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Diese Geschichte wurde von den Drachental-Besuchern
zur zweitbesten Fantasy-Fortsetzungs-Story 2002 im Drachental gewählt!
Und im darauffolgenden Wettbewerb 2003 wurde diese Geschichte
zur besten Fantasy-Fortsetzungs-Story im Drachental gewählt!

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Der dunkle Drache von Aretin von Wilddrache
Der Aretin- Fortsetzungs-Roman
Die Entscheidung

Hormar lag auf seinem Felsen in der Mitte des Foramwaldes und langweilte sich schrecklich. Verschlafen blinzelte er in die Sonne, die ihm warm auf den Bauch schien und begann zur Abwechslung einmal die Kaninchen zu zählen, die tief unter ihm auf der Lichtung spielten. 
"Nicht mal ne ordentliche Mahlzeit geben die ab", dachte sich Hormar verärgert, "ich bräuchte ja zehn von denen, um einen hohlen Zahl zu füllen", und döste weiter vor sich hin. 
Schon seit Jahren verlief sein Leben in einem einförmigen Trott: schlafen, fressen, schlafen, fressen...
Wie lange war es eigentlich her, dass der letzte Ritter zu seinem Berg gekommen war, um ihm seinen Schatz zu rauben? (er hatte gar keinen Schatz, aber das hatte er natürlich noch niemandem erzählt!) oder wenigstens, um seinen Kopf abzuschlagen und als Trophäe seiner Liebsten zu bringen? Früher kamen die Mutigsten des Landes (oder die Verrücktesten, je nachdem) in rauen Scharen und der Drache konnte sich einen Spass daraus machen, mit ihnen Katz und Maus zu spielen, bevor er sie dann mit einem Haps verschlang. Obwohl - einmal blieb ihm eine dieser störrischen Rüstungen im Hals stecken und mit dem folgenden Hustenanfall hatte er den halben Wald in Schutt und Asche gelegt. 
Ja, das waren noch Zeiten gewesen, aber diese schönen Tage waren schon lange Vergangenheit. 
Nun lag er hier und tat den lieben langen Tag nichts anderes, als seine goldglänzenden Schuppen in der Sonne funkeln zu lassen. 
Plötzlich änderten sich die Geräusche um ihn herum. Der Gesang der Vögel verstummte und die Kaninchen hoppelten Haken schlagend davon. Irgendetwas musste die Tiere erschreck haben! Hormar schob seinen Kopf über den Rand des Felsens und spähte hinunter. Vielleicht konnte er ja einem Wolf dabei zuschauen, wie er ein Reh schlug. Was für eine gewaltige Abwechslung. Aber es war kein Wolf, der da taumelnd auf die Lichtung heraustrat, ja eher herausfiel, sondern ein Menschenkind! Interessiert hob der Golddrache seinen Kopf, um den Kleinen genauer in Augenschein zu nehmen.
"Schicken die jetzt schon Kinder, um mich zu erschlagen? Das wäre ja eine Beleidigung sondergleichen!" 
In seinem Zorn wollte er den Jungen, denn um einen solchen handelte es sich, mit einem gezielten Feuerstoß in die ewigen Wälder des Nebels schicken, als ihm etwas auffiel. Alle Menschen, die er bisher gesehen (und meist gefressen ) hatte, trugen Kleider aus Leder, die bis zu den Knien reichten und Sandalen oder hohe Stiefel und waren mit Schwert, Schild und Bogen bewaffnet. Dieser Junge war irgendwie anders. Verwundert schaute Hormar nach unten. Dieses Kind hatte feuerrote Haare (wer hatte so was schon gesehen!) und trug ein zweiteiliges Gewand, von dem der obere Teil von der Farbe frischer Blätter war und der untere in tiefstem Schwarz glänzte. Bei aller Anstrengung fiel dem Drachen kein Tier ein, aus dessen Fell oder Haut man solche Kleidung machen konnte, und er kannte alle Tiere dieser Welt. Am erstaunlichsten fand er aber das Gestell vor den Augen des Jungen. Aus einem Material durchsichtig wie Wasser, aber fest wie Stein tronte es auf seiner Nase und gab ihm ein bisschen das Aussehen eines Marigog. Vor lauter Verwunderung vergaß Hormar, dass er eben noch Feuer speien wollte. Statt dessen breitete er seine Flügel aus und schwang sich mit einem eleganten Sprung, den man einem Drachen seiner Größe nicht zutrauen sollte, in die Lüfte, um dann sanft nach unten zu gleiten, wo der kleine Mensch inzwischen weiter auf die Lichtung hinaus taumelte. 
"Bei allen guten Zauberern, dieser Junge ist am Ende seiner Kräfte", dachte Hormar und schoss nun wie ein Pfeil nach unten. Dort brach der Junge in diesem Moment in die Knie. Erschöpft versuchte er, sich noch einmal aufzurichten, aber mit einem Stöhnen fiel er zu Boden und regte sich nicht mehr. 
Der Boden bebte leicht, als Hormar neben dem Kind landete. Sein Anblick erfüllte ihn mit einem eigenartigen Gefühl. Eine innere Stimme schien ihm zuzuflüstern, dass es mit diesem Menschenjungen irgendetwas auf sich hatte, ob gut oder böse, das wusste er nicht. Und doch schien es ihm wichtig, dass dieses Kind überlebte, auf jeden Fall vorerst, bis er genauer wusste, was damit los war. Vorsichtig nahm er ihn mit seinen Tatzen auf, deren Krallen fast so lang wie der Körper des Kindes groß. In dem Moment, in dem er ihn berührte, durchfuhr ein Kribbeln seine Pfoten und die Welt verschwamm vor seinen Augen. Ein nicht einmal unangenehmes Gefühl durchströmte ihn, als ob er diesen Wicht schon sein ganzes Leben lang gekannt hätte. 
Homar schüttelte den Kopf und seine Krallen zerfetzten nervös den Boden. Er musste diesem Kind so schnell wie möglich helfen! Sein Blick streifte suchend über die Umgebung und blieb endlich am Fluss hängen. So schnell er auf seinen drei Pfoten laufen konnte - zu fliegen traute er sich nicht, falls dieses Schwindelgefühl noch einmal wiederkommen sollte - lief er zu den Ufern des Foram und ließ Jahn vorsichtig in das eisige, kristallklare Wasser sinken. 
Die Kälte ließ Jahn sofort wieder zu sich kommen. Wild mit den Armen und Beinen strampelnd versuchte er zu schwimmen, bis der Junge merkte, dass das Wasser nicht mehr als Knietief war. Sofort warf er sich herum und begann, mit hastigen Schlucken zu trinken. 
"Du mußtest ja dem Verdursten nahe gewesen sein, als ich dich gefunden habe", meinte Hormar.
"Mhhmmm...", meinte Jahn, drehte sich nach dem Sprecher um - und erstarrte! Ungläubig wanderte sein Blick immer höher an dem Golddrachen hinauf und aus dem ungläubigen Staunen wurde erst Angst und dann Entsetzen. 
"AAAAHHHH, lass mich in Ruhe, tu mir nichts, geh weg!!" 
In seiner Panik krabbelte Jahn auf allen Vieren rückwärts immer weiter in den Fluss hinein, die Augen starr auf den riesigen Hormar gerichtet, der wie ein Berg vor ihm aufragte. 
"Du undankbarer Wicht", rief der Drache aufgebracht. "Erst rettet man dir das Leben und dann das!" 
