"Als ob ich nichts Sinnvolleres zu tun hätte", knirschte
Wargrov, während er mit entschlossenen Schritten den Gang entlangeilte.
"Jetzt soll ich auch noch diese Flüchtigen einfangen - Kinderkram!"
Über seine Schulter warf er einen Blick auf Kasíla
und Cedric, die ihm folgten.
"Ihr wißt, was Ihr zu tun habt, Kasíla?"
Die Kriegerin nickte nur.
"Keine Sorge, alles wird nach Euren Wünschen erledigt."
"Habt Ihr die Schriftrolle?"
"Ja - sicher verwahrt."
"Gut", erwiderte Wargrov zufrieden. "Wir sind bald wieder
zurück. Kann ja nicht lange dauern, diese paar Verrückten hinter
Schloß und Riegel zu setzen. Kommt, Cedric, wir müssen uns eilen
..."
***
"Was, der Hauptmann will uns sprechen?"
"Nein, nur seine Stellvertreterin. Der Hauptmann selbst
ist zur Zeit nicht im Schloss."
"Kasíla??" Grówin entgleisten beinahe die
Gesichtszüge, als er an Hauptmann Wargrovs Vertreterin dachte.
"Was will sie denn nur von uns?"
In seine Stimme schlich sich merkliches Unbehagen.
"Also, das kann ich dir beim besten Willen nicht sagen",
brummte der Soldat, der eben die Nachricht in die Kaserne gebracht hatte.
"Sie sagte nur, es sei sehr dringend ... und sie klang ziemlich verärgert."
"Oh je, auch das noch!"
Grówin sah unsicher zu seinem Kameraden hinüber,
der am anderen Ende des Quartiers auf seiner Pritsche saß und gerade
in aller Ruhe sein Schwert mit Waffenöl polierte.
"Das kann auf jeden Fall nichts Gutes bedeuten. Hedrik,
was hältst du davon?"
"Was soll ich schon davon halten? Vermutlich werden sie
uns wegen dieser Sache mit dem Riesen ein paar Tage Strafdienst schieben
lassen."
Er wischte mit einem Tuch das überschüssige
Öl von der Klinge, betrachtete das Schwert von allen Seiten und nickte
zufrieden.
"Ihr solltet sie nicht allzu lange warten lassen", grinste
der Soldat und wandte sich wieder zum Gehen. "Man weiß ja, wie ungeduldig
sie ist."
Grówin rutschte seufzend von der Pritsche, suchte
seine Siebensachen zusammen und brach in wehleidiges Gejammer aus.
"Ohjeohje" wiederholte er ein ums andere Mal. "Was will
sie nur? Hedrik, ich habe gar kein gutes Gefühl bei der Sache, nein,
überhaupt keines!"
"Das werden wir ja gleich erfahren", knurrte der hochgewachsene
Soldat, stand auf und steckte sein Schwert wieder ein. Grówins ständiges
Genörgle begann ihm wieder einmal gehörig auf die Nerven zu gehen,
und er sandte ihm einen warnenden Blick.
"Himmel, wie siehst du denn bloß wieder aus?"
Kopfschüttelnd betrachtete er seinen Kameraden und
fragte sich insgeheim, wie es Grówin geschafft hatte, überhaupt
in Érochs Wachgarde zu kommen.
Er hatte nicht gerade die Idealmaße eines Soldaten,
war eher klein und untersetzt und man sah ihm seine Vorliebe für Wein
und gutes Essen deutlich an. Und zudem war Grówin der unordentlichste
Mensch, den Hedrik kannte - eine Eigenschaft, die den gewissenhaften Soldaten
gewaltig störte.
Wo seine eigenen Waffen stets auf Beste gepflegt, geschliffen
und geölt waren, hatten Grówins schon Rost angesetzt und die
Klinge seines Schwerts sah beinahe aus wie eine Hügellandschaft; wo
seine eigene Pritsche stets tadellos in Ordnung und die Decke glatt und
faltenlos war, glich die Schlafstatt seines Kameraden mit ihren zerwühlten
Decken und Kissen eher einem frisch umgepflügten Acker.
Und er selbst war ebenfalls nicht gerade ein Musterbeispiel
militärischer Ordnung: das leicht angerostete Kettenhemd, dem nicht
wenige Ringe fehlten, spannte bedenklich über dem Bauch, der Waffengurt
saß ebenso schief um seine Hüften wie der zerbeulte Helm auf
seinem Haupt. Unter seinen Rändern lugte zudem viel zu langes, struppiges
Haar hervor - und von Rasieren konnte keine Rede sein, wenn man Grówins
rundes Kinn betrachtete, denn die Bartstoppeln schossen fröhlich in
alle Richtungen.
