"Was zur Hölle ist da passiert?"
Hilda, das blonde hübsche Mädchen,
hatte angefangen zu weinen. Das andere Mädchen war bei ihr und versuchte
sie zu trösten. Faranim, der Junge, um den sie sich gesorgt hatte,
war zwar wieder in Sicherheit, aber es schien ihr Angst zu machen, dass
dort draußen etwas schreckliches lauern könnte. Die Anspannung
war allgemein sehr groß. Man konnte sie förmlich spüren.
Die Mädchen weinten und saßen immer noch an der Tür. Shade
hatte sich an eine breite, massive Säule aus Holz gelehnt, die die
Decke stützte. Er hatte sich mittlerweile etwas mehr angezogen. Eine
weite dicke Jacke aus Baumwolle und an den Armen und den Schultern mit
schwarzem Leder versehen bedeckte nun seinen Oberkörper. Der Wirt
hatte sie ihm gegeben, als er frierend in der Eingangshalle wieder ankam.
Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und ein Bein über
das andere gelegt. Die Haare waren immer noch durchnässt und fielen
ihm tief ins Gesicht. Er blickte schon seit einiger Zeit nur noch den Boden
an. So sah er häufig aus, wenn er nachdachte.
Nareid saß nicht weit entfernt auf einem
hölzernen Stuhl. Der Wirt, einer der Bauern und die beiden Druiden
waren bei ihm und versuchten ihm zu helfen, sofern sie überhaupt wussten,
was nicht stimmte...
Zwei andere Bauern standen Shade gegenüber.
Sie lehnten an einer anderen Säule und versuchten ebenso ruhig und
gelassen zu sein wie er. Aber die Angst und die Sorge um ihren Freund stand
ihnen ins Gesicht geschrieben. Zwischen ihnen und Shade lief Faranim ständig
auf und ab. Er war der gewesen, der zu Shade kam, nachdem er den anderen
gefunden hatte.
Der Junge schien zu Recht sehr aufgewühlt
zu sein.
"Was ist das? Wie kann so was passieren? Wer
ist da draußen?"
Er wandte seinen Blick Shade zu, der ihn fragend
ansah.
"Ich weiß es nicht."
"Aber es muss doch eine Erklärung dafür
geben!"
"Sicher gibt es die!"
Ein Junge von den anderen Bauern hatte sich
gemeldet. Er trat einen Schritt vor.
"Irgendjemand schleicht um dieses Haus. Mit
welchen Absichten auch immer. Und er hat Nareid ziemlich übel zugerichtet."
"Was ist", erklang eine zarte, junge Stimme
von der Seite, "wenn es nicht jemand ist. Sondern etwas?"
Alle im Raum sahen das Mädchen neben
Hilda an. Sie spekulierte auf den Dämon, das war allen klar. Und das
Unbehagen, was sie über ihren eigenen Einfall empfand, war ihr deutlich
anzusehen.
Faranim ergriff wieder das Wort.
"Quatsch. Was sollte denn der Dämon hier
wollen?"
"Ich glaube," wurde eine Stimme von der Seite
laut, "wir sollten das nicht ausschließen!"
Es war der Wirt. Er stand immer noch bei Nareid
und den Druiden.
"Was?"
Einer der Druiden kam ein paar Schritte vor
und streifte die Kapuze ab. Zum ersten mal sah Shade das Gesicht dieses
Mannes. Ein anscheinend etwas älterer Mann. Mitte 40 vielleicht. Er
hatte sich eine Glatze geschoren, wie alle Druiden, und er wirkte sehr
ruhig. Mit einer lauten, aber überraschend angenehmen Stimme sprach
er plötzlich zu den Leuten, die sich versammelt hatten.
"Wir wissen nun, was dem Mann fehlt."
Alle sahen den Mann erwartungsvoll an. Nach
einem kurzen Blick über die Schulter sprach er weiter.
"Man hat dem Jungen die Zunge raus geschnitten!"
Entsetzen spiegelte sich in den Gesichtern
der Anwesenden wider. Faranim war nun sichtlich aufgebracht.
"Da seid ihr dran Schuld!"
Er deutete auf den Druiden, der weder zur
Seite wich, noch widersprach oder auch nur ein bisschen die Miene verzog.
"Hey Faranim, das bringt doch jetzt nichts!"
Einer der Bauern, die Shade gegenüberstanden,
war einen Schritt auf seinen Freund zugegangen. Er versuchte ihn zu beruhigen.
Aber das sollte nicht funktionieren.
"Ihr verdammten Druiden. Gebt wenigstens zu,
dass es eure Schuld ist!"
