Die legendären Krieger von Rohan von Benedikt Julian Behnke
1. Teil: Der Herr der Winde / 2. Buch
Der schwarze Laurus 7 - Die Spur

Dario fühlte die Abdrücke in der Erde, welche die Stiefel der Flüchtenden hinterlassen hatten. Das Mädchen war barfuss gegangen und er konnte die Form ihrer Zehen und der Ferse genau betrachten, so, als ob sie vor ihm stünde. Er hob den Kopf und sah in das Licht, das nun hinter einer dicken Schicht aus Schwärze, Rauch und wallendem Nebel verborgen war. Dann nahm er die hohle Gestalt Rykorns hinter sich wahr, der im Begriff war seine Hand auszustrecken, um ihn an seiner Schulter zu berühren. Der Dunkle drehte sich weg und durchbohrte ihn mit kalten Blicken. Das Gesicht wirkte auf eine gewisse Weise zäh und verschmutzt, der Dreitagebart war verflochtener und leicht verfilzt, seine Poren verstopft und von einem fettigen Schimmer überdeckt. Seine Züge flackerten verächtlich, doch dann kehrte etwas von seinem Wohlwollen wieder, umschloss ihn wie eine warme Hand. "Was willst du?", fragte er barsch, erhob sich nun ganz vom Boden, und versuchte die Situation zu überspielen.
"Wo ist Rune?"
"Gegangen. Was weiß ich?" Er zuckte die Schultern und warf die Arme kurz in die Luft, entfernte sich ein Stück.
Rykorn besah sich den Boden, während er die Arme über der Brust verschränkt hatte, seine graublaue Robe aus Leder und Stoff, die mit Silber verziert war, glänzte und das dunkelbraune Haar fiel ihm glatt aber dennoch wirr ins Gesicht, war kurzgeschnitten und ohne Schimmer. "Die Spur.", sagte er monoton, bedachte seinen Gegenüber mit einem messenden Blick. "Das Mädchen. Du hast sie auch gesehen, nicht wahr?"
Dario setzte an, um etwas zu sagen, unterließ es dann jedoch; eine schräge Falte bildete sich zwischen seinen Augen, die plötzlich dunkel und argwöhnisch waren. "Er wäre auch freiwillig dorthin gegangen. Es zieht ihn einfach in diese Richtung." Der Kämpfer machte eine kurze Pause, während seine Augen an den Vorbeilaufenden vorüberschweiften. "Er will wissen, was mit seinem Vater geschehen ist. Deshalb geht er dieses Risiko ein. Er weiß es nicht."
Der andere nickte bekennend. "Als wir noch in der Burg waren, nahmen wir so manches Risiko auf uns, um den alten Meridian auszubuddeln. Wie es scheint, sind wir zu spät gekommen. Er ist von uns gegangen, wurde uns von Riagoth genommen." Plötzlich hob sich sein Blick, ein Hoffnungsschimmer glomm auf. "Glaubst du, wir werden ihn wiedersehen?"
