Die legendären Krieger von Rohan von Benedikt Julian Behnke
1. Teil: Der Herr der Winde / 2. Buch
Der schwarze Laurus 9 - Die Rettung

Ohne den Runenstein, ist das Schwert nichts. Die Vergangenheit löst das Rätsel, erschafft neue und zeigt noch unbeglichene Rechnungen...
Fühle die Vergangenheit.
Die alte Zeit ist nun gekommen. Wieder muss das Schwert Azraìl verbunden werden mit Magie, mit der Magie der Runensteine...
Der Schatten lösten sich auf, die Vision - die nur den Bruchteil einer Sekunde der Wirklichkeit in Anspruch genommen hatte - verschwammen und hinterließen das Gefühl von bedauernswertem Wissen. Das Böse sollte wiederkommen, und es war gekommen, in der Gestalt Melwiora Riagoths. Plötzlich war für ihn alles klar, die bisher brüchigen Sätze begannen einen Sinn zu ergeben, die Visionen von Tod und Verderben setzten sich zusammen und ergaben des Rätsels Lösung.
Doch nun stand er ihnen gegenüber, unausweichlich begegnete er seinem Schicksal. Er war einer der Nachfahren, er war der Nachfahre Shar Eszentirs, dem besten Schmied Rohans, und er war dafür bestimmt, das Schwert Azraìl zu führen, im Kampf gegen die Schattenwesen! Wieder wurde er sich mit grausamer Härte bewusst, dass er schrie, schriller als die Schattenwesen, deren Augen rot und verrückt im Dunklen glühten, Blutstropfen auf einem seidenen, schwarzen Gewand. Er ergriff das lange Messer mit einer fast beiläufigen Bewegung, alles schien wie mit einem Mal von ihm abzufallen, die Last, die ihm all die Jahre verfolgt und erdrückend gewesen war, war verschwunden. Denn nun wusste er, dass er für mehr auserkoren war, für mehr, als nur sein Leben, das er bis jetzt gelebt hatte. Er stürzte sich mit lautem Gebrüll auf die Feinde, in deren ausdruckslose Masken aus Hass plötzlich Verwirrung und leichte Angst einkehrte. Und das machte Irmin Bar Óus Mut und seine Waffe glitt wie ein greller Blitz zwischen die kreischende Meute...
Und mit seinem Schlachtruf...
Eszentir! Eszentir!
...kam noch etwas, unerwartet und brutal, ein Geräusch von Millionen von Insekten, die schwarz und glänzend auf die Schattenwesen herunterfuhren. Die Siegesrufe der Elfenarmee hallte durch die Stille der Nacht, übertönte die abartigen Geräusche der Bösen und ein weiterer Hagel von Pfeilen regnete auf die verdutzte Schar herab. Leiber, gespickt mit Pfeilen und übergossen mit schleimigem Dämonenblut, schlugen wild um sich, zerfetzten jeden Körper mit ihren Klauen, der ihnen zu nahe kam...
