- Inzwischen, tief im Krater des Fujijama -
"Wie lange dauert das denn noch?" Seine wütende Stimme ließ
den ganzen Krater erzittern.
"Hetzen Sie uns nicht! Wenn wir Erfolg haben wollen, dürfen
wir uns keine Fehler erlauben, nicht einmal einen kleinen!"
"Es ist mir egal, wie Sie es machen, Hauptsache Sie kriegen dieses
verdammte Tor auf!!!"
"Das wird schon, bis jetzt haben wir jedes Schloß geknackt.
Lassen Sie uns nur machen und kümmern Sie sich um Ihre Sachen und
nicht um die unsrigen."
"Dieses Schloß ist aber nicht jedes Schloß und Sie könnten
es mit dem Leben bezahlen."
"Sie verstehen es, die Arbeitsmoral oben zu halten." Seine Stimme
klang etwas entmutigt; eingeschüchtert.
Sein wütender Gesprächspartner murmelte leise etwas vor
sich hin und ging.
Die anderen Männer sahen ihn forschend und abwartend an, fragten
aber nicht weiter nach seinen Worten. Wenn sie nicht durch etwaige Fallen
starben, würde er das sicher übernehmen.
Die zwei Männer nahmen ihre Meißel wieder auf und setzten
ihr Werk fort.
Die beiden Männer widmeten sich nun wieder einzig und
allein der Felswand und achteten nicht weiter auf den Dritten.
Dann fing es plötzlich an zu knirschen und zu knacken und die
Felswand gab nach. Der rauhe Fels hatte sich von der Felswand gelöst,
brach in sich in einer riesigen Staubwolke zusammen.
Von der massiven Wand blieben nur ein paar Kieselsteine übrig,
der Rest wurde als Staub vom Wind in alle Himmelsrichtungen verstreut.
Doch nicht der Staub allein war es, der den Forschern den Atem nahm,
sondern das, was er freilegte. Erstaunt blickten sie auf die ihnen gegenüber
liegende Wand. Das Atmen fiel ihnen schwer, trotz der Tücher, die
sie sich schnell über Mund und Nase gezogen hatten. Auch konnten sie
durch den aufgewirbelten Dreck nicht sehr weit sehen, jedoch weit genug,
um vor Erstaunen fast das Atmen zu vergessen. Das Tor sah sehr stabil aus
und schien über die ganzen Jahre hinweg nichts von seiner Schönheit
eingebüßt zu haben.
Im Gegenteil, es schien noch genauso zu sein, wie es von seinen
Erbauern nach seiner Vollendung verlassen worden war. Mentako, ein alter,
von der Sonne gebräunter Mann mit Brille, stand neben seinen Kollegen.
Neben ihm stand Sandor, einer jener Sorte, der seine Nachforschungen nur
in seinem Büro anstellte und nie eine richtige Expedition miterlebt
hatte. Diese unterschiedlichen Männer hatten eines gemeinsam: Angst.
Beide hielten immer einen gewissen Abstand Tekino, dem Dritten, gegenüber
ein. Die Träger hatten sie schon kurz nach ihrer Ankunft wieder verlassen,
sie fürchteten diesen Berg; er war ihr Heiligtum. Diese völlig
verschiedenen Männer standen nun alle Fassungslos vor einer Öffnung
in der selben Felswand, welche vorher völlig rauh und eher allem anderen
aber nicht einem Tor geähnelt hatte.
"Ist das...?", fragte Sandor, um die fast schon bedrückende
Stille zu brechen.
"Ich hätte nicht gedacht, dass er wirklich existiert. Das also
ist der Tempel von Menet!", erwiderte Metako und rückte seine Brille
zurecht.
"Ja, das ist er. Das ist jener Ort, den Forscher schon seit Ewigkeiten
suchen!", antwortete Tekino mit einem Lächeln, das zufrieden und furchteinflößend
zugleich war.
