Die legendären Krieger von Rohan von Benedikt Julian Behnke
1. Teil: Der Herr der Winde / 2. Buch
Der schwarze Laurus 10 - Schattenwesen

Sie waren da, plötzlich, unaufhaltsam, und der rötliche Schein ihrer verrückten Augen glomm wie feurige Sterne im Dunkeln. Man hörte das Schaben ihrer Klauen, ein stetiges Kratzen zwischen den Steinen und ihre Schreie gellten schrill und dämonisch durch die Umgebung.
Mit aller Macht rammte Patrinell dem Druiden seine geballte Faust ins Gesicht und schrie den Namen des Elfenjungen. "Rone!" Der Hexer sackte in sich zusammen, das Gesicht höllisch aufgequollen und stark blutend, doch der General wusste, dass es nicht Thronn war der blutete, sondern das Wesen. Kein einziger Hauch von Mitgefühl war in seinem Schlag gelegen, und er war hart wie Eisen aufgetroffen, hatten den Dunklen für wichtige Momente ins Reich der Träume befördert.
Die Leute um sie herum rannten, die Krieger verteilten sich über das ganze Lager und spannten ihre Bögen, während die rechte Front von mit ledernen Schwingen Schlagenden angegriffen wurde. Zwei Verteidiger fielen unter der Wucht des Aufpralls, doch zwei neue rückten von hinten auf und stießen mit ihren Kurzschwertern nach den Dämonen. Ein reges Schlachtgetümmel entstand und die Kampfschreie von mit Adrenalin überschütteten Männern waren laut und durchdringend in der Luft, mischten sich mit denen der angreifenden Schattenwesen.
Rone glitt aus der Menge, gehüllt in einen schweren, oft geflickten Mantel aus grobem Leder, der feucht war vom wallenden Nebel, und trat mit schnellen Schritten auf Arth zu, das Haupt wie ehrfürchtig gesenkt. Doch seine Augen ruhten auf dem Hexer, dessen Züge nun nur noch wenig menschliches in sich hatten. "Die Krankheit ist ausgebrochen!", stöhnte der Soldat und zog mit hektischen Handbewegungen seinen Dolch aus dem Gürtel. Fast zur gleichen Zeit explodierten weitere Schmerzensschreie in der Mitte des Lagers und eine riesige, breitschultrige Gestalt sackte zu Boden, das Gesicht zu einem bösen Grinsen verzerrt und die Hände zu Klauen gekrümmt. Das bronzene Haar flackerte nur noch eine einziges Mal wie ein Tuch aus Seide, dann zerfiel es in dämonische Borsten und feingliederige Flügel zerstießen den Stoff seines Hemdes. Trajan. Der Kämpfer hatte gewusst, dass seine Zeit kommen würde, dass er sich nicht mehr länger beherrschen konnte, und jetzt war es so weit, das dunkle Wesen in ihm hatte gesiegt, war auf eine bizarre Weise stärker geworden und hatte sich mit allem Nachdruck aufgebäumt, um den stämmigen Riesen einzunehmen. "Wir müssen den Fluss überqueren und den Passwall passieren! Die Silberseen sind unsere einzige Hoffnung!" Rone hörte die Stimme des Generals wie das Sausen des Windes in seinen Ohren, drängend und ohne wirklichen Zusammenhang und Grund, denn seine Augen waren auf Trajan gerichtet. Dieser hatte sich zu einem wahren Satan entpuppt, ungestoppt von den Kriegern hatte er bereits zwölf Verwundete niedergemetzelt. Und als ihm das Blut warm über die Lippen floss, genoss er es. Ein Schauer der Abwendung nach dem anderen durchfuhr den Elfen und schnell wandte er seinen Blick ab, betrachtete wieder das am Boden liegende Monster, zu dem Warrket geworden war.
