Ohne den Runenstein, ist das Schwert nichts. Die Vergangenheit
löst das Rätsel, erschafft neue und zeigt noch unbeglichene Rechnungen...
Fühle die Vergangenheit.
Die alte Zeit ist nun gekommen. Wieder muss das Schwert Azraìl
verbunden werden mit Magie, mit der Magie der Runensteine...
Der Schatten lösten sich auf, die Vision - die nur den Bruchteil
einer Sekunde der Wirklichkeit in Anspruch genommen hatte - verschwammen
und hinterließen das Gefühl von bedauernswertem Wissen. Das
Böse sollte wiederkommen, und es war gekommen, in der Gestalt Melwiora
Riagoths. Plötzlich war für ihn alles klar, die bisher brüchigen
Sätze begannen einen Sinn zu ergeben, die Visionen von Tod und Verderben
setzten sich zusammen und ergaben des Rätsels Lösung.
Doch nun stand er ihnen gegenüber, unausweichlich begegnete
er seinem Schicksal. Er war einer der Nachfahren, er war der Nachfahre
Shar Eszentirs, dem besten Schmied Rohans, und er war dafür bestimmt,
das Schwert Azraìl zu führen, im Kampf gegen die Schattenwesen!
Wieder wurde er sich mit grausamer Härte bewusst, dass er schrie,
schriller als die Schattenwesen, deren Augen rot und verrückt im Dunklen
glühten, Blutstropfen auf einem seidenen, schwarzen Gewand. Er ergriff
das lange Messer mit einer fast beiläufigen Bewegung, alles schien
wie mit einem Mal von ihm abzufallen, die Last, die ihm all die Jahre verfolgt
und erdrückend gewesen war, war verschwunden. Denn nun wusste er,
dass er für mehr auserkoren war, für mehr, als nur sein Leben,
das er bis jetzt gelebt hatte. Er stürzte sich mit lautem Gebrüll
auf die Feinde, in deren ausdruckslose Masken aus Hass plötzlich Verwirrung
und leichte Angst einkehrte. Und das machte Irmin Bar Óus Mut und
seine Waffe glitt wie ein greller Blitz zwischen die kreischende Meute...
Und mit seinem Schlachtruf...
Eszentir! Eszentir!
...kam noch etwas, unerwartet und brutal, ein Geräusch von
Millionen von Insekten, die schwarz und glänzend auf die Schattenwesen
herunterfuhren. Die Siegesrufe der Elfenarmee hallte durch die Stille der
Nacht, übertönte die abartigen Geräusche der Bösen
und ein weiterer Hagel von Pfeilen regnete auf die verdutzte Schar herab.
Leiber, gespickt mit Pfeilen und übergossen mit schleimigem Dämonenblut,
schlugen wild um sich, zerfetzten jeden Körper mit ihren Klauen, der
ihnen zu nahe kam...
Doch die Grenzwächter der Elfen kämpften, als wäre
es ihr letzter Kampf gewesen. Sie benutzten ihre feine Schmiedekunst, um
Waffen herzustellen und nun taten diese Waffen, leicht wie eine Feder und
härter als ein Diamant, ihre Pflicht. Die Dämonen und Schattenwesen
wurden zurückgedrängt, das Kreischen und Fluchen wurde lauter,
die Bewegungen der Feinde hektischer und tödlicher. Einer nach dem
anderen in der Reihe der Elfen fiel, die Westen aus See- und Hochgras wurden
zerschlissen und die dazugehörigen Leiber zerstoßen, bis sie
zur Unkenntlichkeit verstümmelt waren. Augen glühten, das Feuer
der Magie fegte heiß und dämonisch über die leichtfüßigen
Gestalten hinweg und versenkten sie. Krieger stürzten das Sims hinab
und ihre Leiber zerschellten auf den scharfkantigen Felsen, der Tod hielt
Einzug und er war stark, stärker als alles Kämpfen und heroischer
Mut. Eszentir wurde mehrmals umgestoßen, und musste sich wieder aufrichten.
