Machtspiele von Shivaree
Der magische ;-) Fortsetzungs-Roman
Prolog

Der Abend war dunkel und der Himmel wolkenverhangen. Bleischwer lagen sie über den schäbigen Dächern und die Häuser schienen sich eng aneinander zu schmiegen, als wollten sie irgendwem oder irgendetwas entgehen.
Ein bedrohliches Gefühl schlich ihr den Rücken hinauf, als sie zügig durch die finsteren Gassen der Hauptstadt schritt. Sie hatte es eilig und so webte sie einen Tarnzauber, doch das Gefühl wollte nicht vergehen. Ihre Seelen schrien in ihrem Kopf, doch sie ignorierte sie.
Die Zeit rann ihr durch die Finger und der Grund ihres nächtlichen Spaziergangs drückte hart gegen ihren Bauch. Sie musste dieses unheilvolle Stück Magie so schnell wie möglich loswerden.
Zwanzig Meter vor ihr taumelte ein Trunkenbold in die Gasse. Er torkelte in ihre Richtung, ohne sie zu bemerken. Mit einigen großen Schritten hatte sie ihn erreicht, ihre Hand schoss vor und packte ihn an der Kehle. Röchelnd ging er zu Boden. Hastig beugte sie sich über seinen nach Alkohol stinkenden Körper und sie fühlte, wie die Macht sie durchfloss als sie seine Energie abzapfte. Sie nahm ihm nicht alles, so dass er starb, denn das wäre zu gefährlich gewesen.
Sie löste sich von dem Säufer und hastig verbarg sie ihre glühenden Hände in ihrem Poncho.
Verunsichert blickte sie sich um, doch sie konnte nichts ungewöhnliches entdecken.
Ihre kauernde Haltung aufgebend stieg sie über den Körper hinweg und ging im Schatten der Häuserzeile weiter. Noch eine Biegung, noch eine Gabelung, dann hatte sie ihr Ziel erreicht.
Als sie die Tür zu der Herberge aufstieß, ließ sie ihren gewebten Tarnzauber fallen. Niemand beachtete sie und niemand sah sie zu lange an.
Ihre Verabredung war noch nicht da. 
Nicht, dass sie sie erkannt hätte, denn sie hatten ausschließlich schriftlich miteinander Kontakt gehabt - bis auf diese unselige Nacht, in der sie, müde und überanstrengt, wie sie war, von hinten niedergestreckt worden war und man ihr das Wertvollste und Liebste, das sie ihr Eigen nannte, stahl.
Mist, dachte sie. Sie hasste Unpünktlichkeit, besonders heute.
Angemessenen Schrittes - nicht zu schnell und nicht zu langsam - durchquerte sie den Schankraum. Sie rümpfte angewidert die Nase, denn die Mischung aus schalem Bier, Erbrochenem und Tabakqualm nahm ihr beinahe den Atem. Ein kleiner Tisch in der Ecke schien ihr eine ausgezeichnete Wahl, konnte sie so doch den ganzen Raum im Auge behalten, ohne sich auf dem Präsentier-Teller zu befinden.
Der Dicke Wirt schlurfte auf sie zu. Seine vor Dreck starrende Schürze ließ auf nichts Gutes in bezug auf die Hygiene dieses Etablissements schließen. "Willkommen, Frau! Was wollt Ihr trinken?"
"Heißen Gewürzwein, bitte!"
Ohne ein Wort drehte er sich um und schlurfte wieder davon.
Sie entledigte sich ihres Ponchos und ihre langen silberblonden Haare ergossen sich über ihre bloßen Schultern. Sie sah auf ihre Hände, aber das Glühen war verschwunden, die Energie vollkommen absorbiert.
Die Herbergstür schwang auf und eine Gestalt, die sie nur verschwommen erkennen konnte, trat über die Schwelle. Nicht nur der kalte Windstoß, den er mit hereinbrachte, ließ sie schaudern. Nicht der Qualm hinderte sie daran den Mann richtig zu sehen - hier wurde meisterhaft Magie gewirkt!
Der Wirt knallte ihr einen Becher mit dampfendem Gewürzwein auf den Tisch und riss sie unsanft aus ihren Gedanken. Hastig schloss sie die Hände um den Becher, um das Zittern zu verbergen.
Der Fremde orientierte sich kurz und als er sie erblickte, ließ er den Zauber fallen. Seine Augen fixierten die ihren und nur der Tatsache, dass sie selbst eine Meisterin der Magie war, verdankte sie es, dass sie seinen mentalen Angriff abwehren konnte. Irritiert löste er seinen Blick von ihr und kam auf sie zu. Unaufgefordert nahm er an ihrem Tisch Platz.
