Schattenläufer von V.Geist
Kapitel 2 (2): Düstere Legenden (2)

"Was zur Hölle ist da passiert?"
Hilda, das blonde hübsche Mädchen, hatte angefangen zu weinen. Das andere Mädchen war bei ihr und versuchte sie zu trösten. Faranim, der Junge, um den sie sich gesorgt hatte, war zwar wieder in Sicherheit, aber es schien ihr Angst zu machen, dass dort draußen etwas schreckliches lauern könnte. Die Anspannung war allgemein sehr groß. Man konnte sie förmlich spüren. Die Mädchen weinten und saßen immer noch an der Tür. Shade hatte sich an eine breite, massive Säule aus Holz gelehnt, die die Decke stützte. Er hatte sich mittlerweile etwas mehr angezogen. Eine weite dicke Jacke aus Baumwolle und an den Armen und den Schultern mit schwarzem Leder versehen bedeckte nun seinen Oberkörper. Der Wirt hatte sie ihm gegeben, als er frierend in der Eingangshalle wieder ankam. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und ein Bein über das andere gelegt. Die Haare waren immer noch durchnässt und fielen ihm tief ins Gesicht. Er blickte schon seit einiger Zeit nur noch den Boden an. So sah er häufig aus, wenn er nachdachte.
Nareid saß nicht weit entfernt auf einem hölzernen Stuhl. Der Wirt, einer der Bauern und die beiden Druiden waren bei ihm und versuchten ihm zu helfen, sofern sie überhaupt wussten, was nicht stimmte...
Zwei andere Bauern standen Shade gegenüber. Sie lehnten an einer anderen Säule und versuchten ebenso ruhig und gelassen zu sein wie er. Aber die Angst und die Sorge um ihren Freund stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Zwischen ihnen und Shade lief Faranim ständig auf und ab. Er war der gewesen, der zu Shade kam, nachdem er den anderen gefunden hatte.
Der Junge schien zu Recht sehr aufgewühlt zu sein.
"Was ist das? Wie kann so was passieren? Wer ist da draußen?"
Er wandte seinen Blick Shade zu, der ihn fragend ansah.
"Ich weiß es nicht."
"Aber es muss doch eine Erklärung dafür geben!"
"Sicher gibt es die!"
Ein Junge von den anderen Bauern hatte sich gemeldet. Er trat einen Schritt vor.
"Irgendjemand schleicht um dieses Haus. Mit welchen Absichten auch immer. Und er hat Nareid ziemlich übel zugerichtet."
"Was ist", erklang eine zarte, junge Stimme von der Seite, "wenn es nicht jemand ist. Sondern etwas?"
Alle im Raum sahen das Mädchen neben Hilda an. Sie spekulierte auf den Dämon, das war allen klar. Und das Unbehagen, was sie über ihren eigenen Einfall empfand, war ihr deutlich anzusehen.
Faranim ergriff wieder das Wort.
"Quatsch. Was sollte denn der Dämon hier wollen?"
"Ich glaube," wurde eine Stimme von der Seite laut, "wir sollten das nicht ausschließen!"
Es war der Wirt. Er stand immer noch bei Nareid und den Druiden.
"Was?"
Einer der Druiden kam ein paar Schritte vor und streifte die Kapuze ab. Zum ersten mal sah Shade das Gesicht dieses Mannes. Ein anscheinend etwas älterer Mann. Mitte 40 vielleicht. Er hatte sich eine Glatze geschoren, wie alle Druiden, und er wirkte sehr ruhig. Mit einer lauten, aber überraschend angenehmen Stimme sprach er plötzlich zu den Leuten, die sich versammelt hatten.
"Wir wissen nun, was dem Mann fehlt."
Alle sahen den Mann erwartungsvoll an. Nach einem kurzen Blick über die Schulter sprach er weiter.
"Man hat dem Jungen die Zunge raus geschnitten!"
Entsetzen spiegelte sich in den Gesichtern der Anwesenden wider. Faranim war nun sichtlich aufgebracht.
"Da seid ihr dran Schuld!"
Er deutete auf den Druiden, der weder zur Seite wich, noch widersprach oder auch nur ein bisschen die Miene verzog.
"Hey Faranim, das bringt doch jetzt nichts!"
Einer der Bauern, die Shade gegenüberstanden, war einen Schritt auf seinen Freund zugegangen. Er versuchte ihn zu beruhigen. Aber das sollte nicht  funktionieren.
"Ihr verdammten Druiden. Gebt wenigstens zu, dass es eure Schuld ist!"