"Unglaublich..." Mehr konnte Sandor dazu nicht sagen. Die anderen
Professoren hatten sie ausgelacht, als sie von ihrem Vorhaben erfuhren,
und jetzt lag er wirklich vor ihnen.
Vor ihnen im Fels war ein regelrechtes Kunststück der Architektur
zum Vorschein gekommen. Drachen und Blumen zierten das Tor zu beiden Seiten.
Alles war in kräftig bunten Farben gestaltet worden. Es strahlte geradezu,
wenn man es ansah. Die Augen der Drachen waren aus Edelsteinen so groß
wie die Faust eines Kindes. Während die anderen Drachen in den Farben
der Elemente gehalten waren, war der Drache auf dem Siegel viel größer.
Und Schwarz war er, wie die Nacht selbst, wenn es keine Sterne gab. Er
zeigte den Forschern sein weit geöffnetes Maul, als wolle er sie warnen,
die Stille im Inneren zu brechen.
Im Krater wurde es dämmrig, bald würden die Fackeln nicht
mehr ausreichen, um das Lager auszuleuchten. Lampen besaßen sie nicht.
Der Benzingenerator war schon Tage zuvor bei einem Steinschlag beschädigt
worden und nun nicht mehr nutzbar. Wenn der Wind sie streichelte, huschten
flinke Schatten über das Tor und unterstrichen noch zusätzlich
die düstere Atmosphäre. Dieser ständige Wechsel von Licht
und Schatten ließ den Drachen lebendig erscheinen, als würde
er sich bewegen und sich jeden Augenblick auf die Forscher stürzen
und sie zu töten, um so den Tod in dieses heilige Gebiet zurück
zu bringen.
"Jetzt machen Sie sich doch nicht immer bei jeder Kleinigkeit gleich
ins Hemd! Das ist nur eine Statue, die wird uns schon nichts tun. Und jetzt
sehen Sie zu, dass Sie die Tür aufkriegt." Tekino machte der Anblick
des Drachen sichtlich nervös.
"Ich halte das für keine gute Idee", gab Sandor zu bedenken.
"Diese Architektur ist mehrere hundert Jahre alt. Es wäre gut möglich,
dass beim Öffnen das Artefakt Schaden nimmt. Und ich brauche sicher
nicht zu erwähnen, dass dieses Fundstück einzigartig ist. Sein
Verlust wäre eine Katastrophe für die Forschung, um es milde
auszudrücken!"
"Wollen Sie denn nicht sehen, was dieser Drache bewachen soll? Deshalb
sind wir doch hier. Wir wollen herausfinden, ob die Legenden wahr sind."
"Natürlich! Aber laut den Legenden liegt in Inneren Gut und
Böse begraben. Was, wenn wir es freilassen?"
"Sie glauben doch nicht etwas diese Märchen? Irgend ein alter
Greis wird sie sich ausgedacht haben, um Leute wie uns fern zu halten.
Bis jetzt ist noch kein Forscher, der ein Grab öffnete, gestorben,
zumindest kenne ich keinen. Und jetzt öffnen Sie es endlich!"
Die anderen wandten sich wieder ihren Aufgaben zu. Tekino setzte
sich inzwischen auf einen nahe gelegenen Fels, direkt dem schwarzen Drachen
gegenüber. Sein Blick schweifte über das steinerne Gesicht der
Figur. Er schien sich bedrohlich zu bewegen, wie ein Raubtier, das darauf
wartet, über sein ahnungsloses Opfer herzufallen. Es schien, als starrten
sie sich gegenseitig an, als erwarteten sie jeden Augenblick den Angriff
ihres Gegenübers. Er schien dieses Wesen, welches ihn anstarrte und
anscheinend jede seiner Bewegungen verfolgte, zu kennen. Er hielt den Drachen
für den sogenannten Tempelwächter. Je nachdem, welche Macht ihn
fand und seine Kräfte entfaltete, würde sich der Drache dem Guten
oder dem Bösen zuwenden. So besagte es die Legende, ein uralte Legende,
welche existierte, seit dieser heilige Ort erbaut wurde. Tekino wollte
letzteres. Er hielt nicht viel vom sogenannten Licht, sein Herz hatte sich
schon vor langer Zeit davor verschlossen. Er wollte sich dem Bösen
hingeben, seine Kraft in sich aufnehmen, denn der Schatten war stärker
als das Licht selbst. Wie sonst konnte der Schatten nie aus dieser Welt
verbannt werden? Warum existierte er sonst bis in alle Ewigkeit? Er hielt
nichts von Dingen wie Gott oder Satan.
