Sie erreichten die Stadt, als es tiefste Nacht war und die Schatten
der Wachen mit den Mauern verschmolzen waren. Nebel hing über den
Zinnen und zwischen den Stämmen, glich den Krallen und Händen
von Geistern, die aus ihrem Schutze traten, um sich die Menschen und Elfen
zu greifen. In der Ferne spiegelte sich der Mond auf der glatten Oberfläche
eines Felsens, der mitten aus den Wäldern herausragte, einsam und
verlassen, nur zwei dünne Flussbette wanden sich um seinen Fuß
und schlossen sich hinterher. Fackeln blakten dicht unter dem Torbogen
und dünne Schleier von Rauch strebten gen Himmel. Der rötliche
Schein erhellte nicht viel des Durchganges und die Flammen zuckten und
waren unruhig, während der Wind in den Bäumen rauschte. Ähnlich
wie in den roten Herbstlanden, fand Sephoría und betrachtete sich
Mauradin genauer. Die Häuser innerhalb der Mauern waren klein und
einfach, die Dächer aus Stroh und die Hauswände aus einfachem
Lehm, und nur der Marktplatz war mit Pflastersteinen ausgelegt, der Rest
schien absurd unter einer dicken Schicht Staub begraben, der in den feuchten
Abendstunden dunkel und nass war. Dennoch hing der Duft von der Ruhe des
Waldes und dem Dampf der Lichter in der Luft und wirkte einschläfernd
und verträumt auf die ankommende Elfenarmee. Die Wächter hatten
kaum Notiz von ihnen genommen; offenbar waren sie es gewöhnt, dass
in den Tagen des Krieges viele aus den anderen Ländern schutzsuchend
zu ihnen kamen und so waren ihre Mienen bewegungslos und ihre Augen auf
die Schatten des Waldes gerichtet. Hinter den Steinen gingen Bogenschützen
geduckt auf und ab, gepanzert und mit langen Dolchen bewaffnet. Es schien,
als hätten die Mauradiner auf einen Angriff gewartet, der dann doch
nicht erfolgt war. Inzwischen war es immerhin Mitternacht und der heutige
- oder in wenigen Minuten gestrige - Tag hatte viel Anstrengung mit sich
gebracht, die Luft im Tal war schwer und in den Bergen dünn und kühl
gewesen, kühle Stürme hatten über die Hänge gejagt,
als sie die Barriere Riarocks durchquert hatten und eine völlig andere
Jahreszeit sie umfangen hatte, das Laub an den Bäumen war verschwunden,
stattdessen wurden die dünnen Äste und Zweige von hellen Knospen
umrahmt, deren Inhalt sich bereits zu entfalten begann. Ja, ja, dachte
die Königin der Elfen versonnen, der Frühling kehrte in die Länder
ein, doch war seine Pracht befleckt vom Blute der Menschen und Dämonen
und wer wusste schon, was aus den Tiefen des Hadesfelsens auferstanden
war, um den westlichen Teil Gordolons einzunehmen. Sie machte sich ernsthaft
Sorgen darum. Vor allem die bevorstehende Schlacht um Burg Krakenstein
beunruhigte sie. Das Ablenkungsmanöver hatte zwar stattgefunden und
hatte einen - wenigstens zum größten Teil - guten Ausgang genommen,
die Fußsoldaten der Elfen hatten die Ebenen unentdeckt überquert.
Später waren sie auf die Straße von Krakenstein nach Mauradin
gestoßen, hatten den reißenden Strom überquert, der von
den Höhen des Araschgebirges herströmte und waren an die Küstenstadt
gelangt. Jetzt standen sie da, gehüllt in ihre Roben aus Seegras und
Ragón, und der Stoff schimmerte geheimnisvoll im Licht der beiden
Monde, die das Himmelszelt seit der Herrschaft Melwioras beherrschten.
Morgen würde es anders sein. Sie würden früh aufstehen müssen,
um mit Graf Morrogian, der derzeitige Herr über die kleine Stadt,
alle Einzelheiten des Schlachtablaufes zu besprechen. Am Tage zuvor hatten
sie einen Boten losgeschickt, einen Flugreiter, der den Dorfbewohnern die
Nachricht von der Ankunft und ihrem Plan überbracht hatten. Wenn alles
gut gehen würde, hätten sie morgen abend die Festung zurückerobert.