Sein Kopf stieß so schnell auf Jahn herab, dass dieser sich schon Platt wie eine Scholle auf dem Flussbett liegen sah und versuchte, sich mit einem riesigen Satz in Sicherheit zu bringen. Woher sollte er auch wissen, dass sich genau an dieser Stelle des Flusses ein tiefes Loch befand, so dass er wie ein Stein mehrere Meter tief versank. Sein Schrei wurde zu einem erstickten Gurgeln, als er mit hektischen Bewegungen wieder an die Oberfläche kommen wollte. Aber seine Kleider schienen im Wasser plötzlich Zentner zu wiegen und zogen ihn wie ein Magnet nach unten. Kurz bevor die Atemnot ihn zwang, Wasser zu atmen, explodierte die Oberfläche des Foram über ihm und eine riesige Kralle packte ihn an seiner Jeans, zog ihn in die Höhe, so dass er sich nun anstatt unter Wasser plötzlich zwanzig Meter darüber befand und in das zornige Gesicht eines Drachen schaute. Qualvoll würgte er das Wasser aus seiner Kehle, während der Drache ihn wütend anfuhr.
"So was wie dich habe ich schon gefressen als ich noch keine hundert Jahre alt war und jetzt muss ich dich auch noch aus diesem ekligen Wasser ziehen! Und zum Dank tust du so, als wären die Glibberschnack hinter dir her! Eigentlich sollte man dich einfach wieder fallen lassen!"
Jahn stand noch immer Todesängste aus, als Hormar ihn die kurze Strecke zurück zum Waldrand trug und äußerst unsanft unter einem Baum absetzte. Mit schmerzendem Hosenboden kroch er nach hinten und presste sich so nahe an die Tanne, wie nur möglich, ohne dabei den Drachen aus den Augen zu lassen. Langsam legte sich sein Schreck und er begann zum erste mal, sich das Tier(?) genauer anzusehen. Sein Schlangenförmiger Körper war über und über mit handtellergroßen, goldschimmernden Schuppen bedeckt, so dass er in der Untergehenden Sonne funkelte. Die Beine erinnerten von ferne an die eines Alligators, waren aber ungleich eleganter und trotzdem so kräftig, das riesige Gewicht des Drachen spielend zu tragen. Den Krallen, fast so lange wie er selbst, wollte Jahn lieber nicht zu nahe kommen, obwohl er schon am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte, wie geschickt der Drache damit umgehen konnte. Das faszinierendste jedoch waren die Augen des Wesens (Jahn wollte ihn nicht mehr Tier nennen, er spürte in sich, dass er einem Wesen gegenüber saß, das mindestens so intelligent war wie Menschen, wenn nicht sogar ungleich mehr), die wie zwei Sterne in dem verhältnismäßig kleinen Kopf saßen und ihn anschauten. Jahn hatte das Gefühl, dass der Drache alleine durch diesen Blick alle seine Geheimnisse und Wünsche erfahren konnte. Und trotz allem - oder gerade deswegen? - war dieses Wesen das schönste und zugleich gefährlichste, das Jahn in seinen 13 Jahren bisher gesehen hatte. 
"Na, hast du mich jetzt lange genug angestarrt? Man könnte ja gerade meinen, du hättest noch nie einen Drachen gesehen." 
In der Stimme des Drachen, die sich anhörte, als ob die größte Glocke einer Kathedrale angeschlagen wurde, schwang immer noch Ärger mit, aber bei weitem nicht mehr so viel wie noch vor wenigen Minuten.
"Äh, ja... Nein... ich meine, wer oder was bist du? Ich habe wirklich noch nie so was wie dich gesehen"
"Ich? Ich bin ein Golddrache und heiße Hormar. Du bist hier in mein Revier geraten. Woher kommst du? Und wer bist du? Sowas wie du ist mir noch nie über den Weg gelaufen."
"Tja, wenn ich das so genau wüsste", entgegnete Jahn. "Ich heiße Jahn und weiß nur noch, dass ich die letzten zwei Tage durch diesen Wald gelaufen bin, in dem ich mich anscheinend verlaufen haben muss. Ich muss kurz vorm Verdursten gewesen sein, als du mich gefunden hast." 
Wieder versuchte Jahn, wie schon so oft in den letzten beiden Tagen, den Vorhang, der sich über sein Gedächtnis gelegt hatte, zu zerreißen, aber wie schon so oft konnte er ihn nicht durchdringen. Er wusste, dass das ganze Wissen griffbereit in seinem Kopf war, aber so sehr er sich auch bemühte, er konnte es nicht erreichen. Nur eines wusste er sicher: er gehörte nicht hierher; nicht an diesen Fluss, diesen Wald, vielleicht nicht einmal in diese Welt. Vielleicht war er nur in einem Traum gefangen, in dem sein Unterbewusstsein ihm einen Streich spielte. Aber wenn, dann war das der realistischste Traum, von dem er je gehört hatte. 
Noch während er diesen Gedanken nachhing, forderten die letzten beiden Tage ihren Tribut. Trotz seiner klatschnassen Kleidern schlief er ein.

Als er wieder erwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Neben ihm flackerte ein kleines Feuer. 
"Guten Morgen Kleiner", sagte Hormar. "Na, gut geschlafen?"
"Ja, danke, nur war es zwischendurch sehr kalt. Ich glaube, ohne dein Feuer hier wäre ich erfroren."
"Das habe ich auch gedacht. Du hast ja gezittert wie Zittergras. Kannst du eigentlich auch ein paar Stunden überleben, ohne dass ich dir andauernd die Haut retten muss?"
Jahn spürte, wie sein Gesicht die Farbe reifer Tomaten annahm. 
"Und ich habe mich noch nicht mal dafür bedankt." Verschämt blickte er auf zu Boden. "Vielen Dank Hormar. Und entschuldige mein Benehmen gestern, es war wirklich nicht so gemeint, aber ich bin so erschrocken als ich dich gesehen habe, und die meisten anderen, denen ich hier begegnet bin, waren nicht gerade freundlich zu mir und... entschuldige."
"Das kann ich mir schon vorstellen, für ein Wicht deiner Größe ist es sehr gefährlich hier im Wald."
Nachdenklich schaute der Drache auf Jahn herunter. 
"Ich weiß immer noch nicht, woher du kommst und was du hier machst, Jahn"
"Aber ich doch auch nicht, ich weiß nur, dass ich hier nicht hergehöre. Und dass ich solche Wesen wie dich und die anderen dahinten im Wald noch nie gesehen habe." 
Zustimmend nickte Hormar mit dem Kopf.
"Weißt du, Kleiner, wenn du mich angelogen hättest, hätte ich dich gefressen. Aber ich spüre, dass du die Wahrheit sagst. Das kannst du dir gleich für die Zukunft merken: Drachen kann man nicht anlügen, das merken sie sofort. Aber die Frage ist jetzt: Was mache ich denn nur mit dir?"
Jahn schaute den Drachen verzweifelt an.
"Ich weiß es nicht. Ich kann noch keinen klaren Gedanken fassen. Bisher bin ich einfach nur geradeaus gelaufen und dabei fast verhungert, verdurstet, gefressen und ertränkt worden. Kannst du mir nicht wenigstens den Weg hier heraus und zur nächsten Stadt zeigen?"
Hormar schaute ihn nur traurig an. 
"Du würdest den Weg dorthin nicht überleben. Der Weg führt für Jemanden wie dich, der nicht fliegen kann, zwei Wochen durch diesen Wald. Und selbst wenn, in der Stadt sind die Leute anders als du. Sie würden dir nicht weiterhelfen, selbst wenn sie es könnten. Nein, das ist unmöglich."
"Aber ich kann doch nicht mein ganzes Leben hier bei dir auf der Lichtung verbringen. Kannst du mir denn nicht sagen, wo ich hinsoll?"
Hormar überlegte lange. 