"Kannst du ihn tragen?", fragte er mit Sorge in der Stimme, und seine Hände glitten über das zerschlissene Leder der Rüstung des Gefallenen, suchten nach einer Stelle freien Haut. Fast unmerklich berührte er die zu schwarzen Geschwüren aufgedunsenen Muskeln und sandte einen Strom Energie seiner eigenen Macht in den schlaffen Körper, um den wahren Menschen darin am Leben zu halten. Dieser trug jetzt einen Kampf aus und Thronn würde alle Kraft brauchen, um gegen das Biest in sich zu bestehen.
Patrinell nickte ohne zu zögern auf seine Frage, und begann bereits den Bewusstlosen auf seine Schulter zu laden. Das Gewirr um sie herum wurde schlimmer, als immer mehr der ehemals Dreihundert zu Boden gingen, Fackeln umgerissen wurden und die Luft vor Hitze zu brennen schien, schwer und unerträglich wurde. Sie atmeten den Schwefel und den Rauch verbrannter, toter Leiber. "Ich werde es müssen!", gab er schließlich zu und ächzte unter dem Gewicht des Schwarzen. "Kannst du mir den Rücken decken?"
Diesmal war es an Rone zu nicken und keine Sekunde später rannten sie los, und bereits im Gehen beschwor er seine Magie herauf, ließ sie sich wie eine Rosenknospe entfalten, um sie dann wie flackernde Flammenzungen durch die schwarze Menge gleiten zu lassen. Eine warme Welle durchflutete seinen Körper und der Zauber sammelte sich in seinen Fingerspitzen, explodierte in allen Farben und Formen und umschloss mit schützender Wirkung die Flüchtenden. "Ans andere Ufer!", hörte er den General brüllen, dann erschallte ein eisiges Klirren von Klingen, die aufeinander trafen und dann das Geräusch von zerbrechenden Knorren. Das Knurren eines besonders großen und gefährlichen Dämons wurde zwischen den Verwundeten laut, die eine Hand voll Kranken (denen es bereits wieder etwas besser ging), die sich am Boden liegende Schwerter und Spieße gegriffen hatten, zu schützen versuchte.
Trajan.
Der einzelne Name hallte dumpf und hohl in den Gedanken des Elfen wider, Schallwellen, die mehr als nur einen Ton beinhalteten. Rasch blickte er sich um, sah einen Angriff kommen und sandte die Magie mit einem heulenden Aufschrei in die Richtung des Klauenhiebes. Schwarzes Leder zerfetzte und Dämonenblut und Schleim regnete auf sie herab; sie hatten die Wasser des Eisflusses fast erreicht. Dann erkannte er den hünenhaften, veränderten Hochländer, der sich mit einer schweren Kette bewaffnet gerade dreier Angreifer entledigt. Er war nicht mehr der, den der Junge einst gekannt hatte, er war jetzt viel größer und breiter, seine Muskeln waren schwarz und mit Geschwüren und dünner, lederner Haut und stellenweise mit Chitinplatten überzogen, auf denen sich in dunklen Strichen das Lodern der Flammen spiegelte, die seine Gestalt einrahmten und ihm die wahre Gefährlichkeit verlieh. Borstiges, struppiges Fell wuchs und quoll ihm an vielen Stellen des Körpers rostrot hervor und die Augen, Funken in dem tiefen Schwarz, waren wie besessen, hatten dennoch etwas menschliches in sich. Es schien, als ob doch noch ein Teil Trajans für den Sieg kämpfte und die dunkle Seite versuchte niederzuringen, doch das fachte die lodernde Feuersbrunst noch weiter an und die Flammen begannen sogar schon auf dem Rücken des Großen wie lange Haare zu sprießen. Von ihm ging die unwahrscheinliche Hitze aus, Hörner waren zwischen zerrissenen Leder- und Hautspalten hervorgedrungen, reckten sich reichlich bizarr in den sich vorsichtig verziehenden Nebel. Einen Augenblick lang trafen sich ihre Blicke und es war, als ob das Schattenwesen loslaufen und ihn zerstückeln wollte, doch bevor dies geschehen konnte, fachte der Junge seine Magie ein erneutes Mal an.
