Mühsam waren die Schritte geworden, mit
denen er sich fortbewegte. Sein Atem war schwer und seine Füße
brachten ihn fast um vor Schmerz. Selbst für einen wie ihn war es
hier zu anstrengend geworden. Diese Gegend war der tödlichste Abschnitt
seiner Reise. Das Gebirge war tückisch und der Schnee bedeckte die
Gefahren, die unter ihm lauerten. Gletscherspalten konnten hier überall
sein, bedeckt vom Schnee und für Shade unsichtbar. Hier sah alles
gleich aus, so hoch im Gebirge. Weit im Osten war eine Felswand zu
sehen. Die Nistebene von Südlohn lag oben auf dem Gipfel, den sie
trug, umhüllt von Wolken, doch immer noch drohend wie eine erhobene
Faust hoch über dem Lande Berlau.
Shade sah kurz zurück und blieb einen
Moment stehen. Er stützte sich mit den Armen auf seine Knie und atmete
ein paar Mal tief durch. Die Wunde an der Schulter machte sich wieder bemerkbar.
Das tat sie immer, wenn er zum Gipfel der Südlohn hinaufblickte.
Es gab in dieser trostlosen Ebene keine Stelle,
an der man sich mal hätte hinsetzen können, um zu rasten. Alles
war von Schnee und Eis bedeckt. Bis zu den Knien stand Schade in der weißen
Pracht. Gut, dass er sich die Drakenbeinschienen in Valorien hat schmieden
lassen. Sie sind zwar schwer und erschöpfen schnell, wenn man eine
solche Reise antritt, aber sie halten warm und sind kaum klein zu kriegen.
Shade blickte wieder in Richtung Westen. Das
Amulett um seinen Hals funkelte auf. Ja, weiter nach Westen. Dort muss
er hin.
Es ging langsam Berg abwärts. Eine leichte
Senkung. Dann endlich ein paar Felsen, die dicht beieinander aus dem weißen
Meer ragten. Er hielt darauf zu und kletterte auf die niedrigeren Felsen.
Dort setzte er sich und lehnte sich an. Ein wunderbares Gefühl nach
so langer Reise. Shade wuchtete die von Schnee bedeckten, nass glänzenden
Stiefel hoch und schlug die Beine übereinander. Die dunkelroten Drachenschuppen,
mit denen die Stiefel vollkommen beschlagen waren, waren nur schwer unter
der dicken Schneeschicht zu erkennen. Die schwarze, lederne Hose seines
Gewands war völlig durchnässt. Shade nahm das lange, in schwarzes
und graues Wolfsfell eingewickelte Schwert von seinem Rücken. Dann
legte er die schwere schwarze Fellkutte ab. Das schwarze Seidengewand darunter
kam zum Vorschein. Die dunkelroten Handschuhe zog er auch aus. Sie hielten
zwar warm, waren gleichzeitig aber auch lästig und schwer, wenn man
sich nicht gerade in einem Kampf befand, denn dafür waren sie geschmiedet
worden. Sie waren aus dem selben Material wie die Stiefel. Genug war ja
da gewesen.
Shade hatte damals sogar mit dem Gedanken
gespielt, sich aus den großen Schuppen des Drachen einen Harnisch
anfertigen zu lassen. Wann kriegt man schon mal die Chance, sich eine komplette
Rüstung aus Drachenschuppen zu eigen zu machen. Doch das wäre
zu schwer gewesen, um es auf dieser langen Reise zu tragen. So beschränkte
er sich auf die Stiefel, die Handschuhe, und die Schultern seiner Kutte.
Das war schon fast zu schwer.
Die Schuppen hatten sie dem Drachen abgenommen,
den sie in Valorien getötet hatten. Sie. Shade dachte zurück.