Doch wenn nicht, würden die Grauen Nachschub aus dem Osten bekommen
und alles wäre verloren. Der größte Teil der Flugreiter
hatte bereits nach Nordnordwesten abgedreht, um in die tieferen Tiefen
des Waldlandes zu gelangen, nach Rovanion, die Stadt der Rebellen, wo sie
einst herstammte. Doch all ihr Wissen entstammte Büchern und Erzählungen,
nur weniges hatte sie selbst gewusst. Noch immer waren die Puzzlestücke
ihrer Vergangenheit nicht zusammengesetzt, und sie fühlte, dass Kajetan,
der Bote aus dem Norden, ihr etwas Aufschlussreiches geben könnte.
Jedoch hatte sie sich bis jetzt nicht getraut ihn darauf anzusprechen,
die große, grobe Gestalt mit dem silberweißen Haarschopf und
der kantigen Nase, den hungrigen Augen, konnte auf eine gewisse Weise angsteinjagend
sein, sodass sie sich lieber zurückgezogen hätte, wenn sie ihm
begegnete. Aber gerade diese Angst und Ungewissheit prickelte in ihrem
Magen, sie fühlte sich zu ihm hingezogen, doch ihre Vergangenheit
hielt sie auf, ließ sie kehrt machen. Es war zu schlimm, was sie
erlebt hatte, als dass sie hätte offen mit ihm sprechen können.
Und außerdem war er ein Mensch und sie eine Elfe. Es passte einfach
nicht.
Es hieß, dass es in Rovanion, an den Ufern des Steff, ein
Orakel gab, das von einem weisen Zauberer geleitet wurde, ein Mann, dessen
Anwesenheit so selbstverständlich war wie zu atmen. Viele Menschen
waren zu ihm gegangen, jedoch nie zurückgekehrt und man hatte sich
gefragt, was mit ihnen geschehen war. Keiner hatte sie je wieder gesehen
und so verlor sich der Andrang der Menschen und das strahlende Gebäude
zerfiel zu einer Ruine, welche nun durch Witterung, Wind, Sonne und Regen
langsam aber sicher zermürbt wurde, die Felsen wurden schroff und
der Putz an den buntbemalten Wänden bröckelte ab, bloßer
Stein blieb. Als sie diese Geschichte das erste Mal von einem Angehörigen
des Magierclans gehört hatte, war sie bestürzt gewesen und war
lange Zeit in ihren Träumen und Gedanken versunken gewesen. Es war
geschehen, als sie noch klein war, bevor ihre Mutter in den Schatten des
dunklen Felsens stürzte...
Ihre Linsen wurden glasig und sie musste mehrmals blinzeln, um den
Schmerz und die Trauer von ihr zu vertreiben. Während sie nach
dem Tod der Königin gelitten und sich in ihre Kammer zurückgezogen
hatte, hatte Irmin die Weiten des Waldes gesucht und war lange Zeit Jagen
in den Bergen gegangen. Heute, als sie durch den Horenfels-Ábdün
geschritten waren, hatte sie sie gesehen, die Jagdhütte ihres Bruders,
mit eigenen Händen aus Stämmen und Lehm gezimmert, gebaut an
den Eingang zu einer Höhle, um die Tiefe der Räume zu vergrößern.
Auch bot die Höhle bei Stürmen mehr Schutz als das kleine Holzhäuschen
selbst. Ein weiteres Mal endete sie mit ihren Gedanken an dem Punkt, der
sie zu der Geschichte des Clans brachte. Heute dachte sie anders darüber.
Die Leute waren nicht von dem Magier des Orakels verspeißt worden,
sondern gegangen, gegangen, um ihre Bestimmung in der Ferne zu suchen,
wie es dieses vorausgesagt hatte. Und es befriedigte sie ungemein, dass
ein alter Mann seine Kräfte zum Helfen gebrauchte. Auch sie besaß
die Magie, hatte ebenfalls das Heilen damit gelernt, konnte die Saat des
Bösen aus den Herzen der Wandernden aufspüren und zerstören.