Das schlechte Gefühl in ihrer Magengegend nahm rapide zu. Ihre Seelen lärmten in ihrem Kopf und schrien ihr zu: Verschwinde!
Ihrem Reflex entgegen handelnd, versuchte sie ein Lächeln, das misslang, aber einen Versuch war es wert gewesen.
Er schlug die Kapuze zurück und grinste sie jungenhaft und frech an.
Himmel, war der jung!
"Hallo...!"
...und seine Stimme war weich und melodisch...
"Wie sieht’s aus? Hast du den Stein?"
...und seine Aura war groß und mächtig...
"Hallo...?"
Sie zwang sich zu einer Antwort. "Ja, ich habe den Stein!"
Sein Gesicht erhellte sich. "Fein! Dann mal her damit!"
Sie schüttelte den Kopf. "Wo ist mein Schwert?"
"Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich es mit mir rumschleppe?"
Ihr Gesicht wurde kalt und ausdruckslos. "Doch, das denke ich, denn sollte dem nicht so sein, dann ist der Handel geplatzt..."
Er seufzte. "Na schön, dann komm mit... ich habe es an einem sicheren Ort verwahrt!" Er zwinkerte ihr schelmisch zu. "Es soll ja nicht gestohlen werden..."
Sie ignorierte seinen letzten Satz. "Das war nicht abgesprochen..."
Er grinste, doch seine Augen blieben kalt und wachsam. "Nein, war es nicht. Ist das ein Problem? Das Leben ist eben voller Überraschungen..."
Und ob das ein Problem war, doch sie hörte sich sagen: "Nein, kein Problem!"
"Fein, dann können wir ja gehen!" Er erhob sich und streckte ihr die Hand hin. Reflexartig ergriff sie sie und bedauerte es fast sofort. Sein Griff war fest und fordernd, ihr schwindelte.
Er warf ein paar Münzen für ihren Wein, von dem sie nicht einmal genippt hatte, auf den Tisch und zog sie an sich.
Sie fühlte sich benommen.
"Hast du Angst?"
Nur ein Idiot hätte keine Angst! Sie machte sich los, griff nach ihrem Poncho und fauchte ihn an: "Nein, ich mag nur keine Überraschungen."
"Beherrschst du die Magie?"
Themawechsel, okay! Sie hatte sich gefangen und beschlossen, sein Spiel mitzuspielen. "Nein, ich bin Diebin, keine Magierin!"
"Bist du sicher? Auf dem Weg hierher habe ich etwas merkwürdiges gefunden...!" Er hielt ihr die Herbergstür auf und sie trat hinaus in den schneidenden Wind.
"So? Was denn?"
Er zog sie die Gasse hinauf und fast sofort fühlte sie, wie er Magie webte.
"Einen Betrunkenen..."
Ihr Spott war beißend. "Nein...? Tatsächlich? Und das in dieser Straße... unglaublich!"
Seine Stimme blieb gleichmäßig, als hätte er sie gar nicht gehört.. "...aber es war nicht der Alkohol, der ihm Probleme bereitete..."
Sie passte sich seinen schwingenden Schritten an. "Aha, und was habe ich damit zu tun?"
Er lachte - sehr sinnlich und tief. "Das weiß ich nicht! Noch nicht!"
"Du siehst Gespenster..."
Er sah auf sie hinab. "Ja, manchmal!"
Sie antwortete nicht, doch ihr Instinkt sagte ihr, dass sie etwas übersehen hatte und auch sein Unterton ließ nichts Gutes ahnen.
Sie zuckte mit den Schultern.
Eine Weile marschierten sie schweigend nebeneinander her. Aus den Spelunken, welche die Seiten ihres Weges säumten, drang gedämpfter Lärm und hier und da stolperte oder flog ein volltrunkener Gast hinaus. 
In der Zwischenzeit hatte sie Muße, ihre Begleitung eingehender zu betrachten. Er war groß gewachsen, etwa 6,5 Fuß, wässrig-blaue Augen, die im Halbschatten unter kräftigen, aber elegant geschwungenen Augenbrauen die Umgebung beobachteten. Seine Schultern waren breit und er schien insgesamt gut gebaut zu sein. Sie konnte das nicht genau erkennen, da sein weiter Mantel seine Gestalt verbarg. Sein Schädel war sorgfältig glattrasiert und sie konnte keinen Makel entdecken. Eine markante Nase dominierte über einem schmalen, aber weichen Mund und die fast femininen Wangenknochen bildeten einen Kontrast zu dem energischen Kinn. 
Als er abrupt anhielt, hätte sie ihn beinahe umgelaufen. Ein Fluch formte sich auf ihren Lippen.
