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Diese Geschichte wurde von den Drachental-Besuchern zur
zweitbesten Fantasy-Story 2004 im Drachental gewählt!

Rophus von Renon
 

1 Die Jagd

I Die Quelle

Wasser. Eine kleine idyllische Quelle mitten im Wald. Ja, die Gelegenheit war günstig, etwas zu trinken. Rophus kniete am Wasserlauf nieder um einen Schluck zu nehmen, stockte aber wenige Zentimeter über dem Wasser. Er wurde beobachtet. Er spürte die Blicke regelrecht auf seinem Körper. Er sah langsam auf. Nichts. Nur der Wald, ein paar Sträucher und das Unterholz. Unterholz? Nur auf einer Stelle angehäuft? Er senkte seinen Kopf wieder, blickte aber weiterhin nach vorn. Sein Gefühlt hatte ihn nicht getäuscht. Das Auge im Unterholz öffnete sich wieder und starrte ihn an. Rophus stand auf und blickte genau in das Auge, das ihn aus zwanzig Meter Entfernung anstarrte. "Die Tarnung ist gut, Großer, aber eben nicht perfekt!" Nun wusste der Drache, dass er entdeckt worden war und er war nicht gerade glücklich darüber. Verärgert hob er den Kopf. Ein paar Zweige fielen herunter. Grünlich-braune Schuppen bedeckten seinen Körper. Mehrere kleine Hörner zierten seine Partie vom Unterkiefer zum Hinterkopf. Der restliche Körper war noch von Zweigen und Unterholz bedeckt. Farblich wäre er nicht aufgefallen, nur dieser merkwürdige Hügel mitten im Wald...
"Ihr scheint noch nicht von mir gehört zu haben", sprach der Drache und blickte Rophus mit aufsteigender Wut an. Okay, er war furchtlos, aber Respektlosigkeit war ihm neu, besonders von einem... Menschen! "Wofür seid ihr denn bekannt?"
Der Drache erhob sich und schüttelte die restlichen Zweige ab, die eben noch seinen Körper bedeckten. Jetzt sah Rophus, dass "der Große" bis eben noch in einer Kuhle gelegen hatte. Er war riesig, verglichen mit seiner eigenen Größe. Sicherlich zu groß, um zwischen den Bäumen zu laufen. Er drehte seinen Kopf und sah über seine Schulter. Der Wald war noch weit entfernt. Als er sich umdrehte hatte er den Kopf des Drachen genau auf Augenhöhe... nur jetzt war er nur noch drei Meter von ihm entfernt. "Das werde ich euch zeigen", sprach der Drache und fletschte seine Zähne. Zeit zu verschwinden. Auf der Stelle machte Rophus kehrt und rannte Richtung Norden. Dass "der Große" nicht zwischen die Bäume passte, wusste er selbst. Er hätte sie umrennen können, aber das hätte ihn zu sehr aufgehalten. Um die Quelle herum war der Wald etwas lichter. Der Start würde schwierig werden, aber fliegen war die beste Möglichkeit, diesen Wurm einzuholen. Er ging in die Knie und blickte noch ein letztes Mal dem Flüchtenden hinterher. Für solch unwegsames Gelände hatte er einen beachtlichen Vorsprung. Er blickte wieder gen Himmel und sprang hoch. Die ersten sieben Meter waren geschafft. Er begann sofort, mit den Flügeln zu schlagen. Meter um Meter stieg er langsam auf. Kaum hatte er die Wipfel der Bäume erreicht, wurden seine Schwingen vom Wind erfasst. Nach einem so anstrengenden Aufstieg tat ein wenig Gleitflug richtig gut. Aber er durfte sein Ziel nicht aus den Augen verlieren. Irgendwo da unten rannte der Wurm um sein Leben. Er steuerte ebenfalls in Richtung Norden.

Rophus rannte. Eigentlich mehr ein Springen von einem Hindernis zum anderen. Nicht nur, dass der Boden alles andere als eben war, auch peitschten ihm ständig Äste und Zweige entgegen. Sie verlangsamten ihn ebenfalls. Seine enge Lederrüstung tat hier gute Dienste. Sie schützte vor kleineren Verletzungen, ließ ihm aber auch genug Bewegungsfreiheit. Nur die Maske war hinderlich. Ohne sie wäre sein Gesicht schon längst mit Narben übersät gewesen, aber durch die verdammten Luftschlitze ließ es sich so schwer atmen.
Neben seinem eigenen Keuchen vernahm er auch den gelegentlichen Flügelschlag des Drachens. Er musste gleiten und er kam näher...
Die Lichtung auf die er zurannte war unmöglich zu umgehen. Es hätte zu lange gedauert. Und umdrehen? Nun, wenn der "Große" auch Feuer speien konnte, lief er ihm damit genau in die Schusslinie. Er musste es riskieren.
Er verließ die schützenden Bäume und rannte über die offene Wiese. Wenigstens konnte man hier laufen und so steigerte er sein Tempo noch ein wenig.