Dario starrte erst ihn und dann die Leere an, durchbohrte alles und jeden und betrachtete doch keinen, denn seine Blicke waren nach Innen gerichtet, er durchforstete sein Denken, den Mahlstrom von Handlungen und bereits getroffenen Entscheidungen. Und es war zermürbend mit anzusehen, wie etwas in ihm starb, das zu Beginn seiner Reise noch voll und ganz vorhanden gewesen war. Die Freude, die er am Leben hatte, seinen Humor, die Art eines gebührendes Hochländers. Er hatte sie schon fast verloren. Seine Sicht war wie entfernt, unberührt und reglos. Er akzeptierte einfach alles und nahm es, wie es kam, ohne es wirklich zu verstehen. Und damit war auch mehr gegangen, als er wollte. Er hatte zugelassen, dass der Wandler in Gestalt des Mädchens sich unter sie mischte und ihn, den Jungen, entführte, hatte es selbst gesehen, und nichts dagegen unternommen, hatte gefühlt, was auch das Wesen gefühlt hatte, hatte die gleiche Luft geatmet. Jedoch war er zu dem Zeitpunkt, als es Rune abgeholt hatte, in sich versunken gewesen, hatte zwar gesehen, was sich vor ihm abspielte, es aber dennoch nicht richtig registriert. Die Macht für seinen Glauben zu kämpfen war ihm genommen worden, auch wenn er nicht wusste, warum oder wie. Wenn er zurückdachte, merkte er, dass alles begonnen hatte, als er Arth das erste Mal berührt hatte, als der Druide mit dem General gefochten hatte. In alle war etwas hineingefahren und hatte sie verändert, Rone hatte begonnen, eine bisher unentdeckte Kraft in sich zu spüren, Thronns Größe und Dunkelheit hatte abgenommen, war bis jetzt zu einem versteckten Knüstchen zusammengeschrumpft, was aber auch mit dem Virus zu tun haben konnte, den er empfangen und mit samt seiner Pflicht in dem Raum in seinem Herzen eingeschlossen hatte. Kelt war wie immer der unantastbare, leicht schelmische Zwerg gewesen, der stets seine Witze riss und nur selten selber darüber lachen konnte. Warum hatte der General ihn nicht verändert? Eine Frage, die wahrscheinlich niemand beantworten konnte. "Du hast mit ihm zusammen gegen die Bedrohungen des Landes gekämpft", sagte er plötzlich und er klang aufrichtig, endlich bereit die Vergangenheit hinter sich zu lassen und mit einem Gleichgesinnten zu sprechen. "Sag mir, wie er so war!" Es war tiefdringend, seine Augen funkelten das erste Mal seit langem wieder, waren dunkel und auf eine gewisse Weise gebrochen...
Rykorn schüttelte entwirrend den Kopf. "Es ist keine Zeit zum Geschichtenerzählen, Dario! Wir müssen..."
"Ja, handeln!", unterbrach der Hochländer ihn störrisch. "Was hätte Meridian in einem solchen Fall wohl getan? Stundelang herumgesessen und ge..."
"Er wäre gegangen, um zu retten, was noch zu retten wäre!" Auch seine Stimme war nun wieder fest und in seinen Augen lag etwas glasiges, durchdringendes, während seine Kleidung durchgeschwitzt und teilweise nass vom Wasser des Flusses war, als ihn die Wellen erwischt hatten.
Dario nickte zustimmend. "Und das gleiche werden wir jetzt tun." Er legte seine Hand auf die Schulter Rykorns. "Wir werden gehen, kämpfen und gewinnen, und dafür sorgen, dass sie Rune wieder freilassen!" Bekräftigend und ermutigend lächelnd ergriff der Krieger die Hand des Dunklen auf seiner Schulter und drückte sie.
"Ich komme mit!", sagte er und die Zuversicht in seinem Gesicht war etwas Stärkendes, was dem anderen das Gefühl gab, nicht alleine zu sein und gewärmt zu werden.
Dario tat einige Schritte, während seine Blicke zwischen denen Rykorns und den Spuren Runes und der Mädchens hin und herhuschten. "Sie sind nach Südwesten gegangen, nicht wahr?", fragte er zu seinem neuen Begleiter gewand, der jetzt nickte. "Gut wir werden sie verfolgen und schneller sein. Zusammen werden wir sie erreichen, noch bevor der Morgen des siebten Tages graut!"