Dachte an die Anderen. Was sie wohl in diesem Moment machten? Kia würde
sicher nach Süden wandern, um ihre Familie in Bewad zu besuchen, ein
langer Weg, aber wenigstens über Strassen. Wahrscheinlich hat sie
mit ihrem unglaublichen weiblichen Charme einen Händler dazu gebracht,
sie mitzunehmen. Und Rowland, der würde sicher immer noch in irgendeinem
Gasthof in Valorien sitzen und Mädchen an den Hintern grabschen. Er
konnte es sich leisten. Jetzt, wo sie alle so viel Geld hatten. Shade lächelte
bei diesem Gedanken. Rowland, der alte Weiberheld.
Und Rio. Was wird wohl Rio tun? Er wusste
es nicht. Das kleine Mädchen, das so sehr zu allen aufsah in der Gruppe.
Was wird sie tun? Wahrscheinlich hängt sie sich an irgendjemanden
ran.
Kortas. Der Schweigsame. Er wird sicher auf
dem Weg ins Nordgebirge sein. Zurück in die Wälder an den Hängen,
zu seinen Leuten. Die Waldelfen werden ihn sicher schon vermisst haben.
Aber genug der Vergangenheit. Diese Leute.
Shade wird sie vielleicht nie mehr wieder sehen. Gut, dass niemand von
ihnen weiß, wohin ihn seine Reise wirklich führte. Sie wären
ihm gefolgt, und hätten ihn dann nur behindert.
Mit dem Rücken an den Felsen gelehnt
saß er da. Immer noch genoss er die Ruhe seiner Rast. Das Bündel
Fell, welches sein Schwert einhüllte, lag an seiner Seite. Die lange
Kette am Knauf der Waffe guckte oben am Ende des langen Fellbündels
heraus. Shade hielt den goldenen Anhänger in der Hand, der an ihrem
Ende befestigt war. Beidseitig waren darauf die Runen der Schmiede geprägt,
aus der die Waffe kam. Schon lange gab es dieses Haus nicht mehr.
Er brach wieder auf. Die Rast war vorüber
und der Weg war noch weit. Shade legte seine Kutte wieder an und nahm das
Schwert. Dann schnallte er es wieder um und ließ es über den
Rücken hängen. Die ersten Schritte fielen schwer. Der nächste
würde ihn wieder in die Kälte des Schnees treiben. Doch plötzlich
hielt er ein. War da nicht was?
Die Hand schnellte nach hinten und zog blitzschnell
einen kleinen Dolch aus der schweren Kutte. Noch in derselben Bewegung
drehte sich Shade um und sah auf seinen Gegner. Doch was er erblickte verwunderte
ihn. Eine Kleine, unbewaffnete und ungefährliche Gestalt. In Fell
eingewickelt und vor Kälte zitternd stand sie dort, am anderen Rande
des kleinen Felsens.
Das junge Gesicht schon fast ganz blau gefroren.
Shade ließ den Dolch fallen.
"Rio!!"
War sie ihm gefolgt? Das kleine, schwache Mädchen.
War sie ihm den ganzen Weg gefolgt?
Shade zog die Kutte aus und warf sie dem Mädchen
um die Schultern. Sie brach unter dem Gewicht zusammen und schlug unsanft
mit den Knien auf dem Boden auf. Die kleine Gestalt des Mädchens verschwand
fast komplett zwischen den Fellmassen der Kutte. Nur der Kopf guckte noch
raus. Shade setzte sich vor ihr auf den Boden. Und sah ihr ins Gesicht.
"Wieso folgst du mir?"
"I-I-Ich wusste niemanden s-s-sonst."
Das Mädchen war wirklich durchgefroren.
Kein Wunder, der Schnee hier reichte ihr an manchen Stellen fast bis zum
Bauch.
"Aber was ist mit den anderen?"
"S-Sie wollten m-m-mich wieder zur-r-rück
bringen ins Kloster." Sie schüttelte den Kopf. "Das w-wollte ich nicht."
"Wäre vielleicht besser so für dich."
"Nein. I-Ich werd da nicht wieder hin gehen,
Shade. Niem-m-mals."