Damit hatte sie Kajetan und ihren Bruder gerettet, doch kämpfen, wie
ihre Mutter, konnte sie nicht mit ihrer Stimme. Das hieß, sie hatte
es noch nie versucht. Deswegen trug sie immer einen langen Dolch an ihrer
Seite, den sie Helhoras í Vive genannt hatte, 'Feuer des Westens'.
Der Name der Waffe stand eingeritzt in den feinen Buchstaben der Elfen
auf der Schneide, die wie das Licht der Laternen im Aróhcktal leuchtete
und sie an den Thron und ihre königliche Pflicht erinnerte, das Land
zu verteidigen. Doch was tat sie? Sie zog aus von Zuhause, ließ das
Tal den Schattenwesen überlassen und ging, zog fort mit all ihren
Armeen. War es das Richtige? War es die richtige Entscheidung? Sie hatte
nur streng nach Fakten gehandelt, als sie ihren Schlachtruf in die Ferne
geschrieen hatte, und geschworen, nach Krakenstein zu gehen und dort zusammen,
Seite an Seite mit den Menschen, vorzugehen. Doch was fühlte sie hier?
Ihre Hand glitt an ihrem zwetschgenfarbenen Gewand hinauf und hielt
an einer Stellen inne, an der sie das Schlagen ihres Herzens spüren
konnte. Ihre Haut war dünn und hell, ihre Knochen zart und ihre Gestalt
schlank, dürr und beinahe ohne Muskeln. Sie hatte erlebt, was Schmerzen
waren, als sie vor der Eisfrau geflohen war und sie wollte es kein zweites
Mal erleben. Darum hatte sie auf das Training verzichtet. Früher hatte
sie Garrian gehabt, die zusammen mit der Leibgarde auf sie aufgepasst hatte,
doch nun war sie allein.
Die starken Arme Vivrens, die sich von hinten schützend um
sie legten, erinnerten sie an seine Gegenwart. Er hielt sie fest und warm,
währen er seine Nase in ihr dunkles Haar presste und ihren süßen,
wohligen Duft einatmete. Sie spürte seine tiefen Atemzüge und
etwas, das mehr war, als nur bloße Zuneigung.
In der Zeit, in der sie ihren Gedanken nachgehangen hatte, war eine
vermummte Gestalt mit einer Laterne in der Hand und einem hohen Hut auf
dem Kopf zu ihnen getreten und hatte sie ohne ein Wort zu einer Reihe von
leerstehenden Häusern, Baracken, geleitet. Schweigend waren sei eingetreten,
mit den Worten 'Ich werde dem Grafen von euerer Ankunft berichten. Gute
Nacht', hatte sich der Nachtwächter verabschiedet und war gegangen,
der Schein seiner Laterne ein Irrlicht im Dunkeln. Sie hatten ihr Gepäck
abgelegt und nun stand die Königin noch immer unschlüssig im
Raum, unfähig einen Gedanken zu fassen. Die Umarmung des Generals
wurde fester und seine Hand glitt an ihrem Körper hinab... Er stöhnte
leise und die Wärme seines Atems veranlasste das Haar Eszentirs sich
zu bauschen, während ihre Augen starr in die Leere des karg eingerichteten
Zimmers glitten und die Schatten durchbohrten.
Sie schlief gut, geborgen in der Umarmung des Generals, der nackt
neben ihr lag, auf seiner gebräunten Haut glänzte Schweiß
und sein Haar war von dessen Perlen verklebt. Sie roch ihn, spürte
seinen Atem, während er schlief, noch lange, bevor sie auch endlich
entglitt. Es war erfrischend nach einem so langen Tag endlich die Augen
für längere Zeit schließen zu können.