"Es gibt da Jemanden, der dir vielleicht helfen kann, aber ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist. Die alte Margan lebt nur eine knappe Stunde von hier. Sie ist wohl das weiseste Wesen, das auf dieser Welt lebt, aber sie ist sehr launisch. Kann sein, sie hilft dir, kann aber auch sein, sie hetzt ihre Wasserriesen auf dich. Unangenehme Gesellen, sogar für mich." Hormar schüttelte sich, als ob der Gedanke an diese Riesen ihm schon Schauer über den Rücken laufen lassen würde. Dabei schlugen seine Schuppen aneinander, so dass es sich anhörte wie ein Glockenspiel. 
Jahn überlegte kurz, dann hatte er sich entschieden. Ob Wasserriesen oder nicht, er würde es wagen, was blieb ihm denn auch anderes übrig? Und das sagte er Hormar auch. 
"Und wo finde ich diese Margan?" fragte Jahn weiter. 
Der Drache lächelte, als hätte er gefragt, ob Drachen auch Wasser statt Feuer speien. 
"Du überhaupt nicht. Hast du schon vergessen, was ich dir über diesen Wald erzählt habe?"
"Nein, aber du hast doch gesagt in einer Stunde..."
"Flugstunde" unterbrach ihn Hormar gereizt. "Das bedeutet für dich immer noch einen tagelangen Marsch durch den Wald."
Enttäuschung spiegelte sich auf Jahns Gesicht, aber Hormar fuhr fort:
"Aber mach dir nichts drauss, ich werde dich hinbringen, und sei es nur, damit du mir hier nicht ewig auf die Nerven gehst."
Er legte seinen Kopf vor Jahn auf den Boden.
"Komm, steig schon auf"
Jahn zögerte. Der Gedanke, auf einem Drachen durch die Luft zu fliegen behagte ihm gar nicht. Andererseits war es wahrscheinlich immer noch besser, als den Rest seines Lebens mit ihm hier auf dieser Lichtung zu verbringen oder von irgendwelchen Waldmonstern gefressen zu werden. Zögernd griff er nach einem der Stachel, die Hormar zu hauf aus dem Kopf wuchsen und kletterte nach oben. Die Haut des Drachen fühlte sich geschmeidig an und kein bisschen so kalt und unangenehm, wie er erwartet hatte. Ganz im Gegenteil, sie war fast heiß, so als ob sie von einem inneren Feuer erhitzt würde. Und wer weiß, vielleicht war diese Vermutung gar nicht so falsch.
Jahn stieg die drei Meter nach oben und suchte sich einen festen halt.
"Alles klar? Dann kann´s ja losgehen." Mit einem mächtigen Satz, der Jahn fast wieder von den seinem Sitz geschleudert hätte, hob der Drache vom Boden ab und begann in engen Kreisen nach oben zu steigen. Jahn hatte das Gefühl, als ob sein Magen in die Füße gezogen wurde und ein unangenehmes Gefühl brachte ihn fast zum würgen. Zum Glück war der Steigflug in diesem Moment beendet und Hormar nahm Kurs Richtung Osten, der Sonne entgegen.

Von dem Flug wusste Jahn später nicht mehr viel, nur dass der Drache eine solche Geschwindigkeit erreichte, dass er die Augen krampfhaft schließen musste, um sie vor dem Wind zu schützen. Trotzdem übertraf es alles, was Jahn je getan hatte (auf jeden Fall alles, an was er sich erinnern konnte) .
Jahns Zeitgefühl war auf dem Flug vollkommen durcheinander geraten, so dass er völlig überrascht war, als Hormar ihm verkündete, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. 
"Halte dich fest, Kleiner, wir gehen nach unten!"
Jahn hatte kaum Zeit, sich an zwei der Stacheln festzuhalten, als der Drache in einen regelrechten Sturzflug überging. Er hörte sich entsetzt aufschreien, als ihnen der Boden regelrecht entgegensprang. Nur wenige Meter darüber fing der Drache den Sturz ab und landete unweit dem Ufer eines Sees. Wieder legte Hormar den Kopf auf den Boden, um Jahn absteigen zu lassen, doch dieser klammerte sich noch immer krampfhaft an seinen Halt. 
"Es ist vorbei, du kannst loslassen", rief Hormar und seiner Stimme hörte man an, dass er sich diebisch freute. 
Als der Junge immer noch keine Anstalten machte abzusteigen, legte der Drache den Kopf schief und liess Jahn in seine ausgestreckten Klauen fallen, von denen er ihn sanft auf den Bodenn setzte. 
Jahn zitterte noch am ganzen Körper, aber das hinderte ihn nicht daran, Hormar böse anzufunkeln
"Noch so eine Aktion, und ich fliege nie wieder mit dir", sagte er .
"Ich denke nicht, dass du noch einmal eine Gelegenheit dazu bekommen wirst", meinte Hormar und sein Grinsen wurde noch eine Spur breiter. "Aber jetzt komm mit, ich werde dich zu Margan führen."

Jahn folgte dem Drachen zu einem Haus, das eigenartigerweise halb auf dem Ufer und halb auf breiten Stämmen ins Wasser hinausgebaut war. Es bestand komplett aus Holz und erschien Jahn nicht einmal groß genug, damit auch nur eine Person darin leben konnte. Aber das alles nahm er nur am Rande wahr, denn seine ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf die Person, die vor dem Haus stand und sie offensichtlich erwartete. Er hatte ganz automatisch angenommen, eine alte Frau zu sehen, aber wie sehr hatte er sich geirrt! Ihre Gestalt war menschlich, ja, das heisst sie hatte Kopf, Körper, Arme und Beine. Aber das endete die Ähnlichkeit auch schon. Ihr Oberkörper war mit ähnlichen Schuppen bedeckt wie die des Drachen, nur dass diese silbern funkelten. An den Beinen gingen diese in wirkliche Fischschupppen über, und zwischen ihren Zehen konnte Jahn sogar Schwimmhäute erahnen. Auf dem Rücken hatte sie zwei Paar Libellenflügel gefaltet und das Gesicht war das einer schönen jungen Frau, nur dass die Haare grün waren und nach feinem Gras aussahen.
"Willkommen bei der alten Margan, Jahn und Hormar, seid willkommen." 
Jahn sah unsicher zu Hormar hinauf und es schien Erleichterung in seinem Blick zu liegen. 
"Hallo, Margan, schön, dich wiederzusehen", erwiderte er den Gruß. "Ich habe dir hier ein Mensch gebracht, der deine Hilfe nötig hat und..."
"Ich weiß. Und ich weiß auch, dass er eine schlimme Zeit hinter sich hat. Du bist ein schlechter Gastgeber, Hormar. Jahn ist bestimmt schon am verhungern und du hast ihm noch nicht mal etwas angeboten. Statt dessen bringst du ihn mit deinen Flugkunststückchen fast noch um." Mit strafendem Blick schüttelte sie den Kopf und meinte zu Jahn gewand: "Komm doch rein, ich werde dir etwas zu Essen geben und dann reden wir weiter. Hormar - ich würde dich liebend gerne auch hereinbitten, aber so geräumig ist die Hütte wohl doch nicht ganz. Aber bitte bleibe in der Nähe und höre zu, so dass ich die Geschichte nicht zweimal erzählen muss."
Jahn begleitetet Margan in die Hütte, die wirklich nur aus einem Raum bestand. In der Mitte ein Tisch und ein Stuhl und in einer Ecke befand sich ein Herd, auf dem schon eine Suppe brodelte. 
"Setz dich ruhig", sagte die alte (?) Margan und servierte ihm kurz darauf eine heiße Suppe in einem Holzteller. Als Jahn der Geruch in die Nase stieg, bemerkte er erst, wie hungrig er war. Ohne auch nur einmal abzusetzen löffelte er die ganze Schüssel aus und sah Margan fragend an. Diese lächelte und füllte seinen Teller zum zweiten mal, und erst als Jahn auch mit diesem fertig war und sich satt in seinem Stuhl zurücklehnte, sah Margan zum Fenster hinaus und rief nach Hormar. Kaum geschehen, erschien sein Kopf vor dem Fenster, genauer gesagt sein Auge, das fast den ganzen Raum der Öffnung ausfüllte. 
