Trio Infernale von Sylvia und Cancelot
Die reale Drachental-Satire
Ein Experiment und seine Folgen

"Hexen? Aber nein ..."
Entrüstet schüttelte Morholt den Kopf. "Da täuschst du dich, Orhima."
"So? Na, ich weiß nicht." 
Mißtrauisch blickte das Kamel hinüber zu den beiden Gestalten. Sie waren beide so ziemlich gleich groß, aber das war auch schon das einzige gemeinsame Merkmal der beiden. Während die eine einem silbernen Engel glich, war die andere eher unauffällig, ja fast unscheinbar zu nennen bis auf ein Paar sehr angriffslustig funkelnde Augen, mit denen sie den Moordrachen jetzt bis auf die Knochen zu taxieren schien.
Orhima beäugte weiterhin mißtrauisch dieses ungleiche Duo. In ihrer Heimat war sie oft Hexen begegnet, Sand- oder Dünenhexen, die grausame Sandstürme herbeirufen konnten oder Kamele in fliegende Teppiche verwandelten.
Diese beiden hier schienen ihr nicht ganz so mächtig zu sein und sie überlegte, was für eine Art von Freundschaft sie wohl mit dem Alchimisten verband.
"Nun, so laßt mich Euch miteinander bekannt machen."
Morholt winkte die beiden zu der kleinen Gruppe herüber.
"Dies hier ist Sylveria, man nennt sie auch die Wandlerin des Lichts ... und dies hier ist Crosideria, die Wandlerin der Worte."
Webolo blickte mißtrauisch von der einen zur anderen, schob seinen Sombrero hin und her und begann unruhig hin und her zu hüpfen. Morholt stellte sich neben ihn und hielt das aufgeregte Kerlchen sanft an den Schulter fest. 
"Sei unbesorgt, kleiner Freund, dir wird nichts geschehen. Sie sind wirklich gute Freunde. Sieh her, ich beweise es dir ..."
"Meine Lieben...", mit einem schelmischen Grinsen winkte er die beiden zu sich. "Laßt uns gemeinsam dieses anmutige Geschöpf von seinen Qualen befreien und wieder den Weg zurück zur Erde finden."
Jede stellte sich in Position und zusammen mit Morholt bildeten sie nun ein Dreieck um Orhima. Morholt zog aus seinem Beutel eine kleine Phiole, die er vorsichtig öffnete. Mit ruhiger Hand ließ er zwei kleine Tropfen daraus auf Orhimas Stirn fallen. Sylveria bewegte ihre rechte Hand über die selbe Stelle und feiner silberner Staub wirbelte durch die Luft, wo er sich zu einer kleinen Wolke formte und stehen blieb. Nun begann Crosideria leise seltsame Worte zu flüstern .Die Wolke breitete sich stetig im Rhythmus der Worte aus, leuchtete und erstrahlte in den hellsten Farben die sie jemals erblickt hatten und legte sich wie eine zweite Haut um Orhima, die ängstlich ihre Augäpfel verdrehte und hilfesuchend Morholt ansah. Doch dieser lächelte sie nur aufmunternd an. Orhima spürte, wie sie vom Erdboden regelrecht angezogen wurde, das schöne aber so langsam auch lästige Gefühl der Schwerelosigkeit wich von ihr und machte den Gesetzten der Schwerkraft wieder Platz.
"Wie macht ihr das?" fragte Webolo neugierig und sah Crosideria aus weit aufgerissen Augen an.
"Ach, das ist ganz einfach. Schau, all diese Dinge sind ja schon da. Die Macht einer Hexe oder eines Zauberers liegt am richtigen Zusammenfügen der Elemente. Auch Morholt benutzt nur Dinge, welche die Natur ihm liefert, aber es liegt an seiner Rezeptur, was letzten Endes daraus wird. Ein mächtiger Zaubertrunk oder ... eine Tasse Tee."
Webolo nickte wortlos. Wenn sie das so sagte, überlegte er, würde es wohl so sein.
Sogar Moordrache schien etwas beeindruckt, lediglich der alte Ritter sah noch genauso skeptisch aus wie immer.
"Alles fauler Zauber", murmelte er in seinen Bart.
Orhima prüfte vorsichtig den Boden unter ihren Hufen, sie schien noch nicht ganz so überzeugt davon, daß sie nun wieder auf Erden herumwandeln konnte ohne abzuheben.