In den Bäumen lebte das herbstliche Grau und sie waren in dem Zustand, der sie auf das Leben im Winter vorbereiteten, doch gefangen in dieser Zwischenwelt, würden sie sich nie richtig entfalten können, die blattlose Nacktheit würde ausfallen und dafür würde ein ewiges, goldenes Kleid bleiben, das sie ganz zu umhüllen versuchte. Und so war es, als ob ein ständiger Regen herunternieseln würde und den Boden mit Prunk überziehen würde, ein Mosaik aus den Blätter von Eichen, Buchen, Birken, Ahorn und Hickorybäumen, das sich wie eine Decke über das trockene Hochgras legte. Schnell und beinahe lautlos waren die Schritte zweier Gestalten, die durch den Wald rannten, die Eine groß und breit, die andere klein, dürr und behände.
Irmin Bar Óus hatte es vorgezogen, ohne schwere Kampfausrüstung zu reisen, und behauptet, die Grenzen des Landes seien sicher genug bewacht. Allein mit ihren Ragón-Mäntel würden reichen, hatte er behauptet, um sie vollständig vor den neugierigen Blicken anderer zu schützen. Trotzdem sollten sie vielleicht einen Bogen und ein Messer zum Jagen bei sich tragen. Er hatte es gesagt, ohne eine Miene dabei zu verziehen und bevor er gegangen war, hatte er dem Truppführer ebenfalls eines dieser besonderen Kleidungstücke überreicht. Sie hatten ihren Weg in südöstlicher Richtung fortgesetzt, um auf das Felsmassiv zu stoßen, dessen Klippen sich über dem Rokronmeer wie steinerne Teufel erhoben, und die beinahe die ganze Meerenge von Kartan überspannten.
Zielstrebig drangen sie nun in das Aróhcktal ein, dessen Wälder den natürlichen Kessel auf beiden Seiten einrahmten und das vom Warmakin, dem hiesigen Fluss, durchzogen war, ein silbernes Band, das sich durch das ganze rote Herbstland schlängelte. Es war schon spät am Abend und sie waren beim ersten Sonnenstrahl aufgebrochen, denn die Botschaft, die sie überbringen mussten, eilte.
Sie hasteten einen Hang hinab, der nur spärlich von Bäumen bewachsen war und von Flechten und Farnen beherrscht wurde. Ein lauer Wind hing in der Luft, durchfuhr die Umgebung wie ein scharfes Messer und trieb dichtes Blättergewirr knisternd und raschelnd auseinander, sodass das Gold und das Feuerrot zu Boden segelten. Ihre Schritte waren schwer und der Boden unter ihnen rutschig, Kajetan trat einige Male daneben und während er stürzte, folgten ihm Geröll und Dreck. Ein Hagel kleiner Steine ging über ihn hinweg, bevor er keuchen und verdreckt wieder auf die Beine kam.
"Alles okay?", fragte Eszentir und streckte dem anderen hilfsbereit seine Hand entgegen. Josias ergriff sie und ließ sich schwerfällig aufhelfen.
"Ich... Ich brauche eine Pause..." Er ließ sich auf den Boden fallen und vergrub die Hände unter der kühlen Erde. "Noch weiter halte ich nicht mehr durch...", ächzte er und kniff die Lider zusammen. Stiche von kleinen Steinen schmerzten in seiner Handfläche, Dornen hatten sich in seiner Haut und seinen Kleidern verfangen, waren wie ein seltsamer Schutzpanzer aus Stacheln. Dann lehnte er sich zurück gegen den Hand und blickte hinauf in den Himmel. Er sah, dass von Norden und von Westen her eine Sturmfront eilte, welche die Umgebung in Schatten und Dunkelheit tauchte.
Bar bemerkte seinen Blick. "Die Nächte werden kürzer hier, ich weiß!", sagte er nachdenklich, die Augen führten die Linien Kajetans weiter und endeten ebenfalls auf dem schwarzen Punkt aus Nebel und Wind am Horizont. "Der Regen kommt mit viel Wind vom Westen, der Nebel und die Wolken ziehen nach Nordosten über das Hochland ab." Er seufzte. "Wir müssen uns also beeilen, wenn wir Lesrinith rechtzeitig erreichen wollen. Mylady wartet nicht gern."