Verbissen kämpfte er sich mit der schlanken Klinge eines Schwertes,
das er sich von einem toten Soldaten genommen hatte, vorwärts und
zerschmetterte die schwarzen Kreaturen, die sich vor ihm aufbäumten
und ihm den Weg versperrten. Blutüberströmt und völlig verschwitzt
schlug er sich seinen Weg frei, hieb und hackte, ohne nachzudenken, denn
das Adrenalin in seinen tauben Gebeinen trieb ihn an, immer weiter zu kämpfen.
So rammte er sein Schwert mehr als nur einmal in die knochige Brust eines
Dämonen, riss es funkensprühend wieder heraus und trat nach einem
Angreifer. Knochen knackten gefährlich unter seinen Angriffen, Knochensäbel
und Sicheln stachen nach ihm, zerfetzten seine Kleider und schnitten feine
Strickmuster in seine Arme, während sich sein Ragón-Mantel
mit Blut voll sog und der schemenhafte Umriss, der ihm seine Tarnung verlieh,
löste sich auf, wurde zu einem rotübergossenen Gebilde aus flüssiger
Matrix, ein Geist, der versucht hatte Gestalt anzunehmen, indem er den
Luftraum, den er verdrängt, mit der Farbe des Lebenssaftes umhüllte.
Wie ein Blitz aus Quecksilber fuhr er unter die Schwarzen und schlitzte
sie auf, bis sich erneut Krallen und Zähne in seinen Schwertarm schlugen.
Doch diesmal war es nicht ein vager Schmerz, den er hinnahm, sondern etwas,
das ihn durchflutete und lähmte, flüssiges, giftiges Eis breitete
sich von der Bisswunde aus, während ihn riesige Schwingen zu umschließen
versuchten.
"Eszentir!", brüllte er entschlossen und wirbelte das Schwert
über sein Haupt, ließ es in die dürren, ledernen Gebeine
des Dämon fahren. Erneut sprühten Funken, als die Schneide am
Chitinpanzer des Biestes schabte und dann abglitt. Ein erleichterndes Zucken
ging durch die Waffe, als sie durch die Luft schwirrte und Bar so einen
Moment ungeschützt war. Krallen schlugen sich in seinen Oberkörper,
durchstießen ihn und er zuckte unter der Welle Dämonenmagie
zusammen, die durch ihn flutete.
Melwiora hat gewonnen.
Die Schattenwesen sind unbesiegbar.
Tod kehrt ins land ein.
Nichts kann mehr helfen.
Eszentir hörte sich selbst "Rückzug!" schreien, bevor
er auf dem Boden zusammensank und eine Serenade von Sichelstichen und Todesmagie
seinen Rücken verbrannte. Das Feuer wütete und schlug wieder
und wieder zu, brannte ihn bis auf das bloße Muskelfleisch nieder
und verkohlte die Fetzen seiner aufgerissenen Haut...
Die Hufe donnerten über die Wege des Waldes, die Morgendämmerung
hing wie ein drohender Schleier über dem Land, in den Büschen
und Bäumen rauschte der Wind, trieb sein Spiel mit Blattwerk und Geflecht.
Es war kalt, eisig und es schien, als ob der Herbst langsam in den Winter
übergehen würde, doch das tat er nicht, alles blieb wie es war,
als wäre eine Sekunde der wirklichen Zeit in einem ganzen Jahr im
roten Herbstland gefasst.