Er kam dem Druiden nun gefährlich nahe.
Plötzlich spürte Faranim eine starke Hand auf seiner rechten Schulter, die ihn zurückzog. Als er sich umdrehte, sah er in die Augen von Shade, der nun ruhig und gelassen anfing zu reden.
"Lass ihn. Es gibt im Moment Wichtigeres, als voller Verzweiflung einen Schuldigen zu suchen!"
"Und was soll das bitte schön sein."
Shade wandte seinen Blick über die Schulter den Mädchen an der Tür zu und ließ Faranims Schulter wieder los. 
"Das Mädchen, das mich geholt hat, sagte, ihr wäret zu dritt raus gegangen. Aber nur du und Nareid seid wieder zurückgekommen. Nun frage ich mich, wo der dritte von euch ist."

"Belenat!!!"
Die Schreie hallten durch den Regen und die Finsternis der Nacht. In all dem Aufruhr hatte Faranim glatt vergessen, dass sie ja zu dritt raus gegangen waren. Voller Verzweifelung und Wut auf sich selbst lief er hinaus in die Nacht, um seinen Freund zu suchen. Shade war ihm gefolgt und mit ihm die anderen beiden der Bauern.
Sie waren etwas jünger, so um die 18 und anscheinend Brüder.
Faranim war mit den Nerven am Ende. Er hätte sich wahrscheinlich am liebsten selbst dafür geschlagen und gefoltert, dass er seinen Freund vergessen hatte. Voller Sorge und Angst lief er durch den Regen und rief immer wieder den Namen seines Kameraden.
"Belenat!!!"
Sie umrundeten das Haus. Faranim lief unruhig und aufgeregt voraus. Die Angst vor dem Unbekannten und der Finsternis schien ihn verlassen zu haben und von der Angst um seinen Weggefährten Belenat übertrumpft worden zu sein. Shade folgte ihm mit ruhigem Schritt und sah sich aufmerksam in der Umgebung um. Man konnte nicht weit sehen. Diese Seite des Hauses lag im Schatten des Mondlichtes und war so noch tiefer ins Schwarz der Nacht eingetaucht als der Rest der Umgebung. Die anderen beiden folgten Shade. Sie sahen sich immer wieder nervös um. Anscheinend machte ihnen die Dunkelheit doch etwas zu schaffen.
Alle vier waren nun bewaffnet. Sie hatten ihre Schwerter aus ihrem Zimmer geholt, aus Angst vor dem unbekannten Feind, der sich hier draußen rum treiben könnte. Nein. Der sich auf alle Fälle hier rum trieb. Die Tatsache, dass Nareid die Zunge genommen wurde, deutete auf eine bestimmte Art Dämon hin, mit der Shade schon mal konfrontiert worden war. Die ganze Zeit, seit der Wirt davon berichtet hatte, hatte Shade darüber nachgedacht, woher er diese Geschichte mit der raus geschnittenen Zunge kannte. Als sie dann bei Nareid feststellten, dass die Zunge fehlte, war es ihm wieder eingefallen.
"Ähm, Herr..."
Die Stimme kam von den beiden Jungs hinter ihm. Er drehte sich um. Der Regen klatschte ihm in sein Gesicht und ließ Strähnen seiner langen schwarzen Haare nach vorne fallen, die er mit einer eleganten Geste wieder zurück warf.
"Shade. Was ist?"
Die beiden waren verängstigt, das konnte man sofort sehen. Verständlich, dachte sich Shade. Sie mussten schon viel in dieser Nacht miterleben, was die Angst in einem geradezu schlagartig wuchern ließ.
"Wir haben uns gefragt, was wir tun werden, wenn wir mit diesem... Dämon oder was es auch ist konfrontiert werden..."
Shade sah nachdenklich in die Nacht raus. Er wusste es ja selber nicht.
"Wir werden..."
Ein Schrei unterbrach ihn und er fuhr schlagartig herum. Faranim rannte plötzlich los und sofort erkannte Shade auch warum. Eine Gestalt stand dort. Ein Mensch. Er hatte die Arme ausgebreitet und kam auf die vier zu.
"Belenat!"
Hallte es von hinten und die beiden anderen Jungen rannten an Shade vorbei. Die Erleichterung war sogar ihm ein wenig ins Gesicht geschrieben, auch wenn er diesen Jungen nicht kannte.
Doch etwas machte diese Situation für ihn unsicher. Eine böse Vorahnung überkam ihn und ehe er zu den anderen gehen konnte, um ihnen dies mitzuteilen, war ihm auch schon klar warum.