Doch die Grenzwächter der Elfen kämpften, als wäre es ihr letzter Kampf gewesen. Sie benutzten ihre feine Schmiedekunst, um Waffen herzustellen und nun taten diese Waffen, leicht wie eine Feder und härter als ein Diamant, ihre Pflicht. Die Dämonen und Schattenwesen wurden zurückgedrängt, das Kreischen und Fluchen wurde lauter, die Bewegungen der Feinde hektischer und tödlicher. Einer nach dem anderen in der Reihe der Elfen fiel, die Westen aus See- und Hochgras wurden zerschlissen und die dazugehörigen Leiber zerstoßen, bis sie zur Unkenntlichkeit verstümmelt waren. Augen glühten, das Feuer der Magie fegte heiß und dämonisch über die leichtfüßigen Gestalten hinweg und versenkten sie. Krieger stürzten das Sims hinab und ihre Leiber zerschellten auf den scharfkantigen Felsen, der Tod hielt Einzug und er war stark, stärker als alles Kämpfen und heroischer Mut. Eszentir wurde mehrmals umgestoßen, und musste sich wieder aufrichten. Verbissen kämpfte er sich mit der schlanken Klinge eines Schwertes, das er sich von einem toten Soldaten genommen hatte, vorwärts und zerschmetterte die schwarzen Kreaturen, die sich vor ihm aufbäumten und ihm den Weg versperrten. Blutüberströmt und völlig verschwitzt schlug er sich seinen Weg frei, hieb und hackte, ohne nachzudenken, denn das Adrenalin in seinen tauben Gebeinen trieb ihn an, immer weiter zu kämpfen. So rammte er sein Schwert mehr als nur einmal in die knochige Brust eines Dämonen, riss es funkensprühend wieder heraus und trat nach einem Angreifer. Knochen knackten gefährlich unter seinen Angriffen, Knochensäbel und Sicheln stachen nach ihm, zerfetzten seine Kleider und schnitten feine Strickmuster in seine Arme, während sich sein Ragón-Mantel mit Blut voll sog und der schemenhafte Umriss, der ihm seine Tarnung verlieh, löste sich auf, wurde zu einem rotübergossenen Gebilde aus flüssiger Matrix, ein Geist, der versucht hatte Gestalt anzunehmen, indem er den Luftraum, den er verdrängt, mit der Farbe des Lebenssaftes umhüllte. Wie ein Blitz aus Quecksilber fuhr er unter die Schwarzen und schlitzte sie auf, bis sich erneut Krallen und Zähne in seinen Schwertarm schlugen. Doch diesmal war es nicht ein vager Schmerz, den er hinnahm, sondern etwas, das ihn durchflutete und lähmte, flüssiges, giftiges Eis breitete sich von der Bisswunde aus, während ihn riesige Schwingen zu umschließen versuchten.
"Eszentir!", brüllte er entschlossen und wirbelte das Schwert über sein Haupt, ließ es in die dürren, ledernen Gebeine des Dämon fahren. Erneut sprühten Funken, als die Schneide am Chitinpanzer des Biestes schabte und dann abglitt. Ein erleichterndes Zucken ging durch die Waffe, als sie durch die Luft schwirrte und Bar so einen Moment ungeschützt war. Krallen schlugen sich in seinen Oberkörper, durchstießen ihn und er zuckte unter der Welle Dämonenmagie zusammen, die durch ihn flutete.
Melwiora hat gewonnen.
Die Schattenwesen sind unbesiegbar.
Tod kehrt ins land ein.
Nichts kann mehr helfen.
Eszentir hörte sich selbst "Rückzug!" schreien, bevor er auf dem Boden zusammensank und eine Serenade von Sichelstichen und Todesmagie seinen Rücken verbrannte. Das Feuer wütete und schlug wieder und wieder zu, brannte ihn bis auf das bloße Muskelfleisch nieder und verkohlte die Fetzen seiner aufgerissenen Haut...

Die Hufe donnerten über die Wege des Waldes, die Morgendämmerung hing wie ein drohender Schleier über dem Land, in den Büschen und Bäumen rauschte der Wind, trieb sein Spiel mit Blattwerk und Geflecht. Es war kalt, eisig und es schien, als ob der Herbst langsam in den Winter übergehen würde, doch das tat er nicht, alles blieb wie es war, als wäre eine Sekunde der wirklichen Zeit in einem ganzen Jahr im roten Herbstland gefasst.
