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4 Riva I Sonnenuntergang Noch etwa einen halben Tagesmarsch und er würde die Gebirgsketten erreicht haben. Der "Große" war nach Westen zurückgekehrt. Um Rophus unter den Ruinen von Trunnar zu begraben, hatte er die Hilfe eines zweiten, stärkeren Drachen, einen, der Feuer speien konnte gebraucht. Den Trupp, der ihm anschließend folgte, hatte er allein geschafft. Einundzwanzig Mann und neun Überlebende, die nur am Leben waren, weil sie im rechten Moment den Rückzug antraten. Nachdenklich nährte sich Rophus Schritt für Schritt dem Gebirge. Er allein hatte diesen Drachen einst in seine Grenzen gewiesen und dennoch war er in der Lage, elf Menschen zu töten. War der Drache so stark oder diese Menschen so schwach? Selbst wenn er sich zugestehen musste, dass seine Kräfte und Fähigkeiten die eines normalen Menschen überstiegen, so war dieser Trupp doch eindeutig in der Überzahl. Eigentlich hätten sie gewinnen müssen, aber sie bemerkten ja nicht mal ihren ständigen Begleiter. Rophus stockte. Diese Frage war doch eigentlich
egal. Sie hatten haushoch versagt und hätten ihn auch dem roten Drachen
keinen Schritt näher gebracht. Wären sich ihre Wege näher
gekommen, hätten sie ihn vielleicht sogar aufgehalten. Selbst als
dieser Balduin alleine war, fiel ihm nichts besseres ein, als ihn festnehmen
zu wollen. Er verdächtigte ihn der Hexerei und Dämonenbeschwörung.
Riva! Dieser Name riss ihn aus seinen Gedanken
und er sah auf die Berge. Irgendwo da oben war er... hoffentlich. Er setzte
seinen Weg fort. Das Gelände wurde unwegsam und selbst zu Fuß
schwer zu passieren. Es erinnerte ihn an den damaligen Aufstieg bei Dia
Mons Haus.
Die letzten Strahlen der Sonne verschwanden
hinter den Wäldern und Rophus überkam eine angenehme Müdigkeit.
Schlafen, schlafen... vielleicht auch ein bisschen träumen. Die letzten
Nächte hatte er keine Träume. Die ständige Ungewissheit
um sein Versteckspiel ließ ihn nicht mal während des Schlafes
los.
II Die Vision Er flog. Er flog wieder in weiter Höhe, wie damals, als er noch ein echter Drache war. Aber die Gegend war anders. Keine weiten Felder, keine Wälder, statt dessen steile Berge und tiefe Schluchten. Er sah sich um und erkannte vor sich die Gebirgskette, die zu erreichen er auf dem Weg war. Rophus hörte den Wind rauschen... aber nicht seinen Flügelschlag. Er fühlte sich körperlos und hatte keine Kontrolle über seine Bewegungen. Er senkte seine Höhe, den Blick immer geradeaus gerichtet. Dicht über den ersten Felswänden flog er. Er wich Felsvorsprüngen aus, ohne sein Tempo zu verlangsamen und erreichte die Ostseite der ersten Bergkette. Dieses Gebirge war riesig und es begann jetzt erst richtig. Unter ihm war ein gigantischer Abgrund, vor ihm lag ein Gipfel dessen Höhe und Entfernung von hier aus gar nicht abschätzbar waren. Seine Bewegung wendete sich nach Süden, auf eine lange Schlucht zu. Wieder senkte er seine Flughöhe, so dass er dicht über dem Boden der Schlucht glitt. Mit schwindelerregendem Tempo wich er jedem Hindernis aus, vorbei an kleineren Felsnadeln, knapp unter Felsvorsprüngen hindurch. Sofort wieder ein paar Meter höher, um einem am Boden liegenden Felsbrocken auszuweichen. Links, hoch, runter, rechts, runter. Die Ausweichmanöver waren halsbrecherisch und gelangen immer erst in letzter Sekunde. Nachdem er eine Art Bogen aus Stein passiert hatte, sah er eine Felswand vor sich. Hier endete die Schlucht. Er näherte sich der Wand, zog im letzten Moment hoch und stieg senkrecht an ihr auf. Einige hundert Meter, dann entfernte er sich schnell von der Wand und ließ sich fallen. Er sah die Welt Kopf stehen, während er nach unten fiel. Er sah den Boden immer näher kommen, wurde langsam unruhig. Einige Meter vor dem Aufschlag, machte er eine Wendung und