Die legendären Krieger von Gordolon von Benedikt Julian Behnke
2. Teil: Das Runenschwert / 1. Buch
Die Königin der Elfen 9 - Die Schlacht um Burg Krakenstein

Das Licht der Sonne spiegelte sich in den Farben von Gold und Silber auf den Blättern des Dickichts, als die vereinten Armeen aus Mauradin die Ebenen erreichten. Eng kauerten sich die Elfen und Menschen, Seite an Seite, in den Schatten der Bäume und betrachteten die Truppen der Dämonen, die sich vor der Feste in ihren Zelten bereithielten. Die Luft war kühl und windig, Wolken zogen als blasse Schemen über das helle Blau des Himmels, während das Geräusch der Luftzüge in den Blättern rauschte. Burg Krakenstein schien wie verlassen dazuliegen, das Lager der Belagerer war ebenfalls ohne reges Treiben und von Norden brachte der Wind das Geräusch des Mauradin mit, dessen Wasser warm von der Hitze des Feuerballs und klar wie Glas war. Sie waren durch die Fluten gelaufen, als wären sie Fische, die träge gegen den Strom schwimmen, waren durch die Wälder geglitten, ohne ein Geräusch zu machen, das nicht in den umliegenden Tönen verhallte. Ihre Züge waren scharf geschnitten und ernst angesichts dessen, was vor ihnen lag. Nur das leise Rumpeln der Räder der Rammböcke war etwas, auf das man achten musste. Die Elfen, die mit Hilfe einiger Mauradiner diese geschoben hatten, verharrten, als Sephoría ihnen ein kurzes Zeichen gab. Sie blickten zu ihr hinüber und bewegten ihre Hände, während sie ihren Mund wie zum Sprechen bewegten. Die Königin verstand und nickte.
Bevor sie aufgebrochen waren, hatte sie mit einigen Soldaten über die Kunst der Zeichensprache gesprochen, die sie - wenn sie sich verständigen mussten - benutzten sollten. Auf diese Weise würden die Krakensteiner nichts von ihren Gesprächen mitkriegen. 
Sie blickte zu Vivren, der sich mit zwei Duzend Elfenjägern am westlichen Ende der riesigen Felsnische, in der die Burg lag, aufhielt und geduckt durch die Scharten Schlich. Hinter ihm erhob sich ein Hain aus Nadelbäumen, der gleiche, in dem sie gestern noch gestanden und sich über die alte Sprache gestritten hatten. Sie erinnerte sich noch deutlich daran, mit welcher Wortgewandtheit er die Wörter ausgesprochen hatte, als ob er sie schon immer beherrscht hatte. Plötzlich sah er zu ihr her und sie fühlte sich ertappt, wandte schnell den Blick wieder auf das, was vor ihr lag, die Burg und die Armee ihrer Belagerer. Beide waren ihre Feinde und sie musste beide auslöschen, um sich um ihr eigenes Land kümmern zu können. Sie verkrampfte ihre Hände um die Helhoras í Vive* und fühlte den Schweiß, der sich in ihrer Handfläche sammelte und ihre Knöchel, die weiß hervortraten. Sie erzeugte Hitze in ihrer Hand und sie wurde in die kühle Klinge geleitet, die Inschrift schien zu glimmen, als sich Fäden ihres Schweißes in den Vertiefungen sammelten; das Licht spiegelte sich darauf. Sie sah auf ihre Waffe hinab, merkte, wie kläglich sie gegen die der anderen war und betrachtete Graf Morrogian, der sich mit dreißig Männern im Osten aufhielt. Sie hatte zusammen mit den Hauptmännern Wye, Darrliong und Shilt die Mitte übernommen, zwar erst widerwillig, doch dann zustimmend, denn sie hatte gemerkt, dass Morrogian nicht gerade der beste Führer war, wenn es um eine Schlacht ging. Im Gegenzug besaß er eine bessere Rüstung als sie und würde ganz vorne mitkämpfen, das Gesicht von einer großen Narbe verunstaltet, der graue Schnauzbart von Blut umrahmt, rot würde es sein Gesicht hinablaufen, Schwerter sich durch den Stahl seines Schutzes bohren.
