Der letzte Zauberwald von Metalchild
Das erste Treffen

Tharon starrte wild und entschlossen in das Gesicht seines Gegenübers. Der Schweiß brannte in seinen Augen, seine Adern an den Schläfen schienen kurz vor dem Zerbersten zu sein. Seine Anstrengungen ließen ihn die jubelnden Rufe nicht hören. Er spürte nur Schmerz. Seinen rechten Arm kaum noch spürend, waren es nur noch seine Instinkte, die ihn weiterkämpfen ließen. Doch lange konnte er es nicht mehr aushalten, das Gefühl von Schwäche überkam ihn. Das Blut staute sich in seinem Kopf, die Halsmuskeln traten noch mehr hervor. Erneut festigte er seinen Griff, so daß die Adern seiner Hand seine Haut zu zerreißen drohten, die Fingerknöchel hingegen waren blutleer. Feuer! Das einzige, was seine Augen wahrnahmen, war Feuer, und es kam auf ihn zu! Nein, ich muß gewinnen! Muß gewinnen! Immer wieder rief Tharon sich diese Worte in seinen Kopf. Doch spürte er langsam die Hitze an seinem Handrücken entlangtasten, unaufhörlich nach seinem Fleische gierend. Feuer, nein!!! Mit einem Kampfschrei, der wohl selbst den kühnsten Kender zur Flucht getrieben hätte, versammelte er alle Energie, die noch in ihm steckte, in seinem rechten Arm. Eine angenehme Wärme durchdrang seine Brust, und mit gewaltiger Kraft drückte Tharon den Arm des anderen nach unten. Das Krachen seines Feindes Knochen überhörend, rammte er die Hand des anderen in die Kerze. Ein Schmerzschrei drang aus der Kehle des Mannes - der Begriff Oger wäre wohl angebrachter, wenn man die Größe und Breite dieser Person bedachte, doch besaß er eindeutig menschliche Züge - am anderen Ende des Tisches, der sofort seinen Griff lockerte und sich entsetzt am Arm hielt. Die Brandwunde der Kerze bereitete ihm nicht solche Schmerzen wie der offene Bruch am Ellenbogen.
Tharons Blick senkte sich, und für einen Augenblick wußte er nicht, wo er war. Nachdem er einige tiefe Atemzüge genommen hatte, beruhigte sich sein Herzschlag langsam, so daß er auch allmählich die Geräuschkulisse um sich herum wieder wahrnehmen konnte, anstatt nur seinen eigenen Puls zu hören. Jetzt spürte er auch wieder die Hände, die ihm auf seine immer noch angespannten Schultern klopften, jetzt hörte er wieder die Jubelrufe. Langsam erhob er sich von seinem Stuhl, wobei er unbewußt das silberne Medaillon festhielt, daß, an einer silbernen Kette baumelnd, auf seiner Brust lag. Nur kurz sah er auf den kleinen runden Tisch vor sich, auf dem die beiden Kerzen standen, wovon die eine noch brannte, während die andere niedergedrückt war. Tharon schaute sich um und kam nun endlich wieder zu voller Sinnesschärfe. Nur ein Wettkampf, ganz ruhig. Er wischte sich beiläufig das Blut seines Gegner an seiner Lederhose ab und ging Richtung Theke, wobei er noch ein paar freundliche Schläge auf die Schulter bekam, von Leuten, die auf ihn gesetzt hatten. Die anderen wiederum, die an den Falschen glaubten, zerrissen wütend ihre Wettscheine und warfen Tharon böse Blicke zu, jedoch nur, solange er sich nicht zu ihnen umdrehte. Dann ertönte eine laute, tiefe Stimme: „Der nächste Wettkampf!!!" Sofort drehten sich die Männer in der Kneipe wieder von Tharon ab. Auch Tharon, der inzwischen auf einem Hocker an der Theke platzgenommen hatte, drehte sich wieder in Richtung des kleinen Tisches, wo eben noch er gesessen hat, und wo inzwischen die zerdrückte Kerze durch eine neue ersetzt und entzündet wurde, während sich bereits zwei neue Kontrahenten auf die Stühle setzten. „Macht eure Wetten, macht eure Wetten!!!" Tharon studierte ernst die Gesichter der beiden Männer, seine Miene erhellte sich allerdings, als er spürte, wie jemand ihm von hinten einen kühlen Gegenstand gegen die Schulter drückte. „Ah, danke Marik, genau das brauche ich jetzt", drehte sich um und schaute in das freundlich lächelnde Gesicht des Wirts. Marik war ein kleiner, dicker Mann von etwas 45 Jahren, genau so, wie man sich einen Wirt vorstellte. Sein Drei-Tage-Bart und die mächtigen Oberarme könnten jeden das fürchten lehren, doch sein Lächeln und seine tiefen, stahlblauen Augen verrieten, daß er nicht einmal einer Fliege etwas zu Leide tun könnte. Tharon nahm den ihm angebotenen Bierkrug an, lächelte und leerte ihn fast in einem Zug. Jedes mal, wenn er gegen einen dieser Bären im Armdrücken gewonnen hatte, bekam er von Marik ein Bier ausgegeben. Eigentlich trank der fast zwei Schritt hohe Mann mit den braunen Augen und dem langen braunen Haaren wenig Alkohol, doch wenn er erschöpft war - und das war er jetzt - dann war es ihm egal, was er trank.