"Nun, da ja alles wieder in Ordnung ist, was haltet ihr von einem kleinen Imbiß? Und etwas zu trinken?"
Sofort willigten alle ein und Moordrache bot sich freiwillig an ein gemütliches Feuer zu entzünden. Webolo und Rosinante zogen los um Feuerholz zu suchen, da Morholts Vorrat nicht ganz ausreichend schien. Sylveria und Crosideria halfen Morholt, allerlei köstliche Speisen aus seiner Hütte zu tragen und auf den Tisch zu stellen, den der alte Ritter in der Zwischenzeit aus einem kleinen angrenzenden Schuppen gezerrt und aufgestellt hatte.
Und was sich dort für Köstlichkeiten stapelten: Weine unterschiedlichster Art, die kräftige Farben besaßen und in bauchigen Flaschen abgefüllt waren, kleine Fässer mit Moorbrand, Obst und Gemüse in allen möglichen Formen und Farben, Pizza mit dicken Belägen aus Käse und Tomaten. Morholt trat aus der Hütte, eine große Pfanne vor sich her tragend, in der es verführerisch zischte und dampfte und der ein unvergleichliches Aroma entströmte.
"Oohh ... ", staunten alle und Webolo quietschte vergnügt drauflos: 
"Davon will ich was haben, au ja... das riecht so lecker. Was ist da alles drin?"
Moordrache grinste über beide Backen und lachte laut auf, so daß Webolo ein klein wenig zusammenzuckte. "Das ist eine Original Gemüse-Pfanne. Ein altes Rezept von mir, ich schenkte es Morholt, damit er genügend Kraft für seine wissenschaftlichen Untersuchungen hat."
Webolo hob seinen kleinen Finger und riss dabei den Mund auf. 
"Ich hab‘s, natürlich ... Gemüse enthält wertvolle Fantamine und so ein Zeug, nicht wahr, deswegen!" Siegessicher strahlte er Moordrache an. 
"Junge, Junge ... wenn du groß bist, erkläre ich es dir."
Moordrache schüttelte mit dem Kopf und hatte bereits Tränen in den Augen, so vergnügt war er über Webolos völlig unbedarfte Aussage.
Für das leibliche Wohl Orhimas und Rosinantes war ebenfalls gesorgt, beide erhielten einen riesige Schüssel voll zarter junger Möhrchen aus dem Garten des Alchemisten.
So saßen sie alle zusammen, sangen fröhliche Lieder und ab und wann half der Moordrache mit einem kräftigen Stoß aus seinem Nasenloch, das Feuer aufrecht zu erhalten, denn inzwischen war es recht kühl geworden.
"Welch ein Getränk ist dies hier?"
Canerio war aufgestanden und umkreiste neugierig ein großes Faß, das etwas abseits von den anderen stand und recht unscheinbar aussah.
Morholt schien unschlüssig, entschied sich dann aber doch, den Ritter über den Inhalt des Fasses aufzuklären.
"Ich nenne es Flammentod. Dieser Trank birgt vieles in sich. Er zeigt auf, welche Schwachstellen der Mensch besitzt. Seine Flammen verzehren alles Oberflächliche und zeigen das, was sich dahinter verbirgt. Ein hervorragendes Getränk um seine Feinde zu erkennen, jedoch auch, um zu zeigen wer deine Freunde sind."
"Aha."
Ritter Canerio warf einen kurzen Blick auf die Hexen, die gerade ausgelassen mit Webolo umherhopsten, dann wieder zu Morholt.
"Hmm, gehe ich recht in der Annahme, daß diese beiden ... Geschöpfe ein Produkt dieses Getränkes sind?"
"Nun ... nuja ... öhmmm, also ich ... tja, das ... also, wie soll ich sagen ..." 
Seine Wangen bekamen ein sattes Rot, er schluckte kräftig und räusperte sich unbeholfen. Hilfesuchend blickte er sich um, doch alle anderen waren mit Singen und Tanzen beschäftigt, so daß er keinen Weg fand, diesem Gespräch zu entgehen.
"Ja? Was wolltet Ihr sagen?" erkundigte sich Canerio freundlich.
"Nun gut, aber Ihr werdet es hüten wie einen Schatz, dieses kleine Geheimnis. Gebt mir Euer Wort darauf!"
