bald verschwand auch das sumpfähnliche Terrain.
Er erklomm einen Hügel, der nur lichte von den hochragenden Bäumen
bewachsen war und auf diesem dünnes Hochgras*
wuchs. Jetzt sah er den seltsamen Mann wieder. Er stand nur wenige Yard
über ihm auf der Hügelkuppe, die Laterne immer noch in Händen,
und starrte fast wie gebannt auf eine staubige Stelle am Boden, die ohne
jeglichen Grasbewuchs war. Ein schmaler Trampelpfad führte von dort
aus den Südhang hinunter, der von den sonderbaren Gräsern ganz
eingenommen war. Dahinter erhob sich grau und majestätisch das Massiv
der Berge, die sich wie eine riesige Barriere vor den rot, braun und goldenen
Farben der ewigen Herbstwälder erhoben.
Ramhad blickte zu Josias hinunter und in seinen Augen stand stille
Bedrängnis. "Komm nach oben", sagte er ruhig, "und schau, was sich
dir bietet!"
Kajetan setzte sich in Bewegung, er war etwas außer Atem,
doch kein Schweiß hatte sich auf seine Stirn gelegt, denn er war
das Laufen durch den Wald gewöhnt. Das Hochgras umstrich sanft seine
Beine, als er mit weit ausgreifenden Schritten nach oben trat. Ramhad wartete
noch immer, den Blick auf den Kommenden gerichtet. Es war bereits Vormittag
und die Sonne schien von Osten her wärmend auf das Land, das gerade
aus den Falten des Schlafes und der Nacht erwachte.
Die Zeit für Ramhad rückte ab, denn er würde die
kommenden Strahlen der Sonne nicht mit freundlicher Miene begrüßen
können. Seine Laterne flackerte und das Licht darin drohte auszugehen.
Das Licht würde Dinge an den Tag bringen, die er lieber für sich
alleine behalten und dem Anderen auf keinen Fall preisgeben wollte. "Sie
hinab.", sagte er schließlich, und deutete mit dem ausgestreckten
Finger in das Licht; noch war es in den Wäldern kühl und schattig.
Der Feldherr tat wie ihm geheißen und blickte hinaus. "Gehe nach
Süden und erreiche die Elfen. Bringe sie in die Wälder des Westens
zurück." Das Licht erlosch und der breitschultrige Mann lächelte
überheblich, dann glitt er in den Schatten und seine Gestalt löste
sich so schnell in der Schwärze auf, wie die letzten Töne eines
Liedes verklingen.
Josias blickte noch immer schweigend auf das Gebiet der Wälder
herab. Es war nicht mehr weit. Noch höchstens dieser Tag und er würde
das Massiv und damit auch die roten Wälder erreichen. Die Elfen würden
ihn begrüßen, und er würde um Hilfe bitten können.
War das sein neuer Weg? Sollte er das Land etwa auf der Suche nach den
Waldelfen durchstreifen, sollte er Rones Vorfahren finden? Nun gut, bestätigte
er sich. Er würde gehen. Und er würde finden, was er suchte.
Es sah so aus, als wären die Tage der letzten Stunde Melwioras längst
geschehen, doch die Wahrheit blieb noch im Verborgenen und so konnte Kajetan
nichts anderes als hoffen und auf die anderen vertrauen.
Als das Licht, gefasst in einen übergroßen, gleißenden
Ball über dem Horizont pulsierte und alle Dämonen und Schattenwesen
in die Tiefen der Dunkelheit und des Schattens vertrieb, waren Thronn und
die anderen schon längst ins Brunnenhaus hinabgestiegen. Während
sie die eiskalten, stählernen Sprossen der Leiter, welche fest zwischen
den Steinen verankert war, in die Tiefe hinunterstiegen, hatte Thron ein
merkwürdiges Gefühl, als würde die Linie der heimlichen
Helfer zerbrechen und sie Riagoth einen Einblick in ihre Köpfe gewähren.
Verzweifelt versuchte er einen Moment lang an nichts zu denken, bevor ihm
klar wurde, dass dies eigentlich leicht war. Er musste einfach auf eine
Stelle starren und sie genau betrachten, ohne sich vorzustellen, was passieren
könnte oder würde, er musste sich einfach Ablenkung verschaffen.
Er betrachtete die Wand, die Steine, die von dem Grau des Mörtels
gehalten wurden und der schon an einigen Stellen abgebröckelt war.
Sein blick wanderte an der Wand des Brunnenschachtes entlang, streifte
die Stellen, welche dem Stein beraubt waren und an denen, wo sich die Abdrücke
von Schwertklingen zeigten, die noch aus der Zeit stammten, als sich die
letzten Überlebenden in das Dunkel der Gänge gerettet hatten.