"Ihr redet von Ihr, als kennt Ihr sie persönlich!?"
"Das tue ich", erwiderte Irmin, die Arme über der Brust verschränkt. "Besser, als Ihr glauben könntet." Der dunkelhaarige Elf drehte sich um und ging weiter, tiefer in den Wald aus Birken und Zedern, der das Aróhcktal dominierte. "Ach und... Truppführer!" Josias sah ihn an, offenbar erstaunt über diese plötzliche Gelassenheit und Kühle des anderen. "Macht Euch bereit und zieht euern Dolch! Ihr werdet ihn brauchen!" Wie, als wolle es die Aussage unterstützen, drang ein lautes Geheul  aus dem Wald vor ihnen, schrecklich, schaurig und markerschütternd, Schatten strebten aus dem Dunkel auf sie zu, Schemen vor der milchigen Wand des Abendnebels.
"Wölfe!", brachte Kajetan entsetzt hervor und sofort war er wieder völlig auf den Beinen, die Klinge des Dolches der Elfen blitzte verschwörerisch in seiner Hand.
"Nicht nur einfache Wölfe, mein Lieber,", spottete Eszentir erregt, während er den großen Bogen aus Eschenholz von seinem Rücken zog. "Werwölfe!"
Und damit kam der Angriff.
Die zottigen Gestalten eilten aus den Büschen heran auf den Hang zu, schwarz und gefährlich knurrend und jaulend, die Zähne kamplustig gebleckt und ihre Schweife peitschten die Luft. Ihre Augen glühten in einem dämonischen Rot, manche Glieder glichen mehr Menschen, als Tieren, doch das unnatürlichste war, dass sie so groß wie ein Pferd und die Muskeln unter dem struppigen, schwarzen Fell hart wie Eisen wahren. Speichel und Sabber quoll zwischen ihren fauligen, blutrot verfärbten Zähnen hervor und ihr Gestank drang bis auf das Felssims hinauf, auf dem die beiden Krieger standen.
"Was...?"
"Später!", rief Eszentir und war gerade dabei mit geübter Hand einen Pfeil in die Bogensehne zu legen. Er zielte kurz, nicht einmal eine ganze Sekunde und ließ das dünne Holz dann schwirren. Es zischte dämonisch, dann erklang ein ängstliches Jaulen, das zu einem verzerrten Schrei wurde, als der Pfeil den ausgehungerten Wolf durchbohrte und ihn einige Yard zurückwarf. Während Bar ein weiteres Geschoss blitzschnell aus dem Köcher nahm, warf sich Kajetan in die knurrende Menge hinein, riss seine Waffe wild um sich, machte sich innerhalb weniger Momente Luft. Er hackte nach zwei Tieren - er wagte es fast gar nicht diese Wesen als Tiere zu bezeichnen -, die ihn von hinten anspringen wollten, und schlug sie somit zurück. Blut spritzte warm und frisch auf ihn zu und sein Körper wurde mit der roten Farbe des Krieges gezeichnet. Alles um ihn war aufgewühlt voll von hektischen Bewegungen, er sah, wie sich sirrende Hölzer in die Zottigen gruben und ihre Leiber zurückwarfen, sah geifernde und knurrende Tiere, die nach ihm bissen und denen er nach einem entschlossenen Streich den Gar ausmachte, dennoch schienen sie nicht weniger zu werden.
Plötzlich gruben sich scharfe Zähne durch das Leder seines Armschutzes und trieben sich in seine Haut. Der Schmerz brüllte auf, der Dämon zerrte an ihm und riss die Wunde größer. Eis griff ihn von innen an und zersetzte seine Sehnen. Er stieß mit dem Dolch nach der höllisch menschlichen Visage des Angreifers, traf ihn genau zwischen die Augen und stieß ihn in einem Schwall dessen Lebenssaftes von sich. Sein Tritt traf gleich mehrere Gegner, die benommen zurücktorkelten und ihr tierisches Geheul ausstießen.