"Ihr habt bestimmt viele Fragen, vor allem du, Jahn."
"Ja", antwortete der gefragte, "wo bin ich hier, wie komme ich hierher und vor allem wie komme ich wieder zurück? Kannst du mir weiterhelfen?"
"Ja, das kann ich, wenigstens teilweise." Mit diesen Worten stand sie auf und trat hinter seinen Stuhl.
"Zuerst mal kann ich dir zeigen, woher du kommst. Du brauchst keine Angst zu haben."
Sie legte ihre Hände von hinten über seine Augen und murmelte für Jahn unverständliche Worte in einer fremden Sprache. Ein warmes Leuchten schien von ihren Händen auszugehen und wurde zu einem blendenden Licht, das ihm die Augen tränen ließ. Als er sich etwas an das Licht gewöhnt hatte sah er eine Stadt in dem Licht auftauchen, ein Haus dieser Stadt mit großem Garten und ein Paar, das in diesem Garten stand und auf die Strasse hinausblickte. Die Tränen, die diesmal seine Augen füllten, kamen nicht vom Licht sondern daher, dass er in diesen Personen seine Eltern erkannte, die sich entsetzliche Sorgen darüber machen mussten, wo ihr jüngster Sohn geblieben war. Mit einem Schlag erinnerte er sich an seine Schwester und seinen Bruder, seine Schule und seine Freunde. Und er erinnerte sich daran, wie er hierhergekommen war: 
Vor drei Tagen hatte seine Klasse einen Ausflug in eine Höhle gemacht, so eine mit Steinzeitlichen Malereien. Jahn war begeisert vor den Bilder gestanden, die Menschen vor Tausenden von Jahren hier an die Wände gemalt hatten. Ehrfurchtsvoll überlegte er, was wohl von der Mona Lisa in gleicher Zeit wohl noch übrig sein würde, vermutlich gar nichts. Und diese primitiven Bilde hatten die Äonen überdauert, ohne großen Schaden zu nehmen. 
Besonders faszinierte ihn die Darstellung eines Drachen, aber als er seinen Lehrer fragte, woher die Steinzeitmenschen einen Drachen gekannt haben konnten, erhielt er einen Vortrag über die Veränderung der Krokodile in den letzten Jahrtausenden, die wohl für dieses Bildnis modell gestanden hätten, und dass das nie und nimmer ein Drache sein könnte, da es Drachen nicht gäbe. 
Mit diesen Worten drehte er sich um und forderte seine Klasse dazu auf, weiterzugehen. Jahn blieb gedankenverloren vor dem Krokodil stehen, das für ihn eindeutig einen Drachen darstellte, egal was der Lehrer dazu sagte. Er konnte sich direkt vorstellen, wie der Drache auf einem Felsen saß und auf jemanden wartete und...
Was waren das für Gedanken? Und für einen Moment hatte sich das Bild bewegt! Wie von einem inneren Zwang getrieben trat Jahn über die Absperrung zu der Wand und berührte die Zeichnung. Ein Schlag wie von elektrischem Strom fuhr durch seine Hand und ein gleißender Blitz erhellte die ganze Höhle. Es roch nach Ozon und verschmorter Haut, als Jahn vor dem Bild auf den Boden sank und das Bewusstsein verlor. 
Genauso war es gewesen, und dann war er in diesem Wald aufgewacht. Jetzt war ihm alles ganz klar, als Margan die Hände von seinen Augen nahm. 
"Margan ich muss nach Hause, meine Eltern machen sich sicher schon schreckliche Sorgen!" erregt war er aufgesprungen und lief in dem Zimmer umher. 
"Sag mir, wie ich nach Hause komme, schnell."
Margan sah ihn traurig an und antwortete: 
"So schnell wird das leider nicht gehen, Jahn."
Wie vom Schlag getroffen blieb er stehen. Sekundenlang weigerte sich sein Verstand zu begreifen, was die Frau eben gesagt hatte. 
"Was soll das heißen, nicht so schnell? Ich verpasse die Schule und den Geburtstag von Lisa und... wielange ist denn nicht so schnell?" 
"Es kann lange dauern, sehr lange sogar, vielleicht gibt es nicht einmal mehr einen Weg zurück, ich weiss es nicht genau." Jahns Herz machte einen krampfhaften Sprung, als er das hörte. 
"Warum nicht?" Er griff Margan an den Schultern und wollte sie schütteln, viel aber dann kraftlos auf den Stuhl zurück und sah sie nur entgeistert an.
"Warum nicht?" seine Stimme war nahe daran, ihm den Dienst zu verweigern.
"Beruhige dich, Jahn ich weiß, dass du jetzt verzweifelt sein musst, aber höre dir die Geschichte dieser Welt an, dann wirst du vielleicht verstehen. Und auch dir, Hormar, empfehle ich gut zuzuhören, denn das meiste wird auch für dich neu sein." 
Und sie begann die Geschichte zu erzählen:
"Die Welt, auf der wir uns befinden, wird von uns Aretin genannt. Sie war ein Paradies, und so sollte es auch bleiben. Schaut aus dem Fenster:"
Jahn tat wie geheissen und auch Hormars Blick richtete sich quer durch die Hütte auf das andere Fenster. Und wo noch vor kurzen ein See in der Sonne glänzte, breitete sich nun eine wunderschöne Hügellandschaft aus, in der Drachen flogen und allerhand Tiere grasten oder sich einfach nur ihres Lebens freuten. 
"So sollte es sein, und so war es eine lange Zeit", fuhr Margan fort. "Es war die Zeit der Zauberer und Feen. Und es  könnte heute noch so sein, wenn nicht einer der Zauberer, dazu noch der mächtigste unter ihnen, begonnen hätte, seine Macht für seine eigenen Ziele zu missbrauchen. Er zog sich auf seine Burg zurück und versuchte, seine Macht zu vergrößern. Alleine saß er Jahr um Jahr in seinem Labor, um zu experimentieren. Eines Tages wagte er zu viel und er erschuf den Drachen Xarkur. Du kannst ihn nicht mit dir vergleichen Hormar, Xarkur ist das gestaltgewordene Böse. Über und über schwarz und von so furchterregender Gestalt, dass dir die Augen schmerzen, wenn du ihn ansiehst. Entsetzt über seine Tat versuchte der Magier seine Schöpfung zu vernichten und tagelang tobte ein magischer Kampf über der Burg, die das ganze umliegende Land verwüstete. Am Ende siegte er Drache und der Zauberer wurde wohl getötet. Seitdem herrscht Xarkur über das Land und breitet eine Schreckensherrschaft aus. Und wohin er seinen Fuß setzt, verdirbt das Land und die Geschöpfe die darin leben. Es ist nicht so, dass sie sterben würden, nein, aber sie werden so wie ihr neuer Herr. Aber seht selbst:"
In dem Fenster änderte sich das Bild. Es zeigte noch immer dieselbe Landschaft, aber sie hatte sich verändert! Wo vorher strahlender Sonnenschein über grüne Wiesen flutete herrschte jetzt ein Halbdunkel, so dass die Wesen der Hügel nur noch als Schatten zu sehen waren. Diese Schatten lauerten aufeinander und nicht wenige fielen übereinander her. 
"Ihr seht, es ist schrecklich, vielleicht sogar das Ende dieser Welt, wenn Xarkur nicht aufgehalten wird. Viele haben es versucht und genauso viele sind gescheitert. Da taten sich einige der besten Magier zusammen, um den Drachen zu bekämpfen. Aber auch sie konnten nichts gegen ihn tun und wurden vernichtend geschlagen. Einer der letzten überlebenden des Gemetzels sprach kurz vor seinem Tod noch die Worte "Nur der Weltenwanderer kann ihn aufhalten".