Stille!
Der heiße Wind jagte urplötzlich von Rones Finger, von dessen Gedanken geschaffen, heran und schlug dem Untier höllisch und brennend wie eine Sandsturmfront entgegen, rieb seine Glieder auf. Trajan taumelte, fasste sich doch im letzten Moment wieder, die Überraschung des Augenblicks war verflogen, und stemmte sich dem Brausen entgegen. Eine Sekunde lang schien es, als würde der junge Elf siegen, doch dann zerschmetterte der Dämon die Magie mit einem brutalen Wutschrei. Seine Pranke schnellte vor und ließ den Wind wie Glas zerbersten.
Dann stürmte er los.
Die Kette schwang bedrohlich über seinem behörnten Haupt.
So schnell er konnte drehte sich Rone wieder um, konnte es nach wie vor nicht fassen; seine Magie hatte versagt. Sein Blick wurde glasig, als sich Tränen der Wut und des Zornes in ihm sammelten und alles verwischte vor ihm. Er sah nur noch Patrinell, der den felsenbesetzten Hang hinunterhastete, Thronn auf den Schultern, seine Fäuste waren blutbeschmiert, die Klinge seines Messers steckte zerbrochen in seiner Wade. Dennoch humpelte er nicht. Auf dem schwarzen Wasser, auf dem sich der bewölkte Himmel und das Lodern der Flammen spiegelten, kräuselten sich Wellen, und dann tauchten sie in die eisige Wand aus Nebel ein, der Frost umspülte ihre Hüften, sie begannen schwerer zu atmen. Ein Kribbeln durchfuhr seinen Unterkörper und blieb darin haften, als seine Glieder begannen taub zu werden und er einer Ohnmacht nahe war. Hinter sich wusste er den dröhnenden, fauligen Atem Trajans, die Hitze des Feuers und des Nebels über dem Wasser, die Ungewissheit lag vor ihm, zusammen mit dem Schemen des Generals, und unter ihm war nichts als kaltes Gebirgsseewasser...
Wie durch ein Wunder erreichten sie das andere Ufer und ließen sich einen Moment auf dem Rau nieder, um Energie zu tanken und sich von den Lasten des Kampfes zu erholen. Wie vor einer Leinwand sahen sie die Schatten der sterbenden Menschen vor dem Licht der Flammen, die Schreie und Kampfgeräusche waren wie aus weiter Ferne. Und Erleichterung machte sich in ihren Herzen Platz, wich jedoch sofort Angst und Verzweiflung und ihre Blicke suchten die Umgebung ab. Hier war es sogar beinahe noch kälter als im Wasser, nur trockener, kein Wind regte sich, der Fels ragte zerklüftet und wie der Tod um sie herum auf, und zwischen diesem ganzen stand das große Tor der Hochländer, verlassen und geisterhaft. Stille war allgegenwärtig, die Geräusche des Kampfes versiegten, während auch der letzte Kämpfende starb und auch das Licht des Feuers erstarb, Leere und Trostlosigkeit, Ruhe, blieb...
Kelt...
Palax...
Rone suchte nach ihnen, erhob seine Stimme und sang leise und zaghaft, sprach ihre Namen aus und hoffte auf eine Antwort, Dunkelheit eroberte ihn und sein Singen verging, die Namen verhallten. Was war mit ihnen geschehen? Waren sie wirklich alle dahingeschieden? Waren die Abgesandten der Freitruppe nun endlich besiegt? Waren sie jetzt allein? Allein im Dunklen...?
Das leise Geräusch von Wellen kam vom anderen Ufer, stießen gegen die Steine auf ihrer Seite. Leise, in einem plätschernden Ton, windstill und ohne Regung, ohne Licht. Wieder, und wieder, und wieder. Etwas kam näher, langsam und bedächtig...