Er kam dem Druiden nun gefährlich nahe.
Plötzlich spürte Faranim eine starke
Hand auf seiner rechten Schulter, die ihn zurückzog. Als er sich umdrehte,
sah er in die Augen von Shade, der nun ruhig und gelassen anfing zu reden.
"Lass ihn. Es gibt im Moment Wichtigeres,
als voller Verzweiflung einen Schuldigen zu suchen!"
"Und was soll das bitte schön sein."
Shade wandte seinen Blick über die Schulter
den Mädchen an der Tür zu und ließ Faranims Schulter wieder
los.
"Das Mädchen, das mich geholt hat, sagte,
ihr wäret zu dritt raus gegangen. Aber nur du und Nareid seid wieder
zurückgekommen. Nun frage ich mich, wo der dritte von euch ist."
"Belenat!!!"
Die Schreie hallten durch den Regen und die
Finsternis der Nacht. In all dem Aufruhr hatte Faranim glatt vergessen,
dass sie ja zu dritt raus gegangen waren. Voller Verzweifelung und Wut
auf sich selbst lief er hinaus in die Nacht, um seinen Freund zu suchen.
Shade war ihm gefolgt und mit ihm die anderen beiden der Bauern.
Sie waren etwas jünger, so um die 18
und anscheinend Brüder.
Faranim war mit den Nerven am Ende. Er hätte
sich wahrscheinlich am liebsten selbst dafür geschlagen und gefoltert,
dass er seinen Freund vergessen hatte. Voller Sorge und Angst lief er durch
den Regen und rief immer wieder den Namen seines Kameraden.
"Belenat!!!"
Sie umrundeten das Haus. Faranim lief unruhig
und aufgeregt voraus. Die Angst vor dem Unbekannten und der Finsternis
schien ihn verlassen zu haben und von der Angst um seinen Weggefährten
Belenat übertrumpft worden zu sein. Shade folgte ihm mit ruhigem Schritt
und sah sich aufmerksam in der Umgebung um. Man konnte nicht weit sehen.
Diese Seite des Hauses lag im Schatten des Mondlichtes und war so noch
tiefer ins Schwarz der Nacht eingetaucht als der Rest der Umgebung. Die
anderen beiden folgten Shade. Sie sahen sich immer wieder nervös um.
Anscheinend machte ihnen die Dunkelheit doch etwas zu schaffen.
Alle vier waren nun bewaffnet. Sie hatten
ihre Schwerter aus ihrem Zimmer geholt, aus Angst vor dem unbekannten Feind,
der sich hier draußen rum treiben könnte. Nein. Der sich auf
alle Fälle hier rum trieb. Die Tatsache, dass Nareid die Zunge genommen
wurde, deutete auf eine bestimmte Art Dämon hin, mit der Shade schon
mal konfrontiert worden war. Die ganze Zeit, seit der Wirt davon berichtet
hatte, hatte Shade darüber nachgedacht, woher er diese Geschichte
mit der raus geschnittenen Zunge kannte. Als sie dann bei Nareid feststellten,
dass die Zunge fehlte, war es ihm wieder eingefallen.
"Ähm, Herr..."
Die Stimme kam von den beiden Jungs hinter
ihm. Er drehte sich um. Der Regen klatschte ihm in sein Gesicht und ließ
Strähnen seiner langen schwarzen Haare nach vorne fallen, die er mit
einer eleganten Geste wieder zurück warf.
"Shade. Was ist?"
Die beiden waren verängstigt, das konnte
man sofort sehen. Verständlich, dachte sich Shade. Sie mussten schon
viel in dieser Nacht miterleben, was die Angst in einem geradezu schlagartig
wuchern ließ.
"Wir haben uns gefragt, was wir tun werden,
wenn wir mit diesem... Dämon oder was es auch ist konfrontiert werden..."
Shade sah nachdenklich in die Nacht raus.
Er wusste es ja selber nicht.
"Wir werden..."
Ein Schrei unterbrach ihn und er fuhr schlagartig
herum. Faranim rannte plötzlich los und sofort erkannte Shade auch
warum. Eine Gestalt stand dort. Ein Mensch. Er hatte die Arme ausgebreitet
und kam auf die vier zu.
"Belenat!"
Hallte es von hinten und die beiden anderen
Jungen rannten an Shade vorbei. Die Erleichterung war sogar ihm ein wenig
ins Gesicht geschrieben, auch wenn er diesen Jungen nicht kannte.
Doch etwas machte diese Situation für
ihn unsicher. Eine böse Vorahnung überkam ihn und ehe er zu den
anderen gehen konnte, um ihnen dies mitzuteilen, war ihm auch schon klar
warum.