Als sie erwachte, und Arkanon sie mit einem schelmischen Lächeln
und einer gefälligen Geste begrüßte, antwortete sie ihm
nicht auf sein 'Guten Morgen, Táfuwirinu de Coror*.',
das aufmunternd und doch resignierend zugleich klang. Wenigstens in ihren
Ohren. Sie hatte diese Nacht verbracht, ohne, dass sie mit ihrer Bürde
- Königin der Elfen zu sein - konfrontiert wurde und deshalb gab sie
etwas trotzig zurück:
"Schon wieder benutzt Ihr die Sprache des Rates, Vivren. Unterlasst
es!" Ihr Ton war scharf und sie wies ihn eher wegen seiner Dreistigkeit,
sie daran zu erinnern, zurück, als deswegen, weil er die Sprache der
Alten benutzte.
"Und was tatet Ihr, Mylady? Hörte ich Euch nicht vor Ekstase
'Ie essu Riesó*!' schreien?", gab er spitz
hinzu und zog die Brauen hoch, während er noch immer lässig in
den Kissen lehnte.
"Ihr habt ein loses Mundwerk, General.", sagte sie und sah ihn mit
Blicken an, die töten konnten. "Haltet Eure Zunge im Zaum, oder ich
werde dafür sorgen, dass sie Euch bald fehlen wird." Mit einer übertrieben
deutlichen Geste schob sie die blanke Klinge ihres Dolches in die lederne
Scheide. "Ihr müsst mich mit jemandem verwechseln."
Erst sah er beinahe wütend auf sie herab, doch dann ordnete
er seine Gedanken und zog es vor doch keine spitze Bemerk mehr zu ihren
Worten zu machen. Griesgrämig biss er die Zähne zusammen und
presste seine Lippen aufeinander, bis sie blau wurden. Noch immer konnte
er das Kitzeln auf seiner Haut spüren, dort, wo sie ihn liebkost hatte.
Er hatte ihre zierliche, zerbrechliche Gestalt wie einen Diamant gehütet
und gehalten, ihre ebene, weiße, weiche Haut gestreichelt und sie
billigend angelächelt und in seinem Blick war Liebe gewesen. Doch
jetzt verschmähte sie ihn und er schaffte es kaum die Wallung von
Gefühlen in sich zu erdrücken. Kläglich gab er nach und
begann ebenfalls sich anzuziehen, bis Sephoría auf einen sachlichen
Tonfall verfiel.
"Welche Angriffstrategie schlagt Ihr vor, General?", fragte sie,
während sie die silbernen Knöpfe ihres Kleides zumachte und in
den Spiegel sah, der an der Südseite des Raumes hing. Sie betrachtete
sich dabei eingehend und fand sich nicht schön, sondern eher abstoßend.
Ihre Haut war zu weich und die Knochen darunter zu deutlich abgebildet,
dennoch zerbrechlich, beinahe wie Glas. Ihre Rippen waren deutlich zu sehen
und ihre Figur knochig, eine Krankheit, die sie selbst mit Magie nicht
schaffte zu heilen. Sie hatte das merkwürdige Gefühl, dass ihre
mentale Kraft bei ihr nicht wirkte, sie nutzlos sei und deshalb würde
sie nie das sein, was sie hätte sein können. Die Sucht hatte
sie ergriffen, als sie an den Portalstufen des Hadesfelsen gefallen war
und der eisige Hauch der Magie Sowem Duns sie erwischt hatte und seit dem
war sie sicher, nie mehr jemanden haben zu können, der sie liebte
wie sie war. Sie musste ihre geschundene Gestalt vor den Blicken der anderen
schützen, andere Elfenmädchen schienen geradezu perfekt im Gegensatz
zu ihr, wenn sie in den Wassern des Warmakin badeten und sie schämte
sich. Die Arme schlang sie um ihren Körper, während sie ins Wasser
stieg und fühlte, wie das Eis sie umfing, war sich sicher, dass die
anderen Elfen hinter vorgehaltener Hand lachten und sich über sie
lustig machten. Auch das war einer der Gründe, warum sie sich in ihre
Gemächer nach dem Tod ihrer Mutter geflüchtet hatte, ihre Krankheit.
Sie
hatte die makellosen Körper der anderen gesehen, nackt und wunderschön,
wie sie im Wasser spielten und das kühle Nass wie einen Regen aus
Funken - da sich die Sonne in den Tropfen brach - in die Höhe schickten.