Drei leuchtende, rote Schlitze taten sich auf, weit über dem Kopf von Belenat und ein grausiges Knurren erhallte. Kaum wahrnehmbar aber erschreckend bedrohlich. Ein Blitz erhellte kurz die Umgebung und die Konturen einer großen, entfernt an einen Menschen erinnernden Gestalt waren schwach in seinem Licht zu erkennen... 
Shade fiel plötzlich alles wieder ein.
Ein Bulgarnit.

Ein Stachel schnellte nach vorne und durchstieß von hinten Belenats Brust. Faranim, der kurz vor ihm zum Stehen gekommen war, war nur kurz davor gewesen, auch in den langen, scharfen Stachel der Bestie zu rennen. Blut spritzte ihm ins Gesicht und ein entsetzlicher Schmerzensschrei seines Freundes Belenat war in der Nacht zu vernehmen. Die beiden Bauern, die noch nicht so nah waren, drehten sich entsetzt um und rannten zurück. Sie schienen nicht zu begreifen, was vor sich ging, sie folgten einfach dem Instinkt zu fliehen und rannten so wieder auf Shade zu. Als dieser seine Waffe zog blieben sie stehen und taten es ihm mit zitternden Händen gleich.
Ein lang gezogener Schrei der Verzweifelung war zu vernehmen und das nächste, was Shade sah, war Faranim, der im Matsch vor der riesigen Gestalt kauerte und seinen toten Freund Belenat in den Armen hielt. Er schien selbst noch nicht realisiert zu haben, was geschehen war. Die Schreie von Shade und den anderen schien er zu überhören.
"Faranim! Komm da weg!!"
"Mach schon!!!!"
Er drehte sich nur kurz um und auf ein zischendes Geräusch hin, das aus der Richtung des Dämons her zu kommen schien, wandte er sich wieder der Dunkelheit vor ihm zu. Shade kam dieser Augenblick wie eine Ewigkeit vor. Als würde alles in Zeitlupe ablaufen. Noch bevor sich Faranim wieder komplett umgedreht hatte, um zu sehen, was da vor ihm in der Finsternis lauerte, zischte wieder ein Stachel herab und der gespaltene Schädel des Bauern fiel in den Matsch. Wieder ein Blitz und in seinem Schein erkannte Shade das groteske, auf grausamste Art und Weise entstellte Gesicht des Dämons. Mit den drei roten, leuchtenden Augen, die nun direkt in die Richtung der dreien starrten, die noch übrig waren.
Die anderen zitterten vor Entsetzen und wären am liebsten gerannt, anstatt hier weiter in der Gegenwart ihres Todes zu sein. Doch ein letztes Fünkchen Mut und der langsam in ihnen aufkommende Drang nach Rache fesselte sie an diesen Ort.
Shade spürte die Wut und den Hass, der in ihm aufkam. Wärme durchfuhr seine Arme und ging in sein Schwert über, das im Regen vor ihm in seinen Händen ruhte.
Ein drohendes Knurren des Dämons, diesmal wesentlich lauter und beängstigender, war zu vernehmen.
Nur einen Augenblick brauchte Shade noch. Einen kurzen Augenblick, um sich auf den Kampf vorzubereiten. Dieser Gegner war von einer anderen Art als die Drachen aus dem Gebirge. Er war stark, groß und zu allem Überfluss noch übermäßig intelligent... für einen Dämon.
Shade lenkte Magie in sein Schwert. Ein Feuerzauber, wie es für die Dunkelelfen üblich war, mit dem er die Schneiden seiner Klinge erhitzte bis sie in der Dunkelheit der Nacht aufglühten und die Umgebung in ein leichtes, rötliches Licht tauchte, wie von einem Lagerfeuer. Jeder einzelte Tropfen, der die Klinge berührte verdampfte schlagartig und hinterließ nur noch ein zischendes Geräusch in der Nacht.
Jetzt konnte es beginnen.

Der Bulgarnit kam langsam und bedrohlich ein paar Schritte näher. Die mächtigen Füße versanken bei jedem Schritt etwas im matschigen Boden. Das Geräusch brechender Knochen war zu hören, als er auf Faranims Leichnam trat und es machte die beiden Jungs neben Shade fast verrück, das konnte man ihnen ansehen, aber beide hielten weiter tapfer ihre Waffen empor.
"Geht!"
