Webolo hatte seinen Meister untergehakt und
schleppte ihn, halb schiebend, halb zerrend, den schmalen Pfad entlang.
Der Ritter war so erschöpft, daß er keinen zusammenhängenden
Satz mehr von sich geben konnte und nur noch leise vor sich hin röchelte.
Sie liefen schon eine ganze Weile durch den Wald. Anfangs hatten sie noch
das Knallen kleinerer und größerer Explosionen gehört und
das laute Scheppern von silbernen Plattenpanzern, die gegeneinander prallten,
hatten Feuer und Qualm in den schwarzen Nachthimmel steigen sehen - doch
inzwischen war es still geworden. Den Fluß hatten sie schon lange
erreicht und waren sicher schon einige Meilen seinem Lauf gefolgt - vom
Moordrachen war jedoch noch immer keine Spur zu sehen.
Der Knappe war zum Umfallen müde und
seine Beine waren mittlerweile schwer wie Blei - ebenso wie das Gewicht
seines Meisters, das zusätzlich zu seinem Rucksack auf seine Schultern
drückte.
"Glaubst du, daß der Drache wiederkommen
wird?" fragte das Fass, das gemütlich neben ihm über den wurzeldurchzogenen
Pfad holperte.
"Woher soll ich das wissen?" seufzte er. "Gesagt
hat er’s jedenfalls."
Bekümmert ließ er den Kopf hängen.
"Hoffentlich ist ihm nichts passiert ..."
"Ach was", entgegnete Stibitzi, "was soll
ihm denn schon passieren? Er ist ja schließlich ein Drache."
"Hmm, da hast du auch wieder recht."
Webolo blieb stehen.
"Ich kann nicht mehr laufen ... können
wir nicht eine Pause machen?"
Vorsichtig setzte er den Ritter am Wegrand
ab und lehnte ihn gegen einen umgestürzten Baum. Dann ließ er
sich ausgepumpt neben ihn fallen und nahm den Rucksack von den schmerzenden
Schultern.
Ein Weilchen plauderte er noch mit dem verzauberten
Fass, doch dann mußte er wohl vor Erschöpfung eingeschlafen
sein - denn das nächste, was er wahrnahm, waren Hufschlag und das
Geräusch von rumpelnden, eisenbeschlagenen Rädern.
Er rieb sich schlaftrunken die Augen und spähte
in die Dunkelheit, dann klopfte er mit dem Fingerknöchel zaghaft auf
den Deckel des Fasses.
"Schläfst du?"
"Hm? Nein - ich muß nicht schlafen,
solange ich ein Fass bin", erklärte Stibitzi. "Was ist?"
"Hörst du das auch?"
Sie lauschte.
"Ja - hört sich an wie ein Fuhrwerk oder
sowas ..."
Und tatsächlich konnten sie nun allmählich
die Silhouetten erkennen, die sich ihnen langsam näherten: ein hochbeladener
Karren, der scheinbar von einem Ochsen gezogen wurde. Daneben ein Reiter
auf einem Pferd.
Webolo rammte seinem Meister den Ellbogen
in die Weichteile.
"Meister", preßte er zwischen zusammengepreßten
Zähnen hervor, "Meister, wacht auf!"
Canerio fuhr ruckartig hoch, riß die
Augen auf und sah sich, noch halb in einem Traum gefangen, verwirrt um:
"Feind?" schmetterte er los, "Ein Feind? Wo
ist ein Feind? Zu den Waffen, Soldaten!"
"Leise!" zischte Webolo und hielt ihm schnell
den Mund zu - doch der Ritter schlief schon wieder. Und es war ohnehin
schon zu spät. Die Gestalten, die den Weg entlang kamen, hatten sie
schon bemerkt.
Der Reiter gab seinem Pferd die Sporen und
war in zwei, drei Galoppsprüngen heran.
"Halt!" rief er mit heller Stimme und zog
mit einer Hand die Zügel an, mit der anderen ein elegantes Kurzschwert,
das er nun drohend auf den Knappen und den Ritter richtete. "Wer da?"