"Ich gebe Euch das Wort eines Ritters, werter Morholt!"
Morholt seufzte tief, sah den Ritter lange und prüfend an und begann schließlich zu erzählen.
"Diese beiden jungen Damen saßen eines Tage vor meiner Hütte, hungrig wie es schien und sehr alleine. Sie boten mir an, im Haushalt und Garten zu helfen, wenn ich ihnen für eine Weile Obdach und Essen gewähren würde. Da ich selbst zu diesem Zeitpunkt viel zu tun und somit nur wenig Zeit für meinen wunderbaren Kräutergarten und mein kleines Häuschen hatte, willigte ich ein. Und natürlich freute ich mich über etwas Gesellschaft ... manchmal ist es sehr einsam hier, auch wenn ich die Stille eigentlich bevorzuge.
Eines Abends, ich wollte gerade für letzte Feinheiten an diesem wunderbaren Getränk noch etwas Silberglanz aus meinem Garten holen, bemerkte ich, wie die beiden sich heimlich davonschlichen ... und sich einfach an meinem Fass bedienten.
Ich war empört und entsetzt, doch dann ... plötzlich begannen sie sich zu ändern. Zuerst kaum wahrnehmbar, die Farbe ihrer Haare ... ihre körperliche Haltung ... und ihre Gesichter. Ihr hättet es sehen sollen, dieses Lächeln, das dort auf einmal erschien, wie durch einen Zauber ..."
 
© by Cancelot


Während Moordrache sich gelangweilt die Klauen säuberte und so tat, als würde ihn auf dieser Welt nichts brennender interessieren als seine Maniküre, lauschte der Ritter fasziniert den Worten des Alchemisten.
"Ja, das ist das Besondere an diesem Trank", fuhr Morholt leise fort. "Er bringt unser wahres Ich zum Vorschein - das, was wir in unserem Inneren sind und sein wollen ... und so wurden diese beiden Geschöpfe ins Leben gerufen. Aus zwei verwahrlosten Herumtreiberinnen, denen nicht bewußt war, welche Kräfte in ihnen schlummerten, wurden diese wunderbaren, magiebegabten Wesen ..."
Morholts Blick schweifte zu den beiden Hexen hinüber, die ausgelassen mit Webolo über die Wiese hüpften und um seine freundliche braune Augen tauchten plötzlich unzählige Fältchen auf, als er lächelte.
"Aber was beinahe noch besser ist: sie sind bei mir geblieben und leisten mir Gesellschaft. Ich würde sie nicht mehr missen wollen - und sie mich wohl auch nicht."
"Und Ihr glaubt, das sind allein die Auswirkungen des Flammentods?"
Der Ritter warf ihm einen skeptischen Blick zu.
"Oh ... naja", schmunzelte der Alchemist. "Vielleicht wären die beiden auch ohne diesen Trank hier bei mir geblieben – aber mir schien es doch sicherer, ein wenig ... nachzuhelfen."
"Beneidenswert", seufzte Canerio und mußte unwillkürlich an seine angebetete Dulcinea denken.
Und an dieses geheimnisvolle Gebräu namens Flammentod, der genau das zu sein schien, was er brauchte: ein Trank, um die Dame seines Herzens an sich zu binden, ein Verwandlungstrank, ein Liebeszauber ...
Schon grübelte er darüber nach, wie er Morholt ein Fläschchen von diesem Wundermittel abschwatzen konnte.
"Äähmm ... würdet Ihr mir wohl eine kleine Portion dieses Tranks überlassen? Gegen Bezahlung natürlich ..."
Canerio blickte Morholt fragend an, doch der Alchemist schüttelte den Kopf.
"Oh, nein - das wäre viel zu gefährlich! Die Dosierung erfordert viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung - ein paar Tropfen zuviel davon könnten schon eine völlig unberechenbare Wirkung hervorrufen. Nein, nein, werter Ritter, mit Flammentod ist nicht zu spaßen ..."
Verstohlen betrachtete Morholt den alten Rittersmann an seiner Seite und in seinen Augen blitzte plötzlich der Schalk.
"Sagt, wozu braucht Ihr denn solch einen Zauber?"
Canerio druckste ein bißchen herum und kratzte mit dem Daumennagel verlegen den Rost vom Brustharnisch seiner Rüstung.