"Du bist eine Schande für die ganze Wache!" murmelte
Hedrik. "Und mich würde nicht wundern, wenn du eines Tages nur wegen
deinem Aussehen Strafdienst schieben müßtest."
"Wieso?" fragte Grówin verständnislos. "Was
hast du denn gegen mein Aussehen?"
"Nichts", seufzte er. "Gehen wir."
***
Unter Kasílas strengen Augen kamen sich die beiden
Soldaten nicht wie Mitglieder der Garde vor, sondern eher wie kleine Schuljungen.
Mit gesenkten Köpfen standen sie da und ließen die Standpauke
der Wachhabenden über sich ergehen, die mit energischen Schritten,
die Hände im Rücken verschränkt, auf und ab lief.
Plötzlich blieb sie abrupt stehen und baute sich
vor den beiden auf.
Kasíla war eher von kleiner Statur, doch allein
ihr energisches Auftreten ließ sie größer erscheinen,
als sie in Wirklichkeit war. Sie hatte ein kantiges Gesicht und militärisch
kurzgeschnittenes Haar und ihre hellen Augen blickten in diesem Moment
beinahe arrogant auf die beiden Soldaten.
"Habt Ihr mich verstanden?" fragte sie mit schneidender
Stimme. Als Hedrik und Grówin betreten nickten, fuhr sie fort:
"Hauptmann Wargrov hat für Euch einen ganz besonderen
Auftrag vorgesehen - Ihr könnt Euch nun entscheiden, ob Ihr ihn ausführen
oder lieber aus dem Wachdienst entlassen werden wollt."
"Entlassen? Oh, nein, bitte nicht ...", murmelte Grówin
kleinlaut und starrte auf seine Stiefelspitzen, um Kasíla dabei
nicht ins Gesicht sehen zu müssen. Insgeheim fürchtete er die
Stellvertreterin des Hauptmanns mehr als den Obersten selbst.
"Was ist das denn für ein Auftrag?"
"Ihr werdet einer gewissen Person eine Nachricht überbringen",
sagte die Kriegerin streng und musterte Grówin mit einem so angewiderten
Gesichtsausdruck, als würde sie ein besonders ekelhaftes Tier anstarren.
"Eine Schriftrolle müßt Ihr überbringen,
und das so schnell wie möglich. Die Kontaktperson wird sich Euch zu
gegebener Zeit zu erkennen geben. Mehr müßt Ihr darüber
gar nicht wissen."
"Und wo sollen wir diese Person treffen?"
"Auf Búna."
"Búna?" fragte Grówin nach. "Was soll das
sein? Diesen Namen habe ich noch niemals gehört."
"Búna ist eine Insel, du Tölpel", fuhr Kasíla
ihn gereizt an. "Sie gehört zu den Kanalinseln, draußen vor
dem Golf von Bajáne."
"Eine Insel?" Grówin war völlig niedergeschmettert.
"Und das, wo ich doch so leicht seekrank werde ..."
Er erntete einen mißbilligen Blick der Kriegerin
und Hedrik stupste ihn unauffällig in die Seite, um ihm zu bedeuten,
daß es besser für ihn wäre, wenn er den Mund halten würde.
"Sehr richtig, eine Insel. Wargrov hat Eure Reiseroute
genauestens geplant, denn Ihr werdet unterwegs noch ein paar Kleinigkeiten
für ihn erledigen müssen. Zuerst werdet ihr am Grauwald entlang
nach Norden ziehen, Euch dann nach Westen wenden und am Rande der Wüste
entlang bis zu den Weidegebieten Bajánes ziehen. In Márna
wartet ein Schiff, das Euch nach Búna übersetzen wird."
"Wüste? Schiff?" Grówin verstand kein Wort
von dem, was Kasíla da erzählte, und wollte schon wieder zu
nervtötenden Fragen ansetzen, doch ein warnender Blick seines Kameraden
hielt ihn zurück.
Die Kriegerin händigte Hedrik mehrere Pergamente
aus, darunter eine verschlossene, versiegelte Schriftrolle.
"Hier ist Eure Reiseroute beschrieben und die Aufgaben,
die Ihr unterwegs zu erledigen habt - und dies hier ist die Nachricht,
die der Kontaktperson übergeben werden muß." Sie blickte Hedrik
und Grówin streng an.
"Unter keinen Umständen dürft Ihr sie öffnen,
verlieren oder - was noch bei weitem schlimmer wäre - in falsche Hände
geraten lassen", schärfte sie den beiden ein.
"Ihr werdet mit Eurem Leben dafür einstehen, daß
sie ihren Empfänger erreicht!"
Sie machte auf dem Absatz kehrt und schickte sich an,
den Raum zu verlassen, doch dann hielt sie inne und wandte sich noch einmal
um.
"Ach ja, bevor ich es vergesse ... Ihr reist nicht allein
..."
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