Webolo erhob sich mühselig und richtete
sich – zwar unter Ächzen und Stöhnen - stolz zu seiner vollen
Größe auf. Das war nur leider nicht gerade beeindruckend viel.
"Ein ehrenwerter Ritter und sein Knappe –
und wir sind bestimmt keine Feinde", versicherte er. "Mein Meister hat
nur mal wieder im Schlaf gesprochen."
"Und das soll ich Euch glauben?" fragte die
Stimme des Reiters mißtrauisch. Das dazu gehörende Gesicht lag
im Schatten, erst als die schlanke Gestalt sich aus dem Sattel gleiten
ließ und mit dem Schwert in der Hand auf ihn zukam, konnte er erkennen,
daß es eine junge Frau war. Sie war recht hübsch, hatte ebenmäßige
Gesichtszüge und glattes braunes Haar, das sie im Nacken zusammengebunden
hatte. Obwohl sie die Zügel losgelassen hatte, blieb ihr Pferd - ein
Elfenpferd, soweit Webolo das beurteilen konnte - wie angenagelt stehen
und rührte sich keinen Fuß weit von der Stelle.
Die Frau musterte den rußverschmierten
Knirps, der vor ihr stand, von oben bis unten und als sie wieder oben angelangt
war, sagte sie:
"Wie ist dein Name?"
"Webolo Assino - stets zu Diensten!" Er machte
eine formvollendete Verbeugung, so wie er es von seinem Meister gelernt
hatte, und wollte seinen Sombrero ziehen - mußte jedoch feststellen,
daß dieser verschwunden war, was er in der ganzen Aufregung noch
nicht einmal bemerkt hatte.
Webolo war darüber ein bißchen
traurig, denn er hing sehr an seinem Sombrero, hatte der ihm doch schon
oft gute Dienste geleistet. Aber er überwand schnell den Kummer und
stellte der Dame - und sie war eine, das erkannte er trotz ihrer etwas
schäbigen Kleidung auf den ersten Blick - seinen Herrn und Meister
vor:
"Das hier ist der edle und hochwohlgeborene
Canerio von Celothrien!" sagte er salbungsvoll und deutete mit dem Daumen
hinter sich auf den schnarchenden Ritter.
Die junge Lady unterdrückte ein Lächeln.
"Soso, hochwohlgeboren ... nun gut. Ich bin
Karni von Tiredachan", stellte sie sich vor und wies dann auf den gemächlich
heranzockelnden Ochsenkarren. "Und dies ist vorübergehend mein Geleitschutz."
Als der Karren näherkam, erkannte Webolo,
daß er bis zur Grenze seiner Belastbarkeit mit Met- und Weinfässern
beladen war. Auf dem Kutschbock saß ein Mann mittleren Alters und
hielt die Zügel in seinen Fäusten, und das erste was von ihm
in Webolos Blickfeld geriet, war sein mächtiger Bauch, der in einer
braunen Mönchskutte verborgen war. Der Mann hatte kurzgeschorene Haare,
ein offenes, freundliches Lächeln, mit dem er Webolo anstrahlte –
und auf seiner Schulter hockte zu Webolos blankem Erstaunen ein kleiner
blauer Drache.
Bis dahin hatte er stets angenommen, daß
Drachen ungefähr solche Ausmaße wie der Moordrache hatten, und
es war ihm völlig neu, daß es auch Miniaturausgaben dieser Spezies
gab.
"Hallo, mein junger Freund", lachte der Mönch,
"freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen! Und natürlich auch die
dieses edlen Ritters!" Er zog an den Leinen, gab ein "Brrrrrr" von sich,
das Webolo durch Mark und Bein fuhr, und hielt den Ochsenkarren neben dem
Elfenpferd an.
"Mein Name ist übrigens Bruder TaC! Und
dieser kleine Blaue hier, das ist Kaaloth." Er lächelte zu seiner
Begleiterin hinüber und sprang trotz seiner Leibesfülle leichtfüßig
vom Karren. "Meine charmante Weggefährtin hat sich Euch ja schon vorgestellt."