Die wattigen Schleier des Schlafes wurden von dem Wiehern des Tieres
wie eine scharfe Katzenklaue durchschnitten, das Spiel aus Schatten und
Licht nahm Gestalt an. Bar sah das schwarze, wie Seide glänzende Fell
des Rappen, auf dessen Rücken er lag und einen Umriss eines Menschen,
dessen Hände ihn fest wie Stahlklauen hielten, und der im grellen
Licht der Morgensonne badete. Doch sie waren nicht kalt, sondern nur fest
und knotig, hielten ihn fest umschlossen und der Elf merkte, dass es Kajetan
war, der ihn schützte. Seine Züge waren angespannt, und sein
Körper geschunden wie schon lange nicht mehr, wie eine Leiche saß
er im Sattel, die Finger der anderen Hand um die Zügel geknotet, obwohl
dieser Arm - der rechte - schlaff war und an einer Stelle eine so tiefe
Wunde hatte, das man hätte glauben können, der Arm würde
abbrechen, wenn man ihn nun noch etwas strapazierte. Vermutlich traf das
auch zu. Trotzdem hatte er es aus irgendwelchen unergründlichen Gründen
heraus geschafft ihn auf den Gaul zu hieven. Er betrachtete sich die steinerne
Maske erneut, in die der Große gefallen war und erkannte verbissenes
Leid. Sofort schoss in ihm wieder die Erinnerung hoch, die Erinnerung an
die Schlacht im Aróhcktal, in der dieser zu Boden gegangen war,
begraben unter einem Wolf, der mindestens einige Tonnen wiegen musste,
denn es war kein einfacher Wolf gewesen. Nicht nur, dass er groß
wie ein Pferd gewesen war, war das entscheidende, sondern, dass es ein
Dämon gewesen war, ein Schattenwesen, ein Biest, das man nicht töten
konnte. Er hatte es getötet. Und darin widersprach sich alles.
Dann versank der Elf in eine Traumwelt, während Kajetan ununterbrochen
ritt, als wäre der Tod hinter ihm, wohlwissend, dass dieser aber auch
bereits in ihm wohnte. Er würde sterben, noch bevor er Lesrinith erreichen
würde.
Die Kühle des Morgens wuchs zur lauen Wärme des Mittags,
und sie durchquerten den Warmakin. Das Wasser reichte dem Truppführer
bis an die Hüften, kleine Steine rutschten unter den Hufen des Pferdes
weg, doch die Dringlichkeit, mit der Josias es alle paar Minuten antrieb,
ließ es durchhalten. Der Fluss war eisig, dreckig und aufgewühlt,
und es gab nur wenige seichte Stellen und Furten, an denen man den Strom
überqueren konnte. Und beide fühlten, dass sie, in jeder Minute,
die sie verloren, dem Schatten näher kamen. Óus fragte sich,
wie sie es überhaupt geschafft hatten so weit zu kommen, ohne kläglich
dahinzuscheiden. Es grenzte an ein Wunder, genauso, wie es dem Feldherrn
gelungen war, nach der Schlacht das Tier zu besteigen und mitsamt dem Elfen
davon zu reiten. Was war aus den anderen geworden? Er stellte sich das
Schlachtfeld vor, wie sie alle dalagen, von allem verlassen, verkrüppelt
und tot, und überall war Blut... überall die vertrauten Gesichter
seiner Leute... tot...
Unwillkürlich musste er sich übergeben und das erste Mal
seit langem spürte er wieder in sich, wie ihm die Galle aus dem Magen
die Kehle hochstieg und scharf wie Säure in seinem Mund brannte. Dann
erinnerte er sich an seinen Rücken. Er wartete einige Minuten, weil
er meinte, er müsse im nächsten Moment gleich unertragbare Schmerzen
erleiden, aber das Gefühl der Taubheit und des Nichts blieb, hatte
seinen ganzen Körper verschluckt. Leicht versuchte er seine Lider
etwas weiter zu öffnen, um aus den Schemen und Schatten Gegenstände
und Umrisse werden zu lassen. Es schnürte ihm die Kehle zu, als er
nur die tiefe Fleischwunde des anderen sah, die sich als grotesker Spalt
durch seinen Unterarm zog. Er vermochte nicht die Abartigkeit der Entzündung
zu beschreiben, voll von... Wieder übergab er sich. Er ertrug den
Anblick des Todes und der Verwesung nicht, wie die Tiere - Fliegen und
Maden - das rosige Fleisch dazu benutzten, um ihre Nachkommen mit Nahrung
in die Welt zu setzen...
Der Anblick war verhasst und er schloss fest die Augen, um nichts
mehr zu sehen, als nur die Schwärze und die Farben, die sich bunt
und verrückt davor abspielten, bunte Bewegungen vor der Nacht.