Er wollte sich nur die unglaubliche Macht, die von ihnen ausging,
aneignen. Dafür lebte er. Und dafür würde er auch töten.
Das Licht der Fackel begann zu flackern und es schien, als würde der
Drache ihn nun direkt mit seinen Augen, aus riesigen Rubinen, anstarren.
Als hätte er seine Gedanken gelesen und würde darauf reagieren.
Tekino wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen als Mentako ihm
etwas zurief.
"He, Tekino, kommen Sie mal her. Ich glaube, wir sind da auf etwas
gestoßen!"
Er konnte nur schwer seinen Blick von dem Drachen hinüber zu
Mentako wenden. Schließlich erhob er sich von seinem Felsen und begab
sich zu den beiden Männern, den Drachen aber immer aus den Augenwinkeln
heraus beobachtend. Mentako und Sandor hatten, während er seine Gedanken
schweifen ließ, ihre Pinsel gezückt und Millimeter um Millimeter
den Staub aus den Vertiefungen entfernt.
Im oberen Teil hatte der Wind gute Arbeit geleistet, dafür
aber war im unteren Teil um so mehr haften geblieben. Unterhalb des schwarzen
Drachens befand sich eine Inschrift, vom Schatten der Figur geschützt,
deshalb hatte es auch einige Zeit gedauert bis man sie entdeckt hatte.
Fragend sah Tekino die beiden Forscher an.
"Was gibt es denn so wichtiges?"
"Das müssen Sie sich ansehen! Dieses Bauwerk ist mehrere hundert
Jahre alt, ach was rede ich, womöglich mehrere tausend Jahre. Und
trotzdem ist diese Schrift in unsere heutigen Sprache verfaßt. Es
stimmt nicht hundertprozentig überein, aber größtenteils
sind Worte enthalten, die noch heute existieren. Das ist einfach unglaublich.
Zu der Bauzeit hat diese Schrift in dieser Form noch gar nicht existiert,
und trotzdem ist sie da!" Mentako zitterte vor Erregung und heller Begeisterung.
Er interessierte sich sehr für Sprachen, aber so etwas hatte er noch
nicht erlebt. Er war sich sicher, dass dies einmalig in der Geschichte
war, zumindest bei den bekannten Fakten und Ausgrabungen. Leider geschah
es viel zu oft, dass Grabräuber alle Wertgegenstände raubten
und dabei Schriften und alles vernichteten, was kein Geld brachte.
"Und was bitte steht da geschrieben?" Man konnte den Spott in Tekinos
Stimme deutlich als Unterton heraus hören, er gab sich aber auch keine
besonders große Mühe, ihn zu verstecken.
"Augenblick... ich hab’s gleich." Sein Blick wanderte suchend über
den nun glatten Fels.
"Hier, lesen sie selbst." Sein Finger deutete nun auf eine Stelle
im Stein, unterhalb des Drachen. Tekino kniete sich hin und begann die
großen, fein säuberlich in den Fels gehauenen Buchstaben zu
lesen:
Einst wurden vier Krieger geboren
Allesamt mit reinem Herzen
Sie sind die Wächter
Und die Schlüssel ihrer Tempel
Sie wurden erschaffen
Um zu kämpfen
Für Menschen, denen sie nie begegnet
Geboren um zu sterben
Zu sterben um geboren zu werden
Auf Ewig lebendig begraben
Um aufzuerstehen
Wenn das Böse erneut
Seine Hand nach der Welt ausstreckt
Mit unglaublicher Kraft
Die Welt erneut im Licht erstrahlen zu lassen
Legende von Menet
Tekino wurde kreidebleich. Während Sandor und Mentako über
das Können der damaligen Erbauer erstaunt waren, war Tekino in Angstschweiß
ausgebrochen.