Drei leuchtende, rote Schlitze taten sich
auf, weit über dem Kopf von Belenat und ein grausiges Knurren erhallte.
Kaum wahrnehmbar aber erschreckend bedrohlich. Ein Blitz erhellte kurz
die Umgebung und die Konturen einer großen, entfernt an einen Menschen
erinnernden Gestalt waren schwach in seinem Licht zu erkennen...
Shade fiel plötzlich alles wieder ein.
Ein Bulgarnit.
Ein Stachel schnellte nach vorne und durchstieß
von hinten Belenats Brust. Faranim, der kurz vor ihm zum Stehen gekommen
war, war nur kurz davor gewesen, auch in den langen, scharfen Stachel der
Bestie zu rennen. Blut spritzte ihm ins Gesicht und ein entsetzlicher Schmerzensschrei
seines Freundes Belenat war in der Nacht zu vernehmen. Die beiden Bauern,
die noch nicht so nah waren, drehten sich entsetzt um und rannten zurück.
Sie schienen nicht zu begreifen, was vor sich ging, sie folgten einfach
dem Instinkt zu fliehen und rannten so wieder auf Shade zu. Als dieser
seine Waffe zog blieben sie stehen und taten es ihm mit zitternden Händen
gleich.
Ein lang gezogener Schrei der Verzweifelung
war zu vernehmen und das nächste, was Shade sah, war Faranim, der
im Matsch vor der riesigen Gestalt kauerte und seinen toten Freund Belenat
in den Armen hielt. Er schien selbst noch nicht realisiert zu haben, was
geschehen war. Die Schreie von Shade und den anderen schien er zu überhören.
"Faranim! Komm da weg!!"
"Mach schon!!!!"
Er drehte sich nur kurz um und auf ein zischendes
Geräusch hin, das aus der Richtung des Dämons her zu kommen schien,
wandte er sich wieder der Dunkelheit vor ihm zu. Shade kam dieser Augenblick
wie eine Ewigkeit vor. Als würde alles in Zeitlupe ablaufen. Noch
bevor sich Faranim wieder komplett umgedreht hatte, um zu sehen, was da
vor ihm in der Finsternis lauerte, zischte wieder ein Stachel herab und
der gespaltene Schädel des Bauern fiel in den Matsch. Wieder ein Blitz
und in seinem Schein erkannte Shade das groteske, auf grausamste Art und
Weise entstellte Gesicht des Dämons. Mit den drei roten, leuchtenden
Augen, die nun direkt in die Richtung der dreien starrten, die noch übrig
waren.
Die anderen zitterten vor Entsetzen und wären
am liebsten gerannt, anstatt hier weiter in der Gegenwart ihres Todes zu
sein. Doch ein letztes Fünkchen Mut und der langsam in ihnen aufkommende
Drang nach Rache fesselte sie an diesen Ort.
Shade spürte die Wut und den Hass, der
in ihm aufkam. Wärme durchfuhr seine Arme und ging in sein Schwert
über, das im Regen vor ihm in seinen Händen ruhte.
Ein drohendes Knurren des Dämons, diesmal
wesentlich lauter und beängstigender, war zu vernehmen.
Nur einen Augenblick brauchte Shade noch.
Einen kurzen Augenblick, um sich auf den Kampf vorzubereiten. Dieser Gegner
war von einer anderen Art als die Drachen aus dem Gebirge. Er war stark,
groß und zu allem Überfluss noch übermäßig intelligent...
für einen Dämon.
Shade lenkte Magie in sein Schwert. Ein Feuerzauber,
wie es für die Dunkelelfen üblich war, mit dem er die Schneiden
seiner Klinge erhitzte bis sie in der Dunkelheit der Nacht aufglühten
und die Umgebung in ein leichtes, rötliches Licht tauchte, wie von
einem Lagerfeuer. Jeder einzelte Tropfen, der die Klinge berührte
verdampfte schlagartig und hinterließ nur noch ein zischendes Geräusch
in der Nacht.
Jetzt konnte es beginnen.
Der Bulgarnit kam langsam und bedrohlich ein
paar Schritte näher. Die mächtigen Füße versanken
bei jedem Schritt etwas im matschigen Boden. Das Geräusch brechender
Knochen war zu hören, als er auf Faranims Leichnam trat und es machte
die beiden Jungs neben Shade fast verrück, das konnte man ihnen ansehen,
aber beide hielten weiter tapfer ihre Waffen empor.
"Geht!"
Der Befehl kam plötzlich und von der
Seite. Etwas verwirrte er die beiden Bauern.