Kajetan stöhnte leise durch die Zähne. Er wusste nicht,
wie oft er es jetzt schon getan hatte, und es war ihm auch völlig
gleich, solange das Pferd nur weiter nach Süden trabte, ihrem Ziel
entgegen. Er entschwand ins Elysium, wurde jedoch zurückgezerrt, während
erneut alles vor seinen Augen verschwamm und der Schmerz in seinem Arm
nicht aufhören, nur noch tiefer und beißender wurde...
Dort, im Süden, in Lesrinith, wohnte die Rettung und die Erlösung
von den Qualen. Er musste durchhalten!
Die Nacht war schwarz, dichte Schleier von Nebel zogen kalt über
die Ebenen, während sich die düstre Wolkendecke in den zerklüfteten
Hängen des Seebaldkamms verfangen hatte, das Plätschern des Wassers
gegen Felsen war laut, durchdringend und allgegenwärtig, ein Geräusch,
das die Krieger noch mehr zur Vorsicht gebot. Und das Holz des Floßes
zischte, getrieben von den Stromschnellen und den Stangen der Ruderer,
die sich tief in den steinigen Boden des Flussbettes bohrten. Um sie herum
war es dunkel, so dunkel, wie schon lange nicht mehr, denn die Gewitterwolken,
die sich wie Hände verkrampften und ballten, verdeckten alles Licht
der Gestirne, überzogen des wunderschöne Himmelszelt mit Tod
und Schatten. Es war windstill, kein Lüftchen fegte daher, die Luft
schwer wie Eisen und es lag etwas darin, was die Leute müde und träge
machte, ihnen das Gefühl von Trostlosigkeit und Fäulnis spüren
ließ.
Nun waren sie da.
Das schwarze, verrußte Tor der Hochländer ragte wie eine
riesige, groteske Hürde aus dem wie Dampf wallenden Gebilde auf. Die
Zinnen auf den breiten Mauern und Türmen hatten etwas königliches
an sich, dennoch war es, als ob eine übermenschengroße Spinne
ihr klebriges Netz über alles gezogen hätte. Dort lag tot. Und
verhüllt in dieser Fassade waren die Gestalten, schwarze Schemen,
die reglos auf den Steinen pausierten, und nur ein roter Funke unter ihren
Kapuzen verriet ihre innere Bosheit. Kein Geräusch war zu hören
und so zogen sie vorbei, bewegungslos den Fluss hinauf, umrundeten einen
einsamen, zermürbten Felsen und ließen sich in einen Seitenarm
treiben, bis das mit Wasser vollgesogene Holz schwerfällig an den
Küstenstreifen schwappte. Still traten sie von ihren improvisierten
Booten herab, ihre Tritte waren geräuschlos auf dem rauen Granit und
in ihren Gesichtern stand Ernst. Die dreizehn Krieger, gewandet in schwere,
lederne Umhänge mit Kapuzen und Bogen und Pfeile auf dem Rücken,
geleiteten die Verletzten, Kranken und Kampfunfähigen von Bord und
führten sie durch die Stille, die scharfen Scharten und das dunstige
Dunkel, bis sie in einer großen Felsnische, die von einem keilförmigen
Felshang überragt wurde, halt machten.
Einer der Kämpfer nahm beide Hände zur Hand, um sich langsam
die Kapuze vom Haupt zu streifen, oft geflickt und gegerbt, schwer und
triefend vor Feuchtigkeit. Der kalte Nebel sog sich in ihre Kleider und
machten sie schwer wie Blei, in ihren Gliedern war eine nie gekannte Taubheit,
die von dem vielen Sitzen auf den Balken des Floßes kam. Es war Thronn
der zum Vorschein kam, und er fuhr sich einmal durch sein struppiges, strohblondes
Haar, bevor er die Hände wieder auf die Knaufe seiner Waffen legte
- zwei lange, säbelähnliche, schlanke Schwertklingen -, die er
in seinen Gürtel geschoben hatte. Er hatte es bevorzugt seine Kleidung
zu wechseln, denn sein vorheriger Mantel war nur leicht und bot keinen
rechten Schutz vor Waffen. Damals hatte er noch die Magie besessen, die
ihn schützte, jetzt war da nur noch Haut, Knochen und Leder. Es musste
sein, wenn er nicht elend zu Grunde gehen wollte, vor allem deswegen, weil
seine Annahme, er würde schon wieder ganz gesund sein, falsch war.