II Die Lichtung

Da unten war er. Dieser Narr hatte tatsächlich den Wald verlassen und rannte nun über eine offene Lichtung. Er setzte sofort zum Sturzflug an. Er würde genau auf ihm landen, ihn zu Boden drücken und zerfleischen. Langsam und Stück für Stück, damit er soviel wie möglich mitbekam. Andere Gegner waren schneller gestorben, aber diesmal nicht. Er nahm den Flüchtenden ins Visier und näherte sich ihm schnell.

Eigentlich hätte dieser Fehler tödlich enden müssen, aber genau jetzt rettete er Rophus das Leben. Er war über einen Baumstumpf gestolpert und zu Boden gefallen. Er hörte nur noch ein paar Flügelschläge über ihm und zog den Kopf ein. Aber was immer er jetzt erwartete, Feuer, Krallen oder irgendwelche noch schlimmeren Schmerzen, nichts davon trat ein.
Er hörte ein Rauschen über seinen Kopf hinweg.
Er sah vorsichtig nach vorne und glaubte seinen Augen nicht.
Der "Große" hatte sich verschätzt, kam fünf Meter vor ihm auf dem Boden auf und überschlug sich nach allen Regeln der Kunst. Wäre er jetzt aufrecht gelaufen, hätte ihn der Drache erwischt. So nah war er ihm also schon gekommen.
Rophus richtete sich auf und nutzte die Verschnaufpause. Geradeaus ging es jetzt nicht mehr. Also nach Westen, dem Sonnenuntergang entgegen, der jetzt langsam einsetzte.

Der Drache richtete sich so schnell es eben ging auf. Er sah sich um. Der Wurm war weg.
Ein wütendes Gebrüll durchzog den Wald. Es drückte den Ärger des "Großen" recht passend aus. Aber es brachte ihm auch seine Entschlossenheit zurück. 
Weit konnte er noch nicht sein.
Diesmal konnte er zum Start Anlauf nehmen. An ihm vorbei war er nicht gelaufen, das hätte er bemerkt. Zurück bestimmt auch nicht. Osten oder Westen? Einen Moment zögerte er. Genau im richtigen Moment. Nach seinem Schrei war es ruhig geworden und plötzlich hörte er ein Knacken, das Brechen eines Astes. Er riss seinen Kopf herum und starrte nach Westen.
Er nahm Anlauf.

III Der Abgrund

Diesmal fand Rophus´ Lauf ein schnelleres Ende. Nicht nur, weil sein Bein nach dem Sturz schmerzte. Es ging nicht weiter. Wieder endete der Wald. Nach weiteren zweihundert Metern Wiese begann ein fast senkrechter Abhang. Man hatte einen schönen Ausblick über das gesamte Tal, das vor ihm lag. Aber es blieb keine Zeit, den Anblick zu genießen. Vor ihm die untergehende Sonne, hinter ihm das Geräusch von schlagenden Schwingen.

Er stand genau vor der untergehenden Sonne. Er drehte sich um und sah ihn kommen. Hier ging es für ihn nicht weiter. Der Drache ließ sich bis dicht über den Boden sinken. Diesmal würde er ihn nicht verfehlen. Er blickte gerade in Richtung des Wurms, der gerade die Arme ausbreitete. Würde dieser Feigling jetzt etwa springen? Sich fallen lassen um seinem Schicksal zu entgehen? Sollte er doch. Bevor er am Boden ankam hätte er ihn noch in der Luft abgefangen und im Flug zerrissen. Sein Blut würde als leichter Schauer im Tal niedergehen.
Er ließ sich fallen, fiel rückwärts und war verschwunden. 
Der "Große" stürzte über die Kante des Abgrunds und schrie vor Schmerzen auf.
Fast verlor er das Gleichgewicht und wäre abgestürzt. Dieser Schmerz war neu und stark.
Ein Brennen unter der linken Achsel. Er griff sich unter die Achsel und als er seine Hand wieder hervor holte war sie blutverschmiert.
Von dem Wurm war keine Spur.

Rophus hatte sich fallen lassen. Aber nicht über den Rand des Abgrunds, sondern zwei Meter davor. Es hatte tatsächlich geklappt. Gegen die Sonne gesehen, war der Unterschied nicht zu bemerken. Als der Drache über ihn hinweg glitt musste er nur noch sein Kurzschwert heben.
Den Rest erledigte der "Große" durch seine Flughöhe und Geschwindigkeit von selbst.
Er richtete sich wieder auf und sah ins Tal hinab. Er beobachtete den Drachen, wie er versuchte in der Luft die Balance zu halten und dabei dem Talboden immer näher kam. Lange würde er sich nicht mehr oben halten können.
Aber auch er selbst konnte nicht mehr.

