Der letzte Zauberwald von Metalchild
Auf hoher See

„Wir ham vom alten Seebären ne Landradde gekriegt. Wollte nich mehr für ihn arbeiten. Is n kräftger Kerl, dachte, wir könn sowas imma mal brauchen." Die rauhe Stimme des bärtigen Matrosen war laut, denn hier unten, im der Kajüte des Kapitäns, konnte man die Wellen und Krachen des Schiffes am deutlichsten hören. „Verdammt Starf! Denken gehört aber normalerweise nicht zu Deinen Aufgabe. Du weißt doch, daß es gefährlich sein kann, wenn man einfach so einen Fremden mitnimmt!" Der Kapitän verpaßte seinem Ersten Maat eine kräftige Ohrfeige. „Mach, daß du ihn herbringst. Aber bitte gut verschnürt, ich mag keine Überraschungen. Und sieh zu, daß er vernünftig angezogen ist und nicht stinkt. Ich will nicht noch mehr stinkende, schwitzende Saukerle an Bord haben. Davon gibt es hier schon genug." Starf zuckte zusammen, sein Blick zeigte nicht nur großen Respekt, sondern vielmehr große Angst vor seinem Kapitän. „Tut mir leid, Käptn. Ich werde alles zu ihrer Zufriedenheit erledigen." „Das wäre ja das erste mal." Der Käpt’n setzte sich wieder auf den verzierten Holzstuhl hinter dem großen Schreibtisch, auf dem eine riesige Seekarte ausgebreitet war. Aus Angst, noch mehr Schelte zu bekommen, verließ Starf schnell das Zimmer. Oben auf Deck wurde es nun hektisch. Das Schiff wurde losgebunden, die Segel gesetzt. Die Fahrt konnte losgehen.
Der Käpt’n bekam von all dem nur wenig mit. Die Männer würden die Arbeit schon erledigen. Die Aufgabe des Käptn’s bestand darin, die Route auszuwählen und die Beute gerecht zu verteilen. Die See war relativ ruhig, der Wind stand trotzdem günstig. Sie würden ihr Ziel schnell erreichen. In Gedanken versunken hielt Santana, der Kapitän, ihre Kette fest und seufzte einmal tief beim Anblick ihres Amulettes. Was hatte es nur mit dem alten Mann auf sich, der gestern abend zu ihr kam? Warum sollte sie nach Nordergod kommen? Sie hatte darauf keine Antworten und beließ es auch dabei. Sie würde es schon herausfinden. Jetzt wollte sie erstmal den neuen Kerl kennenlernen, den Starf mitgebracht hatte. Sie nahm ihre kleine Karaffe mit dem Duftwasser und betupfte ihren Hals leicht mit dem Deckel. Mal sehen, vielleicht ist der Typ ja doch für irgendwas zu gebrauchen.
*
Ich werde Dir zeigen, wer Du warst - ich werde Dir zeigen, wer Du bist - und ich werde Dir zeigen, wer Du wirst. Du bist auch dem Weg nach Hause. Doch hüte Dich. Einer von Euch ist falsch.
Ein Eimer mit kaltem Wasser holte Tharon aus dem Reich der Träume zurück. Ein Bündel frischer Klamotten wurde ihm hingeworfen. „Wasch dich und zieh dich an! Dann kommst du mit uns!" Tharon schaute sich um. Es war dunkel, vor ihm standen zwei Männer mit Laternen und Säbeln in den Händen. Es schaukelte alles. Tharon griff sich mit einer Hand an den Kopf und fühlte die Blutkruste an seiner linken Schläfe, von wo aus auch der stechende Schmerz ausging, der ihn durchzuckte. Im ersten Moment wußte er nicht, wo er war, doch dann kehrten die Erinnerungen zurück. Der Hafen, der Schlag auf den Kopf, die Wellen.
„Wo genau bin ich. Wo fährt dieses Schiff hin." „Du hast deine Befehle. Sieh zu und laß den Käpt’n nicht warten!" Es ist wohl das beste, erstmal zu tun, was sie wollen. Tharon wusch sich das Gesicht in dem anderen Eimer, dem sie ihn hingestellt hatten, dann zog er die Hose und das Hemd an, das sie ihm gegeben hatten. Es waren keine besonderen Kleider, doch auf jeden Fall besser und frischer als seine eigenen. Außerdem bekam er Stiefel, die sauber und gut verarbeitet waren. Wer immer ihn hier gefangenhielt, konnte es nicht allzu schlecht mit ihm meinen. Die Männer nahmen ihn an den Schultern und stießen ihn vor sich auf den Boden. „wie sollen wir ihn ihr bringen?" „Ich glaube, so wie immer." Kaum waren die Worte gesagt, verspürte Tharon einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf. Das letzte, was er dachte, bevor die Dunkelheit ihn erneut umschloß, was nicht schon wieder...