Die wattigen Schleier des Schlafes wurden von dem Wiehern des Tieres wie eine scharfe Katzenklaue durchschnitten, das Spiel aus Schatten und Licht nahm Gestalt an. Bar sah das schwarze, wie Seide glänzende Fell des Rappen, auf dessen Rücken er lag und einen Umriss eines Menschen, dessen Hände ihn fest wie Stahlklauen hielten, und der im grellen Licht der Morgensonne badete. Doch sie waren nicht kalt, sondern nur fest und knotig, hielten ihn fest umschlossen und der Elf merkte, dass es Kajetan war, der ihn schützte. Seine Züge waren angespannt, und sein Körper geschunden wie schon lange nicht mehr, wie eine Leiche saß er im Sattel, die Finger der anderen Hand um die Zügel geknotet, obwohl dieser Arm - der rechte - schlaff war und an einer Stelle eine so tiefe Wunde hatte, das man hätte glauben können, der Arm würde abbrechen, wenn man ihn nun noch etwas strapazierte. Vermutlich traf das auch zu. Trotzdem hatte er es aus irgendwelchen unergründlichen Gründen heraus geschafft ihn auf den Gaul zu hieven. Er betrachtete sich die steinerne Maske erneut, in die der Große gefallen war und erkannte verbissenes Leid. Sofort schoss in ihm wieder die Erinnerung hoch, die Erinnerung an die Schlacht im Aróhcktal, in der dieser zu Boden gegangen war, begraben unter einem Wolf, der mindestens einige Tonnen wiegen musste, denn es war kein einfacher Wolf gewesen. Nicht nur, dass er groß wie ein Pferd gewesen war, war das entscheidende, sondern, dass es ein Dämon gewesen war, ein Schattenwesen, ein Biest, das man nicht töten konnte. Er hatte es getötet. Und darin widersprach sich alles.
Dann versank der Elf in eine Traumwelt, während Kajetan ununterbrochen ritt, als wäre der Tod hinter ihm, wohlwissend, dass dieser aber auch bereits in ihm wohnte. Er würde sterben, noch bevor er Lesrinith erreichen würde.
Die Kühle des Morgens wuchs zur lauen Wärme des Mittags, und sie durchquerten den Warmakin. Das Wasser reichte dem Truppführer bis an die Hüften, kleine Steine rutschten unter den Hufen des Pferdes weg, doch die Dringlichkeit, mit der Josias es alle paar Minuten antrieb, ließ es durchhalten. Der Fluss war eisig, dreckig und aufgewühlt, und es gab nur wenige seichte Stellen und Furten, an denen man den Strom überqueren konnte. Und beide fühlten, dass sie, in jeder Minute, die sie verloren, dem Schatten näher kamen. Óus fragte sich, wie sie es überhaupt geschafft hatten so weit zu kommen, ohne kläglich dahinzuscheiden. Es grenzte an ein Wunder, genauso, wie es dem Feldherrn gelungen war, nach der Schlacht das Tier zu besteigen und mitsamt dem Elfen davon zu reiten. Was war aus den anderen geworden? Er stellte sich das Schlachtfeld vor, wie sie alle dalagen, von allem verlassen, verkrüppelt und tot, und überall war Blut... überall die vertrauten Gesichter seiner Leute... tot...
Unwillkürlich musste er sich übergeben und das erste Mal seit langem spürte er wieder in sich, wie ihm die Galle aus dem Magen die Kehle hochstieg und scharf wie Säure in seinem Mund brannte. Dann erinnerte er sich an seinen Rücken. Er wartete einige Minuten, weil er meinte, er müsse im nächsten Moment gleich unertragbare Schmerzen erleiden, aber das Gefühl der Taubheit und des Nichts blieb, hatte seinen ganzen Körper verschluckt. Leicht versuchte er seine Lider etwas weiter zu öffnen, um aus den Schemen und Schatten Gegenstände und Umrisse werden zu lassen. Es schnürte ihm die Kehle zu, als er nur die tiefe Fleischwunde des anderen sah, die sich als grotesker Spalt durch seinen Unterarm zog. Er vermochte nicht die Abartigkeit der Entzündung zu beschreiben, voll von... Wieder übergab er sich. Er ertrug den Anblick des Todes und der Verwesung nicht, wie die Tiere - Fliegen und Maden - das rosige Fleisch dazu benutzten, um ihre Nachkommen mit Nahrung in die Welt zu setzen...