"Geht schon. Das hier ist ne Nummer zu groß
für euch!"
Die beiden sahen sich verdutzt an, aber dann
siegte doch die Furcht. Langsam gingen sie rückwärts davon, ließen
Shade alleine mit dem Dämon.
Noch bevor sie um die Ecke des Hauses verschwinden
konnten, stürmte Shade auf seinen Gegner zu. Die fast zwei Mann hohe
Gestalt, gegen die er kämpfen musste, wusste sich bestens zu wehren.
Sie besaß mehrere Arme. Zwei, die denen eines Menschen ähnelten,
und dann an jeder Seite des Körpers vier weitere, wesentlich längere
Gliedmaßen, an deren Enden abscheuliche, lang gezogene Stacheln heraus
gewachsen waren, die fast wie Klingen anmuteten, und auch fast so scharf
waren. Gegen diese musste sich Shade nun wehren. Von allen Seiten prasselten
die Mordinstrumente des Bulgarniten auf ihn ein und ließen ihn nicht
nah genug an den Körper des Dämonen, um ihn ernsthaft zu verletzen.
Es war eine Mischung aus Geschick, Erfahrung,
dem Einsatz übernatürlich geschärfter Sinne und einer Menge
Glück, die es Shade erlaubten, sich der Angriffe zu erwehren, die
von überall zu kommen schienen. In einem kurzen Augenblick der Unachtsamkeit
schnellte einer der Stacheln dicht an seinem Kopf vorbei und erst in der
letzten Sekunde war es ihm gelungen auszuweichen. Geistesgegenwärtig
zog er sein Schwert herum, das immer noch glühte vor Hitze, und trieb
es in das Fleisch des Arms. Schon schrie der Dämon auf. Er riss alle
Arme weg, und in diesem kurzen Moment ergriff Shade die Chance, die sich
ihm nun eröffnet hatte. Er war mit Kampfzaubern einigermaßen
erfahren. So schoss es ihm durch den Kopf, einen auf diese Bestie anzuwenden.
In der einen Sekunde, die er dafür hatte, ließ er die Verbindung
zu seiner Klinge fallen, konzentrierte alle Macht, die er aufbringen konnte,
in seinem Körper als Medium auf einen Punkt und ließ sie einen
Augenblick später auf seinen Gegner los, der, wie er mit Erschrecken
feststellte, nun nahe bei ihm war und mit der mächtigen rechten Klaue
zum Schlag ausholte. Im letzten Moment ließ er seine Magie mit einer
Handbewegung in die Richtung des Bulgarniten los. Ein glühender Ball
aus Flammen bildete sich vor ihm wie aus dem Nichts und explodierte auf
der Brust des Ungetüms, das nun nur wenige Schritte von Shade entfernt
war. Shade gelang es gerade noch, ein Schutzschild der niedrigsten Ordnung
herauf zu beschwören, um sich vor der Gewalt seiner eigenen Magie
wenigstens etwas zu schützen. Es half nicht viel, aber es verhinderte
das Schlimmste.
Shade fiel nach hinten in den Schlamm. Seine
Jacke hatte etwas Feuer gefangen, aber der Regen löschte es sofort
wieder. Der Dämon hatte die ganze Wucht des Angriffes zu spüren
bekommen und wurde weit durch die Luft geschleudert. Ein lautes, platschendes
Geräusch ließ seinen Aufprall auf dem Erdboden vermuten und
Schlamm und Wasser spritzten aus dem Schatten des Hauses zu Shade herüber.
Die zwei Bauern hatten an der Ecke gewartet
und sich alles angesehen. Als sie nun sahen mit welcher Kraft dieses Biest
zurück geschlagen wurde, eilten sie zu dem Kämpfer, der sie beschützt
hatte. Die Angst war angesichts dieser Macht wie weg geblasen, auch wenn
sie genau wussten, dass es Magier in dieser Welt gab, die zu weitaus mehr
im stande waren.
"Habt ihr euch verletzt?"
Die beiden ließen sich neben Shade in
den Matsch fallen und betrachteten ihn. Er schien keine großen Verletzungen
zu haben.
"Mein Kopf..."
Er fasste sich an die Stirn. Etwas Blut sah
er auf seiner Hand, welches der Regen jedoch sofort wieder verdünnte.
Eine kleine Wunde knapp unter dem Haaransatz über dem rechten Auge
war zu erkennen.
"Das ist doch nur ein Kratzer!" sagte einer
der Bauern, anscheinend verwundert darüber, dass ein Kämpfer
mit diesem Potential so eine kleine Wunde überhaupt wahr nahm.