Er warf ihr einen fragenden Blick zu.
Sie wartete, war noch nicht bereit das Zeichen zum Angriff zu geben, während das Blut in den Adern der anderen kochte, die Anspannung groß genug war um zu explodieren und die Griffe so fest um die Stiele der Waffen, dass die Finger wie weiße Wurzeln aussahen. Statt dessen blickte sie wieder zu Vivren, der sich endlich in Position gebracht hatte, sich hinter einigen aufragenden Felsen versteckte und den Bogen ausgepackt hatte. Zuerst mussten die Wächter auf den Zinnen ausgeschaltet werden, dann würde der Überraschungsangriff folgen, der auf gewisse Weise keiner war...
Schnell gab sie ihm ein Zeichen und er spannte den Bogen zusammen mit einem der Elfenjäger, legte an und schoss. Die Sehne vibrierte und die schwirrenden Pfeile gruben sich in die Gesichter der Wachen, die beide geräuschlos von der Brüstung in den Burghof fielen. Ihre erstickten Schreie waren kurz und kaum vernehmbar, nur das Aufprallen ihrer in Schwarz gehüllten Körper beeinträchtigte die Stille etwas. Doch keiner der Dämonen blickte auf, kein steingrauer Körper bewegte sich aus einem der sandfarbenen Zelte, mindestens fünfzig, die sich über die zertrampelte, staubige Ebene erstreckten, welche etwa eine halbe Meile von der Festung zum Wald hin maß.
Nachdem die Königin weitere messende Blicke in die Gesichter um sich herum geworfen hatte, kniend hinter einem Busch verborgen, die weiche, kühle Erde unter sich fühlend, den langsam verfliegenden Gestank des Todes und des Schwefels in der Nase, hob sie die Hand und plötzlich waren alle Blicke auf sie gerichtet, wachsam und ohne von ihr abzulassen. Sie streckte den Arm aus, zeigte mit der flachen Hand nach oben, die Augen auf das Dämonenlager gerichtet.
Die Elfen spannten ihre Bögen und das Klicken und Rascheln der Waffen durchstreifte den Wald, als zweihundert Mann dasselbe taten.
Das Gefühl von Einigkeit und Gerechtigkeit überkam sie, wärmend und beruhigend, strömte durch ihren Körper und die vorherige Anspannung verschwand, war mit einem Mal wie weggeblasen. Nun wusste sie, was sie zu tun hatte, dass sie den Krieg gewinnen musste, so oder so, den Feind besiegen und den Westen wieder zu dem machen, was er einst war, ein Land des Friedens und Geburtsort der Elfen!
Der silberne Klang des Horns ertönte, schallte laut und antreibend, hallte von den Bergen und den Mauern wider, und eine Flutwelle von Musik überströmte die Ebenen und Wälder, andere Instrumente antworten mit dem gleichen Klang, das Echo durchfuhr alle dun einen Moment war alles im Süden still und wie zu Stein erstarrt. Dann brachen die Dämonen mit roher Gewalt aus ihren Behausungen hervor und rannten vor Wut schreiend und tobend über die Ebenen. Krallen blitzten auf, das Meer aus Feinden stürmte heran, Mäuler wurden aufgerissen und entblößten grausam geschwungene, doppelreihige Beißzangen. Das Grau der ledernen Haut war plötzlich überall, Leiber zuckten und wanden sich grotesk, während sie näher kamen, mit donnernden Klauen auf dem festgetrampelten Boden der Ebene. Die lidlosen Augen der Kreaturen funkelten, weißes Feuer loderte in ihnen, Totenschädel mit millimeterdünner Haut geiferten und mit ihrer Ankunft brachen die Rammböcke aus dem satten Blattgrün hervor, geschoben von brüllenden Männern, die vom Klang der Hörner angetrieben wurden.