Er wußte als Einziger,was sich hinter diesem Steintor wirklich
befand, zumindest glaubte er das. Sein ganzes Leben hatte er diesem Fund
gewidmet und nun, endlich, nach so vielen Jahren, stand er vor ihm.
Hinter dieser Wand befand sich die vollkommene Macht, absolute und
uneingeschränkte Macht. Aber nie hätte er gedacht, auch nicht
in seinen Träumen, dass es auch das Gegenstück verbarg. Noch
war sie nicht aktiviert. Noch wartete sie auf die Wächter. Doch wenn
sie wieder zu neuem Leben auferstanden waren, würden sie eine ernste
Bedrohung für ihn sein. Die Auferstehung mußte um jeden Preis
verhindert werden. Aber diesem Problem konnte er sich auch noch später
widmen, erst mußte er an die Macht kommen, danach wäre es ein
leichtes, das Gegenstück zu vernichten.
"Und was soll diese Inschrift nun aussagen, Herr Mentako?"
"Jetzt sehen Sie mich nicht so an, als sei ich der Osterhase an
Weihnachten. Ich weiß es auch nicht. Ich habe schon einige Inschriften
gesehen, aber diese ergibt keinen Sinn. Vielleicht ist es eine Warnung.",
entgegnete Mentako.
"Eine Warnung? Aber wovor denn?", fragte Sandor.
"Ich weiß es nicht. Wir kriegen sicher eine Antwort darauf,
wenn wir wissen, was sich hinter dieser Wand befindet." Mit diesen Worte
versuchte Mentako, die anderen, aber wohl vor allem sich selbst, zu beruhigen.
"Es muß einen Öffnungsmechanismus für das Tor geben.",
sagte Tekino.
"Woher wollen sie das wissen? Schließlich gibt es keinen Hinweis
dafür", meldete sich Mentako zu Wort.
"Herr Mentako, glauben sie wirklich, dass sich die Erbauer solche
Mühe mit diesem Gebäude geben würden, um dann beim Öffnen
alles zu zerstören? Es gibt sicher einen Schalter, oder ähnliches,
mit dessen Hilfe wir in das Innere des Tempels gelangen können." Tekino
ließ seine Stimme absichtlich wie die eines Schulmeisters klingen.
Mentako unterdrückte die wütende Antwort, die ihm auf der Zunge
lag, und ging schweigend davon. Tekino ging in die Hocke, um den Drachen
näher zu mustern. Direkt unter dem Maul befand sich die seltsame Inschrift.
Das Maul des Drachen war geöffnet, was ihn noch bedrohlicher wirken
ließ, als es schon durch die Fackeln erzeugt wurde. Die Öffnung
war gerade groß genug, um die Hand eines erwachsenen Mannes hindurch
zu lassen.
"Sandor, ich glaube, ich habe einen Öffnungsmechanismus entdeckt.
Hier ist eine Öffnung im Maul des Drachen und dahinter scheint so
etwas wie ein Hebel zu liegen."
"Wirklich?" Neugier lag in Sandors Stimme.
Tekino deutete mit dem Kopf auf eine Stelle im Inneren des Drachenmaules.
Sandor leuchtete mit einer kleinen Taschenlampe hinein und fand eine kleine
Einkerbung für ein Amulett, oder ähnliches, was als Schlüssel
dienen konnte.
"Seltsam, da ist eine Einkerbung im Fels. Wir brauchen einen Gegenstand
in Form eines kleinen Drachens, soweit wie ich das erkennen kann. Ohne
den Schlüssel dürften wir den Tempel kaum betreten können."