Ihre Haare hatten sie wie güldene Schleier um sich gehabt, alle mit
kunstvoll aufgesteckten Frisuren, in denen silberne Bänder geflochten
waren. Jedoch sie hatte die dunklen Haare ihrer Mutter geerbt, anders als
alle anderen Elfen. Wenn es auf den Markt oder zu großen Versammlungen
ging, stach sie immer deutlich aus den anderen heraus, ein dunkelbrauner
Schopf aus Tausenden von goldener Farbe.
Arkanon liebte sie auch mit ihren Macken, hatte zart über ihr
hübsches Gesicht gestrichen und ihr gesagt, dass er sie liebte, und
sie hatte ihn hingenommen, wie er kam und zugelassen, dass er in ihr versank.
Doch in ihr hatte das Feuer der Liebe nicht gebrannt, keine Hitze hatte
ihr Herz erwärmt, nur ihre Körper waren verschwitzt gewesen und
die Nässe hatte sich in die Decke gesogen. War es nicht ein Grund
seine Liebe zu erwidern, wenn er sie mochte, wie sie war?
"Ich weiß noch nicht.", antwortete er kühl. "Vielleicht
werde ich mich ganz aus der Sache heraushalten, Mylady. Das Schlachtfeld
ist mein Gebiet, nicht die Landkarte. Kümmert Ihr Euch mit Graf Morrogian
darum." Er griff nach seinem Mantel aus Ragón und legte ihn sich
geschickt um. "Ich werde gehen und das Gelände im Süden auskundschaften!"
Dann ging er, schnell und beinahe lautlos, nur das Geräusch der zufallenden
Tür erinnerte an seine Anwesenheit, kühle Winde wehten von draußen
herein, brachten Stimmen mit, die von den Dorfbewohnern stammten, die bereits
langsam aus ihren Verstecken krochen und sich den Schweiß der Anspannung
in der Nacht aus den Kleidern wuschen.
Arkanon ging den Weg zum Marktplatz hinab, der Mantel wehte ihm
um die Schultern, denn in den Ländern außerhalb des roten Herbstlandes
war das Wetter den Monaten entsprechend anders. Während er seine Schritte
die staubige Straße hinablenkte, vorbei an den Bauten aus Lehm, Holz
und Stroh, bemerkte er den Andrang von Personen, die sich rüsteten;
vermutlich hatte man ihnen erzählt, dass die Elfen als Verstärkung
eingetroffen waren und machten sich nun bereit ein weiteres Mal voller
Anspannung in den Tod zu rennen. Schwerter funkelten im hellen Licht der
Sonne, die sich aus den nebligen Dunstschwaden des frühen Morgens
erhob, wenn die Leute Übungen mit ihren Waffen machten, sie kreisen
ließen und sie dann blitzschnell vorstießen. Trotzdem merkte
Vivren, dass es den Bauern - kürzlich zu Kriegern geworden - an Disziplin
fehlte. Ihre Arme waren dick von der harten Arbeit auf den Seegrasfeldern
nordwestlich von Mauradin und ihre Körper zum größten Teil
muskulös, dennoch schienen sie wie Puppen, die man an Schnüren
bewegt. Die Angriffe waren zu langsam und zu kraftlos, ein Tieflanddämon
hätte in weniger als einer Sekunde ihnen den Garaus gemacht. Er entschloss
kurzerhand sich darum zu kümmern und orderte eine Handvoll Elfenjäger
zu ihm, die sich ihm zur Verfügung stellen sollten.