"Nein, in meinem Kopf! Es schmerzt etwas.
Stell es dir vor, als wenn einer dein Gehirn mit beiden Händen umschließt
und dann zu drückt..."
Der Bauer sah Shade mit einem komischen Blick
an, als könnte er sich dieses Gefühl niemals vorstellen, aber
sich denken, dass es nicht gerade angenehm war.
"Woher kommt das?"
Shade hatte die Augen geschlossen und presste
seine Stirn in die offenen Handflächen.
"Es ist wegen der Magie. Die Kampfmagie mit
dem Feuerball hat zu sehr an meinen Kräften gezehrt. Das wäre
kein Problem gewesen. Aber als ich gesehen habe, dass der Dämon schon
so nahe war, musste ich sofort wieder einen ganz anderen Zauber anwenden.
Und das tat ich vor Schreck noch während ich den ersten Zauber entfesselte..."
Er nahm vorsichtig die Hände weg und
öffnete die Augen. Es ging ihm schon wieder etwas besser.
"Das hat mein Kopf ein wenig überlastet."
Die Bauern nickten verstehend. Shade griff
neben sich, nahm sein Schwert wieder in die Hand und stand daraufhin vorsichtig
und leicht schwankend wieder auf. Er ging ein paar wackelige Schritte auf
den Dämon zu und als es blitzte, erschrak er.
"Er ist weg!" sagte er leise, fast zu sich
selbst.
"Was sagt ihr?"
"Der Dämon. Er ist nicht mehr hier!"
Ein Schrei ertönte. Eine Frauenstimme,
die aus dem Haus kam.
Plötzlich war Shade wieder ganz klar
und noch bevor die beiden Anderen fragen konnten, wo der Schrei herkam,
umrundete er die Ecke des Hauses und rannte auf die Tür zu. Sein Herz
schlug ihm bis zum Hals. Grausame Gedanken und schreckliche Erinnerungen
kamen auf einem Schlag in ihm hoch.
Der Griff der Tür war nahe, der Dämon
schien noch zu leben und wenn sie großes Pech hatten, war er im Haus.
Shade riss die Tür auf und war gerade im Begriff, mit dem Schwert
in der Hand hinein zu stürmen, da ließ ein mächtiger Knall
ihn herum fahren und er sah gerade noch Steine und Bretter, die in seine
Richtung flogen und die große, Furcht einflößende Gestalt
des Dämons, der zwei riesige Schwingen ausbreitete und sich in den
Nachthimmel erhob. Kreischende Stimmen erklangen und langsam wurden sie
leiser. Rios war auch dabei. Der Dämon hatte sie mitgenommen...
Shade war direkt durch gegangen zu seinem Zimmer,
hatte seine und Rios Sachen zusammen gepackt und war durch die Vordertür
wieder raus gegangen, um dem Dämon zu folgen, obgleich er in der Dunkelheit
niemals die Spur der Bestie aufnehmen könnte.
Entschlossen war er, in seine schwarze Kutte
gehüllt und mit seinem Schwert und Rios Gepäck auf dem Rücken
in die Nacht raus marschiert. Er erreichte im immer schwächer werdenden
Regen die Straße und hörte plötzlich eine Stimme hinter
sich, die seinen Namen rief. Erst ging er einfach weiter. Er hatte die
Stimme schon vernommen, nur war es ihm viel zu wichtig, Rio wieder zu finden.
Diese Dämonen sind unberechenbar, und sie entführten immer die
Frauen. Warum sie das taten, wusste man nicht, aber bei dem Gedanken daran,
was sie mit ihren Opfern tun könnten und das gerade das Rio widerfahren
könnte, wurde Shade geradezu schlecht. Er konnte das nicht zulassen.
Eine Hand griff nach Shades Schulter und packte
sie. Unbeirrt ging er weiter und riss die Person hinter sich mit. Ein platschendes
Geräusch hinter ihm brachte ihn dazu, sich doch kurz noch einmal umzudrehen
und so erblickte er die ganze Mannschaft, die ihm gefolgt war. Einer der
beiden Bauern lag hinter ihm auf dem Boden. Er richtete sich gerade wieder
auf, als Shade zu ihm herabsah. Er hatte ihn wohl wirklich umgerissen,
doch für irgendwelche Entschuldigungen oder sonst etwas in der Art
hatte er jetzt die Nerven nicht. Er entschuldigte sich sowieso kaum, also
fiel dieses eine Mal nicht auf.
"Wir werden mit dir gehen!"