Die Bänder seiner Kraft waren gerissen und das kalte Dunkel hatte
sich bedrohlich und wie ein großes Tuch über sein Herz gelegt,
das jetzt nur noch schwach schlug. Er würde sterben, wenn er nicht
bald die heilenden Quellen der Silberseen erreichen würde, die nur
noch weniger als zwei Tage vor ihnen lagen. Aber länger würde
auch er es nicht aushalten und er fühlte, wie seine Muskeln schwächer
wurden, sich das Schattenwesen in ihm immer weiter ausbreitete, und er
musste aufpassen, dass es nicht auch noch sein Gehirn einnahm. Es benutzte
ihn als Wirt, als ewiger Lebensspender, und wenn es an der Zeit war, würde
es seinen Körper einfach übernehmen und selbst der Schatten konnte
dagegen nichts ausrichten. Nach dem plötzlichen Verschwinden Darios
und Rykorns waren sie auf sich allein gestellt, die beiden Zwerge sprachen
oft miteinander und betrachteten kopfschüttelnd die anderen. Aber
was ging ihn ihre Witze an? Sollten sie doch lachen, am Ende würden
sie sehen, was sie davon hatten.
Er lehnte sich gegen einen Felsen und überkreuzte die Beine,
starrte einen Moment lang auf seine Stiefelspitzen, erkannte, dass die
neue, beinahe ungewohnte Kleidung ihn wärmte, doch was er nicht wusste,
war, dass die größte Hitze von ihm selbst kam, tief in seinem
Inneren, wo das Dämonenfeuer nun ungehindert wüten konnte. Patrinell
trat auf ihn zu und erhob den Blick, nur eine Sekunde, aber eingehend und
sanftmütig betrachtete er den jungen Soldaten. "Ist es an der Zeit
zu handeln?", fragte er und seine Stimme klang etwas betrübt.
Der General schüttelte den Kopf und sein kohlefarbenes Haar
war ein Schleier von Ruß vor dem Grau der Felsen. Er war aus dem
Nebel herausgetreten, seine Haltung bereit und willig wie immer, jedoch
lag diesmal sogar Ablehnung in seinen Augen, etwas, was Warrket in den
wenigen Tagen ihrer Zusammenkunft noch nicht bemerkt hatte. "Der Zeitpunkt
wird noch kommen, Druide, doch sollten wir warten, bis die Dämmerung
zugenommen hat, denn die Nacht ist kalt und beißend und der Nebel
so dicht, dass man die Hand vor Augen nicht sehen kann. Auch werden die
Dunklen sich zu dieser Zeit herumschleichen und es ist eine Gefährdung
für unsere Leute." Er kniff die Lippen aufeinander und trat ungeduldig
von einem Bein auf das andere, während der andere wissend nickte.
"Das dachte ich mir...", sagte er bekennend und umfasste die Griffe
der langen Messer fester. Es war gut, sie immer griffbereit zu haben, auch
wenn viele Krieger um einen herum waren, denn man wusste nie, ob man selbst
der Erste war, und wenn, war es meistens bereist zu spät.