Darrliong, Wye und Shilt stellten sich den mauradiner Truppen gegenüber
und gingen in Kampfposition, während der Wind mit ihren langen, blonden
Haaren spielte. Ihre Gesichter waren ernst und ihre Hände ruhten auf
Stöcken, die ihnen zur Verfügung gestellt worden waren, gleich
den Bauern, ihr Stand war fest und wie im Boden verwurzelt, nur ihre schlanken
Oberkörper konnten sich windschnell bewegen. Der General erklärte
mit einigen kurzen Worten allen, worum es ginge und was sie zu tun hatten:
Die Dörfler sollten einen Angriff auf eine Gruppe von Wandlern nachspielen,
um sich so mit der baldigen Position bekannt zu machen, und die Elfen sahen,
dass es den Menschen nicht an Ausdauer fehlte, sondern an Geschick und
Mut mangelte. Sicherlich konnte ihnen das mit dem Mut niemand verübeln,
doch war es ein Handicap im Kampf gegen die Grauen. Er musste ihnen beibringen
sich mit dem Wind zu bewegen und mit der Natur zu verschmelzen, tief in
ihr Innerstes zu greifen und nach dem Fünkchen Urgewalt suchen, das
jeder in sich trägt. Wenn sie es gefunden hatten, würde es sich
ihnen offenbaren und sie mit einer Aura aus Frieden und Schutz umfangen,
sie sicher bergen und sie vor jedem Angreifer schützen.
Dann schickte er sie mit einer kurzen Handbewegung zum Angriff.
Das kleiner Heer zögerte erst und suchte verkniffen nach einem Ausweg,
der Gedanke an die Flucht war tief in ihr Gehirn eingebrannt und es kostete
sie viel Kraft das zu überwinden. Zu viel Kraft. Ihr Ansturm würde
kläglich und kraftlos werden, die Elfen würden sie schnell zu
Fall bringen, ohne Schwierigkeiten und ohne auch nur einen Moment mit der
Wimper zu zucken. Die Bauern rannten los, ihre Kriegsmäntel aus Leder
und Metall um sich geschlungen und ihre schweren Schritte rasselten und
klirrten auf dem staubigen Boden, der plötzlich in hohen Wolken aufschlug
und sich wie Nebel verbreitete. Wolken von Dreck wallten und hüllten
ihren Angriff ein und ihre Kampfschreie waren nicht laut und voller Kraft,
sondern eher Mittelmaß, brüchig und gezwungen. Die Staubwolke
brauste heran, schien vorerst unaufhaltsam und das Geschrei mischte sich
mit dem Aufruhr des Bodens und des Windes und wurde zu einer Einheit. Fest
standen die Elfen, regungslos, immer noch fest verankert in der Natur,
aus der sie ihre Magie und innere Kraft schöpften. Ein Elf ohne die
Natur war wie ein alter, kranker Zauberer ohne Magie: nutzlos.
Und danach brandete die Welle aus Brausen und stockenden Rufen auf
die der Elfen, die ihre Stöcke schnell bewegten und durch den Dunst
pfeifen ließen, dann überschüttete sie der Staub. Holz
krachte auf Metall, Männer fielen wimmernd zu Boden, große schwere
Gestalten, keine Elfen. Stöcke brachen und Krieger wurden zurückgestoßen,
doch die Armee unter Vivrens Befehl hielt stand, war bewegungslos wie eine
Säule.
Während er sich zusammen mit dem Ausbilder der Bauern den Übungskampf
betrachtete - wovon nicht viel zu sehen war, denn der Staub stieg in dichten
Wolken auf, die Kämpfer nur schwache Schemen in der Ungewissheit -
versuchte er den Gedanken an Sephoría zu verschmähen. Sie hatten
sich geliebt und es war das höchste der Gefühle für ihn
gewesen, doch am Morgen danach war sie stur und schweigsam, ohne Witz,
wie er sie in ihren Amtshandlungen kannte, ganz und gar eine Königin,
die Befehle erteilte. Einer dieser war die Bitte, sie in Ruhe zu lassen,
so zu tun, als wäre nichts gewesen, als wäre die gemeinsame Nacht,
das Feuer, das in ihnen gebrannt hatte, nur eine Phantasie gewesen, ein
Wunsch, der niemals Wirklichkeit werden konnte, denn es hing so viel von
ihm ab. Er wusste, dass sie Kajetan liebte, und er hatte es gewusst, als
er sie zum ersten Mal zusammen gesehen hatte, als sie vor den Türen
des Ratssaales standen. Noch genau erinnerte er sich an ihren Gesichtsausdruck,
als sie den Riesen angeblickt hatte, konnte das Funkeln in ihren Augen
nie vergessen. Damals hatte er mehr als nur einen Schluck nehmen müssen,
denn er hatte schon Jahre zuvor um ihre Hand gebettelt, ohne dass sie etwas
davon gemerkt hatte, hatte ihr Geschenke gemacht und sie zu Ausflügen
über das Meer mitgenommen...