Als er langsam wieder zu sich kam, lag er auf einem weichen Bett. Es war warm und trocken, und ein angenehmer Duft kroch ihm in die Nase. Das einzige, was ihn störte und schließlich auch ganz erwachen ließ, war die Tatsache, daß seine Hände auf seinem Rücken verbunden waren. Er setzte sich auf und schüttelte den Kopf, in der Hoffnung, seine Schmerzen damit vertreiben zu können. Doch diese schienen nur noch mehr ermuntert zu werden, ihn zu quälen. „Ich wollte nicht, daß meine Männer so mit dir umgehen. Eigentlich sollten sie dich nur zu mir bringen. Aber dir wird es bestimmt bald wieder gut gehen." Die schöne, weibliche Stimme kam aus einer dunklen Ecke des Zimmers, die von dem Kerzenschein - der einzigen Lichtquelle in diesem Zimmer - nicht erfaßt wurde. Tharon horchte auf. Wenn die Gestalt, die er eben gehört hatte, auch nur halb so schön war die Klang ihrer Stimme, dann mußte sie die schönste Frau auf ganz Krynn sein. Niemals zuvor hatte er eine so liebliche Stimme vernommen. Er sah zu der Ecke, doch die einzige Kerze, die im Raum brannte, erhellte nur den Schreibtisch mit der riesigen Karte und einen Teil der Wand, an der viele Bücherregale hingen, vollgepackt mit dicken Bänden. „Wer bist du?" Tharon fragte nur, um diese wunderschöne Stimme wiederzuhören. - Schweigen. - „Ich stelle im Moment die Fragen. Wer bist Du?" Streng, aber immer noch wunderbar kamen die Worte zu ihm herüber. „Mein Name ist Tharon." Mehr wollte Tharon von sich noch nicht preisgeben. „Mein Name ist Santana, ich bin der Kapitän dieses Schiffes." Wie kann eine Frau mit einer solch schönen, weichen Stimme über eine Horde rauher Seemänner befehlen?
„Erzähl’ mir mehr von Dir, Tharon. Wie kommt es, daß du an Bord meines Schiffes bist?"
„Ich war im Hafen, um meine Arbeit zu kündigen, denn ich wollte eine Reise untern..." Tharon verschlug es die Stimme, als Santana die Ecke verließ und in den Kerzenschein trat. Tharon schaute in ihr wunderbares Gesicht - das schönste, daß man sich überhaupt vorstellen kann. Es ist nicht möglich, mit Worten zu beschrieben, was Tharon mit seinen Augen hier erblickte. „Sprich weiter, Tharon." Santana kam nun langsam auf ihn zu. „Ich... - ich weiß nicht mehr... - also..." Mehr bekam Tharon nicht über seine Lippen. Santana wußte, daß sie gut aussah, doch hatte es bisher noch keinem Mann so sehr den Atem verschlagen, wenn er sie sah. Auch wunderte sie sich darüber, warum Starf ihr nicht gesagt hatte, daß der Mann, den sie mitgenommen hatten, so überwältigend gut aussah. Niemals in ihrem Leben hatte sie einen schöneren Mann gesehen, und sie war sich sicher, das auch in der Zukunft niemals zu tun. 
Tharon selbst hatte sich nie für etwas besonderes gehalten. Sicher, er sah nicht schlecht aus, doch bestimmt auch nicht auffällig schön. Wie Santana ihn allerdings in diesem Augenblick anblickte, schien es ihm, als hätten sich ihre Blicke in die seinen verhakt. Keiner konnte vom Antlitz des anderen wegsehen. Tharon verspürte auf einmal eine große Zuneigung zu Santana, und der der Kapitänin ging es andersherum genauso. Sie wußten beide nicht, wie es genau gekommen ist, doch plötzlich lag Santana neben Tharon auf dem Bett. Sie liebkoste mit ihren Lippen die seinigen und seinen Hals, und er tat er ihr gleich. Und auch wenn seine Hände für den Rest der Nacht gefesselt blieben, so wurde es doch eine Nacht für Tharon, die er bis zu seinem Tod vergessen würde...
 
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