Der Befehl kam plötzlich und von der Seite. Etwas verwirrte er die beiden Bauern.
"Geht schon. Das hier ist ne Nummer zu groß für euch!"
Die beiden sahen sich verdutzt an, aber dann siegte doch die Furcht. Langsam gingen sie rückwärts davon, ließen Shade alleine mit dem Dämon.
Noch bevor sie um die Ecke des Hauses verschwinden konnten, stürmte Shade auf seinen Gegner zu. Die fast zwei Mann hohe Gestalt, gegen die er kämpfen musste, wusste sich bestens zu wehren. Sie besaß mehrere Arme. Zwei, die denen eines Menschen ähnelten, und dann an jeder Seite des Körpers vier weitere, wesentlich längere Gliedmaßen, an deren Enden abscheuliche, lang gezogene Stacheln heraus gewachsen waren, die fast wie Klingen anmuteten, und auch fast so scharf waren. Gegen diese musste sich Shade nun wehren. Von allen Seiten prasselten die Mordinstrumente des Bulgarniten auf ihn ein und ließen ihn nicht nah genug an den Körper des Dämonen, um ihn ernsthaft zu verletzen.
Es war eine Mischung aus Geschick, Erfahrung, dem Einsatz übernatürlich geschärfter Sinne und einer Menge Glück, die es Shade erlaubten, sich der Angriffe zu erwehren, die von überall zu kommen schienen. In einem kurzen Augenblick der Unachtsamkeit schnellte einer der Stacheln dicht an seinem Kopf vorbei und erst in der letzten Sekunde war es ihm gelungen auszuweichen. Geistesgegenwärtig zog er sein Schwert herum, das immer noch glühte vor Hitze, und trieb es in das Fleisch des Arms. Schon schrie der Dämon auf. Er riss alle Arme weg, und in diesem kurzen Moment ergriff Shade die Chance, die sich ihm nun eröffnet hatte. Er war mit Kampfzaubern einigermaßen erfahren. So schoss es ihm durch den Kopf, einen auf diese Bestie anzuwenden. In der einen Sekunde, die er dafür hatte, ließ er die Verbindung zu seiner Klinge fallen, konzentrierte alle Macht, die er aufbringen konnte, in seinem Körper als Medium auf einen Punkt und ließ sie einen Augenblick später auf seinen Gegner los, der, wie er mit Erschrecken feststellte, nun nahe bei ihm war und mit der mächtigen rechten Klaue zum Schlag ausholte. Im letzten Moment ließ er seine Magie mit einer Handbewegung in die Richtung des Bulgarniten los. Ein glühender Ball aus Flammen bildete sich vor ihm wie aus dem Nichts und explodierte auf der Brust des Ungetüms, das nun nur wenige Schritte von Shade entfernt war. Shade gelang es gerade noch, ein Schutzschild der niedrigsten Ordnung herauf zu beschwören, um sich vor der Gewalt seiner eigenen Magie wenigstens etwas zu schützen. Es half nicht viel, aber es verhinderte das Schlimmste.
Shade fiel nach hinten in den Schlamm. Seine Jacke hatte etwas Feuer gefangen, aber der Regen löschte es sofort wieder. Der Dämon hatte die ganze Wucht des Angriffes zu spüren bekommen und wurde weit durch die Luft geschleudert. Ein lautes, platschendes Geräusch ließ seinen Aufprall auf dem Erdboden vermuten und Schlamm und Wasser spritzten aus dem Schatten des Hauses zu Shade herüber.

Die zwei Bauern hatten an der Ecke gewartet und sich alles angesehen. Als sie nun sahen mit welcher Kraft dieses Biest zurück geschlagen wurde, eilten sie zu dem Kämpfer, der sie beschützt hatte. Die Angst war angesichts dieser Macht wie weg geblasen, auch wenn sie genau wussten, dass es Magier in dieser Welt gab, die zu weitaus mehr im stande waren.
"Habt ihr euch verletzt?"
Die beiden ließen sich neben Shade in den Matsch fallen und betrachteten ihn. Er schien keine großen Verletzungen zu haben.
"Mein Kopf..."
Er fasste sich an die Stirn. Etwas Blut sah er auf seiner Hand, welches der Regen jedoch sofort wieder verdünnte. Eine kleine Wunde knapp unter dem Haaransatz über dem rechten Auge war zu erkennen.
"Das ist doch nur ein Kratzer!" sagte einer der Bauern, anscheinend verwundert darüber, dass ein Kämpfer mit diesem Potential so eine kleine Wunde überhaupt wahr nahm.