Rone wagte nicht zu atmen, denn etwas schnürte ihm die Kehle zu, hinderte ihn daran die Luft einzusaugen. Er verfiel in völlige Bewegungslosigkeit. Schwer waren seine Beine, unglaublich schwer. Die Nässe und Kälte zog an ihm und sein Blick war regungslos auf den Schatten gerichtet, der sich groß und massig durch die Wand aus Nebel schob, deutlicher wurde. Etwas watete durch das Wasser des Eisflusses, etwas riesiges. Und dunkles.
Aber in Rone glomm ein Hoffnungsschimmer auf. Es wäre doch möglich, wenn es einer seiner Freunde wäre, der sich dort bewegte...
Er wartete und die Stille schloss sich mit dem steten Laut der leichten Wellen zusammen, nichts konnte einen mehr überraschen. Er spürte die Bewegung Patrinells, der sich räusperte, während Anspannung sein Äußeres beherrschte. Ein dünner Faden Blutes lief aus der Wunde, welche die abgebrochene Spitze des Messers ihm zugefügt hatte, die immer noch tief im Fleisch steckte. Es war, als würde er zittern, als hätte ihn die Kälte und Schwäche übermannt und er hatte Mühe, aufrecht zu bleiben, während der schwere Körper des Druiden gegen seine Seite drückte; er hatte ihn neben sich gelehnt.
Plötzlich lichtete sich der Nebel mit einem Mal, aus den dichten Schwaden trat eine Kreatur.
Kein Mensch.
Kelt strahlte Totenleere aus. Er blutet aus vielen Wunden und seine Augen waren mit Schwärze gefüllt. Sein dunkelblondes, zu mehreren Zöpfen geflochtenes Haar war struppig und zerzaust, sein Mund stand offen, als wolle er etwas sagen. Doch dann durchfuhr seinen Körper ein Zittern, das etwas Bestialischem glich und der stämmige Zwerg sank benommen auf die Knie.
"Kelt...!", hauchte Rone und die Bewegungsunfähigkeit war mit einem Male gebrochen, der Stahl in seinem Körper hatte sich verloren, machte stechenden und beißenden Schmerzen Platz, die er sich - ohne es wirklich wahrzunehmen - im Kampf zugezogen hatte. Er rannte auf ihn zu, aber seine Bewegungen waren schlaff und abgehakt und er stolperte mehrmals. Dennoch lief er weiter, hatte das Gefühl, gebraucht zu werden, während Arth sich nicht rührte, fassungslos und mit offenem Mund starrte er in den Nebel, der sich wie von Geisterhand zu bewegen schien.
Ein letztes Ächzen kam von dem Zwerg, drang dunkel, finster und endlich in Rones Gehirn ein und blieb darin haften...
Verschwindet...!