"Schließ die Augen!"
"Warum?" Sie schaffte es gerade, die Panik aus ihrer Stimme zu nehmen. 
"Weil ich nicht möchte, dass du den Verstand verlierst. Dein Schwert ist weit entfernt, aber da ich heute noch ankommen möchte, werde ich dich auf einen Höllenritt mitnehmen. Also, schließ die Augen..."
"Warum sollte ich dir vertrauen?"
Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Musst du nicht, aber wenn du dein Schwert wiederhaben möchtest, solltest du dich mit diesem Gedanken anfreunden..."
"Ich habe immer noch den Stein..."
Er lachte amüsiert auf. "Sei nicht albern... ich könnte dir den Stein einfach wegnehmen – du würdest es nicht einmal merken! Also...?!" Seine ausgestreckte Hand sah sehr einladend aus.
Vielleicht hatte er recht, vielleicht nicht, doch noch hatte sie es nicht vor, es auf ein Kräftemessen mit ihm ankommen zu lassen. Sie wollte noch mehr über ihn in Erfahrung bringen. Sie beschloss, sich zu fügen.
Ihr Vorteil war es, dass die Menschen sie zu unterschätzen pflegten. Ja, und um den Anschein, sie sei nichts weiter als eine kleine, harmlose Diebin, erhalten zu können, hatte sie hart arbeiten müssen und sie hatte immer die besten Lehrer gehabt, dafür hatte sie gesorgt. Doch zum ersten Mal war sie unsicher, denn einer Macht, wie sie sie bei diesem Mann erspürte, war sie in ihren Lebzeiten noch nicht begegnet.
"Alles klar, ich bin bereit. Es kann losgehen!"
Ein lautes und fröhliches Lachen hallte zwischen den armseligen Lehmwänden wider und die Stadt schien für einen Augenblick die Luft anzuhalten. Beinahe sofort kroch ihr die Magie in die Knochen, Muskeln, Adernetz und Nerven - es füllte sie komplett aus und sie konnte sich ihm nicht entziehen, selbst, wenn sie es gewollt hätte.
Er webte eine wahrhaft prachtvolle Magie, mächtiger als alles, was sie bisher erleben durfte. Sogar mächtiger als die meisten ihrer Lehrer.
Wild und groß war der Zauber, den er schuf. Er setzte ein atemberaubendes Potential frei!
Sie ließ los und fügte sich dieser ungestümen und leidenschaftlichen Gewalt. Sie ließ sich durchdringen, eignete sich sein Energiemuster an, um es wiedererkennen zu können; sog seine Magie auf - vorsichtig, damit er nicht aufmerksam wurde.
Sie unterdrückte den Wunsch ihrer Seelen in die Metamorphose zu gehen, um ein Teil dieses unglaublichen Gewebes zu werden.
Sie brauchte die Augen nicht zu öffnen, um sehen zu können; alles war durchdrungen von ihm und seiner Magie.
Sie fühlte die Geschwindigkeit, sie roch das Wetter, sie sah die Landschaften, die sie während dieses Höllentrips hinter und unter sich zurückließen.
Als sie ihrem Ziel näher kamen, wurde das Gewebe dünner und langsamer. Sorgfältig zog sie ihre Fühler zurück und es schlich sich das Gefühl ein, etwas sehr wichtiges verloren zu haben.
Sie ermahnte sich, konzentriert und diszipliniert zu sein und ihre Selbstbeherrschung kehrte zurück.
Sein Weben war beendet und so ließ er sie los.
Sie taumelte.
"Hey! Alles in Ordnung?" Augen, in denen sie zum ersten Mal in dieser Nacht etwas wie Menschlichkeit entdeckte, sahen auf sie nieder und musterten sie aufmerksam, fast so als wäre er tatsächlich um sie besorgt.
Sie fing sich und murmelte ein: "Natürlich!"
"Schön! Ich dachte schon, es wäre zuviel gewesen..." Seine Stimme klang locker, doch seine Augen waren noch immer ernst.
"Keine Sorge! Ich bin schon groß!" Sie blickte sich um. "Wo ist mein Schwert?"
"Komm! Wir müssen leise und vorsichtig sein."
"Wieso? Hier ist doch nichts außer Sand!" 
So weit man sehen konnte, gab es hier nichts, außer glitzerndem, funkelndem Sand. Das Sternenlicht tauchte die Umgebung in ein geisterhaftes, sphärisches Licht und eine entfernte Windböe streichelte die Kuppen der Dünen, so dass feiner Sand schimmernd in den Nachthimmel getragen wurde.
Er zog sie vorwärts. "Wart’s ab!"