sah die Welt jetzt wieder richtig herum, aber immer noch fallend. Erst dicht über dem Boden wurde sein Fall abgebremst und sofort nach vorne beschleunigt. Es ging zurück durch Passage, durch die er eben gekommen war, nur diesmal noch schneller. Er konnte kaum die Konturen der Felsen um ihn herum erkennen und in wenigen Augenblicken schwebte er wieder über dem riesigen Abgrund. Noch einmal richtete sich sein Blick auf den Berg, der fast in den Himmel zu reichen schien. Dann sah er nach unten und fiel prompt in die Untiefe, dessen Ende nicht in Sicht war. Etwa zweihundert Meter, dann wurde sein Sturz wieder abrupt abgebremst und sein Blick richtete sich nach Osten. Obwohl das Loch in der Felswand vor ihm riesig war, fiel es kaum auf, da hier unten kaum noch Sonnenlicht ankam. Er bewegte sich, immer schneller auf dieses Loch zu. Kurz bevor er den Höhleneingang durchquerte, schlug ihm eine Feuersbrunst entgegen. Er schoss durch sie hindurch, spürte die Hitze, aber keinen Schmerz. Dahinter war nur noch Dunkelheit. Der Luftzug, den er hörte, sagte ihm, dass er sich noch fortbewegte. Er spürte auch die Beschleunigung. Nach wenigen Minuten sah er das Licht am Ende des Tunnels. Es wurde größer und heller. Er fühlte sich geblendet, als er die Höhle verließ und bemerkte die sanfte Verlangsamung seines Fluges. Als er zum Stillstand gekommen war, sah er wieder deutlich und er bemerkte, dass er sich am Fuß des Berges befand, den er von Weitem gesehen hatte. Noch einmal richtet sich sein Blick hinauf bis kurz unter den Gipfel, dann wendete er sich und sah direkt in die Sonne. In einem Augenblick sah er nur noch weißes Licht, dann wurde es langsam dunkel, bis ihn nur noch Schwärze umgab. Rophus öffnete die Augen und sah hinauf in den klaren Himmel. Er wendete sich nach Osten und sah die Sonne über den Bergen aufgehen. Wenn es wahr war, was er gesehen hatte, so hatte es ihm den Weg zum Gipfel gewiesen. Aber was gab es dort zu tun. War es wirklich nur ein Traum? Wurde er von jemanden gerufen? Vielleicht würde er dort den Drachen finden, den er so lange gesucht hatte, vielleicht sogar... Erlösung? Das galt es herauszufinden. III Der Aufstieg Zum frühen Abend hin erreichte Rophus
die erste Klippe, die es zu bezwingen galt. Zwar waren es dreißig
Meter senkrecht, aber verglichen mit den Felsmassiven, die diese Wand säumten,
war sie selbst nur eine kleine Stufe. Wie vor der Mauer Trunnars streifte
er seine Handschuhe ab und rammte seine Krallen in den Stein um sich Stück
für Stück empor zu ziehen. Es erinnerte ihn an seinen ersten
Versuch, seinen Drachen wiederzufinden. Als Mensch hatte er damals zwei
Tage gebraucht, beim zweiten Versuch, zur Höhle am Südhang zu
gelangen, in der Gestalt des Halbdrachen, erreichte er die Höhle in
wenigen Stunden. Genauso wie jetzt "ging" er senkrechte Wände entlang.
Er wollte sich in die Höhle schleichen, den Drachen töten und
die Höhle als Mensch wieder verlassen... irgendwie.
IV Der Zweikampf Rophus wusste, was kommen würde. Er würde
sich allein einem Riesen stellen müssen. Einem großen, roten,
feuerspeienden Drachen. Und diesmal war die Wahl der Flucht- oder Versteckmöglichkeiten
eng. Er war nicht mehr fern. Das Echo der Flügelschläge hallte
von allen Richtungen. Aber die Lautstärke stieg an. Ja, er kam näher.
Dieser Feuerball war größer und riss einen tiefen Krater in den Boden, auf dem Rophus eben noch stand. Durch den Rauch sah sie ihn nicht mehr, aber sie hörte seine Schritte, sein Laufen. Dieser Feigling lief also doch davon. Sie folgte ihm zu Fuß. Riva verfolgte Rophus nicht allein. Immer wieder
schickte sie Feuerbälle voraus, denen Rophus immer wieder ausweichen
musste. Mal hielten sie ihn auf, wenn sie vor ihm einschlugen, schlugen
sie im rechten Moment hinter ihm auf, beschleunigten sie seinen Sprung.