Tekino zog an einem Lederband, das er unter seinem Hemd trug, und
ein kleiner weißer Drache, das genaue Ebenbild des schwarzen Drachens,
kam zum Vorschein. Vorsichtig fügte er ihn in die Einkerbung ein.
Es knackte laut und man konnte schwach das Arbeiten von Zahnrädern
hören. Der Mechanismus war in Gang gesetzt worden.
Die große Steinplatte öffnete sich knirschend und knackend.
Es war erstaunlich, dass der Öffnungsmechanismus dieses uralten Bauwerks
nach all der Zeit noch immer funktionierte.
Die Platte hatte sich nun ganz beiseite geschoben und dadurch den
Eingang zum Tempel von Menet freigelegt. Die Forscher starrten nun in völlige
Dunkelheit. Aus dem Inneren kam ihnen ein kalter Luftzug entgegen. Nur
zögernd betraten sie den Ort, den seit Jahrhunderten kein menschliches
Wesen mehr betreten und dessen Stimme so die heilige Ruhe gestört
hatte. Sie machten die Taschenlampen erst nach ein paar Schritten an, da
sie nicht wußten, wie gewaltig dieser Ort war. Jeder Forscher verläßt
einen solchen Ort nur ungern, weil kein Licht mehr da ist. Im Tempel war
es wirklich kühl und ihre Schritte hallten sachte von Wand zu Wand.
Keiner wagte es, laut zu atmen geschweige denn zu sprechen. Plötzlich
wurde die Stille jäh gestört.
"Ahhh! Was ist das denn für ein ekliges Zeug. Einfach widerlich!",
sagte Mentako erbost. Er richtete den Strahl seiner Lampe auf seine Hand.
Sie war mit etwas Schwarzem überzogen, etwas Schmierigem. Er roch
daran.
"Seltsam, das ist Öl!"
Die anderen hatten einen Moment vor Schreck, aus Angst, es wäre
eine mögliche Todesfalle, inne gehalten. Mentako richtete den Strahl
seiner Taschenlampe auf die Wand neben ihm und entdeckte eine an ihr entlang
laufende Rinne. Er folgte der Rinne mit den Augen und holte schließlich
ein Feuerzeug aus seiner Hose. Er drehte sich um und sagte: "Mal schauen,
ob meine Vermutung richtig ist.", und zündete das Öl an. Es fing
sofort Feuer und breitete sich rasend schnell über die ganze Rinne
hin aus. Mit einem Mal war der gesamte Tempel hell erleuchtet. Die Lampen
waren nun nicht mehr von Nöten.
Der Anblick, der sich ihnen bot, war atemberaubend. Der Gang mündete
schon nach wenigen Schritten in eine riesige Halle. Man kann diesen phantastischen
Anblick, der sich den Männern bot, eigentlich nur mit phantastisch
beschreiben. Vor ihnen lag eine Halle, deren Fußboden mit Jade ausgelegt
und die Wände mit Rosenquarz, Türkisen und Opalen reich verziert
waren. Die Decke der Halle wurde von kunstvoll geschwungenen Säulen
getragen, deren Ende man mit dem bloßen Auge nicht erkennen konnte,
als würden sie bis weit in den Himmel hinein reichen. Sie betraten
die Halle. Der Raum war quadratisch und mußte tief in den Felsen
hinein reichen.
Dank des brennenden Öles war der Raum gut zu überblicken.
Seltsamerweise entstand beim verbrennen des Öls kein Rauch, zumindest
merkten die Männer davon nichts. Vielleicht war es auch gar kein Öl,
aber das konnten sie auch noch später herausfinden.
Sie traten zwischen den Säulen hindurch, sichtlich bemüht,
die heilige Ruhe in diesem Saal nicht zu stören. Die Forscher bestaunen
die reich verzierten Wände und Säulen mit ihren Schriftzeichen
und Bildern. Tekino war sichtlich bemüht, zum Ende des Säulenganges
zu gelangen, während Sandor und Mentako aus dem Staunen nicht mehr
herauskamen. Schließlich hörten die Säulen auf und vor
ihnen befanden sich Stufen, die zu einer Erhöhung führten.