Eine Bewegung, scharf, unglaublich schnell und präzise, ein schwarzer Blitz aus dem Nebel heraus. Und der Zwerg sank mit zertrümmertem Schädel ins Wasser. Das Rot der Blutstropfen sprenkelten Rones fassungslosen Gesichtsausdruck. Erschrocken wich er zurück, ein Windhauch, wie von eisigem Feuer zischte an ihm vorbei und verfehlte ihn nur um Haaresbreite. Instinktiv ließ er sich fallen, zog sich regelrecht zu den Steinen herunter, während wieder der Schemen wie ein Peitschenhieb über ihn hinwegsetzte. "Rone!" Der Ruf des Generals kam von fern, doch plötzlich stand er schützend vor ihm, die Klinge des Druiden haltend und die Miene krampfhaft verzerrt, die Muskeln bis zum Zerreißen angespannt, ein Schweißfilm lag glänzend über seiner Haut. "Verschwinde!" Wieder sausten die Glieder der Kette heran, blitzschnell rollte sich der Soldat unter der Attacke durch, die direkt aus dem Nebel gekommen war, wie ein unsichtbares, unglaublich schnelles Messer. Dann jagte er noch in der gleichen Bewegung weiter, bis er bis zu den Knien im Wasser stand und stieß die Klinge mit beiden Händen tief in den Nebel, der sich plötzlich zu einer Form manifestierte, eine riesige Gestalt. Es war Trajan, dessen magische Dämonenkräfte ihn hatten mit den düsteren Schwaden verschmelzen lassen hatten. Funken sprühten, Feuerzungen zischten die Schneide entlang, als sie sich in den Rumpf des Untiers bohrte. Ein markerschütternder Schrei hing über allem, dröhnend und bösartig. Wieder und wieder huschten Kette und Schwert umher, der General stieß windschnell zu, trieb seine Waffe tief und mehrere Male in den dämonischen, mindestens vier Yard großen Leib. Das Wesen schien plötzlich zu taumeln, und dann trennte es sich von dem Schutz des Dunstes, fiel auf die Knie, zermalmte den Körper Kelts unter sich. Arth sprang blitzschnell zurück und hackte von neuen in den ledernen Leib des Monsters, getrieben von einem Adrenalinschub nach dem anderen und von unbedingendem Zorn und Hass auf die Gestalt, als hätte die Herrin selbst ihn ergriffen, und zu ihrem Muragecht gemacht...
Blutüberströmt stand er da, wie ein aus der Schlacht heimgekehrter Berserker, schwer atmend und verletzt, durchgeschwitzt und versunken im Rausch des Tötens. Er sank in die Knie, fühlte den groben Kies unter seinen Knien, schaffte es jedoch nicht die Waffe fallen zu lassen; sie hatte sich fest in seine Haut gebrannt.
Unfähig sich zu bewegen standen sie da, bis der Morgen graute, und die hellen Strahlen das Durcheinander und die unzähligen Haufen von Leichen erhellte. Ein lauer Frühlingswind begann zu wehen, der Nebel zu verschwinden, während sie müde zusammensanken. Sie brauchten Ruhe, Schlaf und Nahrung. Letzteres würden sie wohl erst bekommen, wenn sie die Tücken des Rokronpasses überwunden und in die tiefen Wälder eingedrungen waren. Keiner achtete mehr auf den Druiden, der immer noch ohne Bewusstsein lag, und seinen inneren Kampf mit sich selbst ausfocht.
Es war der selbe Traum wie jedes Mal. Er hing mit einem Arm an dem Felsvorsprung, der Boden unter seinen Füßen war weggebrochen und ein saugendes Loch entstanden, das nach ihm zu rufen schien. Schmerzen plagten seinen Körper und er befand sich im Elysium, kurz vor dem Ende des Weges. Das Dunkel um ihn herum hatte sich erneut verdichtet, die Augen der Schattenwesen waren jetzt größer, näher und das garstige Glimmen beschien seinen Körper mit einem tückischen, alarmierenden Rot. Der Dunkle über ihm wies ihn an, den Weg der Magie wiederzufinden, denn nur mit ihrer Hilfe, würde er auch mit einem Arm das werden, was er früher mit Zweien war. Er spürte, wie sich etwas in ihm dagegen sträubte die Hilfe des Schattens anzunehmen und ihm immer wieder riet, es nicht zu tun, sich ganz auf seine innere Stimme zu verlassen. Doch wer oder was war diese innere Stimme?
Das Schattenwesen.