"Nun ja ... wißt Ihr, es gibt da eine gewisse Dame, die ein wenig ... ääh, hmm ... schwer zu überzeugen ist ..."
"Na, wenn dem so ist", nickte der Alchemist mit einem wissenden Lächeln und ein Hoffnungsfunke glomm in den Augen des Ritters auf. "Das ist natürlich eine äußerst dringliche Angelegenheit ... hmm, laßt mich einmal überlegen ... ich werde Euch ein nettes Kräuterelixier brauen. Erinnert mich morgen noch einmal daran." Er grinste.
Canerio ließ enttäuscht die Kinnlade hängen.
"Ein Kräuterelixier ..."
Moordrache, der die ganze Zeit über schweigend dem Gespräch der beiden zugehört hatte, hielt mit dem Säubern seiner Klauen inne und bedachte Canerio mit einem mitleidigen Blick.
"Habt Ihr es eigentlich schon mal mit ... hm, mit ... wie hieß das gleich nochmal ... mit Worten versucht? Oder mit netten Gesten? Mit Charme?" Er schüttelte den Kopf und schnaubte verächtlich.
"Menschen ... tsss! Mit Kräutern und Zaubertränken müßt ihr eure Auserwählten betäuben, um sie für euch zu gewinnen - so etwas hätte ein Drache niemals nötig! Wir sind die geborenen Liebhaber ..."
Morholt grinste verstohlen in seinen Bart und murmelte etwas von "geborenen Angebern", während der Ritter erbost zu dem schuppigen Gesellen herumfuhr.
"Ach ja? Wo ist sie denn, Eure Angebetete?" schleuderte er dem Drachen ins Gesicht. "Die hat sich doch bei Eurem Anblick gleich vom Feld gemacht! Tsss ... Charme - bei Euch würde noch nicht einmal ein ganzes Faß von diesem Flammenzeugs reichen ..."
Moordrache furchte die Stirn und wollte schon zu einer Antwort ansetzen, die sicher nicht besonders freundlich ausgefallen wäre, doch dann zog er es vor, seine Worte wieder hinunterzuschlucken, als Webolo mit den beiden Hexen im Schlepptau angetrabt kam. Völlig erledigt ließ sich der Knappe neben das Feuer fallen und wischte sich den Schweiß vom Gesicht.
"Puh", keuchte er, "hab ich einen Durst! Die können einen ganz schön ins Schwitzen bringen!"
"Oh, ja ..." Morholt kam aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus.
Während sich nun auch Crosideria und Sylveria zu der kleinen Gruppe gesellten und sich am Feuer niederließen, sah sich Webolo verzweifelt nach etwas Trinkbarem um und griff nach dem nächstbesten Krug, der in Reichweite stand.
"Haltet ein! Das ist Moooooor ..." - der Ritter sah gerade noch aus den Augenwinkeln, wie sein Knappe zu einem großen Schluck ansetzte, doch zu spät - "...brand! beendete er seinen Satz, aber da hatte Webolo den Humpen schon zu drei Vierteln geleert.
Er wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab, feixte fröhlich in die Runde und wunderte sich ein wenig über all die Gesichter, die ihn besorgt musterten, dann verdrehte er die Augen, kippte still und leise nach hinten und blieb reglos liegen.
Morholt lachte und beruhigte den Ritter. "Das ist wirklich nur Moorbrand - bißchen stark für den Knirps, aber harmlos. Er wird schlafen wie ein Murmeltier."
"Kommt davon, wenn man nichts verträgt", meinte der Drache schulterzuckend und beobachtete amüsiert, wie die beiden Hexen den trunkenen Knappen in den Stall zu einem Strohlager trugen. Dabei leerte er ungerührt gleich ein halbes Faß von selbigem Getränk, das den armen Webolo außer Gefecht gesetzt hatte.
Als Crosideria und Sylveria zurückgekehrt waren und sich wieder ans Feuer gesetzt hatten, plauderten sie eine Weile munter weiter, erzählten sich gegenseitig von ihren Erlebnissen und Canerio, der sich plötzlich sehr für Alchemie zu interessieren schien, quetschte Morholt über seine Versuche und Rezepturen aus.
Zu vorgerückter Stunde, als der Drache kaum noch die Augen offen halten konnte und Crosideria, den Kopf auf Morholts Knie gebettet, bereits süß schlummerte, erhob der Alchemist noch einmal das Wort.