Sobald die Grauen nah genug waren riss Eszentir die Hand nach vorn und Pfeile krachten mit dem Geräusch von Kanonschüssen aus dem Dickicht heraus und rissen die ersten drei Linien der Angreifer um. Schnell wurden weitere Pfeile unter dem silbernen Echo eingespannt, Sehnen sirrten und Hölzer schossen hervor, regneten und hagelten auf die Grauen herab. Wie ein ohrenbetäubendes Gewitter tobte die Schlacht, Wurfgeschosse und Pfeilspitzen machten den Rammböcken den Weg frei, welche die letzten, die noch standen, einfach umrissen ohne halt zu machen. Ihr Brüllen war laut, fast so laut wie die Hörner und Knochen brachen in der Schlacht, Leiber wurden im Laufen zerfetzt, und noch immer hatten die Hälfte der Dämonen nichts begriffen und standen irritiert von der plötzlichen Vielzahl der Angreifer in der Gegend herum.
Jetzt traten die Fußsoldaten unter dem Kommando von Vivren und Morrogian aus den Büschen westlich und östlich hervor, jagten über die Ebenen und hackten sich mit ihren langen Schwertern den Weg frei, schlugen nach allen Seiten und zertrennten Körper mit einem Schlag. Klingen blitzten hell auf und Rüstungen schimmerten, blendeten die Tiefländer und so stürmten die Menschen und Elfen wie ein silbernes Meer über die Ebenen und drängten die Grauen auf einen Punkt zusammen, wo sie dann von den Schüssen der Jäger in Empfang genommen wurden.
Rocks segelten windschnell über ihre Köpfe, kamen von Norden und stießen ihre wilden, schrillen Schreie aus, während ihre Reiter heißes Pech regnen ließen, Flammen kamen vom Himmel und brannten sich heiß und siedend in die Leiber der Verteidiger, das helle Klingen von Waffen wurde immer schneller und dringlicher, Kampfschreie immer lauter und mitreißender. Und langsam fiel die Übermacht der Grauen, schrumpfte zusammen, bis es ungefähr gleich viele waren, doch dann begannen sich die Tiefländer eindringlicher zu wehren und ihre Schläge wurden härter, Klauen zerfetzten Menschen und parierten Schwertattacken.
Vivren glitt spielerisch leicht durch die Menge, seine beiden langen Messer funkelten wurden ohne deutlich erkennbare Hast in die Körper der Dunklen gestoßen. Er bewegte sich schnell und vernichtete einen nach dem anderen, trat und schlug nach ihnen, so oft er konnte, rammte lange Klingen in Hälse und riss sie heraus, wich den feuchten Strahlen schwarzen Blutes aus, die zusammen mit einem Schwarm von Insekten hervordrängten, und hackte gleichzeitig nach dem nächsten, während ein Gedanke hinter seiner Stirn brannte. Gewinnen! Töten! Gewinnen! Töten! Es war eine dunkle Litanei, die er sagte, als ob er sie auswendig lernen musste, während seine Waffen beinahe blindlings und von alleine durch die Menge zuckten. Graue Gestalten wurden einfach weggerissen, der blutrünstige Ausdruck in ihren ausgefransten Gesichtern wich nie, selbst im Tode war er angsteinflößend und vergilbte Zähen und Krallen sausten umher, suchten ihn im Gemenge und versuchten ihn zu erwischen. Doch er war zu schnell, und so glitten sie an ihm vorüber und mit einer grazilen Drehung wirbelte er herum und stieß mit dem Schwert nach dem Vorbeitaumelnden. Schwärme von Fliegen glitten an seiner Waffe entlang, doch er streifte sie an den Leibern anderer Dämonen ab, indem er diese ebenfalls