"Nein, in meinem Kopf! Es schmerzt etwas. Stell es dir vor, als wenn einer dein Gehirn mit beiden Händen umschließt und dann zu drückt..."
Der Bauer sah Shade mit einem komischen Blick an, als könnte er sich dieses Gefühl niemals vorstellen, aber sich denken, dass es nicht gerade angenehm war.
"Woher kommt das?"
Shade hatte die Augen geschlossen und presste seine Stirn in die offenen Handflächen.
"Es ist wegen der Magie. Die Kampfmagie mit dem Feuerball hat zu sehr an meinen Kräften gezehrt. Das wäre kein Problem gewesen. Aber als ich gesehen habe, dass der Dämon schon so nahe war, musste ich sofort wieder einen ganz anderen Zauber anwenden. Und das tat ich vor Schreck noch während ich den ersten Zauber entfesselte..."
Er nahm vorsichtig die Hände weg und öffnete die Augen. Es ging ihm schon wieder etwas besser.
"Das hat mein Kopf ein wenig überlastet."
Die Bauern nickten verstehend. Shade griff neben sich, nahm sein Schwert wieder in die Hand und stand daraufhin vorsichtig und leicht schwankend wieder auf. Er ging ein paar wackelige Schritte auf den Dämon zu und als es blitzte, erschrak er.
"Er ist weg!" sagte er leise, fast zu sich selbst.
"Was sagt ihr?"
"Der Dämon. Er ist nicht mehr hier!"
Ein Schrei ertönte. Eine Frauenstimme, die aus dem Haus kam.
Plötzlich war Shade wieder ganz klar und noch bevor die beiden Anderen fragen konnten, wo der Schrei herkam, umrundete er die Ecke des Hauses und rannte auf die Tür zu. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Grausame Gedanken und schreckliche Erinnerungen kamen auf einem Schlag in ihm hoch.
Der Griff der Tür war nahe, der Dämon schien noch zu leben und wenn sie großes Pech hatten, war er im Haus. Shade riss die Tür auf und war gerade im Begriff, mit dem Schwert in der Hand hinein zu stürmen, da ließ ein mächtiger Knall ihn herum fahren und er sah gerade noch Steine und Bretter, die in seine Richtung flogen und die große, Furcht einflößende Gestalt des Dämons, der zwei riesige Schwingen ausbreitete und sich in den Nachthimmel erhob. Kreischende Stimmen erklangen und langsam wurden sie leiser. Rios war auch dabei. Der Dämon hatte sie mitgenommen...

Shade war direkt durch gegangen zu seinem Zimmer, hatte seine und Rios Sachen zusammen gepackt und war durch die Vordertür wieder raus gegangen, um dem Dämon zu folgen, obgleich er in der Dunkelheit niemals die Spur der Bestie aufnehmen könnte.
Entschlossen war er, in seine schwarze Kutte gehüllt und mit seinem Schwert und Rios Gepäck auf dem Rücken in die Nacht raus marschiert. Er erreichte im immer schwächer werdenden Regen die Straße und hörte plötzlich eine Stimme hinter sich, die seinen Namen rief. Erst ging er einfach weiter. Er hatte die Stimme schon vernommen, nur war es ihm viel zu wichtig, Rio wieder zu finden. Diese Dämonen sind unberechenbar, und sie entführten immer die Frauen. Warum sie das taten, wusste man nicht, aber bei dem Gedanken daran, was sie mit ihren Opfern tun könnten und das gerade das Rio widerfahren könnte, wurde Shade geradezu schlecht. Er konnte das nicht zulassen.
Eine Hand griff nach Shades Schulter und packte sie. Unbeirrt ging er weiter und riss die Person hinter sich mit. Ein platschendes Geräusch hinter ihm brachte ihn dazu, sich doch kurz noch einmal umzudrehen und so erblickte er die ganze Mannschaft, die ihm gefolgt war. Einer der beiden Bauern lag hinter ihm auf dem Boden. Er richtete sich gerade wieder auf, als Shade zu ihm herabsah. Er hatte ihn wohl wirklich umgerissen, doch für irgendwelche Entschuldigungen oder sonst etwas in der Art hatte er jetzt die Nerven nicht. Er entschuldigte sich sowieso kaum, also fiel dieses eine Mal nicht auf.
"Wir werden mit dir gehen!"