Der Anblick war verhasst und er schloss fest die Augen, um nichts mehr zu sehen, als nur die Schwärze und die Farben, die sich bunt und verrückt davor abspielten, bunte Bewegungen vor der Nacht.
Kajetan stöhnte leise durch die Zähne. Er wusste nicht, wie oft er es jetzt schon getan hatte, und es war ihm auch völlig gleich, solange das Pferd nur weiter nach Süden trabte, ihrem Ziel entgegen. Er entschwand ins Elysium, wurde jedoch zurückgezerrt, während erneut alles vor seinen Augen verschwamm und der Schmerz in seinem Arm nicht aufhören, nur noch tiefer und beißender wurde...  Dort, im Süden, in Lesrinith, wohnte die Rettung und die Erlösung von den Qualen. Er musste durchhalten!

Die Nacht war schwarz, dichte Schleier von Nebel zogen kalt über die Ebenen, während sich die düstre Wolkendecke in den zerklüfteten Hängen des Seebaldkamms verfangen hatte, das Plätschern des Wassers gegen Felsen war laut, durchdringend und allgegenwärtig, ein Geräusch, das die Krieger noch mehr zur Vorsicht gebot. Und das Holz des Floßes zischte, getrieben von den Stromschnellen und den Stangen der Ruderer, die sich tief in den steinigen Boden des Flussbettes bohrten. Um sie herum war es dunkel, so dunkel, wie schon lange nicht mehr, denn die Gewitterwolken, die sich wie Hände verkrampften und ballten, verdeckten alles Licht der Gestirne, überzogen des wunderschöne Himmelszelt mit Tod und Schatten. Es war windstill, kein Lüftchen fegte daher, die Luft schwer wie Eisen und es lag etwas darin, was die Leute müde und träge machte, ihnen das Gefühl von Trostlosigkeit und Fäulnis spüren ließ.
Nun waren sie da.
Das schwarze, verrußte Tor der Hochländer ragte wie eine riesige, groteske Hürde aus dem wie Dampf wallenden Gebilde auf. Die Zinnen auf den breiten Mauern und Türmen hatten etwas königliches an sich, dennoch war es, als ob eine übermenschengroße Spinne ihr klebriges Netz über alles gezogen hätte. Dort lag tot. Und verhüllt in dieser Fassade waren die Gestalten, schwarze Schemen, die reglos auf den Steinen pausierten, und nur ein roter Funke unter ihren Kapuzen verriet ihre innere Bosheit. Kein Geräusch war zu hören und so zogen sie vorbei, bewegungslos den Fluss hinauf, umrundeten einen einsamen, zermürbten Felsen und ließen sich in einen Seitenarm treiben, bis das mit Wasser vollgesogene Holz schwerfällig an den Küstenstreifen schwappte. Still traten sie von ihren improvisierten Booten herab, ihre Tritte waren geräuschlos auf dem rauen Granit und in ihren Gesichtern stand Ernst. Die dreizehn Krieger, gewandet in schwere, lederne Umhänge mit Kapuzen und Bogen und Pfeile auf dem Rücken, geleiteten die Verletzten, Kranken und Kampfunfähigen von Bord und führten sie durch die Stille, die scharfen Scharten und das dunstige Dunkel, bis sie in einer großen Felsnische, die von einem keilförmigen Felshang überragt wurde, halt machten.
