Rophus von Renon
 

3 Die Helden von Trunnar

I Das Tagebuch

2.5.

Lasst mich meine Person zuerst vorstellen. Ich bin Sir Balduin von Heiden. Ich bin eigentlich Leibwächter seiner Lordschaft, dem Herzog von Brunwald. Für ihn führe ich auch dieses Berichtsheft, um meine Reise zu dokumentieren. Ich wurde gestern nach Trunnar geordert, einer großen Handelsstadt, vier Tagesmärsche nördlich von hier. Es heißt, die Stadt wäre von Drachen angegriffen worden. Merkwürdig. Ich habe selbst nie einen Drachen gesehen, geschweige denn gehört, dass sie eine so große Stadt angegriffen hätten. Laut Gerüchten sollen die Mauern schwer beschädigt sein und kein Stein würde auf dem anderen stehen.
Ich werde mir bald selbst ein Bild davon machen. Gleich morgen früh werde ich mit einer Gruppe, bestehend aus 5 Leibwachen, 10 Rittern, 20 Söldnern, sowie meiner Wenigkeit aufbrechen. Da diejenigen unter uns, die kein eigenes Pferd besitzen, eines vom Hof zur Verfügung gestellt bekommen, werden wir mit etwas Glück Trunnar in 1,5 Tagen erreicht haben. Ich bin etwas unruhig aber auch gespannt, was mich erwartet.

3.5.

Wie angekündigt, sind wir heute früh bei Sonnenaufgang aufgebrochen. Mit den Glückwünschen unseres Herzogs und dem Segen eines Bischofs ritten wir in Richtung Norden.

Keine besonderen Vorkommnisse.

Mittlerweile haben wir ein einfaches Lager aufgeschlagen, in dem wir nächtigen werden.
Gleich morgen früh geht die Reise weiter.

4.5.

Kurz vor Mittag kam Trunnar, oder besser gesagt, was davon übrig war, in Sichtweite.
Man war es gewohnt, über die Stadtmauern das Schloss emporragen zu sehen. Nun konnte man durch die vielen Durchbrüche der Mauer hindurch gucken. Von dem Schloss standen nur noch zwei dickere Türme. Wie sich später herausstellte, lag der Rest des Schlosses auf dem Hof davor verteilt. Die Kraft, die diese Zerstörung herbei brachte musste gigantisch gewesen sein. So sah es also aus, nachdem zwei Drachen Amok liefen.

Wir waren überrascht, den Graben, der die Stadt umgab, noch über die Zugbrücke überqueren zu können. Am Eingangstor empfing uns seine Majestät, König Hogan, umringt von einigen leicht angeschlagenen Soldaten. Wir wiesen uns aus und bekamen Zimmer in den noch stehenden Tavernen und Häusern zugewiesen. Morgen würden wir unsere Aufträge erhalten.

Nachtrag:

Es muss kurz vor Mitternacht sein. Der Lärm auf dem Hof riss mich soeben aus dem Schlaf. Eine kleine Truppe weiterer Krieger ist eingetroffen, 10 Mann, schätze ich.

5.5.

Sir Hector, einer der Generäle von Trunnar, ließ alle Gäste auf dem Vorhof des Schlosses versammeln. In eine beeindruckende Rüstung gehüllt (eine geschwärzte Vollplattenrüstung, mit Gold verziert und Dornen auf Schulter- und Gelenkplatten. Dazu ein massiver Zweihänder), kündigte er uns König Hogan an.

Wir bekamen unsere Mission zugeteilt.
20 Söldner sollten mit 8 unserer Ritter sowie den restlichen Soldaten Trunnars hier bleiben und die Stadt vor eventuellen weiteren Angriffen schützen.

Wir 6 Leibwachen, zwei unserer Ritter, sowie 10 Söldner bekamen den Angriffsbefehl auf den Drachen. Zur Seite wurde uns Sir Hector und zwei seiner Schüler gestellt.
Wir sollten nach Osten ziehen, die beiden Drachen, möglichst nacheinander, finden und töten.

Wir Leibwächter erhielten in einem geheimen Treff mit dem König einen zweiten Auftrag.
Kurz vor dem Angriff der Drachen wurde ein Mann vor, später in der Stadt, gesehen, der vielleicht etwas mit dem Angriff zu tun hatte. Er trägt eine graue Gesichtsmaske und eine Lederrüstung, die ihn komplett umgibt. Kein Zentimeter Haut sei zu sehen. Bewaffnung: ein Kurzschwert an der linken Hüftseite und drei von fünf Wurfdolchen an der rechten. Vielleicht trug er weitere Waffen versteckt. Es galt ihn zu finden und, sollte es uns gelingen, ihn lebendig nach Trunnar zu bringen.

