Dracania von Tobias Wagner
III
Start

Elsyria und Rafael setzten sich auf die vorderen Plätze direkt hinter dem Cockpit. Thomas war bei den Piloten im Cockpit. Er funkte noch etwas zum Tower.
Daniel und Michael saßen eine Reihe hinter ihnen und unterhielten sich mit den Amerikanern Lucas Miles und Harry. Auch sie waren dabei, ihre Flugscheine zu machen.
"In der hinteren Reihe sitzt ein wirklich unheimlicher Typ!" sagte Elsyria.
Rafael blickte vorsichtig über den Sitz. Ein Typ mit schneebleichem Gesicht, knochigen Fingern und schwarzen Haaren im Punkerlook blickte ständig auf die Digitaluhr über dem Cockpiteingang.
"Der Typ aus der Zeitung!" flüsterte Elsyria.
Peter und Jochen waren auch beim Paragliding dabei, hatten aber schon ihre Flugscheine. Auch Shark-Dixon war dabei. Er wollte aber nur dort Urlaub machen.
Rafael blickte auf seine Armbanduhr. 12.02Uhr.
Thomas kam heraus und fragte: "Alles klar Jungs? Wir starten jetzt!"
Mit einem Brummen wurde erst der rechte Motor, dann der linke Motor angeworfen.
Herr Maier und ein paar andere Leute standen am Tower und winkten zum Flugzeug.
"Motoren warm,  Klappen gesetzt!" sagte der Pilot.
"Motoren warm,  Klappen gesetzt!" wiederholte der Copilot.
"Wir haben Startfreigabe! Radbremse lösen, Motoren eins und zwei hochfahren. Dreiviertel Schub!"
Der Copilot führte die Anweisungen des Piloten aus.
Das Transportflugzeug setzte sich in Bewegung.
Rafael zeigte auf die Stahlträger, die neben der Landebahn lagen.
"Ich wusste gar nicht, das da jetzt noch ein Hangar hinkommt."
Thomas sagte: "Dort wird der Flugplatz weiter ausgebaut. Die Stahlträger sind letzte Woche mit dem Cargo-Lifter* hier angekommen."
Das Flugzeug rauschte die Rollbahn entlang. Jetzt hob sich das Fahrwerk spürbar an und das Flugzeug schwebte über die Häuser hinweg.
"Cool, Wahnsinn!" jubelte Dixon.
Als das Flugzeug auf Höhe war, konnten alle wieder ihre Gurte lösen.
Rafael packte jetzt sein Geschenk aus. Es war das Buch 'Der Feuerwurm'*, das er sich gewünscht hatte. In Elsyrias Paket war eine Halskette mit einem kleinen Edelstein.
"Was ist denn das für ein Stein?" fragte Rafael. Elsyria zuckte mit den Schultern. "Das könnte ein Amethyst sein, oder ein Aquamarin*. Ich kenne mich leider mit Edelsteinen nicht so gut aus."
Rafael grinste. "Aber aus 99.9%* Gold ist die Kette nicht, das wäre ja dann viel zu weich!"
"Schlaumeier!" sagte Elsyria. "Sehen unsere Eltern wie Millionäre aus?"
Rafael stand auf und ging nach hinten. "Ich muss mir jetzt was zu trinken holen!"
Auch Shark-Dixon und Lucas Miles standen auf und gingen nach hinten in die Küche.
"Wird es eigentlich schwierig, so einen Flugschein zu kriegen, Dixon?" fragte Rafael.
"Das kommt ganz drauf an. Es gibt viele Faktoren, die da mitspielen wie das Wetter et cetera. Aber es ist leichter wie das, was ich beruflich mache, das kannst du mir glauben!"
Lucas Miles fügte hinzu: "Er ist von Beruf Haifischpfleger und an der ganzen Atlantikküste nennt man ihn 'Shark-Slayer'. Er und sein Team bei der Küstenwache setzen sich für den Schutz dieser Fische ein, denn viele Fischer werfen ihre alten Netze einfach über Bord. Die Haie verfangen sich darin und verenden."
Shark-Dixon sagte: "Wir bekamen schon mal ne Auszeichnung von Greenpeace dafür."
Rafael staunte und sagte: "Ist ja echt toll, bloß ne Kleinigkeit verstehe ich nicht. Du nennst dich Haikiller obwohl du diese Fische liebst? Irgendwie Schizophren, oder?"
Dixon lachte: "Ja weißt du, mit meinem Spitznamen 'Shark-Slayer' verbindet mich was besonderes. Früher jagte ich diese Tiere, aber seitdem mich mal einer gebissen hat, änderte ich meine Einstellung ihnen gegenüber."
Elsyria kam in die Flugzeugküche, als Rafael seine leere Colaflasche aus einem kleinen Seitenfenster in die Tiefe warf.
"Spinnst du?" fuhr sie ihn an. "Weißt du was passiert, wenn die jetzt einen trifft?"
Rafael lachte. "Die Wahrscheinlichkeit ist ja wohl so gering, dass da unten einer steht!"
Elsyria sagte: "Das ist doch egal! Du gehörst doch bestimmt auch zu den verrückten Typen, die Steine von Autobahnbrücken  (oder goldene Münzen von einem hohen Turm) herunterwerfen! Das sind alles beliebte Studentenstreiche, ich weiß, nur immer dumm für den, der unten steht! Wenn du was sinnvolleres machen willst, dann geh zu Daniel und Michael. Die wetten gerade mit den anderen, wer das beste Gedicht zusammenreimt."
Rafael nickte und murmelte: "Irgendwie muss man sich ja die Flugzeit verkürzen und sich beschäftigen!"
Währenddessen schlich sich Murluck in den Frachtraum.