"Der Weltenwanderer", warf Hormar dazwischen. "Soll das heißen, es gibt mehr Welten als unsere?"
"Oh ja," antwortete die alte Margan, "viel mehr. Und als letzten Ausweg haben unsere Magier ein Tor geöffnet, durch das der Weltenwanderer nach Aretin finden kann. Und vor zwei Tagen ist er gekommen."
"Moment mal", wieder meldete sich Hormar zu Wort. "Du willst damit sagen, dass der Kleine unser aller Retter sein soll? Und warum habe ich von alldem nichts gemerkt? Ich bin ja nun auch schon ein paar Jahrhunderte hier."
"Er könnte es sein, wenn er will und du hast nichts gemerkt, weil sich das alles in einem weit entfernten Teil unserer Welt abspielt. Aber auch zu uns sind die Vorboten des Bösen schon vorgedrungen. Hast du nicht selber gesagt, der Wald sei gefährlich? Das ist er noch nicht so lange. Erst, seit ihn der Hauch des Atems von Xarkur gestreift hat, der sich nun auch bei uns ausbreitet. Und es wird schlimmer werden mit der Zeit bis es bei uns genauso aussieht wie dort im Fenster".
Sie sah Jahn traurig an
"Xarkur hat in seinem Zorn das Tor vernichtet, durch das du in unsere Welt gekommen bist. Aber er besitzt auch das Schlüsselamulett, einen mächtigen magischen Gegenstand, mit dem man zwischen den Welten wechseln kann wie es einem gerade gefällt."
Margan schwieg, wahrscheinlich wollte sie Jahn Zeit geben, alles zu verdauen was er soeben gehört hatte. Lange starrte er still auf den Tisch vor sich, das Gesicht auf die Hände gestützt. 
Als er sprach, klang seine Stimme schleppend, wie niedergedrückt von der Last, die ihm durch ihre Geschichte auferlegt worden war. 
"Ich soll also diese Welt retten, und wenn nicht, werde ich nie mehr nach Hause kommen."
Marga schaute ihn nur ernst an.
"Warum ausgerechnet ich? Was habe ich getan, um zum Weltenwanderer zu werden?" 
"Du hast nichts getan. In jeder Generation wird auf jeder Welt einer geboren, der die Fähigkeit hat, sich zwischen den Welten zu bewegen. Viele wissen ihr Leben lang nichts von ihrer Fähigkeit und nur wenige von den Wissenden haben die Gelegenheit, diese zu nutzen, so wie du. Obwohl du ohne deinen Willen in diese Welt gezogen wurdest." 
"Aber ich kann das nicht", entgegnete Jahn verzweifelt, "ich bin sogar zu Hause schon immer allen Streitigkeiten aus dem Weg gegangen, weil ich Angst hatte, verprügelt zu werden. Wie soll ich da gegen einen Drachen kämpfen?"
"Du musst nicht", antwortete Margan, "aber der Drache weiß, dass du da bist und er wird nicht ruhen, bis er den Weltenwanderer vernichtet hat. Aber ich könnte dich vor ihm schützen, eine lange Zeit, vielleicht dein Leben lang. Ich kenne Orte, an denen er dich nicht finden wird. Dort kannst du leben, solange du willst. Du wirst dich an nichts erinnern und glücklich werden. Das ist die Wahl."

Jahn schaute sie lange an. In seinem Kopf schwirrte es wie ein Bienenschwarm, so dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte. Zu vieles war in den letzten Stunden auf ihn eingestürmt, und nun fühlte er sich körperlich und geistig wie ein ausgespuckter Kaugummi. Er wollte diese Entscheidung, vor die die alte Margan ihn gestellt hatte, nicht fällen. Er konnte es einfach nicht! Wie konnten sie das Schicksal einer ganzen Welt in die Hände eines dreizehnjährigen Jungen legen? 
"Was geschieht, wenn ich dein Angebot annehme und mich verstecke?" fragte er Margan
"Dann werden wir weiterwarten und hoffen, dass ein Anderer kommt. Aber ich befürchte, diese Zeit wird uns Xarkur nicht mehr lassen."
"Das heißt er wird diese Welt erobern und niemand wird ihn mehr aufhalten können"
traurig nickte Margan und sagte 
"Und wer weiß, vielleicht ist ihm diese Welt nicht genug, und mit seinem Amulett stehen ihm alle Wege offen..."
Jahn versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, wenn der dunkle Drache eine Welt nach der anderen eroberte und schlussendlich auch in seine Welt, die er bisher für die einzige gehalten hatte, kam. Seine Eltern und Geschwister würden, wenn sie es denn erlebten, zu bösartigen Monstern mutieren und das nur, weil er hier in Frieden und Vergessen lebte. Aber trotzdem, konnte er irgendetwas tun? Konnte er den Kampf mit einem solchen Monster aufnehmen? 
"Ich muss über alles nachdenken, was du mir gesagt hast," sagte Jahn zu Margan. "Ich bin vollkommen hin- und hergerissen. Was soll ich tun?" Die Verzweiflung war ihm ins Gesicht geschrieben, aber trotzdem antwortete Margan
"Das kann ich dir nicht sagen, das musst du mit dir selbst ausmachen. Tue das, was dir dein Herz sagt und es wird das Richtige sein. Denke in Ruhe über alles nach. Du kannst hier bei mir wohnen, solange du es für richtig hältst. 
Ich werde dich nun etwas alleine lassen, damit du in Ruhe über alles nachdenken kannst. Aber wenn du mich brauchst, rufe einfach, ich werde dich hören."
Die alte Margan ging zu einer Tür, die Jahn bisher noch nicht aufgefallen war, sich seiner Meinung nach aber direkt über dem See befinden musste. Sie öffnete sie und sprang mit einem eleganten Satz hinaus. Ein leises "platsch" verriet Jahn, dass sie wirklich in den See gesprungen war. Mit zwei Schritten war er bei der Türe und starrte ihr nach, aber außer einigen kreisförmigen Wellen war nichts mehr zu sehen. 
Verwirrt ging Jahn durch das Haus nach draußen, wo sich Hormar in der Sonne zusammengerollt hatte. Jahn setzte sich neben den Kopf des Drachen und dachte nach.
" Na, das hat dich wohl ziemlich umgehauen Kleiner? Gestern noch halb verhungert und heute der Retter der Welt!"
Jahn schaute zu Hormar hinüber. Der Drache hatte seine Augen nicht geöffnet, so dass es immer noch aussah, als schliefe er. 
" Was soll ich den tun, Hormar, ich weiß es einfach nicht. Was würdest du an meiner Stelle machen?" 
"Wenn nicht mal die alte Margan dir raten will, dann kann ich es erst recht nicht", antwortete Hormar mürrisch. "Diese Entscheidung nimmt dir keiner ab."
"Wer ist denn eigentlich diese alte Margan, dass du so große Stücke auf sie zu halten scheinst und warum nennt ihr sie alt? Sie ist doch bestimmt nicht älter als meine Mutter?" 
Nun öffnete Hormar die Augen und schaute Jahn erstaunt an. Dann begann er zu lachen. Kleine orange Flammen spielten dabei um seine Nüstern. 
"Ich erkläre es dir", sagte er noch immer lachend, "die alte Margan ist älter als ich, älter als jedes andere Lebewesen dieser Welt, ja vielleicht sogar älter als Aretin selbst." Der Drache wurde bei diesen Worten wieder ernst und Jahn glaubte eine gewisse Ehrfurcht in den Augen des Drachen zu lesen, als er weitersprach.
"Sie ist eine Elementenfee, übrigens die einzige hier. Hast du nicht gesehen, dass sie Erde, Wasser, Luft und Feuer in sich vereinigt? So kann sie auch überall leben, sogar im Wasser."