Die Sonne stand kurz vor ihrem höchsten Punkt, das Meer
um sie herum glänzte in goldenen Farben, wo sich das Licht des Feuerballes
spiegelte, die Hitze lag brütend über dem Wasser, erwärmte
es, dennoch ging ein leichter Wind, der den Zustand linderte und den Schweiß
auf ihren Häuten in Grenzen hielt. Er sah sie an, wie er sie immer
ansah, mit einem bewunderten, interessierten Blick und zog die Beine an,
legte die Arme darum, nachdem er die Ruder wieder in den Kahn gepackt hatte.
Die dunkelgrüne Silhouette der Beargrweininsel lag parallel zu den
Küstenklippen des roten Herbstlandes, zwischen ihnen die Meerenge
von Kartan, die so viele Tücken und Untiefen besaß, dass man
nur mit kleinen Booten übersetzen konnte. Hier befanden sie sich,
Arkanon Vivren und Sephoría Eszentir, die Prinzessin und der General.
Und er blickte sie an, ohne etwas zu sagen, verträumt, verliebt und
pausenlos, während der Wind in seinen handflächenlangen, goldblonden
Haaren spielte, sie ihm ins Gesicht blies, das gezeichnet von Wind und
Wetter war, braungebrannt von der Sonne.
Sie billigte seinen Blick, schien ihn kaum zu beachten, denn
sie sah ihm in die Augen, versuchte sein Inneres zu durchqueren und nach
seinem Herzen zu suchen. Dabei lag dieses in ihrer Hand und hätte
sie seinen Blick auch nur oberflächlich betrachtet, hätte sie
es gewusst, doch sie war zu tiefgründig, um jetzt noch auf das Rechte
zu stoßen. Sie kauerte am Heck des kleinen Bootes, gekleidet in ihr
purpurrotes Gewand aus Seegras, die Ragón-Mäntel hatten sie
an der Küste gelassen. Sie erinnerte sich an den Zeitpunkt vor zwei
Stunden, als er das Boot über die flachen, kleinen Ufersteine geschoben
hatte, über den Strand, hinter dem sich die Klippen steil und hoch
erhoben. Auf einem Felsvorsprung hatte er den größten Teil ihrer
Kleider abgelegt und er musste ihr gut zureden, bis sie ihm endlich in
den Kahn folgte. Sie war unsicher gewesen, denn die halbnackte, muskulöse
Gestalt des Generals verstörte sie. Was würde er dort draußen
mit ihr anstellen? Ja, sie gab es zu, sie hatte Angst gehabt. Und sie hatte
es noch.
"Ich liebe dich."
Die Worte rissen sie aus ihren Träumen, ihr Blick wurde
erstaunt, beinahe entsetzt und in ihrem Bauch breitete sich eine unbestimmbare
Leere aus, in die sich eine züngelnde Flamme zu brennen schien, die
wuchs und an Feuer gewann, wenn er sie so anblickte. Es war der Augenblick
der sie schockierte, der Augenblick der Wahrheit, der ihr wehtat, und sie
zum gleichen Teil enttäuschte. Sie hatte gehofft, das ihre Freundschaft,
ihre Liebe, auf andere Weise existierte, doch mit diesem Satz hatte er
sie brutal geschlagen und sie trug bereits die Verletzungen von sich.
Er prägte sich ihre Augen in dem Moment, als er es sagte,
genau ein. Erst stand darin Hoffnung, die verflog, als ob ihre Wünsche
erfüllt worden waren. Und er freute sich darüber, lächelte
sie an und wiederholte dann noch einmal den Satz, der ihm zuvor noch so
in der Seele brannte und jetzt so leicht und dennoch beglückend war.
"Ich liebe dich..."
.
* Táfuwirinu de Coror: Königin der Elfen
(die alte Sprache/die Sprache der Elfen)
** Ie essu Riesó: O mein Gott (die Sprache
der Elfen)
© Benedikt
Julian Behnke
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