Die fünf Stufen waren aus reinem Marmor und auf der Erhöhung
befanden sich vier Altäre. Sie gingen die Stufen empor um die Altäre
genauer zu untersuchen und erst als sie oben ankamen bemerkten sie, dass
jeder in einer anderen Farbe war. Von den Säulen aus hatte man das
nicht erkennen können, da das brennende Öl sie hat alle gleich
aussehen lassen. Die Farbtöne waren von erstaunlicher Reinheit. Der
eine war so grün, dass man das Gefühl hatte, gleich einem aus
dem Wald springendem Reh zu begegnen, während der Wind die Blätter
zum singen brachte. Der zweite war so blau, dass er den Eindruck erweckte,
man sehe auf einen Ozean herab. Man erwartete jeden Augenblick den Fisch,
der aus seinen Tiefen empor schnellte und Millionen von kleinen Wassertropfen
glitzernd auf die Wasseroberfläche zurückfielen. Ein Dritter
war so weiß, wie es nur die Wolken an einem azurblauen Himmel sein
können. Man roch praktisch schon das frische Gras, hörte die
Bienen summen, während man in einer prächtigen Wiese lag und
dem Vorbeiziehen jener weißen Wolken zusah. Und der letzte Altar
war so rot wie der blühende Mohn selbst, erinnerte einen aber auch
an ein Feuer, das einen in einer kalten Nacht wärmte. Die Gruppe war
sich nicht sicher, ob die Farben diese Eindrücke hervorriefen oder
ob sie diese Dinge wirklich sahen.
Sandor kniete nieder, um sie sich näher ansehen zu können.
Sie hatten keinerlei Verzierungen, was bei dem Eindruck, den die Farben
schufen, auch mehr als unangebracht gewesen wäre. Aber es war dennoch
ungewöhnlich. Kultgegenstände hatte meist eine Verzierung, warum
also diese nicht? Die Oberfläche war glatt und hatte keine einzige
Vertiefung. Nur die obere Steinplatte stand auf jeder Seite wohl an die
10 cm über.
"Wer hat diese Altäre nur erbaut? Die Arbeit ist so präzise,
dass es schon einem Wunder gleicht. Nicht einmal wir können mit unseren
heutigen Mitteln so genau arbeiten. Wie also konnten das die Erbauer?",
fragte Sandor.
"Wie kommen sie darauf, dass dies Altäre sind? Meiner Meinung
nach sind sie es nicht, oder haben sie Beweise für diese Behauptung?",
sagte Tekino.
"Was soll das heißen? Wollen Sie, Herr Tekino, etwa behaupten,
dass es sich hier um einen Tempel handelt? Für die Existenz des Tempels
von Menet gab es kaum schriftliche Beweise und über seine Funktion
ist nichts bekannt. Nichts wurde überliefert, alles ging im Lauf der
Geschichte unter. Tempel wurden erbaut, um Göttern zu huldigen, um
Opfer dar zu bringen. Meinen sie wirklich, dass dies ein Tempel ist? Welchen
Göttern sollte denn gehuldigt werden?", mischte sich nun auch Mentako
ein.
"Das mag ja alles seine Richtigkeit haben, was sie da sagen, aber
ich behaupte dennoch, dass es sich bei den vorliegenden Objekten um Sarkophage
handelt. Tempel mußten nicht immer nur Göttern geweiht sein,
sondern es konnte auch passieren, dass sie Menschen geweiht wurden, Nationalhelden,
sozusagen."
"Und wer ruht ihrer Meinung nach in diesen Sarkophagen?", entgegnete
Mentako leicht gereizt. "Schließlich ist kein Grabschmuck oder gar
eine Inschrift zu erkennen."