Harkon schüttelte sich bei diesen Worten, als ob ihm alleine schon der Gedanke daran, im Wasser zu wohnen, für ihn unvorstellbar war. 
"Manche Legenden sagen, sie wäre mit Aretin gemeinsam erschaffen worden, andere sogar, dass unsere Welt ohne sie nicht existieren könnte. In dem Moment, in dem sie stirbt, würde ganz Aretin vergehen und nicht einmal eine Erinnerung würde zurückbleiben. Sie sagen, sie wäre das lebendige Abbild unserer Welt. Aber das sind nur Legenden. Sicher ist, dass sie das weiseste Wesen ist, das ich kenne und ihre Macht muss unvorstellbar sein. Ich könnte mir vorstellen, dass sie den meinen bösen Vetter vernichten könnte, aber sie kann ihre Macht nur zu guten Zwecken einsetzen, um zu erschaffen, nicht um zu vernichten."
"Nicht einmal dann, wenn ihre Welt auf dem Spiel steht?" fragte Jahn ungläubig. Der Drache schüttelte den Kopf.
"Nicht einmal dann. Wir haben Xarkur geschaffen und deshalb... was ist das?"
Der Kopf des Drachen ruckte in Richtung Waldrand. Auch Jahn schaute in diese Richtung, konnte aber nichts ungewöhnliches erkennen.
"Was ist los", fragte er verwirrt.
"Sei ruhig, irgendetwas ist in diesem Wald. Und es kommt auf uns zu!"
Hormar sprang auf und Jahn sah, wie sich seine Muskeln spannten. 
"Es ist ein Geschöpf Xarkurs, da bin ich mir sicher, ich fühle es" und zu Jahn gewandt "Los, ins Haus, schnell!" Hormar verschaffte seinen Worten mit einem flüchtigen Stoss seiner Kralle Nachdruck, der Jahn einige Meter in Richtung Haus taumeln ließ. Ohne nachzudenken rannte er weiter, warf die Türe hinter sich ins Schloss und stürzte zum Fenster. Hormar stand noch immer unbeweglich da, seine ganze Konzentration auf den Waldrand gerichtet. Für einen kurzen Moment glaubte Jahn einen Schatten am Waldrand zu sehen, dann brach ein geflügeltes Einhorn daraus hervor. Noch nie hatte Jahn ein derartig edles Geschöpf gesehen, sogar wenn man Hormar mit einschloss: Der Körper sah dem eines Pferdes zum verwechseln ähnlich und war doch unendlich viel graziler und anmutiger. Die Flügel sahen aus wie die von Schwänen und lagen dicht am Rücken an, wahrscheinlich um im Wald nicht hinderlich zu sein. Das weiße Fell glänzte in der Sonne wie frischgefallener Schnee. Jahn spürte tief in sich eine Freude, ein solches Einhorn sehen zu dürfen, dass sie fast schon wieder schmerzte. Er war sich sicher, dass sogar ein Wolf sich in seiner Nähe seine Wildheit und Aggressivität verlieren uns sich wie eine brave Schoßkatze verhalten würde. Und das sollte ein Geschöpf Xarkurs sein? Nie im Leben! Alles, was diesen Eindruck störte, war, dass das Einhorn in blinder Panik und wie von Furien gehetzt dahinpreschte, genau auf Hormar zu! Der Drache konnte sich nur durch einen grotesken Satz zur Seite davor bewahren, von dem Einhorn über den Haufen gerannt zu werden. Kurz bevor es den See erreichte, breitete es seine Flügel aus und schoss in wenigen Metern Höhe über den See hinaus. Jahn hielt den Atem an, als er sah, wie schwerfällig es mit den Flügeln schlug. Anscheinend hatte es auf der Flucht zu viel Kräfte verbraucht. Mühsam schlug das Einhorn einen Bogen und ging direkt neben der Hütte am Ufer des Sees nieder, wo es schwer atmend, mit gesenktem Kopf und zitternden Flanken stehen blieb. 
Aus dem Wald drangen Geräusche zu Jahn, als würde etwas Großes rücksichtslos durch das Unterholz brechen. Er fuhr sich ungläubig mit den Händen über die Augen, als ein zweites Einhorn am Waldrand auftauchte. Es glich dem ersten wie ein Ei dem andern, und doch erschien es Jahn völlig anders, auch wenn er im ersten Moment nicht wusste, warum. Erst, nachdem er es genauer in Augenschein genommen hatte, wurde ihm der Unterschied klar: Dieses Tier kannte keinen Frieden, keine Sanftmut und auch keine Liebe. In seinen Augen loderte ein unstillbarer Hass auf alles Lebendige und Schöne. Deshalb hatte es das erste Tier durch den Wald gejagt: Um es zu vernichten. Und nur aus dem Grund, weil es existierte. 
Bisher waren Gut und Böse für Jahn nur verschwommene Begriffe gewesen, so wie man ein kleines Kind böse nennt, wenn es etwas verbotenes getan hat. Aber in diesem Moment begriff er, dass er hier dem Bösen in seiner reinsten Form gegenüberstand: Einer Urgewalt, die versuchen würde, alles zu zerstören, was ihr in den Weg gestellt wurde. Die töte, nur um des Tötens willens. Deren einziger Lebensinhalt es war, Gewalt zu verbreiten und alles Schöne und Liebenswerte rücksichtslos zu vernichten. 
Als es seinen Artgenossen am Ufer stehen sah, stieg das Einhorn auf seine Hinterbeine und stieß ein triumphierendes Wiehern aus. Seine Muskeln spannten sich, um sich auf sein Opfer zu stürzen, als Hormar ein drohendes Grollen hören ließ.. Die Botschaft war eindeutig: Wenn du nicht sofort verschwindest, bekommst du es mit mir zu tun!
Das Einhorn warf dem Drachen einen hasserfüllten Blick zu. Mit sichtbarem Wiederwillen zog es sich zwei, drei Schritte zurück, entfaltete seine prächtigen Schwingen und mit wenigen kräftigen Flügelschlägen erhob es sich über die Baumkronen. 
Für wenige Sekunden wandte sich Hormar von dem Einhorn ab, um sich dessen Artgenossen zuzuwenden, das inzwischen am Ufer in die Knie gesunken war. Diesen Moment nutzte sein böser Zwilling, um sich wie ein Falke hinterrücks auf den Drachen zu stürzen. 
"Hormar, pass auf, hinter dir!" schrie Jahn aus Leibeskräften. 
Der Golddrache fuhr herum, doch seien Reaktion kam den Bruchteil einer Sekunde zu spät. Mit einem verzweifelten Satz warf er sich zur Seite, so dass das gewundene Horn nicht seinen Körper traf, aber einen langen Riss in der dünnen Haut seiner rechten Schwinge hinterließ. Hormar schrie vor Schmerz und Zorn auf schlug mit seinem stachelbewehrten Schwanz nach dem Angreifer. Aber mit einer spielerischen Bewegung wich das Einhorn dem tödlichen Schlag aus und fügte dem Drachen noch in derselben Bewegung eine tiefe Wunde zu. Grünes Drachenblut floss in zähen Tropfen über das Bein Hormars. Immer wieder stieß das Einhorn herab, wich dem wütenden Schnappen und Schlagen Hormars elegant aus und traf mit seinem Horn immer wieder den goldenen Körper des Drachen. Die Verletzungen sahen aus, als hätte ein beidhändiges Schwert aus dem Mittelalter sie geschlagen, nicht die so unscheinbare Zierde des Einhorns. Wieder griff es den Drachen an! Doch anstatt ihm wie bisher auszuweichen warf sich Hormar mit einem riesigen Sprung nach vorne und damit genau in die Flugbahn des Gegners. Mit einem scheußlichen Krachen prallten die Kontrahenten gegeneinander. Das Einhorn wurde meterweit zurückgeschleudert und blieb benommen am Rande des Sees liegen. Aber auch Hormar hatte teuer für seien Mut bezahlt: Quer über seine Brust zog sich eine neue klaffende Wunde, aus der ein neuer Strom Blut floss. Der Drache versuchte, auf das Einhorn zuzugehen, doch seine Verletzungen hatten ihn schon zu sehr geschwächt. Seien Vorderbeine knickten ein und Hormar schlug hart auf den Boden, wo er zuckend liegen blieb. In der Zwischenzeit hatte sich das Einhorn wieder erholt. Aber auch ihm waren die Folgen des Kampfes nun deutlich anzusehen. Ein Flügel war gebrochen und hing nutzlos bis auf den Boden herab und die Seite, mit der es gegen Hormar geprallt war, war blutig aufgerissen. Sein Atem ging schwer und schien ihm Schmerzen zu bereiten, so als ob eine oder mehrere Rippen gebrochen wären. 