Shade sah ihr tief in die Augen. Dann schüttelte
er mit einen leicht verzweifelt wirkendem Gesichtsausdruck den Kopf. Rio
lächelte etwas, sofern die halbgefrorenen Muskeln ihres Gesichts so
was wie ein Lächeln zuließen. Auch Shade musste nun etwas lächeln,
als er das Mädchen ansah, obwohl er innerlich eigentlich eher wütend
war. Sie hätte ihm nicht folgen sollen.
Er nahm das Mädchen kurz in die Arme
und drückte sie an sich.
"Na, tau du erst mal wieder auf, dann erzähl
mir alles!"
So dauerte die Rast etwas länger. Die
Nacht war fast schon vorbei. Es hatte die ganze Zeit geschneit und es schneite
immer noch. Dicke Flocken stürmten wie eine Armee der Kälte vom
Himmel herab. Die kleine Feuerkugel leuchtete zwischen den weißen
Schneefronten. Eine kleine Spalte zwischen zwei Felsen war zur Höhle
geworden. Shades Kutte war als Dach über den kleinen Zwischenraum
gespannt. Nur zu einer Seite war die Nische offen. Der Spalt ins Innere
wurde durch die etwa faustgroße Feuerkugel, die ein paar Fuß
über dem Boden schwebte, vorm zuschneien bewahrt. Shade bemühte
sich, sie am brennen zu halten. Der Zauber war nicht schwer. Alle Dunkelelfen
beherrschten ihn, so hatte es ihm sein Vater gelehrt. Aber so lange eine
Kugel aufrecht zu erhalten war er nicht gewohnt. Doch der Schneesturm ließ
langsam nach. Nicht mehr lange und es würde sicher aufhören.
Shade sah neben sich auf die kleine, zusammengekauerte
Gestalt. Rio. Das Mädchen muss viel mitgemacht haben auf ihrer Reise.
Sie war erschöpft. Sehr erschöpft. Sie hatte die ganze Nacht
durchgeschlafen und noch immer schien es, als wäre sie tief im Reich
der Träume versunken.
Nach ein paar Stunden hörte es auf zu
schneien. Die Kugel aus Feuer und Hitze, die Shade beschworen hatte, war
schon längst erloschen. Die Kutte über seinem Kopf hing weit
nach unten durch. Eine Menge Schnee schien darauf zu sein.
"Hey!"
Shade stieß das Mädchen neben sich
sanft an.
"Steh auf! Wir müssen weiter."
Nur ein leises hmm war zu hören. Dann
richtete sich der kleine Körper etwas auf. Sie murmelte etwas, aber
Shade konnte nicht verstehen, was sie sagen wollte. Schließlich ließ
sie sich wieder fallen und wollte weiter schlafen. Ein weiterer, etwas
festerer Stoß. Rio richtete sich wieder auf und sah verschlafen und
mit halb offenen Augen zu ihrem Gefährten rüber. Sie war nicht
wach genug, um auszuweichen.
Die Kugel aus Schnee zerplatzte in ihrem Gesicht.
Ein Lauter Aufschrei war zu hören.
"Bist du denn Wahnsinnig???"
Shade stand schon vor der kleinen Höhle.
Er sah durch den Spalt zu Rio hinab und klatschte sich mit einem hinterhältig
wirkenden Lächeln auf den Lippen den restlichen Schnee von den Händen.
"Komm schon. Wir haben genug Zeit verschwendet!"
Mürrisch und leise Flüche flüsternd
kroch Rio aus dem Dunkel der Höhle hervor. Shade packte den Kragen
seiner Kutte.
"Pass auf!"
"Was?"
Mit einer schnellen, ruckartigen Bewegung
riss Shade die Kutte von den Felsen herunter. Im hohen Bogen wurde der
Schnee darauf durch die Luft geschleudert. Das lange Kleidungsstück
wirbelte herum und erwischte Rio, die sich gerade den Schnee aus dem Gesicht
wischte. Sie verlor das Gleichgewicht und fiel von dem kleinen Felsen in
die Schneefelder hinunter. Als sie sich wieder aufrichtete, sah Shade sie
von oben herab an.