"Grabschmuck haben sie auch gar nicht nötig", entgegnete Tekino.
Er war der einzige, der wirklich wußte, was dieser Tempel
bedeutete. Hatte er vorher auch Zweifel, die Inschrift auf dem Zugang zum
Tempel, war für ihn mehr als eindeutig gewesen. Nach einer Weile fügte
er hinzu: "Und das, was vor uns in diesen Kammern ruht, ist nichts anderes
als die Kadaver der Wächter selbst."
Die Wächter, wie oft hatte er über sie nachgedacht, wie
sie wohl aussahen, wie sie wohl begraben waren, wartend und noch immer
voller Magie. Und jetzt sah er ihre Gräber. Er hatte sie sich immer
überladen mit Beigaben und Verzierungen vorgestellt, doch nichts von
alle dem war jetzt noch vorhanden. Wie groß mußte doch ihr
Ruhm sein. Er verspürte ein leichtes frösteln, als er daran dachte,
ihnen, diesen mächtigen Wesen, einmal gegenüber stehen zu müssen.
Wer würde wohl stärker sein, denn wahre Macht altert nie, das
wußte er nur zu gut. Aber sie würden Zeit brauchen ihr Macht
wieder zu erlangen. Das würde ausreichen müssen, bis er stark
genug war. Er blickte wieder auf den vor ihm liegenden Sarg. Die Schriften
besagten, dass ihre Körper zeitlos seien, dass sie erhalten geblieben
sind, so als hätte man sie erst vor wenigen Minuten hier zur Ruhe
gebettet.
"Nun, ihre Argumente scheinen einleuchtend. Warum beweisen sie uns
nicht, dass sie Recht haben? Öffnen wir sie doch einfach und sehen
nach!", fügte Sandor hinzu.
"Ich weiß nicht, wenn er Recht hat, und das wirklich Ruhestätten
sind, sollten wir ihre Ruhe nicht stören", fügte Mentako.
In Tekinos Augen blitzte es kurz auf. Sie öffnen. Diese Vorstellung,
seinen zukünftigen Feind zu sehen, erregte ihn.
"In Ordnung. Werfen wir einen Blick hinein."
Schon nach kurzer Zeit konnte man ihr Stöhnen hören, als
sie versuchten, eine Platte zu entfernen. Die Deckplatte bot für die
Männer den einzige Halt. Sie versuchten es wohl an die fünf Minuten,
vergebens.
Als sie schließlich endgültig aufgaben, hatte sich der
Deckel nicht einen Millimeter bewegt. Er erweckte den Eindruck, von einem
gigantischen Magnet angezogen zu werden.
"So geht das nicht!", sagte Sandor und wischte sich den Schweiß
von der Stirn. Das Material war wirklich so solide wie es aussah.
Er fügte schließlich nach einer Pause hinzu: "Mit diesen
Mitteln bekommen wir das nicht auf, und wenn wir Gewalt anwenden, zerstören
wir es vielleicht. Ich schlage vor, dass wir uns später damit auseinander
setzen und nun erst mal den Rest des Tempels erkunden."
Sandor und Mentako gingen nun im Tempel umher, um ihn an verschiedenen
Stellen zu untersuchen und sich Notizen zu machen. Tekino war als einziger
noch bei den Grabmälern. Er drehte sich um, um zu der 10 Meter entfernt
liegenden Mauer zu gehen. Es war an dieser Stelle Stockdunkel und so war
es nicht verwunderlich, dass er plötzlich leise zu fluchen begann.
Er wußte, dass er da sein mußte, hatte ihn aber trotzdem übersehen.
Er rieb sich eine Weile sein Knie und blickte schließlich ins Dunkle.
Er war wirklich schwarz wie die Nacht. Er tastete um sich herum, bis er
schließlich auf Widerstand traf.
Es war das gleiche Material, aus dem auch die anderen Grabstätten
bestanden, doch etwas war anders... er... er war offen. Das war unmöglich,
man konnte sie von innen ebenso wenig öffnen wie von außen.