Der Bauer wirkte äußerst entschlossen und bereit, Shade zu folgen, wo auch immer er hin gehen wollte. Einer der Druiden trat heran. Der andere folgte ihm. Die beiden hatten ihre schwarzen Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, genau wie Shade es tat. Man hätte denken können, sie kämen vom selben Orden...
Kurz standen sie sich nichts sagend gegenüber. Dann fing der Druide an.
"Ich werde auch mit euch kommen. Wo dieser Dämon her gekommen ist, gibt es garantiert noch andere..."
Shade musterte die Gestalt vor sich. Er war groß und mager, überragte Shade noch um einen halben Kopf. Aber er schien nicht wirklich stark zu sein. Sicher vermochten die Druiden mit ihren Tränken und Zaubern sich auch im Kampf zu wehren, jedoch war dies ein schweres Unterfangen und der Dämon würde sicher schwer zu besiegen sein, nur mit der Macht eines Trankes oder Artefaktes.
"Wie willst du mir helfen, Druide?"
Sowohl Shades als auch das Gesicht des Druiden waren nicht zu erkennen unter ihren Kapuzen und so war es für den einen schwer abzuschätzen, wie die Reaktionen des anderen waren.
"Nicht ich."
Er griff zur Seite und legte die Hand auf die Schulter seines Freundes. Der andere Druide sah zu Shade herauf. Er war gut einen Kopf kleiner und etwas stabiler gebaut. Die Kapuze rutschte ein wenig zurück, als er den Kopf hob, und das bärtige Kinn des Mannes war im Mondschein darunter zu erkennen.
"Wir! Mein Freund hier wird zurück gehen zur Druidenfestung. Es gibt dort einen mächtigen Krieger, der einst zu unserem Schutz angeheuert wurde. Wir werden ihn herschicken."
"Herschicken?"
Der Druide nickte.
"Ja. Deswegen ist es wichtig, dass ich mit euch gehe. Ich werde es euch erklären, wenn ihr mich mit euch gehen lasst."
Shade sah in die Runde, sah die beiden Bauern an, blickte zu den Druiden rüber und auch dem dritten der Bauern, Nareid, der sich nun zu ihnen gesellte, würdigte er eines Blickes.
"Du willst auch mit kommen?"
Der sichtlich geschwächte Mann nickte entschlossen, da er nicht antworten konnte. Shade schüttelte, unter der Kapuze kaum erkennbar, den Kopf.
"Macht doch, was ihr wollt!"
Mit diesen Worten drehte er sich um und ging seinen Weg weiter. Zögernd folgten ihm die anderen, doch sie hielten Abstand. So sehr sie auch auf die Kraft dieses Mannes vertrauten, er war keinem von ihnen geheuer...

Der Druide hatte zu Shade aufgeschlossen, der immer noch schnellen Schrittes voran ging. Er lief einfach über die großen Wiesen und Felder, die sich auf der anderen Seite der Straße befanden. In diese Richtung war der Bulgarnit geflogen und Shade konnte sich schon denken, wo er hin ist. In der Ferne sah er einen Wald, dessen Namen er nicht kannte. Hier in der Gegend kannte er sowieso kaum Orte mit Namen.
"Ist euch klar, wo ihr da hin geht?"
Shade antwortete nicht, was den Druiden nicht davon abhielt, weiter zu reden.
"Das ist der Korand’Barius, ein Wald, von dem man sich nachts besser fern hält. Es wird gesagt, in der Nacht treiben sich dort unheimliche Gestalten rum. Viele, die rein gingen, kamen nicht wieder heraus."
Kurz war es still. Dann kam eine Antwort unter Shades Kapuze hervor.
"Unheimliche Gestalten sagst du?"
Der Druide nickte.
"So was wie riesige Dämonen mit Flügeln, mächtigen Klauen, jeder Menge messerscharfer Stacheln und einem dritten Auge auf der Stirn, die Frauen entführen?"
Der Druide antwortete nicht. Es war unübersehbar, worauf Shade hinaus wollte und den selben Gedanken hatte er auch schon gehabt. Dann vernahm er wieder die Stimme seines neuen Gefährten.
"Fein. Dann sehen wir doch einfach mal nach!"

Der Regen hatte fast aufgehört nur vereinzelt rieselten noch kleine Tropfen vom dunklen Himmel. Der Wald kam immer näher und die Bauern liefen immer noch weit hinter den beiden schwarzen Kutten her, die die Spitze dieses kleinen Trupps bildeten.
"Denkst du, das war eine gute Idee, mit zu gehen? Ich meine, was sollen wir da schon tun. Du hast gesehen, was dieses Biest mit Faranim gemacht hat."