Der Bauer wirkte äußerst entschlossen
und bereit, Shade zu folgen, wo auch immer er hin gehen wollte. Einer der
Druiden trat heran. Der andere folgte ihm. Die beiden hatten ihre schwarzen
Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, genau wie Shade es tat. Man hätte
denken können, sie kämen vom selben Orden...
Kurz standen sie sich nichts sagend gegenüber.
Dann fing der Druide an.
"Ich werde auch mit euch kommen. Wo dieser
Dämon her gekommen ist, gibt es garantiert noch andere..."
Shade musterte die Gestalt vor sich. Er war
groß und mager, überragte Shade noch um einen halben Kopf. Aber
er schien nicht wirklich stark zu sein. Sicher vermochten die Druiden mit
ihren Tränken und Zaubern sich auch im Kampf zu wehren, jedoch war
dies ein schweres Unterfangen und der Dämon würde sicher schwer
zu besiegen sein, nur mit der Macht eines Trankes oder Artefaktes.
"Wie willst du mir helfen, Druide?"
Sowohl Shades als auch das Gesicht des Druiden
waren nicht zu erkennen unter ihren Kapuzen und so war es für den
einen schwer abzuschätzen, wie die Reaktionen des anderen waren.
"Nicht ich."
Er griff zur Seite und legte die Hand auf
die Schulter seines Freundes. Der andere Druide sah zu Shade herauf. Er
war gut einen Kopf kleiner und etwas stabiler gebaut. Die Kapuze rutschte
ein wenig zurück, als er den Kopf hob, und das bärtige Kinn des
Mannes war im Mondschein darunter zu erkennen.
"Wir! Mein Freund hier wird zurück gehen
zur Druidenfestung. Es gibt dort einen mächtigen Krieger, der einst
zu unserem Schutz angeheuert wurde. Wir werden ihn herschicken."
"Herschicken?"
Der Druide nickte.
"Ja. Deswegen ist es wichtig, dass ich mit
euch gehe. Ich werde es euch erklären, wenn ihr mich mit euch gehen
lasst."
Shade sah in die Runde, sah die beiden Bauern
an, blickte zu den Druiden rüber und auch dem dritten der Bauern,
Nareid, der sich nun zu ihnen gesellte, würdigte er eines Blickes.
"Du willst auch mit kommen?"
Der sichtlich geschwächte Mann nickte
entschlossen, da er nicht antworten konnte. Shade schüttelte, unter
der Kapuze kaum erkennbar, den Kopf.
"Macht doch, was ihr wollt!"
Mit diesen Worten drehte er sich um und ging
seinen Weg weiter. Zögernd folgten ihm die anderen, doch sie hielten
Abstand. So sehr sie auch auf die Kraft dieses Mannes vertrauten, er war
keinem von ihnen geheuer...
Der Druide hatte zu Shade aufgeschlossen, der
immer noch schnellen Schrittes voran ging. Er lief einfach über die
großen Wiesen und Felder, die sich auf der anderen Seite der Straße
befanden. In diese Richtung war der Bulgarnit geflogen und Shade konnte
sich schon denken, wo er hin ist. In der Ferne sah er einen Wald, dessen
Namen er nicht kannte. Hier in der Gegend kannte er sowieso kaum Orte mit
Namen.
"Ist euch klar, wo ihr da hin geht?"
Shade antwortete nicht, was den Druiden nicht
davon abhielt, weiter zu reden.
"Das ist der Korand’Barius, ein Wald, von
dem man sich nachts besser fern hält. Es wird gesagt, in der Nacht
treiben sich dort unheimliche Gestalten rum. Viele, die rein gingen, kamen
nicht wieder heraus."
Kurz war es still. Dann kam eine Antwort unter
Shades Kapuze hervor.
"Unheimliche Gestalten sagst du?"
Der Druide nickte.
"So was wie riesige Dämonen mit Flügeln,
mächtigen Klauen, jeder Menge messerscharfer Stacheln und einem dritten
Auge auf der Stirn, die Frauen entführen?"
Der Druide antwortete nicht. Es war unübersehbar,
worauf Shade hinaus wollte und den selben Gedanken hatte er auch schon
gehabt. Dann vernahm er wieder die Stimme seines neuen Gefährten.
"Fein. Dann sehen wir doch einfach mal nach!"
Der Regen hatte fast aufgehört nur vereinzelt
rieselten noch kleine Tropfen vom dunklen Himmel. Der Wald kam immer näher
und die Bauern liefen immer noch weit hinter den beiden schwarzen Kutten
her, die die Spitze dieses kleinen Trupps bildeten.
"Denkst du, das war eine gute Idee, mit zu
gehen? Ich meine, was sollen wir da schon tun. Du hast gesehen, was dieses
Biest mit Faranim gemacht hat."
