Eine innere Stimme beunruhigte den Drachen.
Er konnte zwar im Moment kein gedankliches Signal zu Jens aufnehmen, aber
es kribbelte ihn unter den Schuppen und er wusste, dass er in Gefahr war.
Jens wachte einige Stunden später auf.
Ihm dröhnte der Schädel.
Matthias lag neben ihm auf dem Boden. Sie
waren in einem dunklen Zimmer eingesperrt.
Jens konnte durch den fest verschlossenen
Fensterladen einen Spalt weit raus in die Umgebung sehen. Schemenhaft sah
er in großer Entfernung den Berliner Fernsehturm, der wie ein aufgespießter
Fußball in der Abendsonne schimmerte.
"Matthias, wach auf!" sagt er und überprüfte
sein "Gefängnis".
Die Tür ging mit einem Knall auf und
vier Suchende traten ein.
Auch Markus' und Jens' angebliche Väter
waren dabei. Sie hatten sich schwer verändert:
Sie waren mager, hatten knochige Finger und
weiße Haut, die so aussah, als hätte man sie über ein Skelett
gezogen.
"Was treibt ihr für ein Spiel mit uns?"
fragte Jens.
Die Suchenden verteilten sich im Zimmer und
verschlossen gleich wieder die Tür.
"Wo steckt der Drache?" fragte seine angebliche
Mutter in einer abnormalen Stimme. Sie glich mehr einer Hexe, da sich ihre
Haut an manchen Stellen schon abschälte.
"Mach nicht den gleichen Fehler, wie deine
leiblichen Eltern! Denn die mussten für ihr widerspenstiges Verhalten
sterben!"
Jens spürte, wie die Wut in ihm hoch
kochte. Seine Muskeln waren zum zerreißen angespannt. Es war eine
Lüge! Seine ganze Kindheit war eine einzige Lüge!
Der Suchende zog ein verrostetes Schwert und
hielt es Jens an die Kehle.
"Sag´s uns, SOFORT! Wo ist der magische
Eiskristall!"
Jens keuchte:
"Ich werde die Drachen nicht verraten!"
Er spuckte dem Suchenden ins Gesicht.
"So! Ein ganz harter, wie? DANN STIRB!!"
Der Suchende holte mit dem Schwert aus, seine
roten Augen funkelten...
Dann hielt er inne:
"Wie konnte denn jetzt das passi..."
Ein langer, spitzer Eiszapfen ragte aus der
Brust des Suchenden. Grüner Saft quoll aus seinem Umhang.
Im nächsten Moment schlug eine Feuerkugel
in das Haus ein. Die komplette Außenwand flog um und Jens konnte
nach draußen sehen. Ma´zachur stand mit Syn und Sukita auf
dem Rücken mitten auf der Straße. Pyrotakan kreiste über
ihren Köpfen.
Einer der Suchenden murmelte eine Formel.
Plötzlich hörte Jens unter sich
ein kratzendes Geräusch.
Dann flog der Gullydeckel auf der Straße
nach oben und einige Frostskelette kamen heraus. Sie sahen aus wie menschliche
Skelette, bestanden aber nur aus gefrorenem Wasser.
"Saryns Eiszauber!" zischte Ma´zachur.
"Los Matthias, willst du Wurzeln schlagen?"
Jens packte Matthias an der Hand und zog ihn
aus dem Haus in den Garten.
"Nein! Ihr entkommt mir nicht!"
Ein Suchender schleuderte eine Feuerkugel
aus seiner Hand. Sie flog schnurgerade auf Matthias zu und schlug in seinen
Rücken ein.
"Nein! Ihr feigen Schweine!!" brüllte
Jens, als er das tennisballgroße Loch in Matthias' Oberkörper
sah. Er war sofort tot.
"Komm endlich, du kannst ihm nicht mehr helfen!"
brüllte Pyrotakan und landete mitten auf der Straße. Pyrotakans
Schwanz knallte versehentlich auf zwei parkende Autos, die buchstäblich
zerfetzt wurden.
Jens schleppte sich auf die Straße zu
Pyrotakan.
Ma´zachur spuckte gefrorene Eiszapfen,
die wie Speere durch die Luft flogen und zwei Suchende aufspießte.
Diese verwandelten sich nach ihrem Tod sofort
in grünen Rauch.
.
Weitere Frostskelette kamen die Straße
hinauf. Pyrotakan spuckte eine riesige Feuerkugel, die zwei Frostskelette
knapp verfehlte und in einer Tankstelle einschlug. Zum Glück war diese
schon geschlossen, denn sie ging mit einem ohrenbetäubendem Knall
in Flammen auf.
Eine riesige, brennende Feuerwolke stieg fünfzig
Meter hoch in den Himmel.
"Das sind nicht meine Eltern! Töte sie!"
rief Jens und Ma´zachur verstand sofort.
Nach einem tödlichen Regen aus Eiszapfen
lagen sie am Boden, bevor auch sie sich in Rauch auflösten.
"Ma´zachur, PASS AUF!!"
Drei der Frostskelette schlossen ihre Mana-Zauberenergie
zusammen und bildeten einen riesigen, tödlichen Eispfeil, der direkt
auf Ma´zachurs Brust zuflog.
Doch er zersplitterte einfach an seinen Schuppen,
ohne auch nur einen einzigen Kratzer zu hinterlassen.
"Siehst du, du bist der prophezeite Eisdrache!