Aber er war offen. Der Schock legte sich schnell wieder, er wußte
wie durch Eingebung, was vor ihm lag. Es war der Verfluchte, der, der auch
begraben sein sollte, es aber nicht war, da man ihm dieses Ritual verwehrt
hatte. Er, die rechte Hand des Bösen, der Diener. Sein Ziel mußte
ganz in der Nähe sein. Er holte eine Taschenlampe hervor und richtete
sie auf die Wand. Er grinste zufrieden, er hatte gefunden, was er suchte.
Tekino warf die Lampe gegen die Wand. Sie zerschellte, aber nicht an der
Wand sondern an einem Energiefeld. Die Lampe verursachte wohl eine Art
Kurzschluß und fiel in kleinen Einzelteilen zu Boden. Er entzündete
ein Streichholz und betrachtete die Wand, noch immer in gebührendem
Abstand.
Die Wand zeigte ihm ein seltsames Muster. Er mußte das Streichholz
wieder fallen lassen, bevor er sich die Finger an den Flammen verbrannte.
Er ging in die Knie und tastete nach einem Gegenstand. Seine Hand packte
einen Stein. Mit aller Kraft schlug er ihn gegen das Symbol an der Wand.
Das Energiefeld zuckte nach seinem Körper und der Schmerz wollte ihn
gar nicht mehr loslassen. Er war so erregt. Er wollte sehen, was ihn erwartete.
Er ignorierte den Schmerz und schlug weiter auf die Wand ein.
Schließlich gab es ächzend nach und er sank, noch immer
den Stein in der Hand, zu Boden.
Das Symbol fing an zu glühen und er wurde von einem tobenden
Windhauch erfaßt. Er wurde zu Boden gerissen, schlug hart auf.
Er öffnete die Augen und blickte verwirrt umher. Er brauchte
ein paar Sekunden, bis er wieder wußte, was passiert war. Der Sturz
hatte ihm den Arm ausgekugelt, doch er packte ihn und renkte ihn ohne Probleme
wieder ein. Mentako hatte sich in der Nähe befunden, um die Säulen
zu untersuchen. Als er den Krawall hörte, kam er näher, um nachzusehen.
Tekino hört seine Schritte und drehte sich nach ihm um, bevor er ihn
überhaupt sah. Mentako kam schnell auf ihn zu gerannt. Tekino streckte
seine Hand aus und spießte ihn mitten im Gehen auf. Mentako hatte
keine Chance. Seine Hand durchdrang seinen Brustkorb und wühlte nach
seinem Herzen. Als er es fand riß er es ihm ohne zögern heraus.
Alles geschah so schnell, dass sein Opfer nicht einmal mehr die Zeit fand
zu schreien. Er stöhnte noch einmal leise auf und sank dann sterbend
zu Boden. Tekino hob seine Hand und sah das Blut sein Handgelenk hinunter
gleiten.
Er lachte. Dann wandte er sich Sandor zu.
Auch er hatte etwas gehört und wollte sich nun erkundigen,
warum Mentako zu Tekino gerannt war. Tekino ging langsam in seine Richtung
und als er Sandor gegenüberstand, schleuderte er ihn gegen die Wand.
Man konnte es knacken hören. Als Sandor gegen die Wand krachte, wurde
sein Schädel wohl mehrmals gebrochen; vermutlich auch einige Rückenwirbel.
Die Ölflammen begannen zu flackern. Leise fiel ein toter Körper
zu Boden und schlug mit einem dumpfen Geräusch auf. Die letzten Flammen
erloschen mit ihm. Alles, was in dem nun leeren Tempel zurückblieb,
war eine schemenhafte Silhouette mit braunen Haaren und ein Notizbuch in
dessen Seiten der Wind spielte.
© Teufelchen
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bitte das unmittelbar am @ angrenzende "NO" und "SPAM" entfernen!
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