Zum Mittag gab es ein kleines Bankett in der besten Taverne, die noch stand. Danach war es wieder Zeit, aufzubrechen. Sir Hector voran gingen wir über die westlichen Felder. 4 Pferde bekamen wir mit auf den Weg, eines ritt Sir Hector, die anderen trugen unser Gepäck.

Mittlerweile ist die Sonne untergegangen und während ich diese Zeilen schreibe, sitzt der Rest unserer Armee um ein Lagerfeuer und lauscht den Geschichten, die Sir Hector zu erzählen weiß. Ich weiß guten Schlaf zu schätzen.

6.5.

Gestern noch zogen wir bequem über die Wiesen, heute wurde der Boden zusehends unebener. Erste Baumgruppen stellten sich uns in den Weg und der Wind wehte hier kräftiger.
Dennoch blieb die Stimmung gut. Die Geschichten Sir Hectors von ruhmreichen Siegen und die Tatsache, dass wir die Ruinen Trunnars schon lang nicht mehr sahen, ließ uns fast vergessen, wie mächtig das war, wonach wir suchten.

Wir trafen auf einen kleinen Wald. Während wir ihn umgingen, bekamen drei Söldner den Auftrag, ihn zu durchkämmen. Vielleicht würde sich ja einer der Drachen darin verbergen. Alles was sich im Wald verbarg, war ein kleiner Sumpf, in dem ein Söldner versunken war, wie die anderen beiden berichteten.

Am Rand eines weiteren Waldes haben wir heute unser Lager errichtet. Ich kann euer Lordschaft nur empfehlen: Wenn er mal auf offenem Felde übernachten will, so soll er sich um Gottes Willen eine ebene Fläche aussuchen. Es liegt sich äußerst unbequem auf wildem Boden. Etwas ab vom Wald wäre es sicher angenehmer gewesen, aber wer mochte in solch einer Gegend unter freiem Himmel schlafen?

8.5.

Euer Lordschaft mögen verzeihen, aber gestern war ich nicht in der Verfassung, zu berichten. Das hole ich jetzt nach.

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Zum 7.5.

Gestern morgen fanden wir einen Ritter, der Nachtwache hielt, tot auf. Zuerst lachten die Männer ihn aus, weil sie meinten, er währe auf die Knie gesunken und nach vorne gebeugt eingeschlafen. Ein Söldner ging hin, ihn zu wecken. Er schüttelte seine Schulter und riss dabei den Oberkörper zurück. Der Kopf fehlte. Einer der Schüler Hectors lief ein paar Meter in den Wald, um sich zu übergeben. Den Mund voll Erbrochenem vermochte er kaum zu schreien, als er den abgerissenen Kopf mit samt Helm vor sich fand.

Niemand hatte in der Nacht etwas gesehen, noch gehört. Was immer dem Armen seinen Kopf gekostet hatte, es war schnell und lautlos. Trafen solche Beschreibungen auf einen Drachen zu? Wenn ja, so waren wir wenigstens auf der rechten Spur.

Wortlos räumten wir langsam das Lager ab. Es dauert fast bis Mittag, eh wir weiter zogen, diesmal durch den Wald. Einer der Söldner war uns etwa eine halbe Stunde voraus, als Späher.
Fast panisch, aber darauf bedacht, keinen Krach zu machen kam er uns entgegen und wies uns an, ihm ruhig zu folgen. Er führte uns zu einer Lichtung, auf der ein schlafender Drache lag.
Er hatte uns den Rücken zugekehrt. Offenbar erkannte Sir Hector in ihm einen der Angreifer Trunnars.
Sein Gesicht wurde wie aus Stein, kurz bevor er sein Visier schloss. Er ging langsam auf die Lichtung zu und wies uns durch Handgesten an, hier zu bleiben. Sir Hector wollte die Gelegenheit nutzen, ihn von hinten zu erschlagen. Er schlich sich mit gezogenem Zweihänder an. Sein Irrtum war fatal. Als er am Schwanz vorbei ging, schlug dieser aus, entriss ihm damit sein Schwert und warf ihn zu Boden. Gerade wollten die ersten ihm zur Hilfe eilen, doch der Anblick des Folgenden ließ alle in ihrer Bewegung erstarren. Der Drache fuhr herum und presste Sir Hector mit einer Hand auf den Boden, mit der anderen Hand riss er ihm in Sekunden die Rüstung von Leib. Wir dachten, er würde ihm den Kopf abbeißen. Aber er hob ihn nur am Kopf hoch, so dass die Rückseite seiner Rüstung am Boden liegen blieb. Der Drache öffnete seine Kiefer ein wenig, schnellte dann mit dem Kopf nach unten und schloss seine Kiefer wieder. Jetzt hingen nur noch ein Paar Beine aus seinem Maul heraus. Der Drache hob seinen Kopf, öffnete sein Maul ein wenig und ließ den armen Teufel in seinen Schlund sacken. Einige Momente später schlug seine Kehle unregelmäßig mal kleine, mal große Beulen. Sir Hector lebte noch und ging einem noch grausameren Tod entgegen, als wir bis dahin vermutet hatten.