"Ich sagte doch, pass auf."
"Sehr witzig!!"
Schnell war die Kutte wieder übergestreift,
und Shade ließ sich in das Schneefeld gleiten. Er kramte das Amulett
unter den vielen Schichten seines schwarzen Gewands hervor und warf einen
Blick darauf. Das kleine Mädchen sah hoch. Sie war damit beschäftigt,
sich den Schnee von den Kleidern zu klopfen.
"Hast du das immer noch?"
"Ja natürlich."
"Und es zeigt dir immer noch den Weg an?"
Shade schob den kleinen Anhänger wieder
unter das Gewand zurück und sah zu dem Mädchen runter.
"Ja. Wieso sollte es das nicht mehr tun?"
"Ich weiß nicht. Sachen gehen halt kaputt
mit der Zeit..."
Shade wandte seinen Blick in Richtung Westen.
Er war wieder ernst geworden. Die Tatsache, dass Rio nun hier war, hatte
seinen ganzen Plan durcheinander gebracht. Aber was sollte er tun? Er konnte
sie ja nicht hier erfrieren lassen.
Eine Weile waren sie gegangen. Shade vorne
und Rio hinter ihm in der Furche, die er durch den Schnee zog. Gedanken
schossen Shade durch den Kopf. Wo sollte er Rio lassen, wenn sie in Nefarat
angekommen waren. Er konnte sie ja unmöglich mitnehmen ins Fürstenhaus.
"Du hast mir immer noch nicht erzählt,
wieso du mir gefolgt bist."
Shade drehte sich bei diesen Worten nicht
um. Er ging einfach weiter durch das Schneefeld.
Rio sah zu ihm auf. Den ganzen Weg hatte Shade
kein Wort gesagt. Nun sprach er sie an und wandte ihr noch nicht mal den
Blick dabei zu. Ihr Blick sank wieder auf den Boden. Das Gefühl, hier
fehl am Platz zu sein, machte sich in ihr breit. Was war wohl los mit Shade?
Was konnte ihm solche Sorgen bereiten?
"Nun?"
Rio erwachte aus ihren Gedanken.
"Ich... Ich weiß nicht."
Sie wusste es wirklich nicht. Der einzige
Grund, der ihr einfiel, war, dass die Anderen sie alle ins Kloster zurück
bringen wollten. Das stimmte aber nicht. Sie wusste das, aber sie hatte
es sich als Grund immer wieder eingeredet. Nach einer kurzen Denkpause
sprach sie weiter.
"Ich wusste nicht, wohin in Valorien. Kia
und Kortas, sie gehen zurück in ihre Heimat."
Shade zeigte keine Reaktion. Keine Antwort.
Also redete Rio einfach weiter.
"Und ich habe keine Heimat. Nichts wo ich
hin zurückkehren könnte. Keine Mutter, keinen Vater."
Sie sah wieder zu Shade hoch.
"So wie du, Shade. Vielleicht bin ich deswegen
gerade dir gefolgt..."
Shade hielt an. Rio wäre fast mit ihm
zusammen gestoßen. Er blickte starr in die Ferne und nach einer Weile
sagte er:
"Jeder hat irgendwo einen Vater und eine Mutter,
Rio."
Shade hatte seine Mutter nie gekannt. Er konnte
sich zumindest nicht an sie erinnern. Sein Vater hatte ihn großgezogen.
Hatte ihn vieles gelehrt. Doch auch er ist nun nicht mehr. Er starb in
einer Schlacht um seine Heimatstadt. Gefallen im Kampf gegen Morgarads
Armeen. Aber sie hatten es trotzdem geschafft. Sein Tod war nicht umsonst
gewesen. Die Stadt ist nicht gefallen. Nach den Konflikten von damals war
sie wieder auferstanden und ist nun zu großem Ruhm und Reichtum gekommen.