Es war jetzt ein Teil von ihm selbst geworden, ob er wollte oder nicht, hatte sich ihm angenommen wie eine barmherzige Frau sich einem elternlosen Kind annimmt, hatte ihn gewiegt und besänftigt, ihm Ratschläge gegeben, obgleich er wollte oder nicht. Jedoch war es in seiner Natur, herauszufinden, was im Dunklen lebte und so hatte er einmal - nur um zu sehen und zu verstehen - einen dieser Ratschläge befolgt. Das Ergebnis war verheerend gewesen, hatte ihn mehr als nur ein freies Leben gekostet, sondern seine ganze Existenz. Er war nicht mehr der, welcher er einst war, er war jetzt nur noch Thronn, der Diener der Herrin. Doch tief in seinem Herzen loderte ein Funken, ein Flämmchen von Rones Magie, die der Elf ihm gegeben hatte und die ihm gezeigt hatte, wie das Leben wirklich war. All die endlosen Gedankengänge, der finstere Mahlstrom, der in ihm war, wurde für einen Augenblick unterbrochen und es hatte sich ihm eine Welt offenbart, die mehr war, als nur Diener und Herrscherin.
Mit diesem einen Mal war Hoffnung in ihn eingekehrt, hatte ihn gestärkt und das Böse in seine Schranken verwiesen. Zwar hatte es ihn immer noch unter Kontrolle, dennoch war es etwas anderes; er durfte jetzt miterleben, wie sein zweites Ich handelte und tötete. Und er bereute jedes Mal, jede einzelne Sekunde, dass er sich dem Schrecken hingegeben hatte. Er hasste sein neues Ego! Der Gedanke entstand so deutlich in seinem Kopf, dass er ihn schrie, laut und mit aller ihm verbliebener Kraft...
Verschwinde!
Seine Augen öffneten sich und er blickte in die gleißenden Strahlen der Sonne, die matt zwischen den Zinnen und Felskeilen hindurchsickerte. Eine Welle von Wärme durchfuhr ihn, und er spürte, dass es die Magie Rones war, die ihm half, zu verstehen und wiederzukehren. Er rappelte sich auf vorsichtig, noch immer leicht benommen von dem Schlag ins Gesicht, Kopfschmerzen dröhnten und hämmerten hinter seiner Stirn. Er schloss die Augen vor der ungewohnten Helligkeit, nahm eine Hand voll Kies und kleiner Steine vom Boden auf und drückte sie fest in seiner Hand. Die Ecken und Kanten stachen in seinen Handflächen und Blitze von Schmerzen durchzuckten seine Hand, als sie sich in seine Haut eingruben, und glimmende Dellen hinterließen.
Fühlst du es...?
Jetzt konnte er antworten. Ja. Er fühlte es. Endlich, nach so langer Zeit, hatte er wieder die Möglichkeit zu spüren und wahrzunehmen, das erste Mal, seit er aus den Tunneln aufgebrochen war, merkte er, wie schön es war, sich auf alles verlassen zu können. Er seufzte leise und taumelte leicht nach vorne, noch immer etwas unsicher auf den Beinen, während sich die Schemen auf seinen Pupillen klärten und er wieder eindeutige Farben erkannte.
Und sofort stachen ihm die Leichen in die Augen, die sich keine zwanzig Yard von ihm erstreckten, Männer und Frauen, sogar einige Kinder, zerschmettert und seltsam verdreht, aufgeschlitzt und blutbesudelt. Hätte er seine letzte Nahrung nicht vor zwei Tagen eingenommen, hätte er sich übergeben, als ihm der Gestank von faulendem Fleisch durch die Nasenlöcher glitt. Angewidert und entsetzt wandte er den Blick von dem grausamen Schlachtgemetzel ab und sah zum ersten Mal, wo er sich eigentlich befand. Das Flussbett glitzerte frisch und silbern, war in einem leichten Bogen von Nordosten bis Süden Geschwungen, dahinter kleinere Ausläufe des Seebaldkamms, steil und zerklüftet, nur einige wenige Yards hoch, dennoch genug um einem Angriff aus dem Westen stand zu halten, sie bildeten eine Felsnische, in der die verstümmelten Gestalten kauerten. Nur einige wenige Körperteile von Schattenwesen lagen umher, höchstens drei oder vier der pechschwarzen, grotesken Gestalten. Der Himmel hatte eine seltsame, graue Farbe, trauerte mit dem Wind über den Verbleib so vieler Seelen. Floße waren einige Meilen flussabwärts an Land gespült worden und wurden noch immer von seichten Wellen geschaukelt.