© by Sylvia
"Warum hockt ihr denn so mutterseelenallein
mitten im Wald herum?" erkundigte sich Karni neugierig. "Wißt ihr
denn nicht, daß es in diesem Wald nur so von Räubern und Wegelagerern
wimmelt?"
Webolo schüttelte erschrocken den Kopf
und sah sich sogleich mißtrauisch um, als könne hinter jedem
Baumstamm ein Strauchdieb auf sie lauern. Seinen Rucksack hielt er dabei
krampfhaft umklammert.
"Nein ... nein, das wußte ich nicht.
Wir warten hier auch nur auf jemanden und werden bald weiterziehen. Und
mein Meister mußte sich ausruhen."
"Das ist aber ein sehr merkwürdiger Treffpunkt",
warf Bruder TaC ein, "wen, um Himmels willen, wolltet ihr denn hier nur
treffen?"
"Einen Dr ...", begann Webolo, aber dann korrigierte
er sich schnell: "einen Freund!"
Man konnte ja schließlich nie wissen
...
"Und wo kommt ihr überhaupt her? Ihr
seht ja schrecklich mitgenommen aus ..."
Bruder TaC und die freundliche Dame namens
Karni von Tiredachan bombardierten den armen Knappen derart mit Fragen,
daß ihm Hören und Sehen verging und er gar nicht wußte,
ob er sie überhaupt beantworten sollte. Hilfesuchend schielte er immer
wieder zu Canerio hinüber, doch der schlummerte selig wie ein Neugeborenes
an den Baumstamm gelehnt, wobei er bei jedem Atemzug schnorchelnde Geräusche
von sich gab.
"Was fehlt deinem Meister denn?" fragte der
Mönch, dem Webolos Blicke nicht entgangen waren und klang ein wenig
besorgt. "Braucht er vielleicht Hilfe? Ich hätte einige Heilkräuter
und Salben in meiner Tasche ..."
"Ihm fehlt eigentlich nichts, glaube ich.
Was er bräuchte, sind ein paar Stunden Schlaf", seufzte Webolo. "Könnte
ich auch gut vertragen."
Bruder TaC ging um den Karren herum und begann
in aller Ruhe damit, die Fässer umzuschlichten.
"Weißt du was, Kerlchen", sagte er leichthin,
"wir nehmen euch ein Stückchen mit. Für euch beide ist es hier
zu gefährlich - dein Ritter kann sich ja kaum auf den Beinen halten,
und du siehst auch nicht gerade frisch und ausgeruht aus. Ihr könnt
euch uns anschließen – zu viert ist es bestimmt sicherer, als wenn
ihr alleine hier am Wegrand hockt und euch am Schluß noch die Räuber
überfallen."
"Ähhm, ich weiß nicht so recht
..."
Webolo hatte keine Ahnung, ob er den beiden
trauen konnte, doch die junge Lady lächelte ihn so freundlich an,
daß er gar nicht anders konnte, als zu nicken.
Zusammen luden sie den armen Canerio auf den
Karren, wo Bruder TaC inzwischen etwas Platz freigemacht hatte.
"Könnte mal 'nen Tropfen Öl vertragen",
brummte der Mönch, als er hinterher seine rostrot gefärbten Handflächen
betrachtete – aber dann wischte er sie einfach an seiner langen Kutte ab,
die in etwa die gleiche Farbe hatte.
"Na dann", lachte er unbekümmert, "spring
rauf, du Floh! Du kannst bei mir vorne mit auf dem Kutschbock sitzen."
Der Knappe zögerte und blickte nach hinten.
"Das Fass muß auch mit!"
"Ach ja? Eigentlich haben wir ja nun wirklich
keinen Platz mehr auf dem Karren ... was ist denn drin, in deinem kostbaren
Fass?"
Vielleicht dachte er insgeheim an Goldschätze
oder Juwelen, denn er machte ein recht enttäuschtes Gesicht, als Webolo
erwiderte:
"Nichts."
"Wie – nichts? Da ist nichts drin?"
"Nein." Webolo zuckte mit den Schultern. "Es
ist leer."
"Und warum sollen wir es dann mitnehmen?"