"Wie ihr nun wißt, beschäftige ich mich mit der Zubereitung von allerlei Essenzen und Elixieren und mit der Erforschung ihrer Wirkung. Nun ja, in diesem Zusammenhang hätte ich eine Bitte an euch ..."
"Eine Bitte?"
Moordrache öffnete schläfrig ein Auge.
"Eine Bitte", bestätigte Morholt. "Richtig. Ein kleiner Gefallen wäre doch sicher nicht zuviel verlangt nachdem ich euer Kamel wieder auf die Erde gebracht habe, euch Speis und Trank und ein Nachtlager geboten habe und ihr mir meinen besten Moorbrand weggesoffen habt ..."
Er schmunzelte, als er Canerios betretenes Gesicht bemerkte.
Moordrache räumte währenddessen unauffällig mit der Klaue die leeren Fässer ein wenig in den Hintergrund und versuchte, ein interessiertes Gesicht zu machen.
"Leider gelingen mir nicht alle Versuche", gab Morholt unumwunden zu und sah auf einmal recht niedergeschlagen aus. "Vor einigen Jahren probierte ich eine neues Rezept aus, das die Flügellähme bei Drachen heilen sollte - eine Erbkrankheit, ihr habt sicher davon gehört ..."
"Jaja", winkte Moordrache ab. "Ich weiß Bescheid - schlimmes Leiden. Das hatte die Frau des Vetters meines Urururgroßvaters auch ... hmm, nein, wenn ich es mir recht überlege, war es eigentlich nicht der Vetter meines Ururgroßvaters, sondern sein Onkel, oder ... nö, Moment mal, die Frau des ... hmmm, nein ... vielleicht war es auch der Schwager von diesem Großneffen ..."
Morholt fuhr ungerührt mit seinen Ausführungen fort, während sich der Drache heillos in der Geschichte seiner Urahnen verstrickte und vor sich hin grübelte.
"Dazu verwendete ich sehr seltene Kräuter und Heilpflanzen, die ich von einer Reise mitgebracht hatte. Ich nannte die Mischung *M*-Spezial. Erst sah alles sehr vielversprechend aus, und der Drache, den ich damit behandelte, verlor tatsächlich vollständig die Flügellähme, die ihn befallen hatte."
"Und?" Moordrache unterbrach seine Überlegungen und hob eine schuppige Braue. "Wo ist der Haken dabei?"
Der Alchemist seufzte tief.
"Tja, leider hatte die Mixtur gewisse 'Nebenwirkungen' ..."
"Welche Nebenwirkungen?"
"Das ist etwas schwierig zu erklären. Am besten seht ihr euch das selbst an", schlug Morholt vor. "Der Drache lebt nicht weit von hier in einer Höhle an einem Berghang, hin und zurück nicht mehr als ein Tagesmarsch. Wenn ihr es mit der Weiterreise nicht so eilig habt, wäre es mir lieb, wenn ihr mich dorthin begleiten könntet. Dann werdet ihr verstehen ..."
Moordrache sah aus wie ein großes Fragezeichen.
"Ja, und? Was ist denn mit diesem Drachen? Was sind das für Nebenwirkungen, von denen Ihr sprecht?"
"Wartet’s ab", seufzte der Alchemist. "Ihr werdet es mit eigenen Augen sehen."

Am Morgen des nächsten Tages brach die Gruppe gemeinsam in die nahen Berge auf, allen voran Morholt und seine beiden Hexen, die den Weg dorthin kannten. Nur Rosinante und Orhima hatten sie bei der Hütte des Alchemisten gelassen, weil Canerio seinem alten Schlachtroß den steilen Pfad nicht zumuten wollte. Da die Kameldame sich ebenfalls nicht unbedingt um eine Kletterpartie im Gebirge riß, hatte sie sich bereitwillig angeboten, Rosinante Gesellschaft zu leisten und ihr endlich die Bridgeregeln beizubringen, und blieb ebenfalls zurück.