"Ruliat, gerade deswegen müssen wir mitgehen.
Und denk daran: Er hat noch immer Hilda und Jania in seiner Gewalt. Und
Gott weiß, was er mit ihnen tun wird..."
Ruliat und Nareid lauschten den Worten ihres
Kameraden während sie Shade und dem Druiden folgten, die weit voraus
gingen.
"Wenn du das sagst..."
Ruliat war ein Mensch der etwas ängstlicheren
Art. Genau wie Nareid auch. Der dritte in der Runde war ein etwas stabilerer
Kerl. Sein Name war Vorlint. Er strahlte eine Entschlossenheit und ein
Selbstbewusstsein aus, das eigentlich nicht zu einem armen Bauernjungen
passte. Die anderen Beiden kannten ihn noch nicht so lange. Eigentlich
kannte ihn niemand von ihnen besonders gut. Er hatte sich ihnen in ihrem
Dorf bei einer Feier angeschlossen und sie sind schnell Freunde geworden.
Kurz darauf waren sie auch schon los gezogen, wollten über die Hauptstraße
ins Gebirge, wo es eine kleine Siedlung gab mit einer Drachenzucht, die
Faranims Familie gehörte. Sie wollten nur ihre freien Tage mit Drachenreiten
und Feiern weit weg von der Arbeit verbringen. Und nun? Faranim war tot,
genau wie Belenat. Und die Frauen waren entführt worden von einem
Dämon, der weiß Gott was mit ihnen im Sinn hatte.
Es ging etwas Berg auf. Ein kleiner Hügel
nur, den Shade und der Druide schon empor gestiegen waren. Oben hielten
sie an und es schien so, als wollten sie auf die Anderen warten.
"Warum bleiben die stehen?"
"Ich weiß es nicht..."
Die Nacht ging zu Ende und der Morgen graute
schon. Der Hügel war lang gezogen und flach und als Ruliat, Nareid
und Vorlint die Anderen beiden erreichten, bot sich ihnen ein Anblick des
Grauens.
"Tja." Shades Stimme klang kalt und unbeteiligt.
"Wir sind wohl auf der richtigen Spur!"
Sie gingen schnellen Schrittes voran, um dieses
Feld so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Schade und der Druide
hatten wieder die Spitze übernommen, während die anderen ihnen
dicht folgten. Hinter der Anhöhe waren sie auf etwas gestoßen,
das wie ein Lager aussah. Womöglich von Wanderern. Das, was daran
nicht gefiel, war die Tatsache, dass hier nichts mehr lebte. Die Zelte
waren abgebrannt und es lag ein Geruch von Blut in der Luft. Ab und an
kam die Gruppe an Leichen vorbei, die zum größten Teil sehr
entstellt waren.
"Kaschinen."
Der Druide sah zu Shade rüber.
"Was meint ihr?"
"Das sind die Reste eines Lagers der Kaschinen.
Das sind Abkömmlinge eines Dunkelelfen- Stammes, der im Osten allgemein
als Wandervolk bekannt ist. Unser Stamm ist mit ihnen befreundet."
Der Druide sah sich noch einmal um. Als Shade
gesagt hatte, dass es ein befreundeter Stamm sei, dessen Mitglieder hier
zerrissen auf dem Boden lagen, hatte er einen Anflug von Mitgefühl
in Shades Stimme vernommen.
"Welchen Namen trägt denn euer Stamm,
wenn ihr diese Frage erlaubt."
Shade sah den Mann aus dem Augenwinkel an.
"Wir sind die Torang’dai."
Der Druide antwortete nichts. Was sollte er
darauf schon sagen? Aber irgendwo hatte er diesen Namen schon mal gehört.
Sie liefen weiter in Richtung Wald. Shade
fiel nach ein paar Metern hinter dem zerstörten Lager etwas auf. Fußspuren.
Es waren viele Fußspuren auf dem nassen, matschigen Boden zu sehen,
die alle von Stiefeln irgendwelcher Rüstungen zu seien schienen. Sie
waren tief und kaum zu übersehen, daraus schloss Shade, dass es schwer
bewaffnete Männer gewesen sein mussten. Alle Spuren führten in
Richtung des Waldes, der nun auch für Shade und die Anderen immer
näher rückte. Und am Waldrand schien etwas zu sein. Was es war,
konnte niemand ahnen, es war nur zu erkennen, dass dort etwas war, was
nicht ins Gesamtbild passte.
"Es war nur eine kleine Gruppe."
Shade sah sich noch einmal um, bevor sie wieder
das Feld der Trümmer und Leichen verließen.