Während Tharon seinen Krug leerte, hatten sich die meisten anderen Männer in der Kneipe wieder um den kleinen Tisch im Mittelpunkt des Saales versammelt, nur vereinzelt saß noch jemand an der Theke. Suchend sah Tharon sich um. „Wo ist Quang, dieser Winzling von Nervtöter. Will er mich wieder um mein Geld...", doch da stand das kleine Kerlchen schon vor ihm. „Ganz ruhig, mein Dicker. Hier." Tharon nahm den ledernen Geldsack entgegen. Er konnte die Münzen klingen hören, doch wußte er genau, daß es weder Gold noch Silber war, sondern lediglich billiges Kupfer, welches gerade reichte, um die Miete für das Zimmer zu bezahlen. „Nimm’s mir nicht übel, Quang." Ein Lächeln zog sich über Tharons Gesicht, so wie er immer lächeln mußte, wenn er das vier Ellen lange Männchen vor sich sah. Eine bemerkenswertere Mischung hatte er auf ganz Ansalon noch nicht gesehen. Quangs Mutter war ein Hügelzwerg, sein Vater halb Kender, halb Mensch. Quang erzählte oft, wie es dazu kam. Die Mutter seines Vaters war bei der Entbindung erst 14 Jahre alt, der Vater ein nicht älterer Kender. „Mein Papa ist das Produkt der ersten Liebe zwischen Kender und Mensch", erzählte er immer voller Stolz - auch wenn es zweifellos ein Unfall gewesen sein mußte. Wie sich jedoch eine Hügelzwergin mit einem Kensch (oder Kendermensch) einlassen konnte, ist allen bis heute ein Rätsel. Auf jeden Fall war Quang eine lustige Erscheinung. Die dicke Knollnase eines Zwerges, das Gesicht eines 5-jährigen Knaben und den schwarzen Bart auf Zwergenart in seinen Gürtel gestopft, an dem vier bis fünf kleine Beutel hingen, die mal mehr und mal weniger mit den Sachen anderer Leute (die Quang gefunden hatte) gestopft waren. Er war der beste Freund von Tharon und sozusagen sein Arbeitgeber. Er trieb die Wetten nach oben, besorgte immer neue Herausforderer. Und wenn Tharon gewann, bekam er natürlich einen Teil der Wetteinnahmen. Und Tharon gewann immer!