IV Gnade

Rophus lehnte sich gegen einen Baum, sank in die Knie und keuchte schwer.
Er war erschöpft aber noch immer am Leben.
Er sah hinüber zum Tal.
Da war es wieder, das Geräusch des Schwingenschlags. Der "Große" lebte noch. Und er stieg wieder auf. Sichtlich bemüht erhob er sich direkt vor der Sonne. Seine Silhouette hob sich deutlich ab und warf einen riesigen Schatten. Rophus konnte sehen, wie das Sonnenlicht durch die Flughäute schimmerte.
Mit letzter Kraft flog der Drache noch einige Meter in seine Richtung, dann landete er und knickte den linken Arm sofort ein. Die Wunde bereitete ihm zu große Schmerzen, als dass er sich auf diesen Arm hätte stützen können. Erschöpft, aber immer noch in Rage humpelte der "Große" langsam auf ihn zu.

So weit war bis jetzt noch kein Mensch gekommen. Ein Keulenschlag, vielleicht ein Schwerthieb sogar. Aber so sehr hatte ihn noch kein Mensch bis ans Ende seiner Kräfte gebracht.
Aber er sollte keine Gelegenheit bekommen, damit zu prahlen. Er war auch erschöpft. Er konnte sich auch kaum noch aufrecht halten, geschweige denn wieder in den Wald flüchten. Er würde einfach hingehen und ihn... fressen. Ja ihn langsam und genüsslich zwischen seinen Kiefern zermalmen.
Sein Blick schwankte, jedes Mal, wenn er mit dem linken Arm auftrat. Aber er verlor den Wurm nicht eine Sekunde aus den Augen. Jetzt stand er direkt vor ihm. Er sah ihm ein letztes Mal direkt in die Augen. Der Wurm ergab sich also seinem Schicksal. Er hob den Kopf, öffnete sein Maul und fuhr auf sein Opfer herab.

Rophus sah direkt in den Rachen des "Großen". Auf diesen Moment hatte er gewartet.
Ein schneller Griff an die Hüfte und einen Augenblick später flog ein Dolch genau in Richtung Drachenmaul. Er traf den hinteren Teil des Gaumens. Der Drache schloss reflexartig sein Maul und zog den Kopf wieder zurück.

Es war nicht sehr schmerzhaft. Aber absolut unerwartet. Dieser Wurm war immer noch für eine Überraschung gut. Mit geschlossenen Augen und schmerzverzerrtem Gesicht, biss er die Zähne zusammen. Mit der Zunge versuchte er, den Dolch zu lösen. Es gelang ihm. Zusammen mit etwas Blut und Speichel spie er ihn aus. Hasserfüllt blickte er auf diese Person, die ihn an sämtliche Grenzen brachte. Er hatte sich kein Stück bewegt. Wenn Blicke töten könnten...
Das letzte, was sein rechtes Auge sah, war eine Lichtreflexion und dann nur noch Dunkelheit.
Er schrie auf vor Schmerz. Mit der Rechten, noch blutigen Hand bedeckte er das von einem weiteren Dolch getroffene Auge und sein linker Arm trug das Gewicht nicht. Er brach zusammen und lag schwer atmend vor seinem Peiniger.

Jetzt erst stand Rophus auf. Der "Große" war so mit seinen Schmerzen beschäftigt, dass er ihn nicht bemerkte. Er ging erschöpft zur rechten Seite des Halses. Er zog sein Kurzschwert und beobachtete den Hals genauer. Dort war sie. Sie pulsierte stark und rhythmisch. Er legte sein Schwert genau an die Pulsader an und betrachte noch einmal den Körper des Drachen. Ihm fiel die blutverschmierte Hand des "Großen" auf er strich etwas Blut mit dem Finger ab und kostete es. Es schmeckte... leicht süßlich, etwas metallisch. Aber es war nicht das richtige Blut und auch nicht der richtige Drache. Er nahm sein Schwert von der Halsschlagader und schob es zurück in die Scheide. Er würde seinen Schwur nur einmal brechen. Aber nicht jetzt und nicht hier.

Rophus holte eine kleine Säge hervor und trennte eines der kleinen Hörner ab. Ob der Drache tot war oder nicht, er hatte den Beweis für seinen Sieg. Wer wollte ihm etwas anderes nachweisen? Irgendjemand hier in der Gegend würde ihm den Tod des Drachen schon lohnen. Für die Menschen war nur ein toter Drache ein guter Drache. Sie waren alle gleich.

Er ging zum Rand des Abgrunds. Auf dem Weg dorthin entfernte er seine Maske und konnte endlich wieder mal richtig tief durchatmen. Die letzten wärmenden Strahlen der Sonne trafen seinen Körper.
Er blickte in den Sonnenuntergang und seine Pupillen zogen sich schnell zu schmalen Schlitzen zusammen.
Ja, sie waren alle gleich...
 

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Hier geht es zum 2. Teil: "Die Maske"


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