Und da hörte sie es - ein seltsam vertrautes Grollen und leisere, schmeichelnderere Quietschlaute.
Drachen! Der liess aber auch nichts aus!!!
"Hey, du bist so blass!"
"Du hast mein Schwert in einer Brutstätte für Drachen versteckt...?! Wie konntest du??? Na, dann frohes Schaffen..."
Er grinste jungenhaft. "Überlass das ruhig mir! Du musst nur leise sein, den Rest mache ich, einverstanden?"
"Du hast den Vortritt und das zweifelhafte Vergnügen!"
Er stapfte vorsichtig die nächste Düne hinauf und der Geruch frisch geschlüpfter Drachenbabys kroch ihnen in die Nasen. Es roch nach heißem Sand, goldenem Brokat und Kakao und es füllte alle ihre Sinne.
Als er die Kuppe erreicht hatte, ließ er sich in den Sand fallen. "Siehst du? Es sind fast alle geschlüpft!"
"Da werden sich die Bauern freuen! Das bedeutet, dass es dieses Jahr wieder eine richtige Plage geben wird."
"Magst du keine Drachen?"
Sie zuckte mit den Schultern.
Sie liebte Drachen - ihr Wissen und ihre Magie waren groß und sehr alt, denn sie gaben es von Generation zu Generation weiter. Zwei Jahre hatte sie mit einer Sippe gelebt und diese Zeit hatte sie viel gelehrt. 
Das Sippenoberhaupt, ein kupferfarbener Drache namens Grellco, hatte sie, als sein Ende nah war, zu seinem Wächter gemacht. Äonenaltes Wissen, seine Lebenserfahrung und Drachenmagie hatte er ihr zum Geschenk gemacht. So sehr sie auch Angst vor der Verantwortung gehabt hatte, so sehr hatte sie sich durch sein Vertrauen geehrt gefühlt. 
Leise rief sie seine Seele und die Antwort kam prompt. <<Hab keine Angst! Sie werden dich erkennen. Wir vergessen niemals!>>
<<Auch nach dieser langen zeit nicht?>>
Sehnsucht hallte in ihrem Kopf wider. <<Wir vergessen niemals...?>>
"Hallo! Was ist los?"
Sie lächelte. "Gar nichts... Lass uns gehen!"
Sie erhob sich.
"Uns? Moment!" Er wollte nach ihr greifen, aber sie war schon außer Reichweite. "Was machst du? Bist du lebensmüde? Komm zurück, sie werden dich zerfleischen."
Sie drehte sich um und er sah ihre Augen: Dunkelgrün mit langen vertikalen Schlitzen, in denen goldene Lichter tanzten. "Ich denke nicht, dass sie das tun werden..."
Der Mund blieb ihm offen stehen, denn ihre Stimme, ebenso wie ihre Gestalt waren durchdrungen von Macht.
Die Drachen nahmen die Witterung auf. Nervös drehten sie sich zu ihr um und trommelten mit den langen Schwänzen auf den ausgedörrten Boden. Die Nüstern blähten sich und ablehnendes, warnendes Geheul durchdrang die flirrende Luft.
Ein milder Gesang wurde hörbar. Sanfte, in alter Sprache gesungene Beschwörungen sickerten in die Ohren der Drachen.
Es handelte sich um etwa 15 kleinere Weibchen und zwei größere Männchen. Babys gab es etwa 25.
Erkennen flackerte in den Augen der Sippe, ihr Trommeln passte sich dem Gesang an, wurde weicher, das Geheul leiser und sanfter. 
Ein bizarres Bild bot sich ihm, als er den Boden der Senke erreichte. 
40 Drachen sammelten sie um sie, hießen sie willkommen, wie ein lange vermisstes Familienmitglied.
Der Gesang schwoll an, unterstützt von den vielen Drachen, und wuchs zu einem das Firmament ausfüllenden Chor.
Sie begrüßte die beiden Männchen, streichelte die Federn auf ihren Häuptern; sie beglückwünschte die Weibchen zu ihrem Nachwuchs und ließ sich von den Babys neckisch in die Hände und Beine beißen.
Irritiert ließ er sich in den Sand fallen und beobachtete sie. Es war schön, sie alle zu sehen und ihre Vertrautheit rührte ihn seltsam an. Und langsam keimte in ihm die Erkenntnis, dass er einen besonderen Schatz gefunden hatte und dass ihm etwas entgangen war. Er würde diese Frau kennenlernen, jede einzelne Faser ihrer selbst - koste es, was es wolle... 
 
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Und schon geht's weiter zum 1. Kapitel: Mauern

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Denkt bitte daran: auch diese Geschichte nimmt am Drachentaler-Wettbewerb teil.
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