"Frage mich nur, was die hier wollten."
Der Weg war noch weit. Mehrere Stunden dauerte
es, bis sie den Rand des Waldes erreichten und in der Morgendämmerung
sahen sie es. Was sie aus der Ferne nicht erkannt hatten, lag nun unmittelbar
vor ihnen. Die Kaschinen waren große Krieger gewesen und zweifelsohne
hatten sie gut gekämpft. Doch all das schien nichts geholfen zu haben.
Ein langer Streifen aus Blut und zerfetzten Leichen zog sich am Waldrand
entlang. Einige der Leichen waren definitiv Kaschinen. Das erkannte Shade
sofort. Die stolzen Krieger mit ihren spitzen Ohren und den für Kaschinen
typischen weißen Haaren. Doch da war noch mehr Blut. Es war dunkler
und wirkte alt und getrocknet, obwohl es noch flüssig war und von
den Blättern der Bäume tropfte. Einige Körper lagen dort,
deren Herkunft niemand bestimmen konnte. Keiner der anwesenden wusste,
was diese entstellten, zerfetzten und blutverschmierten Leichen vorher
für Lebewesen waren. Sie schienen lange, silberne Klauen zu haben,
die ihnen aus den Knochen der Finger wuchsen. Allerdings schienen sie aus
Metall zu sein. Die dunkelgraue Haut überzog einen Körper aus
Knochen. Sie waren sehr mager, nur wenig Fleisch war unter der dünnen,
faltigen Haut zu erkennen. Dennoch mussten sie stark sein. Sonst hätten
sie die Kaschinen nicht stoppen können. Oder sie waren einfach nur
schnell...
Die Bauern hielten sich die Hände vor
die Münder. Sie waren solche Anblicke nicht gewohnt.
Die Spur des Blutes und der Leichen führte
tiefer in den Wald und verschwand in der Finsternis. Rascheln und leise
Geräusche drangen aus dem Dunklen zu den Gefährten vor. Woher
sie kamen war nicht zu erkennen, aber es waren nicht die normalen Geräusche
eines Waldes. Es war, als könnte man leise Stimmen vernehmen, die
zwischen den Bäumen murmelten und flüsterten... Ab und an war
es, als würden sie kichern.
Der Druide schloss die Augen. Er schien plötzlich
abwesend. Sein Gesicht war immer noch nicht sichtbar, doch er verschränkte
die Arme vor der Brust und murmelte Worte unter seiner Kapuze. Shade konnte
sie mit seinen Dunkelelfenohren gut verstehen. Doch die Bauern schienen
es nicht mal zu bemerken. Der düstere Mann, dessen Namen Shade nicht
einmal kannte, schien mit sich selbst zu sprechen. Allerdings stellte er
nur Fragen, aber gab nicht die antworten. Eine Telepathie? Druiden traute
Shade alles zu. Und sie waren für ihre hohe geistige Begabung bekannt.
Dann hob er den Kopf ein wenig.
"Wir sind dann soweit", sagte er.
Noch bevor Shade fragen konnte, was er meinte,
hob der Druide beide Arme in die Höhe und hüllte sich selbst
in einen grauen Schleier von Nebel, der kurz darauf von strahlendem, roten
Licht vertrieben wurde. Wenige Sekunden später schon stand vor ihm
eine Gestalt, die etwa Shades Größe und Statur hatte, doch mit
schulterlangen silbernen Haaren, die aussahen, als wären sie aus Metall.
Feine, in die Haut gearbeitete schwarze Runen der Dunkelelfen und Symbole
verschiedener Druidenkulte verzierten Stirn und Wangen und verliefen weiter
den Hals hinunter bis sie unter der Kleidung verschwanden. Der Krieger
trug einen schweren Umhang, der die metallene Rüstung, die eng am
Körper anlag, zur Hälfte verdeckte. Der ganze Körper war
von silbernen Metallteilen und schwarzem Leder, was darunter lag, bedeckt.
Nur der Kopf war ungeschützt. Die spitzen Ohren stachen zwischen den
Haaren hervor und es war zu erkennen, dass sie mit Ringen durchstochen
waren. Die Gestalt öffnete die Lider, die Pupillen zogen sich zu Schlitzen
zusammen und zwei silberne Augen musterten Shade. Der Nebel verzog sich
schnell wieder und der Druide atmete noch ein paar Mal tief durch. Schließlich
baute er sich neben dem Neuankömmling auf und wirkte wieder wie vorher.
"Darf ich vorstellen, das ist Cehren."
© V.Geist
Vor Verwendung dieser Autoren-EMail-Adresse
bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
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