zerteilte. Das Surren und die schwarzen Chitinpanzer waren überall um ihn herum, doch er kümmerte sich nicht um sie, sondern rang sich so weit durch, bis er das waldgrüne Gewand Wyes zwischen den wuselnden Köpfen erblickte. Schnell jagte er durch die Menge und schlachtete seine Gegner fast beiläufig ab. Gewinnen! Töten! Gewinnen! Töten! Gewinnen! Freund... Unaufhaltsam jagte er voran, riss die Beine und Arme der Grauen in Fetzen, die nach ihm greifen wollten, und erreichte den Elf, dessen Langschwert wie ein heller Blitz durch die Leiber fuhr und gleich in einem Aufwisch mehrere Feinde zerstückelte. Kreischend und schreiend fielen sie zu Boden und krümmten das, was noch von ihnen übrig war, rollten sich krampfhaft zusammen. Doch auch vor ihre dürren, knochigen Leiber machte die Klinge des Elfenschwertkämpfers nicht halt, drang in die Verteidiger ein und entledigte sie ihrer Last. Die Augen Wyes huschten nur einmal kurz zu Arkanon, dann konzentrierte er sich wieder auf das Gefecht, schlug garstige Köpfe von sehnigen Schultern und durchbohrte Dämonen mit einem einzigen, gezielten Stoß. Der General huschte herbei, ein grober Schatten ohne Gesicht in seinem Ragón-Mantel und stellte sich schützend vor den Rücken seines Freundes, ergriff den Arm eines Grauen, der herangekommen war um zu töten und brachte ihnen mit einer behänden Bewegung zu Fall. Die Bestie stürzten und schon hatte Vivren ein weiteres Mal sein Messer in der Hand und schlitzte einen wuselnden Körper nach dem anderen auf.
Der Rammbock krachte mit geballter Wucht gegen das Tor, Risse zogen sich durch das dicke Holz und kleine Splitter lösten sich.
"Nuhav corno Ess**!" Shilts Stimme hing schwer und stockend in der Luft, Schweiß rann ihm in dichten Bächen über die Stirn und verklebte sein dunkelblondes Haar, das ihm strähnig in den Nacken fiel. Seine Muskeln waren angespannt und der Rammbock war schwer, die eisernen Scharniere und die Räder hätten einer Ölung bedurft, Rost hatte sich dort abgesetzt und verlangsamte das Vorankommen ernorm. Es war schon das dritte Mal, dass der Wagen gegen das Tor rammte und der Schutz durch die Pfeile der Waldelfen hatte nachgelassen, denn Dämonen hatten sich mittlerweile ihrer angenommen und sie mussten nun mit langen Dolchen und schlanken Klingen kämpfen, die sie sich für den Fall der Fälle zurechtgelegt hatten. Wieder nahmen sie Anlauf und ihre Glieder waren schwer wie Blei und von Krämpfen geplagt, beinahe schwerer als die Böcke selbst. Ein weiterer Stamm donnerte gegen die große Eingangstür, in stetem Wechsel mit den drei anderen Rammen.
"Los, ihr Flasche’!", brüllte Morrogian und ließ den zweiyardlangen Zweihänder pfeifen, während seine breitschultrige Gestalt bei den Rammböcken herumtanzte, blutbefleckt war seine silberne Rüstung, doch sie war zu dick, als dass der Schleim hätte hindurchdringen können und so riss er einen Grauen nach dem Anderen um. "Ihr ’dammt’s Pack!" Nur er und eine Handvoll seiner Männer verteidigten die Rammböcke und der grobe Dialekt des Grafen war zu eigen, als dass die Elfen ihn hätten verstehen können. Trotzdem kümmerten sie sich nicht um ihn, sondern schoben weiter die Rammen, um das Tor endlich zu zerstoßen, das unter ihrem Aufprallen jedes Mal bedrohlich nachgab.