Einer der Kämpfer nahm beide Hände zur Hand, um sich langsam die Kapuze vom Haupt zu streifen, oft geflickt und gegerbt, schwer und triefend vor Feuchtigkeit. Der kalte Nebel sog sich in ihre Kleider und machten sie schwer wie Blei, in ihren Gliedern war eine nie gekannte Taubheit, die von dem vielen Sitzen auf den Balken des Floßes kam. Es war Thronn der zum Vorschein kam, und er fuhr sich einmal durch sein struppiges, strohblondes Haar, bevor er die Hände wieder auf die Knaufe seiner Waffen legte - zwei lange, säbelähnliche, schlanke Schwertklingen -, die er in seinen Gürtel geschoben hatte. Er hatte es bevorzugt seine Kleidung zu wechseln, denn sein vorheriger Mantel war nur leicht und bot keinen rechten Schutz vor Waffen. Damals hatte er noch die Magie besessen, die ihn schützte, jetzt war da nur noch Haut, Knochen und Leder. Es musste sein, wenn er nicht elend zu Grunde gehen wollte, vor allem deswegen, weil seine Annahme, er würde schon wieder ganz gesund sein, falsch war. Die Bänder seiner Kraft waren gerissen und das kalte Dunkel hatte sich bedrohlich und wie ein großes Tuch über sein Herz gelegt, das jetzt nur noch schwach schlug. Er würde sterben, wenn er nicht bald die heilenden Quellen der Silberseen erreichen würde, die nur noch weniger als zwei Tage vor ihnen lagen. Aber länger würde auch er es nicht aushalten und er fühlte, wie seine Muskeln schwächer wurden, sich das Schattenwesen in ihm immer weiter ausbreitete, und er musste aufpassen, dass es nicht auch noch sein Gehirn einnahm. Es benutzte ihn als Wirt, als ewiger Lebensspender, und wenn es an der Zeit war, würde es seinen Körper einfach übernehmen und selbst der Schatten konnte dagegen nichts ausrichten. Nach dem plötzlichen Verschwinden Darios und Rykorns waren sie auf sich allein gestellt, die beiden Zwerge sprachen oft miteinander und betrachteten kopfschüttelnd die anderen. Aber was ging ihn ihre Witze an? Sollten sie doch lachen, am Ende würden sie sehen, was sie davon hatten.
Er lehnte sich gegen einen Felsen und überkreuzte die Beine, starrte einen Moment lang auf seine Stiefelspitzen, erkannte, dass die neue, beinahe ungewohnte Kleidung ihn wärmte, doch was er nicht wusste, war, dass die größte Hitze von ihm selbst kam, tief in seinem Inneren, wo das Dämonenfeuer nun ungehindert wüten konnte. Patrinell trat auf ihn zu und erhob den Blick, nur eine Sekunde, aber eingehend und sanftmütig betrachtete er den jungen Soldaten. "Ist es an der Zeit zu handeln?", fragte er und seine Stimme klang etwas betrübt.
Der General schüttelte den Kopf und sein kohlefarbenes Haar war ein Schleier von Ruß vor dem Grau der Felsen. Er war aus dem Nebel herausgetreten, seine Haltung bereit und willig wie immer, jedoch lag diesmal sogar Ablehnung in seinen Augen, etwas, was Warrket in den wenigen Tagen ihrer Zusammenkunft noch nicht bemerkt hatte. "Der Zeitpunkt wird noch kommen, Druide, doch sollten wir warten, bis die Dämmerung zugenommen hat, denn die Nacht ist kalt und beißend und der Nebel so dicht, dass man die Hand vor Augen nicht sehen kann. Auch werden die Dunklen sich zu dieser Zeit herumschleichen und es ist eine Gefährdung für unsere Leute." Er kniff die Lippen aufeinander und trat ungeduldig von einem Bein auf das andere, während der andere wissend nickte.
"Das dachte ich mir...", sagte er bekennend und umfasste die Griffe der langen Messer fester. Es war gut, sie immer griffbereit zu haben, auch wenn viele Krieger um einen herum waren, denn man wusste nie, ob man selbst der Erste war, und wenn, war es meistens bereist zu spät.