Doch das alles hinderte das Einhorn nicht daran, den Kampf fortzusetzen. Seine Augen blitzten triumphierend auf, als es sich auf den wehrlosen Drachen stürzen wollte. 
In diesem Moment begann der See hinter dem Tier zu kochen und die bisher spiegelglatte Wasserfläche wölbte sich nach oben. Blitzschnell formte sich die Flüssigkeit zu einer riesigen Gestalt, die sogar Hormar überragte. Das musste einer der Wasserriesen sein, vor denen Hormar solch einen Respekt gehabt hatte! Deutlich konnte man im Körper des Riesen die Wirbel fließen sehen, die das kristallklare Wasser bildete und in der Höhe des linken Knies sah Jahn sogar noch einen Fisch schwimmen. Noch ehe das Einhorn reagieren konnte, wurde es von dem Wasserriesen gepackt und wie ein Spielzeug in die Luft gehoben. Verzweifelt schlug es um sich, aber sein Horn peitschte harmlos durch die Wassermassen, die es fest umschlossen hatten. Der Riese begann in Richtung der Mitte des Sees zu gehen, wobei ´gehen´ nicht der richtige Ausdruck dafür war. Es schien, als würde er mit dem See verschmelzen und auf seiner Oberfläche dahinzugleiten. Langsam versank die Gestalt im Wasser und auch das Einhorn wurde trotz verzweifelter Gegenwehr immer tiefer in den See gezogen, bis nur noch leichte Wellen von dem ungleichen Kampf zeugten. 
Jahn rannte durch das Haus hinaus zu der Stelle, wo Hormar noch immer in seinem Blut lag.
"Hormar, was ist mit dir, sag doch was!" 
Verzweifelt rüttelte er an dem schweren Kopf des Drachen. Dieser öffnete langsam die Augen. 
"Wo ist das Einhorn hin?" flüsterte er mit matter Stimme
"Weg, im See versunken. Hormar, du bist schwer verletzt, kann ich irgend etwas tun?"
"Nein, lass ruhig, Kleiner. Da muss schon mehr kommen als so ein übergeschnappter Gaul, um mich umzuwerfen."
Der Drache erhob sich zitternd, nur um gleich wieder zu Boden zu sinken.
"Lass mir nur ein bisschen Zeit, dann geht es schon wieder." Hormar schloss die Augen. 
"Damit wird es nicht getan sein", hörte er die Stimme der alten Margan hinter sich. Er hatte sie nicht einmal kommen hören. Als er sich umdrehte, sah er die Fee hinter sich stehen, und neben ihr das Einhorn, das vorher noch vor seinem Artgenossen geflohen war.
"Lass uns hineingehen", sagte sie, "wenn ihm jemand helfen kann, dann sie. Aber sie lassen sich dabei nicht zusehen." Margan nahm Jahn bei der Hand und zog ihn mit sanfter Gewalt von dem Drachen fort. Bevor sie ins Haus traten, sah er noch, wie das Horn des Einhorns in einem hellen aber zugleich sanften Licht erstrahlte. Das Gesicht Hormars, bisher von Schmerz verzerrt, entspannte sich, und wo das Einhorn ihn berührte, schien ein Teil des Lichtes auf ihn überzugehen.
"Was war das, Margan", fragte Jahn, kaum dass sich die Tür der Hütte hinter ihnen geschlossen hatte, "warum haben die Einhörner gekämpft? Und warum hat das eine Hormar angegriffen?"
Die Fee schüttelte den Kopf.
"Es waren keine Einhörner, Jahn. Was dort draußen gerade versucht, deinem Drachen das Leben zu retten ist ein Pegasus. Sie sind sehr selten und die friedlichsten Geschöpfe, die es gibt. Es liegt in ihrer Natur, zu helfen, zu heilen und Leben zu spenden. Gefühle wie Hass kennen sie nicht. Du hast es gespürt, als du neben ihr gestanden hast, oder nicht?"
"Ja, das habe ich. Aber dann war doch auch das zweite ein Pegasus, oder nicht? Warum hat es seinen Freund durch den Wald gehetzt und Hormar fast getötet?" 
"Es gibt dafür nur eine Erklärung, auch wenn sie mir nicht gefällt. Und du kennst sie auch schon."
"Du meinst, es ist unter den Einfluss von Xarkur geraten?" fraget Jahn mit stockender Stimme. 
Die Fee nickte mit dem Kopf. Trauer schwang in ihrer Stimme mit, als sie weitersprach. 
"Ja, anders kann es nicht gewesen sein. Ich wusste nicht, dass seine Macht schon groß genug ist, diese Lichtwesen derartig zu verderben. Wer soll ihm noch standhalten, wenn die Pegasi es nicht können?" 
Jahn dachte lange nach. In seinem Geiste sah er alle Geschöpfe dieser Welt so werden wie dieses im Grunde bedauernswerte Wesen, das soeben im See versunken war. Und nicht nur das. Wenn Xarkur den Weg in seine eigene Welt fand, würde ihn dort jemand aufhalten können? Vielleicht, denn die Waffen seiner Welt waren denen von Aretin technisch überlegen, dessen war er sicher, aber er hörte noch immer die Worte `nur der Weltenwanderer kann ihn aufhalten` in seinen Ohren klingen. Sollten am Ende alle seine Bekannten, seine Geschwister und Eltern zu hasserfüllten Monstern werden, während er hier in Vergessenheit glücklich wurde? Das konnte und wollte er nicht zulassen. Ein nie gekanntes Gefühl von Stärke durchflutete ihn, als er diese Entscheidung getroffen hatte. Er hatte immer noch Angst vor dem Drachen, aber er wusste, dass er eine Chance hatte, ihn zu besiegen, vielleicht war sie nicht einmal sehr groß und die Wahrscheinlichkeit, in dem Kampf den Tod oder Schlimmeres zu finden viel größer. Aber er würde es versuchen!
"Ich kann es, Margan, ich kann ihm widerstehen, zumindest werde ich es versuchen."
Nun war es Margan, die lange schwieg und Jahn anschaute.
"Du bist trotz deiner Jugend ein Held, Jahn", sagte sie. "Wenn das wirklich dein Wille ist, werde ich dich unterstützen, so gut ich es vermag. Aber bedenke die Gefahren. Du hast einen langen Weg vor dir, auf dem du mehr Feinde als Freunde treffen wirst. Ich bitte dich, noch eine Nacht über die Entscheidung nachzudenken, und wenn du morgen früh noch immer willens bist zu gehen, dann werde ich dich gewiss nicht aufhalten."