Der Knappe druckste herum und suchte krampfhaft
nach einer Ausrede – schließlich konnte er den beiden Fremden kaum
erzählen, daß das Fass eine verzauberte Fee war und Stibitzi
hieß.
"Ähhh – das ist ein Pfandfass", sagte
er schnell, bevor jemand auf die Idee kam, dumme Fragen zu stellen.
Ein leichtes Zwinkern lief über Bruder
TaCs rechtes Auge und er verbiß sich angestrengt ein Grinsen.
"Natürlich! Ein Pfandfass – dann ist
die Sache ja klar."
Er packte das Fass, verstaute es auf dem Karren
und zurrte es fest, damit es während der holprigen Fahrt nicht hinunterfallen
konnte. Dann half er dem Knappen neben sich auf den Sitz und schnalzte
mit der Peitsche:
"Hüah, Strohkopf!"
"Strohkopf??"
"Ja", grinste Bruder TaC, "so heißt
mein Ochse. Vielleicht wirst du noch merken, warum ..."
So genau wollte Webolo es wiederum auch nicht
wissen, und während sich Karni auf ihr zierliches Elfenpferd schwang
und ein Stückchen vorausritt, musterte er fasziniert den kleinen blauen
Drachen, der sofort wieder auf TaCs Schulter gekrabbelt war, kaum daß
der Mönch auf dem Kutschbock saß.
Strohkopf legte sich mächtig in die Riemen,
und schon setzte sich der schwerbeladene Karren ruckartig in Bewegung.
Von dem Geschaukel wurde Webolo bald furchtbar müde. Immer wieder
sank ihm der Kopf auf die Brust und die Augen fielen ihm zu, und schließlich
schnarchte er zufrieden, an die Schulter des Mönchs gelehnt, während
Kaaloth, der kleine blaue Drache vorwitzig an seine Haaren knabberte.
Während sie langsam den mondbeschienenen
Waldweg entlangzuckelten, glaubte TaC aus dem hinteren Teil des Karrens
manchmal eine leise Stimme zu vernehmen, aber jedesmal, wenn er sich umdrehte,
schwieg die Stimme still. Und er konnte auch niemanden sehen, außer
dem schlafenden Ritter in seiner rostigen Rüstung, und so lenkte er
seinen Ochsen unbeirrt weiter über den schmalen Pfad ohne weiter darauf
zu achten.
So hörte er es gar nicht, als das Stimmchen
hinter ihm inmitten der Fässer wieder zu flüstern begann:
"Was bist du denn mal gewesen, bevor du in
ein Fass verwandelt wurdest? Weißt du, ich war eine Fee, bevor mich
dieser fiese Magier verzaubert hat. Soll ich es dir mal erzählen ...?"
Sie zogen stets am Fluß entlang, der
sich munter dahinschlängelte, verließen bald den Räuberwald
und kamen wieder auf offenes Feld. Am Waldrand hielt TaC den Ochsenkarren
an, weil er eine Pause einlegen wollte. Die Nacht neigte sich schon ihrem
Ende zu und die Sterne am Himmel begannen zu verblassen.
Von dem plötzlichen Abbrechen des einschläfernden
Geschaukels wurden auch der Knappe und Canerio wach.
Der Ritter blickte sich irritiert um und stellte
fest, daß er auf der Ladefläche eines Karrens lag, zwischen
Stapeln von Met- und Weinfässern, auf denen ganz oben Stibitzi festgeschnallt
war. Mühsam setzte er sich auf, entdeckte die beiden Fremden, kam
zu dem Schluß, daß sie wohl entführt worden oder Räuberpack
in die Hände gefallen waren - und rief sofort nach seinem Knappen.
"Knappe - wo sind hier hier?" ächzte
er, "und vor allem - was tun wir hier?".
"Keine Sorge, Meister", beruhigte Webolo,
der vorne auf dem Kutschbock gerade die Augen aufschlug. "Es geht schon
alles mit rechten Dingen zu - diese freundlichen Leute haben uns ein Stückchen
mitgenommen."
Canerios umwölkte Stirn glättete
sich wieder und auch die Erinnerung an ihre Erlebnisse im Garten des Magiers
kehrte langsam zurück.