Schnell nutzte er die Zeit, um dem Hain entgegen zu hasten. Das Schnappen von todbringenden Gebissen begleitete ihn und Klauen rissen an seinen Fersen, fügten ihm stark blutende Schrammen zu, als den schweren Anstieg des Hügels in Betracht nahm. Ein weiterer Hagel aus Pfeilen riss die Flutwelle von Angreifern hinter ihm zurück und er spürte, wie sich Blut mit Schweiß mischte und der bestialische Gestank von Leichen und Exkrementen, nassgeschwitztem und zerwühltem Fell ihm hinterher wehte. Er erreichte die Bäume mit Mühe und sein Atem ging rasselnd, sein Körper war taub, eine einzige, schmerzende Maschine, die immer und immer wieder den Befehl zugerufen bekam, weiterzulaufen. Als er näher kam, holte er noch im Laufen mit dem Messer aus und schleuderte es gegen einen Baum. Die Klinge spaltete den kleinen Teil der jungen Weide, an dem ein größerer Ast weiterführte. Er kam schnell und impulsiv, riss den Ast vom Baum und trennte schnell mit seiner Waffe die überstehenden Zweige ab. 
Und in dem Moment hätte er sich keinen besseren Speer wünschen können.
Der Werwolf sprang und seine Tatzen zielten auf Josias’ Brust, während die sichelförmigen Fangzähne seinen Hals ansteuerten. Er riss das angespitzte Ende in die Luft.
Ein widerwärtiges Geräusch entstand, als der feste Körper auf der hölzernen Waffe aufgespießt wurde. Aber noch immer lebte das Wesen und es setzte alles daran, um den Truppführer niederzuringen. Es hackte mit den Krallen nach ihm, während fauliger Atem von einem monströsen Knurren begleitet wurde. Kajetan stieß mit seinem Dolch zu, nicht nur einmal, sondern gleich zehnmal hintereinander, wobei sein Körper unter dem Tonnengewicht des Riesen zerdrückt wurde. Über seinen Bauch floss etwas stinkendes, warmes, das ihn trotz allem zu wärmen schien, während die riesigen Klauen der Hinterfüße seine Beine zermürbten und Knochen zerstießen, Sehnen zerrissen. Alles war besudelt und überall war Schmerz, pochender Schmerz, und unter der monotonen Kampfbewegung, die er unter bösartigen Kampfschreien durchführte, geriet sein Geist in die Hände des Todes...
Schwärze hüllte ihn ein, war beruhigender als die Nacht selbst...
"Josias!", gellte der Ruf des Elfen durch die Düsternis. Auf seinem Gesicht stand Schrecken, denn der Truppführer sichte dahin, gebadet in seinem und dem Blut der Wölfe, die immer noch nach ihm bissen und ihre nadelspitzen Zähne in das fiebrige Fleisch bohrten. Bar spannte seine letzten zwei Pfeile auf einmal ein, stieß einen Schrillen Pfiff aus, der lange in den Wäldern widerhallte. Dann ließ er die harten Hölzer durch die Luft gleiten und Pelz und Haut durchbohren, empfindliche Organe treffen. Die Wesen krischen und jaulten wie geprügelte Hunde, winselten und es klang, als würden Menschen weinen. Schnell zog Óus das lange Messer aus seinem Stiefel, die Klinge blitzte im Spiel aus Mondlicht und Schatten. Verrückte Augen starrten ihn an, sandten unmenschliches Leid und Hass aus, während die Dämonenwölfe in leicht geduckter Haltung auf ihn zusteuerten, die Zähne, die rot vom Blut der anderen waren, wild gebleckt und das struppige und pechschwarze Fell auf faltiger, lederner Haut war ebenfalls verunstaltet und glänzte feucht.