Der Ritter staunte nicht schlecht über die beiden jungen Damen, die vor ihm her marschierten, denn die feinen silberdurchwirkten Gewänder, die sie am Abend zuvor getragen hatten, hatten sie inzwischen gegen wildlederne Hosen und feste, hohe Stiefel getauscht, so daß sie mit dem steinigen Weg nicht die geringsten Schwierigkeiten hatten. Man sah ihren Bewegungen und ihrem Verhalten an, daß sie das Leben in der Wildnis gewohnt waren. Jede von ihnen hatte einen Kurzbogen und einen Köcher mit Pfeilen über der Schulter baumeln und Canerio hatte bei Crosideria sogar einen Dolch am Gürtel blitzen sehen.
Morholt war bester Laune und unterhielt sich angeregt mit Canerio über seine Experimente und über die verschiedenen Heilpflanzen, die hier am Berghang wuchsen, während die beiden jungen Frauen ein Stück vor ihnen den inzwischen steil gewordenen Pfad auskundschafteten.
Moordrache bildete wie meist die Nachhut. Direkt vor ihm schlurfte Webolo, den wagenradgroßen Sombrero tief in die Stirn gezogen und für seine Verhältnisse ungewöhnlich schweigsam – er plärrte nicht, hopste nicht und fluchte nicht, so daß sich der Drache beinahe schon Sorgen machte.
Allerdings drehte sich Webolo zwischendurch einmal kurz um und warf dem völlig arglos hinter ihm schlendernden Moordrachen einen bösartigen Blick zu.
"Kannst du nicht mal’n bißchen leiser auftreten?" knurrte er. "Der ganze Erdboden dröhnt ja schon!"
Der Drache guckte erst verdutzt, aber dann lachte er schallend.
"Das ist nicht der Erdboden, Kerlchen", gab er vergnügt zurück, "das ist wohl mehr dein Kopf, der so dröhnt! So etwas nennt man einen Kater!"
"Und brüll nicht so!"
Mißmutig zog sich Webolo den Sombrero über beide Ohren.
"Ich brüll‘ ja gar nicht."
Aus dem Knappen war kein vernünftiges Wort herauszubringen, stellte er kichernd fest, befand es aber nicht weiter als schlimm, denn auch im Normalfall gab Webolo nur selten etwas Vernünftiges von sich. Der Moordrache genoß einfach die himmlische Ruhe, die nicht dauernd von Geschimpfe und Geplapper gestört wurde, und bald hatten sie auch die Höhle erreicht, deren Eingang wie ein riesiger, steinerner Schlund im Berghang klaffte.
"Uhh", machte Webolo bei ihrem Anblick. "Das sieht richtig gruselig aus. Seid ihr sicher, daß wir da hinein müssen?"
"Ihr braucht keine Angst zu haben, junger Freund", beruhigte Sylveria den Knappen. "Der Drache spuckt zwar anfangs immer große Töne und manchmal auch ein bißchen Feuer – aber im Grunde ist er doch ein recht verträglicher Kerl." Und Crosideria strahlte Webolo aus ihren grüngoldgesprenkelten Augen an, so daß er plötzlich keine Ahnung mehr hatte, wovor er sich überhaupt fürchtete.
"Es tut mir sehr leid, daß meine Behandlung diese unangenehmen Nebenwirkungen mit sich gebracht hat", erklärte Morholt, während sie sich dem Höhleneingang näherten. "Natürlich würde ich das gerne rückgängig machen - und genau dazu brauche ich eure Hilfe. Um das Gegenmittel herzustellen benötige ich eine seltene Pflanze - ein Kraut namens Goldmöhrenwurz. Leider ist es mir aber nicht möglich, dieses Kraut zu besorgen."
"Und was haben wir damit zu tun?" fragte Moordrache argwöhnisch.
"Ich dachte, als Gegenleistung für die Heilung eures Kamels könntet ihr mir vielleicht etwas davon beschaffen."
"Eures Kamels? Das ist nicht unser Kamel!" grollte der Drache. "Es ist uns nur zugelaufen!"
Aber er hatte die Rechnung scheinbar ohne den Wirt gemacht, denn Canerio klopfte Morholt gönnerhaft auf die Schulter.
"Klar machen wir das!"
"Ooch, nööö!" Moordrache zog ein langes Gesicht. "Haltet Ihr das für eine gute Idee??"
Der Ritter sandte dem Drachen diesmal einen so strafenden Blick, daß ihm weiterer Protest praktisch im Halse steckenblieb und wandte sich an den Alchemisten:
"Erklärt uns nur, wo wir es finden können, und wir werden es besorgen. Das ist das Mindeste, was wir für Eure Gastfreundschaft tun können."