Eismagie kann dir nichts anhaben, aber mich hätte dieser Pfeil getötet!"
sagte Pyrotakan.
Ma´zachur startete durch. Auch Jens
saß auf Pyrotakan, der sich mit ein paar kräftigen Flügelschlägen
in die Luft hob. Durch diesen Rückstoß wurden einige Fensterscheiben
eingedrückt.
Der letzte Suchende fluchte und warf sich
etwas vor die Füße.
Zischend verschlang ihn eine gelbe Rauchwolke.
Als er verschwand, verschwand auch die magische Verbindung zu den Frostskeletten.
Sie fielen zu Wasserpfützen zusammen.
"Euch kann man nicht einen Augenblick alleine
lassen!" sagte Pyrotakan gereizt.
"Danke für die Hilfe, aber das hätten
wir auch alleine geschafft!" entgegnete Ma´zachur.
"Wir hätten aus der Stadt schön ruhig
und unauffällig verschwinden können, aber nein – du bist ja ein
Drache! Du musst ja gleich halb Berlin in die Luft jagen!"
Jens sah nach hinten. Eine riesige Rauchwolke
stand über dem Berliner Stadtrand. Das Haus, in dem sie eingesperrt
waren, lag am Stadtrand. Genau wie die Tankstelle, die mit einem leuchtenden
Feuer abbrannte.
Blaulichter der Polizei und Feuerwehr blitzten
jetzt auf den Straßen.
Sie landeten wieder auf dem Kürbisacker,
dort wo Jens das Flugzeug getarnt hatte.
"Nimm nur das nötigste mit, dann komm!"
Jens band sich seinen Rucksack auf dem Rücken,
dann stieg er auf Pyrotakan auf.
"Willst du auch mitkommen?" fragte Ma´zachur
Sukita.
"Oh, es ist für mich eine große
Ehre, euch Drachen zu dienen! Seit meiner Kindheit erforsche ich euch schon
und jetzt bin ich auf einem geflogen..."
Im selben Moment, als Jens wieder auf Pyrotakans
Rücken saß, schlug ein gewaltiger Feuerpfeil in das Flugzeug
ein, das sofort lichterloh brannte.
Zwanzig Suchende standen auf dem Acker, keine
hundert Meter vor ihnen. Dichter Nebel strich am Boden zwischen ihnen durch.
Es wirkte wie in einem Horrorfilm, die schwarzen Augen sahen sie an. Syn
erwiderte mit Pfeil und Bogen das Feuer. Einer der Suchenden brach getroffen
in einer grünen Rauchwolke zusammen.
"Höchste Zeit abzuhauen!" rief Ma´zachur.
"Du hast Recht!" Pyrotakan schwang sich in
den Himmel. "Ich lasse mich nicht noch mal auf diesen Kampf ein!"
Als sie fast einen Kilometer entfernt waren,
sah Jens nach hinten. Die Suchenden schossen magische Feuerpfeile auf sie.
Was aber Jens am meisten beunruhigte, war, dass die Pfeile sich jetzt anscheinend
selbst ins Ziel lenken konnten, denn nach einer Rechtskurve der Drachen
verfolgten sie die Pfeile immer noch. Sie waren nur noch zweihundert Meter
hinter Ma´zachur.
"Ab nach Hause - aber schnell! - ALKYN
- ERAGUL - MACICA - KYRUS !!"
Die beiden Drachen verschwanden mit einem
Lichtblitz zwischen den Wolken.
Die Suchenden fluchten, als sie sahen, wie
ihre Feuerpfeile an Höhe verloren und verstreut
im Tierpark runtergingen.
Als sie in Eragul ankamen, landeten die Drachen
in dem Steinkreis, wo sie auch beim ersten Mal waren, als sie Markus die
Drachengestalt zurückgaben.
Der goldene Drache kam wenige Minuten später
angeflogen.
"Na endlich! Wo wart ihr denn so lange?"
Ma´zachur würgte den Kristall hoch,
während Syn ihm belustigt dabei zusah.
"Wir haben was wir wollten, aber uns sind
die Suchenden gefolgt!" sagte Syn, während sie den Kristall aufhob
und die glibberige Masse, die darauf haftete, im Gras abwischte.
"Jetzt müssen wir schnell seine magische
Energie freisetzen!" Der goldene Drache setzte einen komplizierten Zauberspruch
auf, den nur er kannte.
Der durchsichtige Kristall in Ma´zachurs
Krallen begann zu leuchten wie eine künstliche Sonne.
"Hab keine Angst! Behalte ihn fest in deiner
Hand!" Pyrotakan beobachtete das Geschehen zufrieden. Die Energie, die
der Stein abgab, wurde automatisch von Ma´zachur aufgesaugt.
Der kleine Eisdrache fühlte sich so stark
wie noch nie.
Die Magie des Kristalls bestand nicht nur
aus reiner Kraft, sondern auch aus Wissen. Die schwierigsten Zaubersprüche
musste Ma´zachur also nicht mühsam lernen, was vielleicht ein
halbes Menschenleben gedauert hätte, bis man diese meisterlich beherrscht.
Plötzlich schoss ihm ein Wort durch den
Kopf. Doch bevor er wusste, welche Gefahr es barg, das Wort "Fricia" laut
auszusprechen, hatte er es bereits getan.
Etwa 200 Meter Wald vor ihm erstarrte zu Eis!
"Ups! Das wollte ich nicht." sagte der kleine
Eisdrache.
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