"Ruliat, gerade deswegen müssen wir mitgehen. Und denk daran: Er hat noch immer Hilda und Jania in seiner Gewalt. Und Gott weiß, was er mit ihnen tun wird..."
Ruliat und Nareid lauschten den Worten ihres Kameraden während sie Shade und dem Druiden folgten, die weit voraus gingen.
"Wenn du das sagst..."
Ruliat war ein Mensch der etwas ängstlicheren Art. Genau wie Nareid auch. Der dritte in der Runde war ein etwas stabilerer Kerl. Sein Name war Vorlint. Er strahlte eine Entschlossenheit und ein Selbstbewusstsein aus, das eigentlich nicht zu einem armen Bauernjungen passte. Die anderen Beiden kannten ihn noch nicht so lange. Eigentlich kannte ihn niemand von ihnen besonders gut. Er hatte sich ihnen in ihrem Dorf bei einer Feier angeschlossen und sie sind schnell Freunde geworden. Kurz darauf waren sie auch schon los gezogen, wollten über die Hauptstraße ins Gebirge, wo es eine kleine Siedlung gab mit einer Drachenzucht, die Faranims Familie gehörte. Sie wollten nur ihre freien Tage mit Drachenreiten und Feiern weit weg von der Arbeit verbringen. Und nun? Faranim war tot, genau wie Belenat. Und die Frauen waren entführt worden von einem Dämon, der weiß Gott was mit ihnen im Sinn hatte.
Es ging etwas Berg auf. Ein kleiner Hügel nur, den Shade und der Druide schon empor gestiegen waren. Oben hielten sie an und es schien so, als wollten sie auf die Anderen warten.
"Warum bleiben die stehen?"
"Ich weiß es nicht..."
Die Nacht ging zu Ende und der Morgen graute schon. Der Hügel war lang gezogen und flach und als Ruliat, Nareid und Vorlint die Anderen beiden erreichten, bot sich ihnen ein Anblick des Grauens.
"Tja." Shades Stimme klang kalt und unbeteiligt. "Wir sind wohl auf der richtigen Spur!"

Sie gingen schnellen Schrittes voran, um dieses Feld so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Schade und der Druide hatten wieder die Spitze übernommen, während die anderen ihnen dicht folgten. Hinter der Anhöhe waren sie auf etwas gestoßen, das wie ein Lager aussah. Womöglich von Wanderern. Das, was daran nicht gefiel, war die Tatsache, dass hier nichts mehr lebte. Die Zelte waren abgebrannt und es lag ein Geruch von Blut in der Luft. Ab und an kam die Gruppe an Leichen vorbei, die zum größten Teil sehr entstellt waren.
"Kaschinen."
Der Druide sah zu Shade rüber.
"Was meint ihr?"
"Das sind die Reste eines Lagers der Kaschinen. Das sind Abkömmlinge eines Dunkelelfen- Stammes, der im Osten allgemein als Wandervolk bekannt ist. Unser Stamm ist mit ihnen befreundet."
Der Druide sah sich noch einmal um. Als Shade gesagt hatte, dass es ein befreundeter Stamm sei, dessen Mitglieder hier zerrissen auf dem Boden lagen, hatte er einen Anflug von Mitgefühl in Shades Stimme vernommen.
"Welchen Namen trägt denn euer Stamm, wenn ihr diese Frage erlaubt."
Shade sah den Mann aus dem Augenwinkel an.
"Wir sind die Torang’dai."
Der Druide antwortete nichts. Was sollte er darauf schon sagen? Aber irgendwo hatte er diesen Namen schon mal gehört.
Sie liefen weiter in Richtung Wald. Shade fiel nach ein paar Metern hinter dem zerstörten Lager etwas auf. Fußspuren. Es waren viele Fußspuren auf dem nassen, matschigen Boden zu sehen, die alle von Stiefeln irgendwelcher Rüstungen zu seien schienen. Sie waren tief und kaum zu übersehen, daraus schloss Shade, dass es schwer bewaffnete Männer gewesen sein mussten. Alle Spuren führten in Richtung des Waldes, der nun auch für Shade und die Anderen immer näher rückte. Und am Waldrand schien etwas zu sein. Was es war, konnte niemand ahnen, es war nur zu erkennen, dass dort etwas war, was nicht ins Gesamtbild passte.
"Es war nur eine kleine Gruppe."
Shade sah sich noch einmal um, bevor sie wieder das Feld der Trümmer und Leichen verließen.