"De Tàl siel sornu Esspoil havò***!", jaulten die Elfen kläglich und ließen ihre verschwitzten Köpfe nach vorne sinken, wo sei einige Sekunden verharrten, bevor sie weiter schoben und den Bock mit voller Wucht gegen das Holz preschen ließen. Diesmal ertönte ein lautes 'Knack' und ganze Bretter zerbarsten unter der Wucht des Angriffes und Rocks sausten über sie hinweg, triumphierende Schreie mischten sich mit dem Zischen der Pfeile, und Brandherde zwischen den Kämpfenden lodernden auf, als die Leiber von Tieflanddämonen hineingestoßen wurden. Überreste von Zelten standen in Flammen und weitere Bestien wagten sich aus den Schatten und sprangen von den Zinnen herab, wurden jedoch sofort von den fliegenden Geschützen der Luftreiter getroffen, die ihre Freude in die Welt hinausriefen:
"Wemòr havor da roravelaúré ****!"
Und so waren die Belagerer besiegt. Tausende der Feinde waren vernichtet, das Schlachtfeld wie leer gefegt, nur noch rund fünfzig Elfen hatten die Schlacht überlebt und bis auf Morrogian und einen weiteren Menschen waren alle gestorben oder von dem tödlichen Virus infiziert geflohen und Sephoría ging beinahe siegesgewiss über die Trümmer und zerstückelten Leiber. Eine Armee von dreihundert hatte gegen rund tausend gewonnen, gesiegt und noch immer gab es Überlebende, aber die Schlacht um Krakenstein war noch nicht vorbei. Lediglich die Front war beseitigt worden. Noch lauerten in den Schatten des Inneren die Wandler und die vielen Geheimgänge und Schächte, die es zu erkunden galt, Tod und Teufel existierten noch immer, das Böse war noch nicht ganz aus dem Tiefland vertrieben, noch hatte es einer größeren Bedrohung standzuhalten, denn das Heer der Dunklen war auf den Weg. Und es würde kommen und sie alle auslöschen...
"Für Euch ist die Reise hier vorbei, Herrin.", sagte Vivren, als er ihr auf ihren schwarzen Schlachtgaul half, der schwer über den Boden tänzelte. "Ihr werdet jetzt zurück ins Aróhcktal gehen und in Lesrinith Kerzen anzünden für die, die für unser Land hier auf den Ebenen von Argon kämpfen."
"Nein, Arkanon.", sagte sie trocken und blickte ihn sanft an. "Ich werde zusammen mit den Flugreitern nach Rovanion gehen, nachdem wir gemeinsam Burg Krakenstein zurückerobert haben. Nicht ich, sondern Ihr werdet ins rote Herbstland zurückkehren und die Schwarzen abwenden. Ich werde nach Rovanion zeihen und mich dort dem Rat der Rebellen und dem Orakel nahe des Steff annehmen. Glaubt mir, General, die Schlacht ist vorbei; wir haben sie gewonnen. Doch der Krieg beginnt erst. Bereitet Euch darauf vor, Vivren." Dann schickte sie ihr Ross an zu wenden und trabte einige Yard durch den mit Blut besudelten Staub und griff dann - immer noch im Sattel sitzend - nach einem Schwert, das sie aus der Asche zog. Sie hielt es in die Höhe, während sie ihr Pferd ruhig halten musste, ihr Gesicht nahm einen kriegerischen Ausdruck an und die Waffe blitzte wie ein Stern in der roten Vorabendsonne. Das Haar wehte nun nicht mehr. Sie hatte es im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden, um im Kampf nicht gestört oder irritiert zu werden, dagegen peitschte die dunkle Mähen ihres Rappen um so mehr im Wind, der den heißen Brandgeruch zusammen mit der Asche davon nach Westen trug. Ohne Worte ließ sie ihr Pferd entschlossen tänzeln, suchte nach dem richtigen Wort und sagte schließlich nur: "Los. Lasst sie uns fertig machen!"
Dann galoppierte sie los, auf das zerstörte Tor und die Rampe zu, die an ihm hoch führte, ließ das Pferd durch das ausgefranste Loch springen und landete mit klingenden Hufen in Burg Krakenstein...