Elsyria merkte es sofort, denn der Kerl war ihr schon unheimlich, als er in das Flugzeug gestiegen war. Sie ging mit Dixon und Miles zu den anderen vor.
Währenddessen fuhr Herr Maier auf der Autobahn. "So ein Mist - schon wieder Stau!" Er schimpfte wie ein Rohrspatz. "Wenn nicht so viele Idioten einen Führerschein hätten, würde es auf unseren Strassen viel ruhiger zugehen!"
Er stand auf dem mittleren Streifen, lehnte sich zurück und starrte durch das Dachfenster in die Wolken. Er dachte an Elsyria und Rafael, die jetzt sicher nicht im Stau standen. Plötzlich fiel ihm auf, dass ein flaschenförmiger Gegenstand, aus dem Himmel, direkt auf ihn zu fiel.
"Oh Kacke, Mann!" rief er, riss geistesgegenwärtig die Tür auf und sprang an die Leitplanke.
Die Colaflasche krachte in die Windschutzscheibe, durchschlug mit einer ungeheuren Wucht das Armaturenbrett und knallte unter dem Auto splitternd auf den Straßenboden.
Herr Maier stand auf und blickte in das Auto – oder das, was noch davon übrig war. Er starrte ungläubig in den leeren Himmel.
"Oh, das waren bestimmt wieder diese verdammten Segelflieger! Ich werde mich mal beim DAeC* beschweren!"

Das Transportflugzeug flog zwischen Radolfzell und Konstanz über den Bodensee in etwa 
15 000 Fuß Höhe.
Elsyria schlich sich heimlich hinter in den Frachtraum, um zu sehen, was Murluck da trieb.
Thomas, Rafael und die anderen dichteten, um sich die Flugzeit zu vertreiben. Zu lange im Flugzeug sitzen kann depressiv machen.
Thomas:
"Über den Wolken, da sind wir zu Haus,
Piloten fliegen dort Tag ein, Tag aus."

Dixon:
"Einige haben Angst vorm fliegen,
Haben beim drandenken ne Gänsehaut gekriegt."

Rafael:
"Hey Dixon, du alte Flasch,
deine Reime sind heute ziemlich lasch!"

Dixon:
"Machs doch besser, du kleiner Wicht!"

Rafael:
"Pass mal auf, ich enttäusch dich nicht!"

"Wenn am Morgen die Sonne lacht,
und der Windsack dicke Pausbacken macht.
sind am Flugplatz, wie Thermikkrieger,
Gleitschirm, Drachen und Segelflieger.

Tolles Wetter auf der Binz,
In der Luft fliegt Kunz und Hinz.
Und auch ich hab mit KA 8*
einen Windenstart gemacht.

Endlich startklar, ja ich glaub es kaum,
nur der Fallschirm liegt noch im Unterrichtsraum.
Doch das kratzt mich nicht die Bohne,
dann flieg ich heut mal wieder ohne!

.
KAVALLIERSTART*, nur wer wagt, der gewinnt,
immer kräftig ziehen, das bringt Höhe mein Kind.
Nur das einzige was mich schockiert,
ist, dass der Knüppel plötzlich blockiert.

Dann gab`s auch noch einen Knall,
abwärts ging`s im freien Fall.

Weil im Segelfliegerhandbuch steht,
"Verlass die Kiste solang`s noch geht!"
werf ich nun die Haube ab,
denn die Zeit wird langsam knapp.

Oh Oh Oh ich dummes Ei,
Hätt ich bloß den Fallschirm dabei.
Plötzlich ist ein mechanisches Wunder passiert,
die Keule, die jetzt nicht mehr blockiert.

Die Erde kommt herangebraust,
meine Hand am Knüppel wird zur Faust.
Denn ich hab jetzt das Verlangen,
vor dem Aufschlag abzufangen.

Das Schicksal nimmt nun seinen Lauf,
die Räder bumsen heftig auf.
Die Leute auf der rechten Seite,
suchen schreiend schnell das Weite.

Bremsen quietschen, Reifen brennen,
die Feuerwehr fängt an zu rennen.
Und vom Vorfeld Jubel brandet,
"Unser Slayer ist gelandet!"

"Hahaha - sehr witzig!" sagte Shark-Dixon. "Kennst du auch das Gedicht vom vergessenen Doppelsteuer? Das könnte zu dir passen, Rafael!"