Mit diesen Worten trat sie wieder an die hintere Tür und sprang in den See. Jahn sparte es sich, ihr nachzuschauen, sondern ging, wie es sich gehörte zu Fuß, durch die Fordertür hinaus, um nach Hormar zu sehen. Der Drache lag noch an der selben Stelle, an der Jahn ihn vorher verlassen hatte, aber er schien ruhig und tief zu schlafen. Auf seinem Gesicht lag ein friedlicher Ausdruck und von den Schmerzen, die er gehabt hatte, war keine Spur mehr zu sehen. Genauso wenig wie von dem Pegasus. So sehr er sich auch suchend umblickte, er fand keine Spur mehr von dem Lichtgeschöpf. 
Hormar bewegte sich im Schlaf, so dass Jahn nun einen Blick auf die Wunde in seiner Brust werfen konnte. Sie hatte sich fast geschlossen! Und all die anderen Verletzungen, die den Drachen an den Rand des Todes gebracht hatten, waren entweder schon vernarbt oder nur noch unwichtige Kratzer, die den Drachen wahrscheinlich nicht mehr stören würden. Der Pegasus musste ein wahres Wunder gewirkt haben! Nun verstand Jahn die Worte der alten Margan, nur noch sie (anscheinend handelte es sich bei dem Pegasus um ein Weibchen) könne ihm helfen. Und bei Gott, sie hatte es getan! 
Den Rest des Tages verbrachte Jahn hauptsächlich damit, am See zu sitzen und sich alles, was ihm in den letzten drei Tagen geschehen war, noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Aber je länger er darüber nachdachte, umso fester wurde sein Entschluss, den dunklen Drachen zu überwinden oder ihm zumindest das Schlüsselamulett abzunehmen, um ihn in dieser Welt gefangen zu halten! 
Wieder war es Hormar, der ihn am nächsten Morgen weckte, indem er ihn leicht gegen die Schulter stieß. Dieser leichte Stoß mit der Schnauze ließ Jahn zwei Meter Richtung See rollen.
"Hormar, was soll das, willst du mich in den See werfen?" Mit der rechten Hand fuhr sich Jahn über seinen linken Oberarm und registrierte erst mit einiger Verspätung, dass der Drache aufrecht und grinsend vor ihm stand. 
"Dir scheint es Gott sei dank ja wieder gut zu gehen, wenn du schon wieder solche schlechten Späße machen kannst", sagte Jahn noch immer leicht beleidigt. 
Hormars Grinsen wurde für einen Moment noch breiter, doch dann wurde sein Gesichtsausdruck plötzlich ernst. 
"Ja, es ist alles wieder in Ordnung mit mir. Aber das habe ich nur dem Pegasus zu verdanken. Die alte Margan hat mir alles erzählt, auch dass du Xarkur besiegen willst, ist das wahr, Kleiner?"
"Ja, das habe ich vor, auch wenn ich noch nicht genau weiß, wie ich das anstellen soll. Aber irgend jemand muss ihn aufhalten, und ich werde es probieren."
Hormar schaute Jahn schweigend an. In seinem Gesicht lag ein schwer zu beschreibender Ausdruck, der irgendwo zwischen Unglaube, Bewunderung und Hoffnungslosigkeit lag. Dann nickte er mit dem Kopf. 
"Ich werde dich begleiten, Jahn, das heißt natürlich nur, wenn du nichts dagegen hast, du großer Held! Ohne mich würdest du doch keinen ganzen Tag überleben, das haben wir ja schon gemerkt."
"Ich habe gehofft, dass ihr euch so entscheiden würdet", sagte die alte Margan plötzlich hinter ihnen. Sowohl Jahn als auch Hormar fuhren erschrocken herum. Anscheinend war es eine Angewohnheit der Fee, unvermutet und klatschnass hinter ahnungslosen Leuten aufzutauchen. 
"Ihr werdet eine lange und gefahrvolle Reise vor euch haben. Aber hier habe ich noch etwas, was euch die Fahrt vielleicht etwas erleichtern wird."
Mit diesen Worten drückte sie Jahn einen kleinen Beutel aus Leder in die Hand. 
"Vielen Dank", antwortete Jahn und öffnete den Beutel und warf einen Blick hinein. Er war leer. Die alte Margan lachte leise.
"Deinem Gesichtsausdruck nach weißt du mit meinem Geschenk nicht viel anzufangen", sagte sie.
Jahn spürte, wie er rot anlief. Er hat gerade wirklich überlegt, wie um Himmels Willen ihnen ein leerer Beutel gegen einen Drachen weiterhelfen sollte. 
"Du wirst ihn noch sehr zu schätzen wissen, denn ich habe ihn mit einem kleinen, aber nützlichen Zauber versehen: Er wird zum richtigen Zeitpunkt das enthalten, was du eben brauchst. Es wäre doch auch unnötig, dich mit Dingen abzuschleppen, die dir im Moment sowieso nicht helfen, oder?"
Dieser Logik konnte Jahn nicht viel entgegensetzen, also schob er den Beutel in eine seiner Hosentaschen."
"Aber glaube nun ja nicht, dass du plötzlich ein magisches Schwert hervorzaubern kannst, wenn du Xarkur gegenüberstehst, so einfach ist es nicht. Nur Dinge, die sich irgendwo auf dieser Welt schon einmal in einem Beutel wie diesem befunden haben, werden dir zur Verfügung stehen, aber keine Angst, auch das sind noch eine ganze Menge, du wirst sehen. Und nun macht euch auf den Weg."
Jahn schaute Hormar fragend an. 
"Eigentlich habe ich gehofft, dass du uns sagen würdest, wohin wir gehen sollen", sagte Hormar.
Die Fee schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn.
"Natürlich, das wichtigste hätte ich fast vergessen. Geht und sucht Demian, das ist der Magier, der den Kampf mit dem dunklen Drachen überlebt hat. Seit dieser Zeit versucht er sich vor ihm zu verbergen. Deshalb hat er sein Versteck mit einem Zauber umgeben, so dass nur diejenigen ihn finden, von dem er sich finden lassen will."
"Na toll", murrte Hormar, " das ist ja auch ganz einfach, einen Zauberer zu suchen, der sich gar nicht finden lassen will. Na, das fängt ja gut an."
"Irgendwie werden wir ihn schon aufspüren", sagte Jahn, "ich denke, vor uns wird er sich nicht verbergen, wo wir doch das tun wollen, an dem er gescheitert ist." 
"Das ist die richtige Einstellung, Jahn", antwortete die alte Margan, "beginnt eure Suche im Osten, dort ist die Wahrscheinlichkeit am größten, ihn zu finden. Und nun lebt wohl." Mit diesen Worten gab sie Jahn noch einmal die Hand, dreht sich um und verschwand in ihrer Hütte. Jahn glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Er wusste nicht, wie er sich den Abschied von der alten Margan vorgestellt hatte, aber gewiss nicht so... unspektakulär. Nach allem, was er hier erlebt hatte, hätte es ihn nicht gewundert, wenn sie sich vor seinen Augen in Luft aufgelöst hätte, vielleicht mitsamt ihrer Hütte und dem See. Oder wenn sie sie in Schlaf versetzt hätte, aus dem die beiden dann Hunderte Meilen entfernt wieder erwacht wären, aber nichts von dem geschah. Die Vögel sangen genauso laut wie vorher, und Jahn und Hormar standen verlassen auf der Lichtung. 
Noch immer verwundert sah Jahn zu Hormar hinauf. 
"Tja", meinte er, "Ich glaube, jetzt können wir gehen. Ich denke nicht, dass sie noch einmal zurückkommt."
"Da wirst du wohl recht haben. Also, steig auf."
Wie schon einmal legte Hormar seinen Kopf vor Jahn auf den Boden und ließ ihn aufsteigen. Wenige Sekunden später waren Jahn und Hormar auf dem Weg nach Osten, um Demian zu finden.
 

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Und schon geht's zum 2. Kapitel: Esmeralda

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