"Frage mich nur, was die hier wollten."

Der Weg war noch weit. Mehrere Stunden dauerte es, bis sie den Rand des Waldes erreichten und in der Morgendämmerung sahen sie es. Was sie aus der Ferne nicht erkannt hatten, lag nun unmittelbar vor ihnen. Die Kaschinen waren große Krieger gewesen und zweifelsohne hatten sie gut gekämpft. Doch all das schien nichts geholfen zu haben. Ein langer Streifen aus Blut und zerfetzten Leichen zog sich am Waldrand entlang. Einige der Leichen waren definitiv Kaschinen. Das erkannte Shade sofort. Die stolzen Krieger mit ihren spitzen Ohren und den für Kaschinen typischen weißen Haaren. Doch da war noch mehr Blut. Es war dunkler und wirkte alt und getrocknet, obwohl es noch flüssig war und von den Blättern der Bäume tropfte. Einige Körper lagen dort, deren Herkunft niemand bestimmen konnte. Keiner der anwesenden wusste, was diese entstellten, zerfetzten und blutverschmierten Leichen vorher für Lebewesen waren. Sie schienen lange, silberne Klauen zu haben, die ihnen aus den Knochen der Finger wuchsen. Allerdings schienen sie aus Metall zu sein. Die dunkelgraue Haut überzog einen Körper aus Knochen. Sie waren sehr mager, nur wenig Fleisch war unter der dünnen, faltigen Haut zu erkennen. Dennoch mussten sie stark sein. Sonst hätten sie die Kaschinen nicht stoppen können. Oder sie waren einfach nur schnell...
Die Bauern hielten sich die Hände vor die Münder. Sie waren solche Anblicke nicht gewohnt.
Die Spur des Blutes und der Leichen führte tiefer in den Wald und verschwand in der Finsternis. Rascheln und leise Geräusche drangen aus dem Dunklen zu den Gefährten vor. Woher sie kamen war nicht zu erkennen, aber es waren nicht die normalen Geräusche eines Waldes. Es war, als könnte man leise Stimmen vernehmen, die zwischen den Bäumen murmelten und flüsterten... Ab und an war es, als würden sie kichern.

Der Druide schloss die Augen. Er schien plötzlich abwesend. Sein Gesicht war immer noch nicht sichtbar, doch er verschränkte die Arme vor der Brust und murmelte Worte unter seiner Kapuze. Shade konnte sie mit seinen Dunkelelfenohren gut verstehen. Doch die Bauern schienen es nicht mal zu bemerken. Der düstere Mann, dessen Namen Shade nicht einmal kannte, schien mit sich selbst zu sprechen. Allerdings stellte er nur Fragen, aber gab nicht die antworten. Eine Telepathie? Druiden traute Shade alles zu. Und sie waren für ihre hohe geistige Begabung bekannt. Dann hob er den Kopf ein wenig.
"Wir sind dann soweit", sagte er. 
Noch bevor Shade fragen konnte, was er meinte, hob der Druide beide Arme in die Höhe und hüllte sich selbst in einen grauen Schleier von Nebel, der kurz darauf von strahlendem, roten Licht vertrieben wurde. Wenige Sekunden später schon stand vor ihm eine Gestalt, die etwa Shades Größe und Statur hatte, doch mit schulterlangen silbernen Haaren, die aussahen, als wären sie aus Metall. Feine, in die Haut gearbeitete schwarze Runen der Dunkelelfen und Symbole verschiedener Druidenkulte verzierten Stirn und Wangen und verliefen weiter den Hals hinunter bis sie unter der Kleidung verschwanden. Der Krieger trug einen schweren Umhang, der die metallene Rüstung, die eng am Körper anlag, zur Hälfte verdeckte. Der ganze Körper war von silbernen Metallteilen und schwarzem Leder, was darunter lag, bedeckt. Nur der Kopf war ungeschützt. Die spitzen Ohren stachen zwischen den Haaren hervor und es war zu erkennen, dass sie mit Ringen durchstochen waren. Die Gestalt öffnete die Lider, die Pupillen zogen sich zu Schlitzen zusammen und zwei silberne Augen musterten Shade. Der Nebel verzog sich schnell wieder und der Druide atmete noch ein paar Mal tief durch. Schließlich baute er sich neben dem Neuankömmling auf und wirkte wieder wie vorher.
"Darf ich vorstellen, das ist Cehren."
 

© V.Geist
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Und schon geht es weiter zum 3. Kapitel: Der Wald der Dämonen

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