"Ich wollte Euch etwas fragen, Thronn.", rückte der General
nach einigem zögern mit merklichem Unbehagen heraus. "Wäre es
möglich, wenn Ihr und Euer Schützling Euch einmal auf der anderen
Uferseite umseht?" Seine Blicke waren fragend und von solcher Schwäche,
dass der ehemalige Hexer lange Zeit brauchte, um die Möglichkeiten
abzuwiegen. Die Gewichte waren schwer und in seinem Denken lag schon seit
geraumer Zeit nicht mehr die einstige Sicherheit, die ihm vergönnt
war, sondern nur noch ein zähes hin und her, das ihn in alle Richtungen
seines Denkens schleuderte und ihn schüttelte, versuchte die Lösung
aus ihm herauszupressen. Es war unlogisch und ohne Moral, wie er selbst
mit sich umging, doch tat er es nur, weil ihm sein rationales Denken dazu
riet. Noch etwas anderes war in ihm und verlange nach mehr, saugte an ihm,
wie ein Kind an der Brust seiner Mutter, zehrte ihn auf und er tat alles,
um das, was er dem dunklen Kind in sich geben wollte, möglichst klein
zu halten. Er dachte sich, dass das Schattenwesen in ihm irgendwann verhungern
würde, wenn er es nicht zuließ, dass es volle Nahrung und gute
Kost bekam. Es hatte die Barriere aus Magie, die um es selbst herum war,
sein Gefängnis, einfach verschluckt und nun war alles trüb und
eine milchige Suppe in ihm, wie der Nebel, der vor seinen Augen leicht
flimmerte. Er sah Patrinell an und es entstand ein Moment der Leere, ebenfalls
wie eine Krankheit, die sie befiehl.
Doch dieses Mal durchbrach der General den Fluch des Vergessens
mit einer lockeren Handbewegung. "Ich zwinge Euch zu nichts, Magier. Wenn
Ihr nicht wollt, dann..." Er wurde von Thronn unterbrochen, in dessen Züge
etwas eingedrungen war, das einer Leichenstarre glich, eine eisige Maske,
die blass auf seiner Haut schimmerte.
"Das Leben ist voller Entscheidungen, General. Entscheidet Ihr Euch
auch nur einmal falsch, habt Ihr für immer den falschen Weg eingeschlagen
und müsst sehen, wie Ihr Euch aus dem Gewirr herausfiltern könnt,
um als neugeborene Seele ein zweites Mal zu existieren." Er machte eine
kurze Pause, um das Gesagte wirken zu lassen, dann hob er erneut die Hand
und malte ein seltsames Zeichen vor dem andern in die Luft, als wolle er
ihn segnen. "Schlagt Ihr aber sofort den rechten Pfad ein, werden neue
Hindernisse und neue Entscheidungen kommen. Ihr seht also" - ein zaghaftes
Lächeln huschte bei der Ironie seiner Worte über seine Lippen
- "es gibt immer einen richtigen Weg, aber auch einen falschen. Nun verhält
es sich aber so, dass nicht immer der richtige Pfad auch der Gute ist."
Er verstummte und dachte an eine Zeit zurück, in der er ein Druidendasein
geführt hatte, und das ihm so leer erschienen war, bis er sich entschlossen
hatte, den Weg des Meisters zu gehen. Damals hatte er gewusst, dass er
schlimme Sachen durchmachen müssen würde, doch dass es sein Leben
fordern würde, war ihm neu und erst in dieser Nacht erschienen, klar
und deutlich, wie ein aufleuchtender Stern am Himmel. Der Traum war es
gewesen, der ihm die Wahrheit mit dem Geräusch des Windes zugeflüstert
hatte. Unbewusst hatte er das Rätsel um seine missliche Lage gelöst.
Es war schwer gewesen, einen Ausweg zu finden, da es keinen gab, denn er
würde - wenn er dort hängen würde - an dem Ende der Straße
angekommen sein und er hätte sein Ziel erreicht. Das Ziel war aber
auch das Ende der Reise und die Reise das Leben und so würde er einkehren
in das Reich der Schatten und seine Kraft hätte geholfen, bewirkt,
dass er immer den richtigen Weg gegangen war, bis er schließlich
gestorben war. Innerlich schüttelte er abweisend den Kopf. Er redete
von sich, als ob das Leben schon längst hinter ihm läge und er
nur noch andauerte, um dem Dämon in ihn zu ernähren.
Hunger...
Leid...
Qualen...
Schrei!