Doch plötzlich schob sich ein riesiger,
tiefschwarzer Schatten vor den Himmel und verdunkelte die silberne Dreiviertelscheibe
des Mondes.
Strohkopf, der Ochse, stampfte aufgeregt mit
den Hufen und verdrehte die Augen, so daß das Weiße zu sehen
war, und TaC hatte alle Hände voll damit zu tun, ihn ruhig zu halten,
bevor er das Geschirr zerriß oder sich mitsamt dem ganzen Karren
aus dem Staub machte.
Das Elfenpferd wieherte hell auf, schlug mit
dem Kopf hin und her und schnaubte wild, und selbst Karni konnte es nicht
beruhigen. Entsetzt starrten sie und Bruder TaC nach oben, wo der Schatten
immer größer und größer wurde. Das Rauschen von riesigen,
ledernen Schwingen war plötzlich in der stillen Nachtluft deutlich
zu hören. Karni schrie auf.
"Bei allen Göttern – was ist das?"
"Ein Drache", stammelte der Mönch, "ein
leibhaftiger Drache!"
Webolo lehnte sich zurück an die Fässer
und legte den Kopf in den Nacken.
"Ach, der schon wieder!" brummte er und grinste
glücklich in den Himmel hinauf.
Nachdem der Drache gelandet war, Strohkopf
und Leti, das Elfenpferd, sich wieder beruhigt und die Freunde sich gegenseitig
alle Erlebnisse haarklein erzählt hatten, zogen sie schließlich
weiter. Unterwegs trafen sie auf Morholt und die beiden Hexen, die auf
dem Rückweg von Khisanths Höhle waren, und es gab ein großes
Hallo und ein herzliches Wiedersehen.
Zu siebt wanderten sie anschließend
weiter, in Begleitung eines großen und eines kleinen Drachen, eines
Ochsen, eines Elfenpferdes und eines verwunschenen Fasses.
Bruder TaC trottete an Morholts Seite und
unterhielt sich mit ihm über seine Experimente und Heilkräuter,
während der Knappe und Stibitzi ein Stückchen vorausliefen. Das
heißt Webolo hopste und hüpfte wie üblich, und das Fass
kollerte munter neben ihm her und lauschte währenddessen den Lobeshymnen,
die er über ein tapferes Streitross namens Rosinante zum Besten gab.
Wenn Stibitzi seinen Schilderungen hätte Glauben schenken wollen,
hätte es sich bei diesem sagenumwobenen Pferd um das treuste und mutigste
Ross unter der Sonne handeln müssen, in solch glühenden Farben
schilderte Webolo die alte Stute. Und natürlich erzählte er auch
von Orhima, die das tapferste und beste aller Kamele war - daß sie
leider das einzige Kamel war, das er kannte, verschwieg er wohlweislich.
Er freute sich sehr auf das Wiedersehen mit
den beiden, aber je näher sie Morholts Hütte kamen, um so deutlicher
konnte er spüren, daß irgend etwas nicht in Ordnung war.
Als sie die kleine Lichtung im Wald dann schließlich
erreichten, schallte ihnen schon von weitem ein schrilles, durchdringendes
Wiehern entgegen, das Webolo sämtliche Haare zu Berge stehen und ihn
auf der Stelle erbleichen ließ.
"Rosinante!!" kreischte er angstvoll und flitzte
über die Lichtung - und in seiner Vorstellung wurde sein geliebtes
Ross gerade von Trollen, fiesen Pferdeschlächtern oder noch bösartigeren
Räubern abgemurkst - zumindest vermutete er das.
Er stolperte um die Hütte herum und erwartete
mindestens, Rosinante in einer riesigen Blutlache liegend vorzufinden -
aber dann blieb er wie angewurzelt stehen, riß die Augen auf und
starrte ungläubig auf das Schauspiel, das sich ihm bot:
Rosinante wälzte sich vor Lachen auf
dem Boden, sie wieherte und schnaubte und gröhlte, als wäre sie
völlig durchgedreht - aber das war noch nicht das schlimmste: ihr
Fell war über und über mit riesigen, grünen Punkten übersät
und aus ihren Ohren wuchsen Blümchen, die aussahen wie blaue Vergißmeinnicht.