Nur zufällig wandte er sich um, um vielleicht auf dieser Seite des Flusses zu erkennen, wo er war, und erstarrte fassungslos. Das große Tor der Hochländer erhob sich imposant und riesig zwischen den Felskeilen des Seebaldkamms, versperrte den Einlass in den Rokronpass. Und dahinter, hinter der sanften Erhebung des Passweges, mussten sich die endlosen Wälder und Seen des tiefen Waldlandes befinden.
Doch dann fiel sein Blick auf die reglosen drei Gestalten, die auf dieser Seite des Flusses zusammengebrochen waren. Sein Herz setzte einen Schlag aus und wurde sehr, sehr langsam und dumpf, während es von Kälteschauern erdrückt zu werden schien.
Rone.
Patrinell.
Und jemand, der bis auf weniges Trajan glich, nur mit grausam verzerrten Zügen und langen, klauenbewehrten Fingern.
Mit zögernden, angespannten Schritten und einem unguten Gefühl in der Magengegend ging er auf den ersten der Gestalten zu. Rone. Er schien tot, doch seine Brust hob und senkte sich leicht, sanft, fast unmerklich, Wunden waren entstanden und fast unmerklich schnell von seiner Magie geheilt worden. Seine Atemzüge bewegten die Strähnen seines Haares, die ihm in einem gebleichtem Gelbton in sein blutverkrustetes Gesicht fielen. Erleichtert atmete er aus und trat vorsichtig in die Nähe des Generals. Auch bei ihm stellte er fest, dass er noch lebte, und dass er nur zu müde und zu schwach war, um noch die Augen offen zu halten. Hier hatten unzählige Male Ketten Spuren im Kies hinterlassen, Abdrücke von tiefen Schlägen, zwischen denen Fußabdrücke waren, als wäre jemand hektisch den hastigen Schlägen ausgewichen. Und da lag auch schon die Kette, schwarz und an Stellen, an denen der Lebenssaft eingetrocknet war, hingen Fetzen von Haut und Kleidung, und er folgte ihr, das unbehagliche Gefühl in seinem Bauch hatte nachgelassen, war aber dennoch vorhanden, denn er konnte die dritte Gestalt nicht recht identifizieren. Sie war ziemlich groß, breitschultrig und glich der Gestalt eines jungen Balrog, wie er ihn aus Geschichten kannte, ein Wesen aus Schatten und Feuer... Ihre Haut war schwarz, vernarbt und von eitrigen, verkohlten Geschwüren übersät, als wäre es eine Gestalt, die schon seit Jahren von den Lebenden Abschied genommen hatte und nun auf groteske Weise als lebender Toter wieder auferstanden war, ein Untoter, im wahrsten Sinne des Wortes. Und es war Trajan, noch immer, trotz der vielen dämonischen Veränderungen, und nicht tot...
Seine Existenz als denkendes Wesen war vergangen, seine Seele mit allem verflogen und nun lag nur noch ein Körper da, der, getrieben von unsagbarem Hass, Wut und Vernichtungswahn, töte und nur so überleben konnte, denn schwarze Magie hatte von ihm Besitz ergriffen und alles was noch gut und freundlich war zunichte gemacht. Vor ihm lag der Wächter des Ewigen, der Wegweiser in ein Reich aus Schatten, Dunkelheit und grausamen Tod. Und so war es für Thronn fast selbstverständlich, als er seine Waffe mit einem energischen, schabenden Geräusch aus der Scheide zog, sie hoch über den Kopf nahm und sie wie einen schwarzen Blitz hinabzucken und mit einem Stoß, der den ganzen Zorn der Ermordeten beinhaltete, töten ließ...
 
© Benedikt Julian Behnke
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Und schon geht's weiter zum 21. Kapitel (1. Kapitel des 3. Buches): "Das Gesetz der Magie"

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