Ich schwöre, ich konnte ein Lächeln in den Mundwinkeln des Drachen erkennen, als er uns ansah.
Er breitete seine Flügel aus, hob auf der Stelle ab und flog davon, noch ehe einer von uns nur ein Wort sagen konnte.
Ein Rascheln hinter mir veranlasste mich, mich umzudrehen, so dass ich sah, wie 6 der Söldner flohen. Ich vermag nicht zu sagen, ob sie aus unseren Reihen stammten, euer Lordschaft, das konnte ich in diesem Moment des Schocks nicht erfassen.

Wenn unser Anführer so weit gegen den kleineren Drachen unterlegen war, wie sollten wir dann bloß den großen bezwingen? Unter Anleitung zweier Schüler, von denen einer nicht mal den Anblick eines abgetrennten Kopfes ertrug? 
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Nun, es ist noch früh am Morgen und wir sind gerade dabei, unser Lager abzubrechen. Heute Nacht ist nichts passiert. Aber der Tag hat ja gerade erst begonnen. Es ist wichtig, wachsam zu bleiben, jetzt, da wir unserem Ziel näher kommen. Es fragt sich nur, ob wir noch die Jäger sind.

Weiter zum 8.5.

Immer noch ist die Gesamtstimmung getrübt. Der Verlust von Sir Hector nimmt uns, besonders aber seine Schüler, mit. Da keiner der beiden fähig ist, eine vernünftige Entscheidung zu treffen, habe ich das Kommando übernommen. Mittlerweile haben wir den Wald durchquert und haben nun freie Aussicht auf die östlichen Gebirgsketten.

Von unserem Geheimauftrag ist noch keine Spur in Sicht. Ich denke nicht, dass wir diesen Krieger je zu Gesicht bekommen werden.

9.5.

Die beiden Schüler Sir Hectors haben heute vollkommen die Fassung verloren, als wir wieder vor einem dichten Wald standen. Mit der Bitte um Verstärkung habe ich die beiden zurück nach Trunnar geschickt. Allein ihre Abwesenheit war Grund genug dazu, um die Moral unserer Truppe aufrecht zu erhalten.

Einer der Söldner, die wir als Späher vorausgeschickt hatten, berichtete von einer merkwürdigen Gestalt, die sofort floh, als er sich näherte.
Unser Hauptaugenmerk galt weiterhin den Drachen, aber vielleicht gelang es uns ja auch noch, den Wanderer von Trunnar zu ergreifen. Wenn er diese Gestalt im Wald war, würde das bedeuten, dass er uns ständig vorausläuft. 
Ich überlege, ob er uns zu den Drachen führen könnte.

10.5.

Wir hatten ihn fast, euer Lordschaft! 
Einer der drei Späher kehrte zurück und berichtete von einem Drachen, der die anderen beiden Söldner getötet hatte. Er hätte sich eine Mulde gegraben, sich hineingelegt und sich mit Zweigen, Laub und Ästen bedeckt. Als einer der drei vor seiner Schnauze stand, biss er zu, hob ihn hoch und schleuderte ihn gegen einen nahen Baum. Die anderen beiden rannten in verschiedene Richtungen davon.
Der Überlebende meinte, schon nach Sekunden habe er den Schrei des anderen gehört. Wir folgten der Richtung, die uns der Söldner zeigte und fanden die entzweigerissene Leiche des anderen Söldners.

Etwa hundert Meter vor uns sahen wir eine Lichtung, in deren Mitte den Drachen. Er schien direkt auf uns zu warten. Wir nahmen die Herausforderung an und rückten mit gezogenen Schwertern, der Söldner mit seiner Axt vor. Wir sammelten uns am Rande der Lichtung und formierten uns. Er blickte die Reste unseres Trupps an, mit Zufriedenheit, über das, was er erreicht hatte.