Morholt lächelte erfreut.
"Ich wußte, daß Ihr ein Ehrenmann seid! Nun, das Kraut wächst normalerweise nur in den entlegensten Winkeln Íja Macárs - aber zufällig ist mir bekannt, daß es auch hier im Drachental einige Pflanzen gibt."
"Na also, dann ist es doch überhaupt kein Problem", grinste Webolo, der aufmerksam zugehört hatte, und zu Moordrache gewandt: "Weiß gar nicht, was du dich so hast - wächst doch sogar hier in deinem Tal!"
"Sagt uns, wo wir es finden, und bald werdet ihr dieses Gegenmittel brauen können!" versicherte der Ritter und betrachtete den Auftrag bereits als so gut wie erledigt
Morholt zögerte eine Sekunde, bevor er zu sprechen anhob.
"Ich weiß von einem Magier, in dessen Garten das Goldmöhrenkraut wächst."
"Aha, ein Magier ..." erwiderte Canerio interessiert.
In Moordraches Hinterkopf dagegen begannen Alarmglocken zu klingeln.
"Ja, ein Magier. Er wohnt in einem Turm ... gar nicht weit von hier ..."
"Welcher ... Magier?"
Moordrache ahnte bereits schreckliches.
"Sein Name ist Reigami."
"Reigami?" entfuhr es dem Drachen. "Nur über meine Leiche!"
Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah aus, als würde er sich nie wieder im Leben von der Stelle bewegen wollen.
"Hört nicht auf ihn", seufzte Morholt. "Seht euch erst dieses arme Geschöpf an und entscheidet dann, ob ihr uns helfen wollt. Kommt mit!"
Er ging voran und betrat mit festem Schritt die Höhle, und sogar Moordrache folgte ihm - denn seine Neugier auf dieses Wunderwesen, das das Ergebnis eines mißglückten Experiments zu sein schien, war weitaus stärker als sein Ärger über Morholts wahnwitzige Idee, sie in Reigamis Garten zu schicken, um dort Goldmöhrenkraut zu stehlen. Da es eine geräumige Drachenhöhle war, hatte sogar er keine Schwierigkeiten, sich darin zu bewegen – und er fühlte sich auch sofort heimisch. Die Höhle gefiel ihm sogar.
"Schickes Design", nickte er anerkennend, als sie durch einen langen Tunnel kamen, dessen Felswände bizarre Zacken und Vorsprünge aufwiesen. "Sieht echt gut aus!"
Je weiter sie in die Höhle vordrangen, desto dunkler wurde es, aber als sie um eine Ecke bogen, erstrahlte plötzlich ein seltsam geisterhaftes Licht aus der Tiefe des Drachenhorts. Erst glühte es in feurigem Rot, dann wechselte es zu hellem Gelb, zu Grün und dann zu einem leuchtendem Blau, um sofort wieder in Glutrot überzugehen.
"Uuuuiii!" staunte Webolo. "Was ist das?"
Seinen Katerkopfschmerz hatte er nun völlig vergessen und er begann begeistert und mit den Armen schlenkernd vorauszuhopsen.
Doch als er um die nächste Biegung kam, blieb er plötzlich stehen, als hätte er Wurzeln geschlagen und riß überrascht die Augen auf.
"Boah!" sagte er beeindruckt.
Mitten unter der riesigen Höhlenkuppel ruhte auf einem Felssockel ein Drache, ein mächtiger, geflügelter Geselle - und seine Schuppen wechselten die Farbe schneller, als Webolo gucken konnte. Die ganze Höhle erstrahlte in seinem Farbenspiel, schöner und leuchtender als jeder Regenbogen, und die Wände glitzerten und funkelten in dem Licht, das von den Drachenschuppen ausging.
"Darf ich vorstellen", lächelte Morholt und wies mit der Hand auf das mißmutig dreinblickende Schuppentier, "Khisi, der schwarze Drache ..."
 

© by Sylvia


Khisi, der (ehemals *g*) schwarze Drache
© by Sylvia

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Und schon geht's zum 8. Kapitel: Duell der Meister
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Denkt bitte daran: auch diese Geschichte nimmt am Drachentaler-Wettbewerb teil.
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