"Ich wollte Euch etwas fragen, Thronn.", rückte der General nach einigem zögern mit merklichem Unbehagen heraus. "Wäre es möglich, wenn Ihr und Euer Schützling Euch einmal auf der anderen Uferseite umseht?" Seine Blicke waren fragend und von solcher Schwäche, dass der ehemalige Hexer lange Zeit brauchte, um die Möglichkeiten abzuwiegen. Die Gewichte waren schwer und in seinem Denken lag schon seit geraumer Zeit nicht mehr die einstige Sicherheit, die ihm vergönnt war, sondern nur noch ein zähes hin und her, das ihn in alle Richtungen seines Denkens schleuderte und ihn schüttelte, versuchte die Lösung aus ihm herauszupressen. Es war unlogisch und ohne Moral, wie er selbst mit sich umging, doch tat er es nur, weil ihm sein rationales Denken dazu riet. Noch etwas anderes war in ihm und verlange nach mehr, saugte an ihm, wie ein Kind an der Brust seiner Mutter, zehrte ihn auf und er tat alles, um das, was er dem dunklen Kind in sich geben wollte, möglichst klein zu halten. Er dachte sich, dass das Schattenwesen in ihm irgendwann verhungern würde, wenn er es nicht zuließ, dass es volle Nahrung und gute Kost bekam. Es hatte die Barriere aus Magie, die um es selbst herum war, sein Gefängnis, einfach verschluckt und nun war alles trüb und eine milchige Suppe in ihm, wie der Nebel, der vor seinen Augen leicht flimmerte. Er sah Patrinell an und es entstand ein Moment der Leere, ebenfalls wie eine Krankheit, die sie befiehl.
Doch dieses Mal durchbrach der General den Fluch des Vergessens mit einer lockeren Handbewegung. "Ich zwinge Euch zu nichts, Magier. Wenn Ihr nicht wollt, dann..." Er wurde von Thronn unterbrochen, in dessen Züge etwas eingedrungen war, das einer Leichenstarre glich, eine eisige Maske, die blass auf seiner Haut schimmerte.
"Das Leben ist voller Entscheidungen, General. Entscheidet Ihr Euch auch nur einmal falsch, habt Ihr für immer den falschen Weg eingeschlagen und müsst sehen, wie Ihr Euch aus dem Gewirr herausfiltern könnt, um als neugeborene Seele ein zweites Mal zu existieren." Er machte eine kurze Pause, um das Gesagte wirken zu lassen, dann hob er erneut die Hand und malte ein seltsames Zeichen vor dem andern in die Luft, als wolle er ihn segnen. "Schlagt Ihr aber sofort den rechten Pfad ein, werden neue Hindernisse und neue Entscheidungen kommen. Ihr seht also" - ein zaghaftes Lächeln huschte bei der Ironie seiner Worte über seine Lippen - "es gibt immer einen richtigen Weg, aber auch einen falschen. Nun verhält es sich aber so, dass nicht immer der richtige Pfad auch der Gute ist." Er verstummte und dachte an eine Zeit zurück, in der er ein Druidendasein geführt hatte, und das ihm so leer erschienen war, bis er sich entschlossen hatte, den Weg des Meisters zu gehen. Damals hatte er gewusst, dass er schlimme Sachen durchmachen müssen würde, doch dass es sein Leben fordern würde, war ihm neu und erst in dieser Nacht erschienen, klar und deutlich, wie ein aufleuchtender Stern am Himmel. Der Traum war es gewesen, der ihm die Wahrheit mit dem Geräusch des Windes zugeflüstert hatte. Unbewusst hatte er das Rätsel um seine missliche Lage gelöst. Es war schwer gewesen, einen Ausweg zu finden, da es keinen gab, denn er würde - wenn er dort hängen würde - an dem Ende der Straße angekommen sein und er hätte sein Ziel erreicht. Das Ziel war aber auch das Ende der Reise und die Reise das Leben und so würde er einkehren in das Reich der Schatten und seine Kraft hätte geholfen, bewirkt, dass er immer den richtigen Weg gegangen war, bis er schließlich gestorben war. Innerlich schüttelte er abweisend den Kopf. Er redete von sich, als ob das Leben schon längst hinter ihm läge und er nur noch andauerte, um dem Dämon in ihn zu ernähren.
Hunger...
Leid...
Qualen...
Schrei!
"Werdet Ihr nun gehen, Hexenmeister?" Seine Stimme war fast flehend und dennoch so laut und durchdringend, dass sie als schriller Schrei in seinem Kopf widerhallte und ihn aus dem Koma riss und vor dem Ertrinken bewahrte.