Ein Flieger stellt für bare Kasse
sich in den Dienst der breiten Masse,
indem er Viertelstundenweise
mit Rundfluggast geht auf die Reise.

Weil keinem Laien recht zu trauen
Ist stets laut Vorschrift auszubauen,
der Knüppel dort am hinteren Sitz
der Flieger fasst das auf als Witz.

"Ein Gesetz - erdacht von deutschen Bürokratenseelen, 
um,  mal wieder,  die Pilotschaft zu quälen!"

Als eines Tages stillvergnügt
er einen Gast mit Sprössling fliegt,
klemmt mangels Platz des Knaben Bein
sich so verteufelt hässlich ein -

dass sich das Höhenruder nicht
mehr ziehen  lässt und sehr gemischt
sind die Gefühle bei dem Helden
der Aviatik* sich vermelden.

Ergebnislos bleibt das Bestreben,
die miese Lage zu beheben.
Zur Landung schwebt, nein rauscht es jetzt,
heran das Flugzeug wie gehetzt.

Geht auf die Räder und springt munter,
in Bockmanier den Platz hinunter.
Es "knistert" im Gebälk verdächtig,
doch hält die Konstruktion sich prächtig.

Dem Flieger fällt nach solchen Scherzen
mit lautem Plumps ein Stein vom Herzen,
und er tut aus berufenem Mund
den Fluggenossen künftig kund:

"Ist euer Leben wert und teuer,
ENTFERNT beim Gast das zweite Steuer!!!"

"Wenn ich Fluglehrer wäre, würde ich mir den letzten Satz auch gut einprägen!" sagte Miles. "Piloten, Fluglehrer etc. haben ja nicht nur die Verantwortung für sich und das Flugzeug, sondern auch noch die Passagiere!"
"Stimmt!" sagten Jochen und Peter.
Thomas kam heraus. "Ist ja toll, dass ihr alle so gut drauf seid, denn ich kenne noch
das Gedicht vom "Fliegenden Erlkönig":

Wer fliegt so vermessen bei Schauer und Dreck?
Wer hält seinen Kurs so verbissen und keck?
Es ist der Vater mit Kind und Frau;
Den Flugschein hat er zwei Tage genau.

Oh Vater, wie schaukelt das Flugzeug so wild,
wann kommt denn die Nordsee, wann sind wir auf Sylt?
Ach Sohn, verschone mit Fragen mich jetzt,
Ich glaube der Wind hat uns böse versetzt.

"Oh Vater, Oh Vater ich seh gar nichts mehr,
nur schwarze Wolken rings um uns her!"
"Mein Sohn, man findet nun mal die Sicht,
viel besser in diesem Culonibus nicht!"

Dem Vater grausets, er fliegt geschwind,
die Mutter wimmert, es kotzt das Kind.
Der Kreiselkompass steht fest auf "Nord",
dafür wandert der zweite umkehrlich fort.

Er fliegt schon vier Stunden, der Sprit wird knapp,
da blickte der Filius "Nimmel" durch Zufall herab.
"Vater, Vater, sieh,  ein Wolkenloch dort!"
"Schnallt fest eure Gurte, wir landen sofort!"

Es kracht bei der Landung, das Flugzeug ist hin,
Der Vater blickte ungläubig zum Wegweiser hin:
"Nur  sieben  Kilometer  weit  kam  er  genau  - 
vom  Flugplatz  Neudorf  nach  Oberlangengau!"

.
Alle lachten.
Thomas blickte auf das GPS* im Cockpit. "Wir sind jetzt über den Alpen!" rief er nach hinten.
Rafael las eifrig in dem Drachenbuch, Dixon blickte zum Fenster heraus, Daniel und Michael machten Fotos von den Bergen und Elsyria schlich sich hinter Murluck her, der im Frachtraum unten war.
Im Frachtraum waren Eisenrohre, Gasflaschen, Fallschirme und jede Menge anderes Material schön sorgfältig in den Ecken gestapelt. Das ULF war in der Mitte des Laderaumes mit einigen anderen Kisten und Gasflachen mit der Aufschrift "Hydrogen*" festgegurtet.
Elsyria traute ihren Augen nicht. Murluck saß auf dem Boden vor der Ladeluke und sprach merkwürdige Worte aus, die auf einer Schriftrolle vor ihm lagen.
Er breitete seine Hände über dem Drachenstein aus. Dieser fing an, grün zu leuchten. Er leuchtete so hell, das Elsyria ihre Hand vor die Augen hielt.

*
Cargo-Lifter
= Transportzeppelin
Feuerwurm = anderer Name für "Drache"
99.9% = höchste Reinheit von Gold
Aquamarin = blauer Edelstein
DAeC = Deutscher Aero Club e.V.
KA 8 = Segelflugzeug (Typ / Baureihe KA 8)
Kavallierstart = Überziehen des Flugzeuges beim Start
Aviatik = Flugtechnik, Flugwesen
GPS = global positioning system
Hydrogen = Wasserstoff  (hochexplosiv)

© Tobias Wagner
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Und schon geht's weiter zum 4. Kapitel: Absturz

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