Mit dem Wort "Attacke" lief der Ritter los, wir folgten ihm. Zuerst schien es, als würde das Ungetüm einen Schritt zurückweichen, doch er hob seine Hand nur, um sie auf den Ritter zu stellen. Er zerdrückte ihn in seiner eigenen Rüstung. Aber dafür nutzte der Söldner seine Chance, dem Drachen seine Axt in die rechte Flanke zu schlagen. Bevor er zu einem weiteren Schlag ausholen konnte, wurde er von einem Handschlag des Drachen fortgeschleudert. Doch er gab noch nicht auf. Dieser Söldner wäre sein Geld wahrlich wert gewesen. Während wir Leibwächter den Drachen von allen Seiten attackierten, kehrte er sichtlich angeschlagen zu seiner Trefferstelle zurück. Der Drache schien ihn gar nicht zu bemerken, als er seine Axt wieder aufhob. Während die Schläge unserer Schwerter fast wirkungslos von den dicken Schuppen abprallten und ein weiterer Mann zertreten wurde, gelang es diesem Haudegen doch tatsächlich unbemerkt, seine Axt noch einmal an der gleichen Stelle zu platzieren, wie zuvor.
Der Schrei des Drachen klang wie Musik in unseren Ohren. Um diesen Schrei zu genießen, entspannte sich ein Angreifer der Rückseite einen Moment und wurde im nächsten vom wild umherpeitschenden Schwanz erschlagen.
Der Söldner ließ die Axt stecken, wich von dem tobenden Riesen zurück und sank erschöpft in die Knie. Als der Drache sich wieder gefangen hatte, wendete sich dem knienden Söldner zu und verpasste einem weiteren Mann, der sich zu spät unter seinem Schwanz duckte, einen schweren Schlag gegen den Kopf. Als der Drache mit aufgerissenem Maul auf den Söldner zustürmte, wussten wir, dass es mit ihm zu Ende ging... und dennoch war er für eine Überraschung gut. Kurz bevor sich das Maul um seinen Oberkörper schloss, sahen wir, wie er noch einen Dolch aus dem Stiefel zog und nach oben hielt. Im nächsten Moment spie der Drache den abgebissenen Torso aus, begann zu würgen und spie dann den blutigen Dolch aus.

Bei der Gelegenheit suchten wir mit Schwerthieben weiter nach Schwachstellen im Schuppenkleid. Einer von uns versuchte, sein Schwert dort reinzubohren, wo vor einem Augenblick noch die Axt steckte. Von meiner Seite aus, sah ich nur, wie sich der Kopf des Drachen in diese Richtung wegdrehte. Als er sich wieder hob, hatte er den Wächter quer zwischen den Kiefern und biss ihn in zwei Teile.

Wir entschlossen uns zur Flucht. Ich erreichte knapp den Rand der Lichtung, warf mich hinter einen Busch und drehte mich um, um nach meinem letzten Begleiter zu sehen. Der lag bäuchlings auf dem Boden, die Hand des Drachen auf seinem Rücken. Der Drache senkte seinen Kopf direkt neben den meines Kameraden.
"Und IHR wolltet allen Ernstes gegen Riva antreten?" sprach er. Dann biss er ihm den Kopf ab, sah sich noch einmal um und flog davon, Richtung Westen.
In seinem Zustand würde er es wohl kaum wagen, Trunnar noch einmal anzugreifen. Falls doch, hoffe ich, das sich die Bewohner diesmal besser zu schützen wissen.

11.5.

Ich habe heute, vom Kampf erschöpft, bis Mittag geschlafen.
Ich werde heute noch ein Stück nach Osten gehen und dann umkehren.
Mir klingt dieser Satz jetzt noch im Ohr. Riva... 
Hieß so der große, rote Drache, der über Trunnar gesichtet wurde?
Alleine nach ihm zu suchen, macht in meinen Augen keinen Sinn. Vielleicht finde ich noch eines unserer Pferde wieder, vielleicht sogar den Wanderer. Er ist meine einzige Chance, Antworten zu bekommen.

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einige leere Seiten folgten
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II Kreuzung zweier Wege

Er sollte die einzige Chance dieses Leibwächters sein, dessen Fragen zu beantworten. Rophus blickte vom Berichtsheft auf, in dem er las und sah zu dem toten Mann hinab, der neben ihm lag. "Tut mir leid für dich. Aber ich suche selbst nach Antworten und dabei wärst du mir im Weg." Er sah zu Gebirgskette hinüber, die noch etwa zwei Tage von ihm entfernt lag. "Riva also... ich werde dich schon finden".
Er schlug das Heft zu und legte es neben den Leichnam. Er zog seinen Wurfdolch aus dessen Hals und steckte ihn wieder an seinen Hüftgurt.
Nach einem kurzen Augenblick der Besinnung machte er sich auf den Weg nach Osten.
 

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Hier geht es zum 4. Teil: "Riva"


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