Und in dem Moment wusste Irmin, dass es keine Werwölfe, sondern Schattenwesen waren, Wesen der dunklen Seite der Macht. Nur sie konnten es sein, die direkten Schöpfungen Melwioras, welche die Barriere Riarocks4 durchbrochen hatten.
Schattenwesen!
Die Dunklen kamen näher, besaßen plötzlich riesige, lederne Schwingen, die sich direkt aus ihrer Rückenmuskulatur zu formen schienen, und die das struppige Fell sprengten und die dünne Haut der angenommenen Gestalt zerrissen, sich aus den engen Häuten schälten, wie ein Küken aus dem Ei. Blut und Dämonenschleim war unter der Schicht verborgen und ergoss sich nun in breiten Lachen über den Boden. Die tierische Gestalt fiel nun langsam ganz von ihnen ab und sie hatten nun nichts mehr mit allem anderen gemein. Sie gingen gebückt, pechschwarze Haut spannte sich eng über deformierte Gesichtsknochen, leere Augenhöhlen wurden zu Behausungen für das Blutfeuer ihrer dämonischen Fähigkeiten. Ihre Kiefer weiteten sich, wurden menschlicher und doch größer und abartiger, eine weitere Zahnreihe erschien hinter der ersten und aus dem Schlund ihrer Mäuler kam fauliger Atem, der auf seltsame Weise mit Magie verwoben war. Lange, spinnendürre Finger reckten sich nach ihm, besetzt mit handlangen Sichelkrallen. Die Wesen waren dürr und sehnig, ihre Haut glichen an manchen Stellen Chitinplatten, an anderen Stellen ihres Körpers hing noch immer in dicken Büscheln das verfilzte Haar der Werwolfgestalten. Ihre Schreie waren schrecklich schrill und ihr Gang und Gelenkigkeit war wacklig, dennoch kamen sie schnell voran.
Zu schnell.
Eszentir trat hastig einige Schritte zurück, Schweiß sammelte sich auf seinen Handflächen, dort, wo er das Messer hielt, und eisige Kälte schien von den Monstern auszugehen, das Feuer der Magie, das sie spuckten, war heiß und dennoch brannte es wie Frost auf der schweißbedeckten Haut. "Es geht zuende...", stammelte er, trat weitere Schritte zurück, spürte, wie die felsige Steile des Simses immer näher rückte. Und darunter würde der Abgrund und weitere der Schattenwesen warten.
Die Luft war erfüllt von den Schlägen dünner Schwingen mit klauenbesetzten Enden in der Luft, Schreie gellten wie hämisches Gelächter um ihn. Und mitten in diesem Durcheinander aus Tod und Kälte stand eine junge Frau, ganz in Weiß und gleißendes Silber, einzig ein schwarzes Gewand aus dünnen Leinen überdeckte ihren beinahe nackten Körper. Ihre Gestalt war betörend und etwas in Irmin Bar Óus schien mit einem Mal zu zerbrechen, wie ein Spiegel in tausend Scherben zerbricht und ein innerliches Feuer vertrieb die äußerliche Kälte, während auf seiner äußersten Schicht der Kampf der Magie tobte.
Und mit einem Mal wusste er, was er tat.
Er schrie.
Er gleitet hinüber in die Welt der Träume, dort, wo Wahrheit und Verrat das Selbe sind. Und was die Dunkelheit umhüllt, kann nur das Licht enthüllen. Das Schwert steht, ein Gegenstand aus grünem, pulsierendem Licht, das plötzlich erlischt. Dem seltsam geschmiedeten Schwert fehlt etwas. Es hat die Form einer sich brechenden Welle und in silbernen Schattierungen ist auch die Gischt auf die Schneide eingearbeitet, fein und mit viel Liebe gemacht...
Aber noch immer fehlt der Waffe etwas zur Perfektion...
