|
1 Die Jagd I Die Quelle Wasser. Eine kleine idyllische Quelle mitten
im Wald. Ja, die Gelegenheit war günstig, etwas zu trinken. Rophus
kniete am Wasserlauf nieder um einen Schluck zu nehmen, stockte aber wenige
Zentimeter über dem Wasser. Er wurde beobachtet. Er spürte die
Blicke regelrecht auf seinem Körper. Er sah langsam auf. Nichts. Nur
der Wald, ein paar Sträucher und das Unterholz. Unterholz? Nur auf
einer Stelle angehäuft? Er senkte seinen Kopf wieder, blickte aber
weiterhin nach vorn. Sein Gefühlt hatte ihn nicht getäuscht.
Das Auge im Unterholz öffnete sich wieder und starrte ihn an. Rophus
stand auf und blickte genau in das Auge, das ihn aus zwanzig Meter Entfernung
anstarrte. "Die Tarnung ist gut, Großer, aber eben nicht perfekt!"
Nun wusste der Drache, dass er entdeckt worden war und er war nicht gerade
glücklich darüber. Verärgert hob er den Kopf. Ein paar Zweige
fielen herunter. Grünlich-braune Schuppen bedeckten seinen Körper.
Mehrere kleine Hörner zierten seine Partie vom Unterkiefer zum Hinterkopf.
Der restliche Körper war noch von Zweigen und Unterholz bedeckt. Farblich
wäre er nicht aufgefallen, nur dieser merkwürdige Hügel
mitten im Wald...
Rophus rannte. Eigentlich mehr ein Springen
von einem Hindernis zum anderen. Nicht nur, dass der Boden alles andere
als eben war, auch peitschten ihm ständig Äste und Zweige entgegen.
Sie verlangsamten ihn ebenfalls. Seine enge Lederrüstung tat hier
gute Dienste. Sie schützte vor kleineren Verletzungen, ließ
ihm aber auch genug Bewegungsfreiheit. Nur die Maske war hinderlich. Ohne
sie wäre sein Gesicht schon längst mit Narben übersät
gewesen, aber durch die verdammten Luftschlitze ließ es sich so schwer
atmen.
II Die Lichtung Da unten war er. Dieser Narr hatte tatsächlich den Wald verlassen und rannte nun über eine offene Lichtung. Er setzte sofort zum Sturzflug an. Er würde genau auf ihm landen, ihn zu Boden drücken und zerfleischen. Langsam und Stück für Stück, damit er soviel wie möglich mitbekam. Andere Gegner waren schneller gestorben, aber diesmal nicht. Er nahm den Flüchtenden ins Visier und näherte sich ihm schnell. Eigentlich hätte dieser Fehler tödlich
enden müssen, aber genau jetzt rettete er Rophus das Leben. Er war
über einen Baumstumpf gestolpert und zu Boden gefallen. Er hörte
nur noch ein paar Flügelschläge über ihm und zog den Kopf
ein. Aber was immer er jetzt erwartete, Feuer, Krallen oder irgendwelche
noch schlimmeren Schmerzen, nichts davon trat ein.
Der Drache richtete sich so schnell es eben
ging auf. Er sah sich um. Der Wurm war weg.
III Der Abgrund Diesmal fand Rophus´ Lauf ein schnelleres Ende. Nicht nur, weil sein Bein nach dem Sturz schmerzte. Es ging nicht weiter. Wieder endete der Wald. Nach weiteren zweihundert Metern Wiese begann ein fast senkrechter Abhang. Man hatte einen schönen Ausblick über das gesamte Tal, das vor ihm lag. Aber es blieb keine Zeit, den Anblick zu genießen. Vor ihm die untergehende Sonne, hinter ihm das Geräusch von schlagenden Schwingen. Er stand genau vor der untergehenden Sonne.
Er drehte sich um und sah ihn kommen. Hier ging es für ihn nicht weiter.
Der Drache ließ sich bis dicht über den Boden sinken. Diesmal
würde er ihn nicht verfehlen. Er blickte gerade in Richtung des Wurms,
der gerade die Arme ausbreitete. Würde dieser Feigling jetzt etwa
springen? Sich fallen lassen um seinem Schicksal zu entgehen? Sollte er
doch. Bevor er am Boden ankam hätte er ihn noch in der Luft abgefangen
und im Flug zerrissen. Sein Blut würde als leichter Schauer im Tal
niedergehen.
Rophus hatte sich fallen lassen. Aber nicht
über den Rand des Abgrunds, sondern zwei Meter davor. Es hatte tatsächlich
geklappt. Gegen die Sonne gesehen, war der Unterschied nicht zu bemerken.
Als der Drache über ihn hinweg glitt musste er nur noch sein Kurzschwert
heben.
IV Gnade Rophus lehnte sich gegen einen Baum, sank in
die Knie und keuchte schwer.
So weit war bis jetzt noch kein Mensch gekommen.
Ein Keulenschlag, vielleicht ein Schwerthieb sogar. Aber so sehr hatte
ihn noch kein Mensch bis ans Ende seiner Kräfte gebracht.
Rophus sah direkt in den Rachen des "Großen".
Auf diesen Moment hatte er gewartet.
Es war nicht sehr schmerzhaft. Aber absolut
unerwartet. Dieser Wurm war immer noch für eine Überraschung
gut. Mit geschlossenen Augen und schmerzverzerrtem Gesicht, biss er die
Zähne zusammen. Mit der Zunge versuchte er, den Dolch zu lösen.
Es gelang ihm. Zusammen mit etwas Blut und Speichel spie er ihn aus. Hasserfüllt
blickte er auf diese Person, die ihn an sämtliche Grenzen brachte.
Er hatte sich kein Stück bewegt. Wenn Blicke töten könnten...
Jetzt erst stand Rophus auf. Der "Große" war so mit seinen Schmerzen beschäftigt, dass er ihn nicht bemerkte. Er ging erschöpft zur rechten Seite des Halses. Er zog sein Kurzschwert und beobachtete den Hals genauer. Dort war sie. Sie pulsierte stark und rhythmisch. Er legte sein Schwert genau an die Pulsader an und betrachte noch einmal den Körper des Drachen. Ihm fiel die blutverschmierte Hand des "Großen" auf er strich etwas Blut mit dem Finger ab und kostete es. Es schmeckte... leicht süßlich, etwas metallisch. Aber es war nicht das richtige Blut und auch nicht der richtige Drache. Er nahm sein Schwert von der Halsschlagader und schob es zurück in die Scheide. Er würde seinen Schwur nur einmal brechen. Aber nicht jetzt und nicht hier. Rophus holte eine kleine Säge hervor und trennte eines der kleinen Hörner ab. Ob der Drache tot war oder nicht, er hatte den Beweis für seinen Sieg. Wer wollte ihm etwas anderes nachweisen? Irgendjemand hier in der Gegend würde ihm den Tod des Drachen schon lohnen. Für die Menschen war nur ein toter Drache ein guter Drache. Sie waren alle gleich. Er ging zum Rand des Abgrunds. Auf dem Weg
dorthin entfernte er seine Maske und konnte endlich wieder mal richtig
tief durchatmen. Die letzten wärmenden Strahlen der Sonne trafen seinen
Körper.
© Renon
|
Hier geht es zum 2. Teil: "Die Maske"
.