Das Rot des Feuerballs breitete sich wie ein Regen über den westlichen Himmel aus und brachte die Luft über dem Araschgebirge zum Flimmern, in den Wäldern wurden die Geräusche von Grillen und Nachtvögeln laut, und der Nebel östlich des Horenfels-Ábdün begann sich zu lichten, als Dario sich langsam und schwarz wie ein Schatten des Bösen den Ebenen von Argon näherte. 
Er überschritt sie, mit wehendem Mantel, der Wind riss an seinen Haaren und er war einem Nebel gleich, der über die Auen kroch, um sich in den Tiefen der Wälder festzusetzen. Das Schlagen und Peitschen der Schwingen der Rocks hing mit dem Geruch des Frühlings in der Luft, Wildblumen hatten sich an den Rändern der Wälder hinzubegeben und blühten nun in den Farben des Regenbogens. Kampfgebrüll war zu vernehmen, das Klirren von Metall und das Zischen von Tausenden von Pfeilen, Rauch stieg in dunklen Schwaden von den Ebenen auf, und dann war plötzlich alles still. Ruhe bettete sich über den Wald, das Brausen der Luft brachte den Gestank von verbranntem Fleisch zu ihm und er fühlte, wie etwas von ihm schwand, das außerhalb von seinem Körper war, aber dennoch dazugehörte. Es war grotesk, als ob seine Arme, tausendfach verlängert und nur verbunden von einem Gefühl mit seinem Körper war oder er seine Augen auf etwas richten und nichts sehen, nur den brennenden Schmerz und den kalten Stahl in seinem heißen, pulsierenden Körper spüren würde.
Mordgeist...
Es war, als ob seine Kinder abgeschlachtet wurden, sein eigen Fleisch und Blut, verbrannt, aufgehängt und gevierteilt. All diese Gefühle kamen zusammen, hingen schwer an ihm und trieben ihm den Kummer in die Augen; sein Blick wurde glasig und er ballte die Hände zur Faust, während er in diesem schwebenden Gang dahinschritt, den Boden unter seinen Füßen kaum spürend, die Geräusche der Bäume kaum wahrnehmend. Rote Schwaden breiteten sich in seinem Geist aus, durchströmten seinen Körper, verliehen ihm das Gefühl von Eis, das sich um sein Herz geschlossen hatte und betäubte ihn. Nässe sog sich in seinen Körper und machten ihn schwer, seine Züge bleichten aus und seine Gestalt wurde krumm und bekam irreale Auswüchse, Hände wurden zu Klauen. Alles ging langsam, dennoch stetig und er wagte es nicht mehr in das Licht der Sonne zu treten. Die Hitze raubte ihm den Atem, war eine bedrückende Tonnenlast und nach kurzer Zeit warf er sein Schwert und den Mantel von sich. Bart und andere Körperhaare sprossen ungehalten, während er sich nachts zwischen Büschen und verrottenden Wurzeln zusammenrollte, seinen beinahe völlig nackten Körper in den Dreck und die stinkende Erde des Verwesens legte. Er sammelte tote Leiber von Dämonen um sich, lebte in den sumpfigen Gebieten der Wälder und wurde zu einem Geschöpf des Dunklen, das nur noch dem Mahlstrom in seinen Gedanken folgte...
Mordgeist...
Er ging, wanderte, glitt behände durch dunkle Tunnel und Klüfte, bewegte sich nur bei Nacht und schlief tagsüber an geschützten, feuchten Stellen. Das Gewebe der dünnen Stoffe an seinem Körper begann mit der Zeit zu verwesen, Fliegen sammelten sich an ihm. Und er aß sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Alles war ihm egal, nur noch ein Gedanke zählte, ein Gedanke, den er nicht kannte, der ihm jemand anderes einflößte, grundlos...
Mordgeist...