Die Hitze umgab ihn vollkommen und der Boden bebte unter dem Laufschritt
der Drachin.
Wo war er jetzt schon wieder. Wollte dieses Großmaul denn nur noch davonlaufen? Die Einschlagstelle qualmte immer noch stark. Die Lawine stoppte erst dahinter, einige Meter vor dem Abgrund. Irgendwo hier musste er sein. Sie senkte ihre Flughöhe und suchte den Boden nach ihm ab. V Sieg und Niederlage Sie hatte geahnt, dass der Feuerball ihn nicht
getroffen hatte. Aber dass er die Wand hinaufgeklettert war, war ihr entgangen.
Als sie unter ihm flog, stieß sich Rophus von der Wand ab und landete
auf ihrem Rücken. Er wäre sofort wieder runtergefallen, hätte
er sich nicht am rechten Flügelansatz festgehalten. Er zog sein Schwert
und holte aus.
Rophus brach bei der Landung wieder zusammen und hustete etwas Blut hervor. Als er nach vorne sah, erkannte er die Klauen einer von Rivas Händen, die sich mit letzter Kraft an die Kante klammerten. Sie rutschten ab, Riva rutschte ab. Er ging gebückt auf die Kante zu, fiel auf die Knie und sah in den Abgrund. Seit hundertzwanzig Jahren war nicht ein Drache unter seiner Klinge gefallen und diese Mächtige fiel ausgerechnet jetzt, Rücken voran, ihrem Tod entgegen. Sie versuchte noch etwas verzweifelt, mit den Flügeln zu schlagen, hatte aber keine Kraft mehr dazu. Sie konnte nicht mal mehr schreien. Sie warf Rophus nur noch einen letzten, beschuldigenden und verzweifelten Blick entgegen und verschwand dann im Schatten. Eine halbe Minute später hörte Rophus einen leisen Aufprall. Er richtete seinen Oberkörper auf und ließ sich auf den Rücken fallen. Rophus starrte in den Himmel, an dem die ersten Sterne erschienen. Sein Atem ging schwer und rasselnd. Er riss sich die Maske vom Gesicht. Er wartete... auf Schmerzen, auf eine Ohnmacht, irgendetwas, was seine Rückverwandlung ankündigte. Aber es geschah nichts dergleichen. Ermattet schloss Rophus die Augen. VI Der Abstieg Immer noch lag Rophus auf dem Rücken,
als er erwachte. Er erhob sich und stöhnte auf. Er wischte sich das
getrocknete Blut aus dem Gesicht. Die Mittagsonne leuchtete den Abgrund
aus, als er hinunter sah. Am Boden sah er die sterblichen Überreste
von Riva. Er sah auf seine Hände, immer noch mit Schuppen bedeckt
und mit Klauen versehen, und ballte sie zu Fäusten. Er hatte wirklich
nur geschlafen. Riva war umsonst gestorben und sein Schwur war gebrochen
worden. Selbst wenn der, dem er den Schwur geleistet hatte tot war, so
fühlte er sich dennoch enttäuscht von sich selbst. Rophus schaute
wieder in den Abgrund. Weiter höher rechts war der Höheneingang.
Er begann sich erst nach Westen zu hangeln und ließ sich über
dem Eingang langsam hinab. Er spürte seine Kräfte schwinden.
Er verlor den Halt und fiel. Erst nach fast hundert Metern fand er Halt
an einem Felsvorsprung. Sein Fall wurde abrupt gestoppt und er wurde gegen
die Wand geschleudert. Er atmete tief durch, versuchte, nicht zu schreien.
Er sah nach unten, dann nach oben. Die Hälfte des Weges hatte er geschafft,
wenn auch nicht auf die angenehmste Weise. Das Geräusch von brechendem
Stein erklang über ihm. Sekunden später befand er sich wieder
im freien Fall. Er holte mit dem rechten Arm aus und rammte seine Klauen
in die Felsen über der Höhle. Wieder wurde sein Fall gestoppt
und er wurde in die Höhle geschleudert, wo er hart aufschlug. Nach
einigen Minuten stand er wieder auf und sah in den Tunnel. Irgendwo am
Ende der Dunkelheit lag ein riesiger Berg, den es zu erreichen galt.
© Renon
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Hier geht es zum 5. Teil: "Die Halle des Schicksals"
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