Händler aller Rassen und Branchen ließen sich dort nieder. Gilden
errichteten ihre Häuser und Tempel dort. Esgalia. Die Hauptstadt der
Dunkelelfen. Irgendwann würde Shade dort hin gehen. Irgendwann. Dieser
Traum flammte heute noch genauso in ihm auf, wie damals in seiner Kindheit.
Lang zog sich die Spur der beiden Reisenden
durch den tiefen Schnee. Mehrere Stunden waren sie unterwegs gewesen. Nun
lag ein kleiner Hang vor ihnen, den es zu bezwingen galt.
Shade sah hinunter auf die Ebene unter ihnen.
Etwa ein Kilometer im Nordwesten sollte ein Pass über das Gebirge
führen. Er konnte ihn noch nicht sehen, aber er musste da sein. Der
Mann, der ihm den Weg beschrieben hat, sprach mit Furcht von diesem Pass.
Aber es war der einzige Weg, der schnell genug ins Westliche Reich führte.
Es war leichter als erwartet, den Hang herab
zu steigen. Auch Rio schien es keine Schwierigkeiten zu bereiten. Sie war
zwar noch klein und jung, aber klettern konnte sie. Der Abhang war auch
nicht so steil. Weiter unten konnte man schon fast wieder aufrecht laufen,
ohne vorn über zu kippen. Und wieder trieb ihr Weg sie hinab in den
Schnee. Nur war er hier nicht so tief. Es ging wieder etwas bergauf. Eine
flache Erhöhung, die sich weit in Richtung Westen zog. An deren Höchstpunkt
stellte sich ihnen eine niedrige Reihe Felsen in den Weg. Sie waren zu
steil, als dass man ohne Hilfsmittel hätte darüber klettern können.
Diese Hilfsmittel hatten die beiden nicht, also blieb ihnen nichts anderes
übrig, als in Richtung Norden die Felswand entlang zu wandern.
Schließlich fanden sie eine Lücke.
Ein wenig mussten sie klettern, dann konnten sie bequem über einen
schmalen Pfad zwischen den Felsen entlang ihren Weg fortsetzen. Nach einer
Weile kamen sie auf der anderen Seite der kalten Felsen wieder raus.
Shade sah sich um. Er stand auf einem Podest,
etwa 20 Meter über dem Boden. Im Westen zogen sich noch höhere
Berge entlang. Die Schneise zwischen diesen Felsen und denen, die die beiden
durchwandert hatten, war etwa 70 Meter breit. In der Mitte verlief ein
langer, dunkler Streifen, der die ganze Schneise entlang in Richtung Norden
führte und schließlich in der Ferne hinter den Felsen verschwand.
Das war er. Das war der Igarlatapass.
Von dem Vorsprung, auf dem sie standen, führte
eine lange befestigte Steintreppe hinab auf den Boden. Sie war aus demselben
Stein, wie die Felsen, aber natürlich war sie nicht. Jemand hatte
sie hier hin gebaut. Keine Menschen. So viel war klar. Die Stufen waren
viel zu groß und zu breit, als dass sie von Menschenhand gebaut sein
konnten. Fast einen halben Meter hoch war jede Stufe. Sollte es etwa ein
Pfad der Orks sein? Shade hatte gehört, dass es in dieser Region Weißhäute
geben sollte, eine Unterrasse der Orks, die die Kälte des Nordens
der Wärme im Süden vorzog. Man traf sie öfters in den Gebirgszügen
dieser Region an.
Geschafft. Ein platt getrampelter Weg führte
zwischen Felsen hinab in den Schnee. Hier war er nur noch knöcheltief.
Zwischen den Felswänden kam nicht viel davon runter.
"He, Shade ich..."
Shade hielt seine Hand warnend hoch. Er sah
Rio an und dann deutete er auf den etwa 30 Meter entfernten Pass. Schnell
gingen die beiden im Schatten der Felswand in Deckung. Die Steinbrocken
vor ihnen und um sie herum boten guten Schutz.
Auf dem Weg zogen ein paar Gestalten entlang.
Große, geradezu hünenhafte Erscheinungen. Waren das die Orks?