Neben ihr hockte Orhima auf den Hinterbeinen, das feine Kamelhaar wie bei
einem Zebra gemustert, und schien sich blendend zu amüsieren. Aus
ihrem Höcker sprossen Grashalme quer in alle Richtungen. Sie stieß
ein irres Kichern aus, tauchte eine Kelle in das halbvolle Fass, das zwischen
ihr und Rosinante stand, und schlürfte geräuschvoll eine Portion
der rötlich-trüben Flüssigkeit, die sie herausgeschöpft
hatte.
Rosinante hielt erwartungsvoll die Luft an
und ließ das Kamel nicht aus den Augen - dann konnten sie beobachten,
wie Orhimas Ohren immer länger wurden, bis sie beinahe auf der Erde
schleiften, und die Zebrastreifen sich zitronengelb und blaßlila
färbten. Aus ihrem Rücken sprossen kleine braune Pilze.
Das Pferd schrie entzückt auf und wollte
sich schier ausschütten vor Lachen - und als sie sich schließlich
wieder einigermaßen beruhigt hatte, nahm nun wiederum sie einen großen
Schluck aus der Kelle. Nun war es Orhima, wie gebannt den Veränderungen
zuzusehen, die an ihrer Freundin stattfanden. Erst passierte gar nichts.
Dann begannen auf einmal Rosinantes Hufe zu ungeahnter Größe
zu wachsen und ihre sonst störrische Mähne kringelte sich zu
wundervollen blonden Engelslocken. Die grünen Tupfen verschwanden
und machten rosaroten Sprenkeln Platz. Orhima erstickte beinahe an einem
Lachanfall und applaudierte begeistert - dann griff sie nach der Kelle,
um sie erneut in die seltsame Flüssigkeit zu tauchen.
Wäre es einem Fass möglich gewesen
zu grinsen - Stibitzi hätte es getan.
"Das ist also die berühmte Rosinante",
flötete sie scheinheilig, "der Schrecken aller Schlachtfelder ..."
Webolo erwachte aus seiner Entsetzens-Starre,
zog die Brauen zusammen und stemmte die Hände in die Hüften.
"Was treibt ihr denn da? Seid ihr von allen
guten Geistern verlassen?"
Energisch trat er zwischen die beiden und
riss Rosinante die Kelle aus den überdimensionalen Hufen.
"Gib das her! Was ist das überhaupt für'n
Zeug?"
Er hielt sich die Kelle unter die Nase und
schnupperte daran.
"Ach du meine Güte", röchelte er,
denn der scharfe Geruch trieb ihm sofort die Tränen in die Augen.
"Spielverderber", grunzte Rosinante und verschränkte
beleidigt die Vorderbeine vor der Brust.
Hinter Webolo tauchten Morholt und Bruder
TaC auf, und der Alchemist erklärte gerade, wie er das verzauberte
Fass und Khisi den Drachen wieder in ihre ursprüngliche Gestalt zurückverwandeln
wollte.
Als er jedoch einen Blick auf Rosinante und
Orhima erhaschte, blieb ihm buchstäblich das Wort im Halse stecken.
"Oh nein ..." rief er mit sich überschlagender
Stimme. "Was habt ihr bloß angestellt?"
Er eilte zu dem farbenfrohen Kamel und der
Stute hinüber und schlug in blankem Entsetzen die Hände über
dem Kopf zusammen.
"Ohjeohjeohje ..."
"Was ist los, werter Morholt?"
Auch Canerio und der Rest der Truppe traten
nun zu ihnen und rissen vor Erstaunen die Augen auf.
"Was ist denn nur in diesem Fass? Das stinkt
ja wie die Pest!"
Morholt packte es und drehte es herum, so
daß alle deutlich lesen konnten, was mit weißer Kreide auf
dem dunklen Holz geschrieben stand:
"Flammentod - unbefugtes Öffnen strengstens
verboten!!"
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