Der Tag neigte sich der Abenddämmerung zu und überzog den Himmel mit lila Dunst und dunkelblauem Nachthimmel. Schon hatte sich die Sonne hinter einem der Berge verzogen und hob mit ihren letzten goldenen Strahlen den Kantrast zu den Hängen stark an. Vom Horizont aufwärts wurde es dunkler und die kühlen Winde der Nacht breiteten sich über den Stroh- und Lehmdächer der Hütten und Häuser aus. Valance wurde in Schatten getaucht und die Besucherzahl des bekanntesten Gasthauses der Stadt nahm nach dem letzten roten Strahl des Feuerballs am Himmel plötzlich zu. Die Inhaber waren Elfen, und sie kannten keinen, welcher der guten, elfischen Küche widerstehen könnte, ihr Name war Eszentir, und vor dem Lokal über der Schwelle baumelte an einer Stange ein goldenes Wappen der Elfen, das Eichenblatt. Es war ein großes, dreistöckiges Haus mit Dachschindeln und einem großen, steinernen Kamin, der durch eine Klappe im zweiten Geschoss auch als Backofen einsetzbar war. Die hölzernen Fugen zwischen dem hellen Lehm waren nur als Zierde angebracht und auch die langen Rundbogenfenster waren mit goldenen Fugen und buntem Glas verschönert. Jetzt, da die Kälte der Nacht zunahm, der Mond hinter dem Schleier der Nachmittagsluft hervortrat und seine eisigen Hände mit dem silbergrauen Licht in die Stadt sandte, kam dichter, aber dennoch sich schnell verflüchtigender Rauch aus dem Schornstein. Raben und Tauben hockten sich zwischen die Giebel oder auf die Dächer, um dort für einen kurzen Moment sitzen zu bleiben und sich zu erleichtern. Aus den Fenstern drang helles Licht auf das raue Kopfsteinpflaster der Straße und lautes Stimmengewirr und der Gesang von Besoffenen war zu vernehmen. Drinnen rannten Wirte und ihre Söhne verzweifelt herum, um den ewig zunehmenden Drang an Kunden zu bedienen, doch zum Glück waren die Elfen schnell und wendig, sodass sie sich ohne weitere Unannehmlich- oder Peinlichkeiten hindurch schlängeln konnten. Einer dieser Nichtmenschen war Kelon, der Sohn des Wirts, er hatte ein schmales, junges Gesicht mit spitzen, leicht abstehenden Ohren und besaß die strichdünnen Augenbrauen, die jeder Elf besaß, und sein Haar war glatt, weißblond und reichten ihm bis unter die Schulterblätter. Der Ausdruck in seinem Gesicht zeugte von Unsicherheit und einer leichten Anspielung von dauernder Angst. Er trug eine weiße Uniform und hatte sich eine helle Schürze um den schlanken, freundlichen Körper gebunden.

Von weiten hallten Schläge auf Metall und hinter dem Haus hatte man eine Laterne, die nun hell leuchtete, aufgehängt, damit der Schläger etwas bei seinem Tagewerk erkennen konnte. Wieder hieb der junge Mann auf das erhitzte Eisen und Funken sprühten. Nach ein paar Schlägen hielt er es wieder in die Glut, nur, um bald wieder von neuem darauf herum zu hämmern.

- 4: Barriere Riarocks: Ein Schild aus Magie, der um das gesamte rote Herbstland gespannt ist und es vor unerwünschten Eindringlingen schützt. Geschaffen wurde sie von der mächtigen Druidin Riarock, die auch als erste das Konzil der Druiden einberufen hat und die Hochwarte zur Feste der Magier ernannt hat. Die Wand aus Zauberei hat sogar Ramhad abgehalten einzukehren, doch Schattenwesen sind mehr als nur Wandler...
 

© Benedikt Julian Behnke
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Und schon geht's weiter zum 18. Kapitel (8. Kapitel des 2. Buches): "Die Vergangenheit"

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