Schließlich gab er es auf, da auch nur der kleinste Kiesel in ihm
Erinnerungen weckte und er hoffte inständig, dass keiner von Riagoths
Schergen oder auch nur sie selbst über die Kräfte verfügte
in anderer Leute Gehirn zu sehen. Unter ihm waren die Geräusche seiner
Stiefel auf dem Metall und noch weiter unten hörte er den Atem Kelts,
schwer und angestrengt.
"Hexer, kannst du sehen, wie weit es noch ist?" Die Stimme des Zwerges
hallte in den Schächten, aus denen das Geräusch von tropfendem
Regenwasser auf Felsgestein zu vernehmen war.
"Nur noch wenige Yard!", antwortete ihm Arth an der Stelle des Grenzländers
und aus seinem Ton konnte man heraushören, dass es auch ihn anstrengte,
so viele Yard in die Tiefe zu klettern. Unter ihnen und über ihnen
lagen Schatten, undurchdringlich und finster hatten sie sich über
alles gelegt und von unten zog ihnen der Geruch von Fäulnis und Exkrementen
entgegen, der schwere Gruftwind war alles, was sie hörten, ein vages
auf- und abschwellendes Rauschen und Heulen. "Es wundert mich, dass wir
keine Stimmen hören und die Fackeln alle aus sind. In der Zeit, bevor
ich nach oben gestiegen bin, um nach den letzten Überlebenden zu suchen,
brannten Fackeln und erhellten die unterirdischen Tunnel in fast königlichem
Licht!" Erstaunen breitete sich nun sichtbar auf seinem Gesicht aus und
die Schatten um sie herum schienen dichter zu werden, das flackernde Licht
der Fackel schrumpfte, und was blieb war ein Funken, ein kleines Leuchten.
Als sie endlich Boden unter den Füßen spürten, waren
die Geräusche und Töne der Gruft lauter geworden, der Stein an
den Wänden war nun nicht mehr von Menschenhand behauen, sondern von
der Natur geschaffen. Sie sahen ein steinernes Portal, das im grauen Zwielicht
eines Luftschachtes gehüllt lag, hinter dem die Sonne ihre Bahn nahm.
Auf dem großen Torbogen standen Zeichen, die Buchstaben des alten
Volkes, deren Sprache schon längst nicht mehr gesprochen wurde.
Das Geräusch von schweren Hämmern auf Stein war laut
und durchdrang das tiefe Dunkel, und so wussten wir, wo der Ausgang war,
das Klopfen waren die Zeichen.
Thronn hatte gerade einen Teil der Inschrift übersetzt, doch
eine Vielzahl der gemeißelten Lettern war mit samt dem stützenden
Fels dahinter abgeblättert, der Stein ragte nackt und unvollkommen
auf.
"Wir sind da." Erklärte Arth und seine Stimmung hob sich leicht,
als er das Tor im fahlen Licht des Vormittags erkannte. "Es ist des Königs
Tagebuch, was hier gemeißelt ist, als er die Katakomben hatte anlegen
lassen. Meridian hatte mir von ihnen erzählt." Patrinell besah sich
den imposanten Steinblock. "Nicht nur das Tagebuch ist in den Gängen
zu lesen,", sagte er nach einiger Zeit, "auch die Schlacht die damals geschlagen
wurde, in den Schatten des blauen Gebirges. Doch die Zeit der Schattenwesen
ist vorüber. Auch Rovanion hat wie hier Trishol ihre Wunden davongetragen
und..." Er stockte leicht. "Aber lasst uns dies vergessen."
"Könnt Ihr uns den Weg zu einem der Keller zeigen? Wir suchen
ein Haus, in dem ein Spiegel ist." Thronn hatte den Spiegel Melwioras nicht
vergessen. Sie würden ihn finden und zerstörten müssen.
Es gab zwar nur wenige dieser Spiegel in den Landen, doch ihre Zahl war
groß genug, Melwiora würde jede Chance nutzen um weitere menschliche
Diener in ihren Besitz zu bringen. Sie würde sie umwandeln, in Wesen
der Dunkelheit und des Schattens und ihre Rache würde grausam sein.
Für jeden Dämonen, die sie töteten, nahm sie einen der eigenen
Kämpfer, einen Menschen, in ihr dunkles Reich auf. Er hoffte, dass
Timotheus oder der alte Meridian ihr nicht auch in die Hände gefallen
waren, denn die beiden Besagten hatten einfach zu viel Macht und die Eisfrau
hatte Mittel und Wege, sie für sich zu gewinnen. Das war ihr Plan
gewesen, von Anfang an.
* Hochgras: Wächst auf Hügeln und zwischen
Felsen, die Farbe ist ein gedämpftes Graugrün und die Stängel
sind sehr dünn und stehen oft sogar kniehoch. Ist auch nicht mit Feuer
entflammbar und sehr alt, steht sogar im Winter und ernährt sich aus
den Samen anderer Pflanzen.
© Benedikt
Julian Behnke
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