Nein. Sie gingen zu aufrecht. Und ihre Kleidung. Shade konnte es nicht
genau erkennen, aber es sah nicht aus wie die lieblos zusammen genähten
Fetzen Stoffs eines Orks. Das könnten Krieger des Nordreiches sein,
dachte sich Shade. Packtiere. Erst jetzt sah er sie. Die drachenähnlichen,
weißen Tiere, die sich neben den Leuten den Weg entlang schoben.
Drei Stück waren es. Zumindest konnte er drei erkennen. Und dann sah
er immer mehr Leute, die dazwischen entlang liefen. Alle waren in weiße
Felle gehüllt. Es war schwer, sie zu erkennen.
"Woah..."
Rio schien sehr beeindruckt.
"Wie viele sind da?" fragte sie Shade leise.
"Ich weiß nicht. 12 sehe ich gerade."
"Gehen wir näher ran?"
Shade sah das Mädchen neben sich an.
"Bist du wahnsinnig?"
"Was, wenn die nur Händler sind, oder
so was?"
"Glaub ich nicht."
Ein lautes Schnauben unterbrach die Diskussion
und erweckte die Aufmerksamkeit der beiden Gefährten. Eines der Lasttiere
schnaubte und schien zu schnuppern. Immer wieder drehte es den Kopf in
die Richtung der beiden. Es schien, als hätte es sie entdeckt, aber
der Mann, der das Tier zügelte schien es beruhigen zu wollen und er
schaffte es auch. So zogen die Leute weiter.
"Puh"
Shade war die Erleichterung ins Gesicht geschrieben.
Was war das? Eine Kutsche erschien. Gezogen von zwei roten Lastdrachen.
Prächtige Tiere. Größer als Pferde und über und über
mit Muskeln bepackt. Sie zogen eine schwere, reich mit Schnitzereien und
silbernen Skulpturen verzierte Kutsche den Pass entlang. Das Wappen auf
der Kutsche war Shade wohl bekannt. Valenta Vilathia. Die Magiergilde des
Nordens.
Shade und Rio warteten bis die Soldaten und
die Kutsche vorbeigezogen waren. Dann setzten sie ihren Weg fort. Die beiden
liefen auf den Pass zu. Der breite, von Schneematsch und kleinen Steinen
bedeckte Weg war etwas rutschig, aber eine willkommene Abwechslung zu den
Schneefeldern. Shade sah in Richtung Süden den Weg entlang. Dann richtete
er seinen Blick in Richtung Norden. Die Geräusche der Tiere und der
Krieger waren verklungen. Rio sah sich um.
"Meinst du, da kommen noch mehr?"
Shade zögerte mit seiner Antwort. Es
konnte gut sein, dass noch mehr von denen diesen Weg nehmen könnten.
Obwohl es nicht die klügste Taktik wäre. Schließlich könnten
sich überall Räuber der Weißhäute versteckt halten.
Da wäre es besser, in einer großen Gruppe zu reisen, als in
vielen kleinen. Andererseits könnten die nordischen Menschen von den
Orks im Gebirge hier gar nichts wissen und deshalb diese Gefahr überhaupt
nicht wahrnehmen.
Shade wusste die Antwort nicht. Aber er wollte
das Kind nicht verunsichern.
"Nein. Ich denke, sie werden in einer großen
Gruppe reisen. Da sind sie besser gegen Räuber geschützt."
Rio nickte verunsichert.
Die zwei setzten ihren Weg fort. Anfangs gingen
sie langsam, um der Reisegruppe des Nordens einen Vorsprung zu geben. Es
war zwar nicht gesagt, dass sie feindlich gesinnt waren, aber man konnte
nie wissen. Die nordischen Menschen waren sehr eigenartig. Und es beunruhigte
Shade, das die Magiergilde sich anscheinend mit den Kriegern zusammen getan
hatte. Gerade im Norden gab es hier eine strenge Trennung. Aber das war
erst einmal nebensächlich.
© V.Geist
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse
bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
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