„Da hinten ist jemand, der dich sprechen will." Quang zeigte in die hinterste Ecke der Kneipe. An einem kleinen Tisch direkt neben dem Kamin saß eine Person, die in weite graue Gewänder gehüllt war, so daß man unmöglich ihre Statur ausmachen konnte. Ohne es zu merken, glitt Tharons Hand an sein Medaillon. „Was will der Mann?" fragte er seinen Freund. „Ich weiß nicht, ich hab’ ihn noch nie vorher hier gesehen. Äh, woher weißte du, das das ein Mann ist? Ich konnte das erst erkennen, als ich direkt vor ihm stand." „Ich weiß es einfach. Marik, bring mir und diesem Fremden doch bitte einen Krug Wein und etwas Schinken, ja. Ich will mal sehen, was der von mir will." Tharon schritt zum Kamin herüber und blieb direkt vor der Gestalt stehen, die keine Anzeichen von Regung machte. Nur die Kapuze drehte sich zu Tharons Gesicht, und er spürte, daß diese Person ihn genau musterte, auch wenn er im Schatten der Kopfbedeckung nichts sehen konnte. „Setz dich doch bitte. Es ist schön, dich unversehrt wiederzusehen." Die Stimme war die eines alten Mannes, tief und sanft. „Wer bist Du?" Tharons Stimme klang beunruhigt. Dieser Mann strahlte irgend etwas aus, was ihm ganz und gar nicht gefiel, auch wenn die Gefühle, die es in ihm weckte, nicht negativ waren. Der Alte antwortete mit fast gleichgültig klingender Stimme: „Sagen wir, ich kenne Dich von früher." Mit diesen Worten griff er nach Tharons Kette und fuhr mit seinen Fingern über das Amulett. Tharon wollte die Hand des Mannes zurückweisen, doch spürte er plötzlich eine Wärme auf seiner Brust, wie er sie schon des öfteren gespürt, doch nie richtig wahrgenommen hatte. Seine gerade erhobene Hand glitt kraftlos auf den Tisch. „Wer bist Du?" waren die letzten Worte, die er noch sagen konnte, bevor ein tiefer Nebel seinen Verstand einzuschleiern schien. Die Geräusche um ihn herum wurden leiser, die Gäste, die Theke, die Stühle und Tische - ja, die ganze Welt - schien zu verblassen, bis nichts mehr war als stille, tiefe Schwärze. Doch nein, da war noch etwas. Wie von weiter Entfernung vernahm Tharon ein Wispern, ein Flüstern, wie von tausenden kleiner Stimmen. Was sagen sie? Tharon versuchte sich zu konzentrieren, versuchte, den schwarzen Raum, in dem er sich befand, zu erkunden, auf die Stimmen zuzulaufen. Doch er konnte sich nicht vorwärts bewegen. Erst jetzt bemerkte er, daß er zu fallen schien. Langsam aber sicher kamen die Stimmen auf ihn zu, und nun konnte er sie gut genug hören, um zu erkennen, daß es sich um mindestens zwei oder drei Dutzend Personen handeln mußte, die ihn anflehten. Hilfe... befreie uns... letzte Hoffnung... altes Volk... Rückkehr... Nur das konnte Tharon verstehen, nichts weiter. Dann plötzlich die Stimme des Alten in der Dunkelheit: „Du mußt zu ihnen. Die Zeit ist reif." Tharon riß die Augen auf. Schweißgebadet blickte er sich um: Tische, Stühle, die Theke, die Gäste - alles lief seinen gewohnten Gang. Er saß alleine an seinem Tisch. Wieder ging sein Blick in die Runde, doch keine Spur von dem alten Mann. Komme nach Nordergod. „Was..? Wer...?" Tharon hatte die Stimme doch ganz deutlich vernommen, die Stimme des Alten, doch wo war er? Da - plötzlich erblickte Tharon ihn am Ausgang. Er sah etwas aufblitzen und erkannte ein Medaillon um den Hals des Fremden - sein Medaillon. Das Schwert, das Einhorn - das war sein Medaillon, und der Alte hatte es ihm gestohlen! Tharon sprang auf und wollte zur Tür rennen, um den Dieb zu stellen - doch plötzlich war er weg. Was geht hier vor, verdammt noch mal? Verwirrt dreht Tharon sich herum, doch der Fremde war spurlos verschwunden. „Ist alles in Ordnung?" Quangs Stimme klang ernsthaft besorgt, so hatte er seinen Freund noch nie erlebt. „Dieser Mann - er... er hat meine Kette." Noch immer war Tharon völlig aus der Fassung. „Was redest Du da? Die Kette hängt doch immer noch um Deinen Hals." Tharon legt seine Hand auf seine Brust und spürte das vertraute Amulett unter seinem Hemd. Als er es herauszog, musterte er es genau. Seine Finger glitten über die silberne Scheibe, über die kunstvollen Verzierungen am Rand, und schließlich über das wunderschöne Einhorn, daß sich über einem gewaltigen Beidhänder aufbäumte. Dies war eindeutig sein Amulett. „Aber... ich war mir ganz sicher..." Tharon taumelte. Wieder zog der schwarze Nebel auf und schien ihn zu verschlucken. Dann hörte Tharon einen dumpfen Schlag und ein paar aufgeregte Stimmen. Leise, immer leise werdend, bis nichts mehr zu hören war bis auf das hämmernde Pochen seines Herzes.
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