"Wenn Ihr es wünscht. Doch nur einst waren die Schatten mein Element. Jetzt ist es der grelle Tag. Und es beschämt mich, wie ich vor Euch stehe." Er kam sich klein vor, ein Zwerg im Gegensatz zu Arth, obwohl er diesen um mehr als nur einen Kopf überragte. Seine Augen wanderten und betrachteten die Umrisse der Schatten, versuchte das hämische Grinsen in den versengten Gesichtern festzustellen. Doch er sah nichts, nichts als Angst und Unzufriedenheit, die der Wind von Osten herwehte und die sich mit den gedämpften Stimmen der Leute vermischten. Und dann sah er den Schemen, der schnell und tänzelnd hinter einem Gebilde aus Schatten hervortrat und sich mit denen des Wachturmes vermengte, und ein Stoß von Eis drang tief in seine Magengrube, ein Zischen bebete hinter seiner Stirn und das Wesen ihn ihm bäumte sich so weit auf, dass er krampfhaft nach vorne sank. Seine Hände umfassten das Rumoren in seinem Bauch, wie als würden Krallen und Klauen in die Wand seines Magens schlagen und sie zerfetzen. Ihm wurde übel und seine Knöchel traten weiß hervor, als er die Finger fester in den schwarzen Stoff vor seinem Bug krallte und die Zähne wütend aufeinander biss.
Schattenwesen!
Die Stimme in ihm jaulte auf, schnappte über und die Spitzen in seinem Magen wurden zu stahlharten Fäusten, die gegen seine Eingeweiden schlugen und sie mit erschütternder Wucht trafen.
"Thronn? Was ist mit dir?" Arth redete schnell und tänzelte um ihn herum, seine Stimme wandelte sich in Entsetzen und seine Finger machten immer wieder den Versuch, nach dem am Boden Liegenden zu fassen und ihn aufzuhieven, doch die grunzenden, kehligen Geräusche schreckten ihn ab, es zu tun. Er wollte laut schreien und die anderen zur Hilfe holen, doch sein Hals versagte ihm den Dienst, schnürte sich zu und die Töne, die er hervorstieß, waren unverständlich und ebenfalls auf eine gewisse Weise beängstigend.
Endlich überwand er sich, riss den sich krampfhaft Krümmenden vom Boden hoch und starrte ihm in den Blick.
Dann überschüttete ihn Tod und Teufel...
Die Augen waren glasig, wie mit einer milchigen Flüssigkeit überzogen und das Blaugrau schien zu leben, sich wie ein Sturmwind über dem Ozean zu bewegen, große, schwarze Risse breiteten sich von der Pupille an aus und begannen die ganze Regenbogenhaut zu zerreißen. Der Hexer schrie, unglaublich schrill und seine Finger krümmten sich zu Klauen, jagten pfeifend wie Messer durch die Luft und röchelte. In seinem Mund sammelte sich die Galle wie Gift, quoll zwischen den wachsenden, nadelspitzen Zähnen hervor und ätzte in die Lippe hinein, brannte und franste die rosige Haut aus, denn der Wahnsinn tobte in ihm...
Plötzlich zerriss der Mantel, der seinen Rücken überdeckte, pechschwarze, knochige Fortsätze stießen hervor, besetzt mit beinahe zwei Yard langen Krallen, die wie Spinnenbeine abstanden und sich zuckend bewegten. Eine dünne Schicht von Haut lag dazwischen, und dann breiteten sich die ledernen Schwingen dämonisch und majestätisch zugleich aus und das Schattenwesen trat hervor aus dem, was einst Thronn Warrket genannt worden war, die Krankheit hatte die Überhand genommen...
 

© Benedikt Julian Behnke
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
.
Und schon geht's weiter zum 20. Kapitel (10. Kapitel des 2. Buches): "Schattenwesen"

.
www.drachental.de