"Werdet Ihr nun gehen, Hexenmeister?" Seine Stimme war fast flehend
und dennoch so laut und durchdringend, dass sie als schriller Schrei in
seinem Kopf widerhallte und ihn aus dem Koma riss und vor dem Ertrinken
bewahrte.
"Wenn Ihr es wünscht. Doch nur einst waren die Schatten mein
Element. Jetzt ist es der grelle Tag. Und es beschämt mich, wie ich
vor Euch stehe." Er kam sich klein vor, ein Zwerg im Gegensatz zu Arth,
obwohl er diesen um mehr als nur einen Kopf überragte. Seine Augen
wanderten und betrachteten die Umrisse der Schatten, versuchte das hämische
Grinsen in den versengten Gesichtern festzustellen. Doch er sah nichts,
nichts als Angst und Unzufriedenheit, die der Wind von Osten herwehte und
die sich mit den gedämpften Stimmen der Leute vermischten. Und dann
sah er den Schemen, der schnell und tänzelnd hinter einem Gebilde
aus Schatten hervortrat und sich mit denen des Wachturmes vermengte, und
ein Stoß von Eis drang tief in seine Magengrube, ein Zischen bebete
hinter seiner Stirn und das Wesen ihn ihm bäumte sich so weit auf,
dass er krampfhaft nach vorne sank. Seine Hände umfassten das Rumoren
in seinem Bauch, wie als würden Krallen und Klauen in die Wand seines
Magens schlagen und sie zerfetzen. Ihm wurde übel und seine Knöchel
traten weiß hervor, als er die Finger fester in den schwarzen Stoff
vor seinem Bug krallte und die Zähne wütend aufeinander biss.
Schattenwesen!
Die Stimme in ihm jaulte auf, schnappte über und die Spitzen
in seinem Magen wurden zu stahlharten Fäusten, die gegen seine Eingeweiden
schlugen und sie mit erschütternder Wucht trafen.
"Thronn? Was ist mit dir?" Arth redete schnell und tänzelte
um ihn herum, seine Stimme wandelte sich in Entsetzen und seine Finger
machten immer wieder den Versuch, nach dem am Boden Liegenden zu fassen
und ihn aufzuhieven, doch die grunzenden, kehligen Geräusche schreckten
ihn ab, es zu tun. Er wollte laut schreien und die anderen zur Hilfe holen,
doch sein Hals versagte ihm den Dienst, schnürte sich zu und die Töne,
die er hervorstieß, waren unverständlich und ebenfalls auf eine
gewisse Weise beängstigend.
Endlich überwand er sich, riss den sich krampfhaft Krümmenden
vom Boden hoch und starrte ihm in den Blick.
Dann überschüttete ihn Tod und Teufel...
Die Augen waren glasig, wie mit einer milchigen Flüssigkeit
überzogen und das Blaugrau schien zu leben, sich wie ein Sturmwind
über dem Ozean zu bewegen, große, schwarze Risse breiteten sich
von der Pupille an aus und begannen die ganze Regenbogenhaut zu zerreißen.
Der Hexer schrie, unglaublich schrill und seine Finger krümmten sich
zu Klauen, jagten pfeifend wie Messer durch die Luft und röchelte.
In seinem Mund sammelte sich die Galle wie Gift, quoll zwischen den wachsenden,
nadelspitzen Zähnen hervor und ätzte in die Lippe hinein, brannte
und franste die rosige Haut aus, denn der Wahnsinn tobte in ihm...
Plötzlich zerriss der Mantel, der seinen Rücken überdeckte,
pechschwarze, knochige Fortsätze stießen hervor, besetzt mit
beinahe zwei Yard langen Krallen, die wie Spinnenbeine abstanden und sich
zuckend bewegten. Eine dünne Schicht von Haut lag dazwischen, und
dann breiteten sich die ledernen Schwingen dämonisch und majestätisch
zugleich aus und das Schattenwesen trat hervor aus dem, was einst Thronn
Warrket genannt worden war, die Krankheit hatte die Überhand genommen...
© Benedikt
Julian Behnke
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