Grundlos? Was war dieses Wort, was bedeutete es? Er begann zu vergessen, hörte auf zu denken, sah nicht mehr mit seinen Augen, sondern spürte die Umgebung wie ein Blinder. Sah Felsen und Schluchten, Flüsse und Seen, die er einfach umrundete oder durchquerte. Denn es war ihm egal. Er sah jetzt mit einem anderen Auge, mit seinem inneren Auge, mit dem Auge, das ihm keiner rauben konnte. Die Haut auf seinen Handflächen wurde dick und ledern, der scharfkantige Stein schnitt ihn nun nicht mehr und Pelz, ein dünner Flaum auf seiner dicker werdenden Haut, wärmte ihn, wenn der Wind ihn berührte. Zu seinem Zuhause erklärte er die Düsternis, er wandte sich vom grellen Licht der Sonne ab und die Gezeiten des Meeres kamen und gingen, die Monde wanderten und er strich dahin ohne Ziel, ohne Grund, lebte nur noch wie im Traum, war bewusstlos und unfähig sich an etwas zu erinnern. Wenn er ahnungslosen Wanderern auflauerte, um sie zu packen und ihre Kehlen zu zerreißen, damit er den Saft ihres Lebens trinken konnte, vernahm er manchmal den Klang ihrer Stimmen, wie sie von Freundschaft und dem Bösen sprachen. Damals, als er noch hatte denken können, war es ihm schwergefallen die Worte zu unterdrücken und die Gefühle, die sie in ihm wachriefen, doch jetzt war da nichts mehr. Nur noch der Drang nach Blut. Er liebte es, wenn er seine Krallen in das weiche Fleisch seiner Opfer schlug, mit seinen Reißzähnen ihre Kehle zeriss und den anderen Menschen, der vor Entsetzen und Angst brüllte, mit blutleeren, durstigen Augen ansah. Dann tötete er auch ihn. Es war eine Genugtuung für ihn, wenn er sich das Blut von den Lippen leckte und dann seine Schnauze tief in einen aufgerissenen Leib hineinschob, in ihren Innereien wühlte und dabei an Teile ihrer Knochen stieß.
Mordgeist...
Er kam in einen Wald, der voll von Eulen und anderen großen Tieren war, die sich jedoch bei den felsigeren Gebieten aufhielten. Lautlos schlich er an ihnen vorüber und sie bemerkten ihn nicht einmal, wenn er durch das Unterholz glitt. Kein Vogel flog schreiend auf, wenn er einen ihrer Gleichgesinnten packte und ihn zeriss. Die Knochen warf er mit einer gönnerhaften Geste den großen Tieren zu, die unsichtbar für die Augen der Normalen waren und sein Gelächter war voller Boshaftigkeit und hatte nichts Lustvolles daran. Es war kein Lachen, sondern eher ein Brüllen, das er von sich gab. Und er beschloss in diesen Wäldern hier zu leben, während die Zeit immer schneller an ihm vorüber strich und es kam ihm vor, als würden Jahre vergehen, doch tatsächlich waren nur wenige Tage vergangen, vielleicht eine Woche, aber das Wesen, das einst Dario gewesen war, kümmerte sich nicht darum, sondern lebte weiter, verschlagen und gefährlich in den Schatten, wartete auf weitere Ahnungslose, in die er seine Klauen schlagen konnte...
Die Blutgier wuchs in ihm, Eulen starben, verendeten qualvoll, während er sie bei lebendigem Leib verspeiste. Und eines Tages kam eine junge Frau zu ihm, war schön und schien unnahbar und er wurde das Gefühl nicht los, dass er sie kannte, doch er erinnertre sich nicht an die Zeit, die vor der Gegenwart lag...
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* Helhoras í Vive: Feuer/Flamme des Westens (die alte Sprache/die Sprache der Elfen)
** Nuhav cornu Ess: Noch ein Mal (die alte Sprache/die Sprache der Elfen)
*** De Tàl siel sornu Esspoil havò: Der Kerl soll sein Maul halten (die alte Sprache/die Sprache der Elfen) 
**** Wemòr havor da roravelaúré: Wir haben es geschafft (die Sprache der Elfen)
 

© Benedikt Julian Behnke
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Und schon geht's weiter zum 30. Kapitel (10. Kapitel des 3. Buches): "Die Innfeste"

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